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2. Teil: Der Pinsel der sinnlichen Erkenntnis · Diego Velázquez

Jahrgang 1599: Velasquez

Von Alfred J. Noll

Das Leben des Velázquez ist rasch nacherzählt. Wir wissen nicht viel darüber · und es ist arm an außergewöhnlichen Ereignissen. Außer seinen Bildern hat er uns kaum
etwas hinterlassen. Und selbst dieser Teil seines Lebens ist uns nicht vollständig bekannt - einige seiner Gemälde kennen wir nur von Berichten, sie sind verlorengegangen oder auch zerstört worden.

Diego Rodríguez de Silva y Velázquez muß kurz vor dem 6. Juni 1599, dem Tag seiner Taufe in der Pfarrkirche San Pedro, in Sevilla auf die Welt gekommen sein. Sein genaues Geburtsdatum kennen wir
nicht. Nach seinem aus Portugal stammenden Vater hieß unser Maler auch und zuvörderst de Silva. Bekannt geworden ist er freilich unter dem Namen seiner spanischen Mutter: Velázquez. Und so hat er
sich selbst auch genannt. Velázquez verbrachte als erstes von sieben Kindern seine gesamte Jugend in Sevilla. Mit 24 Jahren wird er Hofmaler von Phillip IV. und beginnt seine Karriere als Höfling.

Velázquez verbringt sein gesamtes weiteres Leben am Hof. Immerhin: Auf den Rat von Rubens hin erbat er Urlaub, um nach Rom zu gehen und dort die Gemälde der berühmten Meister zu studieren. Der Urlaub
wurde gewährt: Velázquez reiste im Jahr 1629/30 nach Italien, kam aber bald nach Madrid zurück, wo er, abgesehen von einer zweiten Italienreise (1649 bis 1651), am Hofe Philipps IV. blieb. 1660
stirbt er im Alter von 61 Jahren.

Durch die Abgeschlossenheit Spaniens zunächst kaum beachtet, wird Velázquez erst durch die Arbeiten Goyas und dann durch den Impressionismus für ganz Europa entdeckt. Edouard Manet schrieb im Jahr
1865 aus Madrid nach Frankreich. „Er ist der Maler der Maler. Er hat mich überrascht, er hat mich hingerissen!" Und George Moore sollte 1891 Manet „un petit Velazquez" nennen: „ihre
Ziele, ihre Temperamente waren identisch; Velázquez verstehen heißt Manet verstehen." Seitdem zählt Velázquez zu den Großen der europäischen Malerei.

Die Aufgaben der Hofkünstler

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts hatten alle weltlichen Höfe Westeuropas das Leben und Handeln der Fürsten durch die Künste überhöhen und verklären lassen. Alfred Woltmann hat uns geschildert,
welche Rolle auch einem Velázquez zukam: „Er, der Hofmaler, ist ein Faktotum für Alles, was sich irgend mit dem Pinsel machen ließ: In Prunkgemächern und Schlafzimmern, in Haus und Hof, in
Pferdestall und Küche hatten sie bald dies, bald jenes herzurichten, zu decorieren, anzustreichen, die Möbel und den Hausrath, die Wappenbilder und Paradeschilder, die Wimpel und Flaggen der Schiffe,
die Sättel der Pferde, selbst die Kuchen, die auf die Tafel kamen."

Mitunter hatten derartige Künstler auch eigentlich politische Aufgaben: In Spanien mußte Velázquez 1635 eine Durchsuchungsaktion in Madrider Werkstätten durchführen, um die Königsbildnisse darauf zu
überprüfen, ob sie „dem Anstand und der Würde einer königlichen Person entsprechen". Von 84 wurden 46 Bildnisse eingezogen.

Bevor Velázquez aber den Hof eroberte, war er mit anderen Sachen beschäftigt. Ein ganz besonderes Werk ist das um 1620 entstandene Werk „Der Wasserkäufer von Sevilla". Es ist ein typisches
Genrebild, wie es auch von den Niederländern gemalt wurde. Velázquez hatte sich dem Programm der Naturalisten verschrieben, folgte also mehr dem Caravaggio als dem Carraci. Es ging um die Nachahmung
der ungeschminkten Natur.

