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Der Tod des Henkers

Erinnerung an ein historisches Attentat
Von Beppo Beyerl

1. Die Geschichte

Am 8. Jänner 1939 annektierten die Herrenmenschen die äußeren Randgebiete des Reiches der Untermenschen. Dort wohnten nämlich auch Herrenmenschen, die die Truppen des großen Diktators zu Hilfe
gerufen hatten, weil sie sich vor den Untermenschen fürchteten. Nach der Annexion mußten die Angehörigen der unterwertigen Rasse in das verbliebene Restland der Untermenschen flüchten, bei der Flucht
war es ihnen verwehrt, Hab und Gut in ausreichendem Maße mitzunehmen.

Am 15. März 1939 marschierten die Truppen des großen Diktators in das verbliebene Restgebiet der Untermenschen ein.

Als Reichsprotektor setzten die Machthaber der ehrwürdigen Rasse einen alten Adeligen ein, der jedoch als verweichlichter Schwächling galt, weil er den Widerstand der nichtswürdigen Rasse nicht
brechen konnte. So ereigneten sich im ganzen Lande Sabotageakte, vor allem bei der Eisenbahn und in der Rüstungsindustrie.

Am 27. September 1941 wurde der adelige Protektor durch einen jungen forschen Recken abgelöst. Der kannte nur eine Methode, um den Widerstand der Untermenschen zu brechen: Mord. Am 28. September
wehten auf der Burg der Hauptstadt bereits die Todesstandarten der Eliteeinheit, deren Leiter der Recke war. Am selben Tag führte er das Standrecht ein und unterschrieb sogleich 100 Todesurteile. In
den nächsten Wochen pendelte sich der Henker bei 20 bis 30 Todesurteilen pro Tag ein. Fotos und Namen der Ermordeten wurden zur Abschreckung auf roten Plakaten in den großen Straßen der Hauptstadt
affichiert.

Laut stenographischen Protokollen verkündete der Henker während eines Geheimtreffens in einem Palais, das später zum Sitz des Außenministerium werden sollte: „Dieses Gebiet hier wird in Zukunft
ein deutsches sein, in dem der Tscheche schließlich und endlich nichts mehr zu suchen haben wird!"

Des Henkers Plan: Durch Röntgenbilder und anatomische Untersuchungen sollte die Bevölkerung diagnostiziert und nach der Diagnose in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die eine höherwertige Gruppe wird
eingedeutscht, und die andere? · „Jene, die zur Eindeutschung nicht fähig sind, schicken wir möglicherweise nach der Öffnung weiterer Gebiete in die Gegend des Eismeeres, wo sie in den
vorgesehenen Konzentrationslagern eine ideale Heimstätte finden werden."

2. Die Vorbereitung

Im September 1941 trafen sich auf einer doch relativ fernen Insel zwei Generäle: Der Befehlshaber einer Spezialeinheit des Inselheeres, der SOU (Special Operations Execition) und der
Verteidigungsminister der Exilregierung der Untermenschen. Dabei faßten sie den Beschluß, aus der auf der Insel stationierten Exilarmee Freiwillige zu rekrutieren und sie zu Fallschirmspringern
auszubilden. Nach der Ausbildung sollten sie hinter der Front in ihrer Heimat abgesetzt werden, um Spezialaufgaben auszuführen: Kontakte mit lokalen Widerstandskämpfern knüpfen und Sabotageakte
organisieren.

Tatsächlich wurden insgesamt ungefähr 150 Fallschirmspringer auf diese Weise abgesetzt. Manche wurden schon in der Luft abgeschossen. Andere wurden von der Staatspolizei der Herrenrasse aufgespürt
und im Gefecht erschossen, andere wurden gestellt und begingen Selbstmord. Lebend fiel keiner in die Hände der Staatspolizei. Den wenigsten gelang es, solange in der Illegalität auszuharren, bis das
Reich der Herrenmenschen in Trümmern ging. Und einige der Fallschirmspringer wurden von der Staatspolizei umgedreht und agierten für sie als Spitzel.

Bald nach dem September 1941 wurde auf der fernen Insel der Entschluß gefaßt, auf den Henker durch Fallschirmspringereinheiten ein Attentat zu verüben. Eingeweiht in die Aktion war der Präsident der
auf der Insel agierenden Exilregierung, später wurden ihm die für das Attentat vorgesehenen Freiwilligen auch persönlich vorgestellt.

Ausgewählt wurden ein Slowake und ein Böhme, sie sollten am 10. Oktober fliegen. Der Böhme verletzte sich beim harten Training und wurde durch einen aus Mähren stammenden Soldaten ersetzt, der Start
mußte auf Monate verschoben werden.

Am 29. Dezember 1941 startete auf dem Flugplatz Tangmore der Inselhauptstadt ein Flugzeug mit drei voneinander unabhängigen Gruppen. Zur Gruppe „Anthropoid" gehörten der Slowake und der Mann aus
Mähren; die Gruppe „Silver A" sollte den Funkkontakt mit der Exilarmee mittels des im Gepäck befindlichen Senders „LIBUSE" aufnehmen, zu ihr gehörte unter anderem ein nur 1,65 m großer Blonder. Die
dritte Gruppe „Silver B" konnte nach der Landung nicht weiter in die Geschichte eingreifen.

Der Slowake und der Mähre landeten außerhalb der Hauptstadt. Sie übernachteten bei Vertrauensleuten, nie länger als ein paar Tage, dann wechselten sie das Quartier. Sie hatten gefälschte Ausweise und
gefälschte Krankenscheine, die sie als arbeitsunfähig auswiesen. In der Hauptstadt angekommen, sondierten sie erst das Terrain. Einige Pläne wurden verworfen: Attentat im Zug, Attentat in der
Privatresidenz des Henkers. Auf folgenden Plan einigten sie sich: Bei der morgendlichen Fahrt zum Dienstsitz auf der Burg mußte der Chauffeur bei einer Serpentinenkurve abbremsen. Hier soll es
passieren.

Wie in einem billigen Kitschroman verliebte sich der Slowake in die Tochter einer Familie, die ihm Unterschlupf gewährte. Die beiden verlobten sich, nach Kriegsende wollten sie heiraten, die
Brautmutter gab den Segen.

Weitere Teilnehmer am Attentat waren der Kommandant, der am 28. März im Rahmen der Operation „Out distance" via Fallschirm abgesetzt wurde: ein fähiger Stratege und glänzender Organisator. Mit dem
Kommandanten waren fünf weitere Männer gelandet; einer von ihnen sollte sich als ihr späterer Verräter entpuppen.

Wie alle großen Attentate der Geschichte bestand auch dieses Attentat aus einer Serie von Pannen. Am 27. Mai 1942 nähert sich relativ spät, um 9.30 Uhr, der offene Mercedes des Henkers besagter
Kurve. Der kleine Blonde gibt mit einem reflektierenden Spiegel das Zeichen. Der Kommandant läuft bei der Kurve über die Straße, der Fahrer muß scharf bremsen. Der Slowake wirft den Mantel weg und
richtet das Maschinengewehr auf den Mann neben dem Chauffeur. Der Mähre neben ihm greift vorsichtig in seine Aktentasche. Kurz treffen einander · zum ersten Mal in ihren Leben · die Blicke der beiden
Männer und der Blick des Henkers.

3. Die Personen

Vom Henker wurden etwa zehn bis zwölf Fotos gesichtet. Auf jedem Foto steckt er in der Uniform der Todesschwadronen. Auf keinem Foto lacht er oder lächelt er.

1904 wurde er in Halle an der Saale geboren. Von klein auf begeisterte er sich für Uniformen und Befehle. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er einem Freiwilligenkorps bei, später wechselte er zur
Marine. Er war nicht nur ein Herrenmensch, er sah auch so aus: groß und blond, sportlich und durchtrainiert, der blonde Todesengel. Er hat das Gesicht eines Raubvogels, der die Beute wittert, oder
eines Bluthundes, der bereits beim Zuschnappen ist.

Auf den Militärausweisen kann man die Gesichter des slowakischen und des mährischen Soldaten erkennen.

Der Mähre hat ein sehr rundes, gutmütiges, ruhiges Gesicht, aus dem die Backenknochen leicht hervorstehen. Er kann · wie Zeitzeugen aussagten · keinem Menschen etwas zuleide tun, wahrscheinlich nicht
einmal einem Tier. Er kommt aus einer bäuerlichen Familie, hat erst in einer Ziegelei in Mähren gearbeitet, dann als Landarbeiter auf dem Feld, dann wieder in der Ziegelei.