Intensität und Eindringlichkeit der Darstellung sind enorm. Die überzeugende Wiedergabe der Glanzlichter auf dem Trinkglas lassen uns danach greifen, und die Wassertropfen am großen Tonkrug kann man
geradezu riechen. Die Abkehr vom bisherigen, das Neue ist offensichtlich: Es geht nicht um schön oder häßlich, und es geht auch nicht um die Präsentation von Wichtigem · es geht um die Malerei
selbst.

Mag sein, daß die Darstellung einer Madonna, eines Prinzen, des Papstes andere als rein malerische Ansprüche an den Maler stellt; mag sein, daß deren Darstellung als künstlerische Aufgabe schwerer zu
bewältigen ist als ein Stilleben oder ein Genrebild. Aber als rein malerisches Produkt gilt spätestens seit Velázquez der Merkspruch von Max Liebermann: „Die gutgemalte Rübe ist ebenso gut wie die
gut gemalte Madonna." Auf solche Art ist Velázquez Promoter einer nicht mehr umzukehrenden Säkularisierung der bildnerischen Kunst. Er verweist auf die „Mühen des Alltags", auf das bis dahin nur
selten darstellungswürdige Leben „der einfachen Leute".

Die Porträts

Die Porträtmalerei fungiert seit jeher als Ornament der Macht und als Mittel der Integration der Beherrschten. Auch die von Velázquez Porträtierten sind also zweierlei: Wiewohl sie markante
Vertreter des Individuellen sind, sind sie zugleich geprägte Typen. Sie tragen die Zeichen ihrer Klasse, so sehr sie im einzelnen auch individualisiert sind. Das Porträt ist so das Medium, in dem die
Menschen das Individuelle im bildnerisch Dargestellten als Allgemeines wiedererkennen.

Velázquez erweist sich als Realist. Er meidet die Häßlichkeit nicht. Er schied häßliche Menschen nicht aus. Aber er beläßt es nicht dabei. Durch die Schönheit seiner Gestaltung (die nichts mit
Schönfärberei oder Beschönigung zu tun hat) überwindet er sie. Und er stellt die Häßlichkeit in ihrer gesellschaftlichen Dimension vor. Sie ist nicht um der Häßlichkeit willen zu sehen.

Besondere Gegebenheiten verlangen spezifische Darstellungsformen. Der Verzicht auf den umgebenden Raum etwa, die „Vereinsamung" der Figur in den Porträtarbeiten von Velázquez dient der Typisierung
jener Schicht, die er als Hofmaler Philipp IV. zu porträtieren hatte. Was Velázquez am Modell sieht und gestaltet, ist keine willkürliche Setzung. Er legt Aspekte frei, die der Person selbst
zukommen. Formerfindung ist Entdeckung eines „wesentlichen Verhältnisses" (Hegel) an und in den Dingen, wie sie sind. Max Liebermann sagt es: „Man sehe das Porträt des Papstes Innocenz in Rom;
zwei dunkle Flecken, die die Augen bedeuten, mit ein paar Strichen ist die Nase und der Mund hineingezeichnet, und mit den wenigen Strichen und Farben, die wohl, wie die Überlieferung berichtet, in
einer Stunde gemacht sein können, steht der ganze Mann vor uns, mit seiner Klugheit, seiner Habsucht und seinen sonstigen verbrecherischen Gelüsten. Die ganze päpstliche Macht erscheint vor uns und
der Papst, der ihrer spottet. Und des Velázquez` Papst-Bildnis nicht gesehen zu haben, heißt in Rom gewesen zu sein und den Papst nicht gesehen zu haben." Und gerade Francis Bacons späteren
Paraphrasen auf das Papst-Porträt · die schrecklichen Bilder mit den aufgerissenen Mündern · sind Beweis dafür.