Der Slowake schaut etwas lebhafter, fanatischer aus · zu diesem Eindruck trägt vielleicht auch der überkorrekte Scheitel bei. Er wurde am 8. April 1912 in Poluvsin, Kreis Zilina, geboren, nach der
Pflichtschule blieb er mehrere Jahre in der Armee, dann arbeitete er als Maschinenschlosser in einer Militärfabrik in Zilina. Am 1. April 1939 mußte er wegen eines in der Fabrik ausgeübten
Sabotageaktes fliehen, in Krakau schloß er sich der Exilarmee seiner Heimat an, nach der Eroberung von Polen durch die Herrenmenschen floh er mit seiner Einheit nach Frankreich; nach der Eroberung
von Frankreich floh er nach England, dort meldete er sich freiwillig als Fallschirmspringer.

Beide waren politisch eher unbedarft · so meinten sie, der Krieg sei in paar Monaten sowieso zu Ende, bis dahin müßten sie durchhalten. Sie waren sicher keine ideologisch ausgeprägten Anti-
Faschisten, auch keine Abenteurer; eher normale Menschen „wie du und ich", die nichts anderes als ihre Pflicht taten.

4. Das Attentat

Der Slowake drückt ab. Das Gewehr funktioniert nicht. Der für diesen Fall neben ihm postierte Mann aus Mähren nimmt die Bombe aus der Tasche, zündet sie und wirft sie in den Wagen. Um 10.31 Uhr
erfolgt die Detonation.

Der Henker will, bereits getroffen, zurückschießen, vergißt aber, das Magazin in seine Pistole einzulegen. Der Slowake flieht zu Fuß statt wie geplant mit dem Rad, der Chauffeur des Henkers,
selbstverständlich ein Oberscharführer der Eliteeinheit, verfolgt ihn und will auf ihn schießen; doch irrtümlich drückt er auf die Sicherung seiner Pistole; der Slowake rennt · wieder irrtümlich · in
den Laden eines Fleischers, der mit den Herrenmenschen sympathisiert; beim Herauseilen trifft er den Oberschenkel des Chauffeurs und entkommt in der Menschenmenge. Der Mann aus Mähren entkommt mit
dem Fahrrad, läßt es jedoch beim Schuhhaus des weltbekannten Schuhkonzerns stehen und taucht in der Menge unter. Und der kleine Blonde wird durch einen Schuß verletzt, den möglicherweise der
Chauffeur abgefeuert hat, doch auch ihm gelingt die Flucht.

Der Henker wird ins Krankenhaus Bulovka geliefert: eine große Wunde im Brustbereich.

Eine Woche später, am 4. Juni, stirbt der Henker. Das Bulletin: „Der Tod ist infolge Beschädigung lebenswichtiger parenchymatischer Organe durch Bakterien bzw. Gifte eingetreten, die zugleich mit
den Splittern in den Körper eindrangen . . ."

In der fernen Reichshauptstadt: der große Diktator brüllte, tobte und schrie. Er wünschte, daß sofort 10.000 Untermenschen ermordet werden. Der bestellte Nachfolger ließ halbstündig im Rundfunk
verkünden: „Auf die Ergreifung der Täter wird eine Belohnung von 10 Mill. Kronen ausgesetzt. Jeder, der den Tätern Unterkunft oder Hilfe gewährt bzw. Kenntnis von ihren Personen oder Unterkünften
hat und es nicht zur Anzeige bringt, wird mit seiner ganzen Familie erschossen." Dazu erfolgten Ausgangssperren sowie die Schließung von Gasthäusern und Theatern. Im Schuhgeschäft des großen
Weltkonzerns am Hauptplatz wurden in der Auslage das Fahrrad und die Aktentasche ausgestellt.

Die Ermordung von 10.000 Untermenschen konnte der Nachfolger seinem großen Diktator wieder ausreden. Dafür gab es Großrazzien, an denen Sicherheitsdienst, Staatspolizei und normale Armeeeinheiten
mitwirkten.

Das Ergebnis: zwei Landstreicher, eine Prostituierte und ein Jugendlicher wurden der Polizeidirektion übergeben.

Drei Wochen erpreßten, folterten und mordeten die Herrenmenschen. Sie machten Dörfer der Untermenschen dem Erdbeben gleich und erschossen die männliche Bevölkerung, auch die Knaben. Das Resultat:
Null. Sie kannten weder die Namen der Attentäter noch ihr Aussehen.