Die Porträts von Velázquez zeigen uns nicht nur den Abgebildeten. Sie zeigen uns auch und gerade den Künstler. Auch beim Werk eines van Eyck können wir natürlich vergleichend identifizieren, was im
und durch das Porträt vom Maler „vorgestellt" wird. Aber Velázquez hat ausschließlich „wahre Porträts" gemalt. In seinen Porträts zeigt sich uns nicht nur in ganz einmaliger Darstellung der jeweils
Porträtierte, sondern mit gleichem „Recht" der Künstler selbst.

„Las Meninas"

Keine Frage: „Las Meninas" ist zu einem der berühmtesten Bilder der Kunstgeschichte geworden. Über die bekannten Nachschöpfungen und Variationen hinaus hat das Bild einer Vielzahl von Malern
als Anregung gedient. Gombrich zufolge zeigt uns „Las Meninas" nicht mehr als den Maler Velázquez bei der Arbeit in seinem Atelier. Das königliche Paar befindet sich außerhalb des Bildes und
sieht sein eigenes Spiegelbild in dem entfernten Spiegel, den Maler bei der Arbeit und den willkommenen Besuch seiner kleinen Tochter, der Infantin Margarita mit ihren Hofdamen (Meninas) und weiterem
Gefolge. Männer und Frauen, und auch das Kind, sind sehr auf ihre Würde und die Zurschaustellung ihrer steifen und unkleidsamen Hoftracht bedacht, kaum jemand hatte ein interessantes Gesicht. Für den
Maler nicht gerade reizvoll. Dennoch: Velázquez meisterte seine Aufgabe. Er schuf ein bis heute bewegendes und begeisterndes Bild, „das hinreißendste Stück Malerei, das die Welt je gesehen hat"
(Gombrich).

Vor welchem Hintergrund malt Velázquez? Der an ihn gerichtete soziale Auftrag geht von den Repräsentationsbedürfnissen der absoluten Monarchie aus. Der Realismus von Velázquez geht aber weiter. Nicht
nur ist ihm das Religiöse bloß ein Phänomen unter anderen, auch innerhalb des diesseitig Irdischen ist ihm alles gleich wert, gemalt zu werden. Velázquez sieht die Welt als Maler und nicht als
Symbolbeauftragter der absoluten Monarchie.

Der Witz an den „Meninas" ist nun, daß es sich dabei um ein Bild handelt, das alle Indizien einer Darstellung (der Wahrnehmung eines Arrangements von Personen und Sachen in einem Raum) trägt,
aber sich selbst als Anschauungsgegenstand, der eine Vorstellung meint, ausweist. Daraus resultieren die Schwierigkeiten der Interpretation. Es geht nicht um die Darstellung einer Hofszene. Und es
geht auch nicht bloß um das ganz allgemeine Phänomen, „daß Gemälde ihr eigenes Berachtetwerden prophetisch vorausnehmen", wie John Berger richtig schrieb. Es geht um eine (gelungene) Allegorie
der Malerei, es geht darum, das Anschauen selbst sichtbar zu machen.

Velázquez verwandelt seine Beziehung zu den Mächtigen in eine Repräsentation der Macht. Michel Foucault hat in diesem Gemälde das Sinnbild der Repräsentation im klassischen Zeitalter gesehen.
Velázquez hat kraftvoll gemalt, eine Menge Finesse in die Komposition gesteckt und damit hohe Komplexität erreicht. Der Blick des Betrachters wird überlagert: vom Blick des königlichen Paars, den der
Spiegel im Zentrum reflektiert, und vom Blick des Malers. Drei Blicke, drei Rollen, die im Gemälde repräsentiert werden. Und dann noch die geöffnete Tür, durch die ein Betrachter blickt. Der einzige,
der sehen könnte, was Velázquez auf seine für uns nur von der Hinterseite sichtbare Leinwand bannt. Dutzende von Interpretationen haben die Frage nach der Position des Betrachters und seiner Rolle in
der Darstellung nicht lösen können. Das Bild bleibt uns Problem · darin liegt die ganze Kraft des Gemäldes. Vermittelt wird die Idee, daß der Betrachter des Bildes und vor allem der König nur
exstieren (können), insofern sie eine Repräsentation finden und eine der Positionen einnehmen, die das Gemälde für die vorsieht. Die noch für die Renaissance typische Mimesis der realen Welt als
absichtlich reproduzierte Welt wird ersetzt. Jetzt geht es um eine Form der Darstellung, die nicht eigentlich auf Nachahmung beruht. Es geht um Repräsentation. Die offensichtliche Korrespondenz mit
einer als stabil und im vorhinein exisierend gedachten Realität verliert an Bedeutung.