Da erschien am 16. Juni bei der Sonderkommission der Staatspolizei der Verräter: Hilfsarbeiter, wohnhaft bei seinen Eltern in Trebon, selbst Fallschirmspringer, am 28. März mit fünf anderen Agenten,
unter anderem mit dem Kommandanten, gesprungen. Er gab zu Protokoll, daß er die Aktentasche kenne, er nannte den Namen des Slowaken. Und er äußerte den Verdacht, daß der zweite Attentäter der beste
Freund des Slowaken sei, und er nannte den Namen des zweiten. Und er ließ das Netz der Konfidenten hochgehen.

Das Versteck der Attentäter war ihm nicht bekannt, das wurde von einem der verhafteten Konfidenten nach der Folterung verraten.

Der Verräter erhielt einen neuen Namen, einen neuen Paß, er heiratete eine Frau der höherwertigen Rasse, und er steckte die zehn Millionen ein.

Nach dem Ende des Reiches der Herrenmenschen und der Proklamation der Republik wurde er 1947 zum Tod am Galgen verurteilt und kurz darauf hingerichtet.

5. Die Aktion

Am 18. Juni um 4.15 Uhr begann die Aktion. Sicherheitsdienst und Staatspolizei umstellten die Kirche, die sie Karl-Borromäus-Kirche nannten, die Einheimischen nannten sie Cyrill-und-Method-Kirche.
Auf dem Chor hatten sich der Kommandant mit zwei seiner Männer verschanzt. Die Herrenmenschen gelang es erst nicht, die drei Männer auszuschalten. Dabei beschossen versehentlich Einheiten des
Sicherheitsdienstes die Einheiten der Staatspolizei und umgekehrt.

Nach drei Stunden fielen vom Chor keine Schüsse mehr. Einer der drei war tot, die anderen waren schwer verwundet und starben kurz darauf.

Der Nachfolger marschierte vor der Kirche auf und ab und brüllte, tobte und schrie, wie er es vom großen Diktator gelernt hatte. Schließlich wollte er die Männer lebend.

In der Krypta der Kirche waren noch weitere vier verschanzt, unter ihnen der Slowake und der Mähre. Die Krypta war nur durch einen Ventilationsschacht mit der Außenwelt verbunden. Der Nachfolger
befahl den Einsatz von Tränengas · erfolglos. Er befahl, die Krypta unter Wasser zu setzen · erfolglos. Der Nachfolger befürchtete, daß die Attentäter über das Kanalnetz entkommen könnten und ließ
alle Ausgänge und Abflüsse bewachen. Er schob den Kaplan der Kirche vor, der ihnen zur Aufgabe riet, andernfalls werde er erschossen. Die Attentäter gaben nicht auf, der Kaplan wurde erschossen.

Der Nachfolger brüllte, tobte und schrie, daß selbst der große Diktator seine Freude gehabt hätte. Er ließ Freiwillige durch den Schacht hinunter · sie kamen mit zerfetzten Beinen wieder zurück. Er
ließ einen als Sarkophag dienenden Stein am Boden der Kirche sprengen und entdeckte Stufen, die zur Krypta führten. Doch alle Männer, die er hinunterschickte, blieben auf den Stufen liegen oder
kehrten schwer verletzt zurück.

Gegen Mittag · also nach sieben bis acht Stunden seit Beginn der Aktion · hörte er in der Krypta vier Schüsse. Dann war Stille.

Wie die Behörden ermittelten, war den vier Männern die Munition ausgegangen. Mit den letzten vier Kugeln begingen sie Selbstmord.

Epilog 1

Die Namen der Attentäter und des Henkers, in alphabetischen Ordnung: Josef Bublik, Josef Gabcik, Reinhard Tristan Heydrich, Jan Hruby, Jan Kubis, Adolf Opalka, Jaroslav varc, Josef Valcik.

Epilog 2

Die Witwe des Henkers bewohnte bis zu ihrem Tod eine Luxusvilla auf der Ostsee-Insel Fehrmarn. Von der Bundesrepublik erhielt sie eine hohe Witwenrente, vom Sozialgericht in Schleswig wurde ihr
1965 eine Rentennachzahlung von 12.000 DM zuerkannt.

Freitag, 08. Jänner 1999

Aktuell

Als die Kirche springen woll te
Vor 40 Jahren, am 8. Dezember 1965, endete in Rom das Zweite Vatikanische Konzil
Religion in neuen Gewändern
In der westlichen Welt wächst die Sehnsucht nach Selbsterfahrung und Spiritualität
Alte Ausdrücke für neue Geschwindigkeiten

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