Das Bild ist eine Forderung: Der Rolle des Künstlers, der mit seiner Darstellung die Wirksamkeit der königlichen Macht begründet, soll die gebotene Anerkennung gezollt werden. Und Velázquez stellt
nicht nur dar. Er formt seine zeitgenössischen Betrachter: Der Betrachter muß eine Repräsentation seiner selbst finden, wenn er sich im Gemälde erkennen und auf der Bühne des Hofes finden
(präsentieren) will.

Sinnliche Erkenntnis

Sicherlich ist die sinnliche Wirklichkeitserfahrung von Velázquez geprägt durch die Tradition seiner spezifischen Herkunft. Niemand entgeht der Präformation seiner Klasse oder Gruppe, aus ihnen
schöpft er das Material, mit dem er weiterbildend arbeitet. Die Übersetzung von Erfahrung in kommunizierbare sinnlich-symbolische Erkenntnis entspringt ja nicht der Fähigkeit eines einzelnen, ein
Bild von Velázquez ist nicht lediglich das Ergebnis des „Könnens" eines bestimmten spanischen Malers in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hier ist vielmehr ein langer historischer Prozeß
vorausgesetzt, in welchem der jeweilige Stand des ikonisch-symbolischen Darstellungsvermögens als gesellschaftliche Möglichkeit sich immer weiter herausbildet.

Trotzdem müssen wir „Las Meninas" auch und gerade als Zeichen der Emanzipation lesen. Niemand hat Velázquez vorgeschrieben oder gar ermuntert, sich selbst als adeliger Maler ins Bild der
Königsfamilie zu setzen. Er selbst hat das Arrangement getroffen. Er hat die Anweisungen gegeben. Sein ist das Werk.

Velázquez hat sich trotz und wegen seiner Stellung als Höfling vom Objekt des Hofes zum Subjekt der Kunst emanzipiert. Wenn man so will: Sein Marsch durch die Institution war erfolgreich. Er war
Hofmaler und hatte vornehmlich Porträts und andre Auftragsarbeiten zu machen. Er war von der Gunst seines Königs abhängig, ein Instrument zur Realisierung fremder Zwecke. Wir mögen es heute als
demütigend empfinden, wenn König Philipp IV. seinen Hofmarschall Velázquez als Quartiermacher vor sich her sandte, bis nach solchen Strapazen schließlich der Maler starb. Aber Maler waren im
allgemeinen gerade so angesehen wie andere Handwerker · eher weniger. Trotzdem hat Velázquez auf seinem Weg nach oben keine künstlerischen Konzessionen gemacht, er hat seiner malerischen Verwegenheit
freien Lauf gelassen · und ist dadurch zur Persönlichkeit geworden.

Aber seine kunstgeschichtliche Bedeutung ist noch größer: Durch Velázquez ist die Malerei als Malerei ein Thema geworden. Deshalb ist und bleibt er eine kunstgeschichtliche Größe. Und deshalb die
fast euphorische Anerkennung seiner Werke durch Goya, Manet, Picasso, Dali und viele andere.

Alfred J. Noll ist Rechtsanwalt in Wien und Universitätsdozent für öffentliches Recht und Rechtslehre.

Freitag, 30. April 1999

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