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Ein australischer Forscher untersuchte Ötzis Werkzeuge

Werkzeugkasten aus der Steinzeit

Von Georg Breuer

Ein winziges Härchen da, ein paar Pflanzenfasern dort, dazwischen Blutstropfen, und alles so klein, daß man es nur im Mikroskop sehen kann. Lassen sich aus solchen
Mikrospuren auf einem Steinzeitwerkzeug tatsächlich Aussagen über den Menschen machen, der dieses Werkzeug benutzt hat?

Tom Loy von der University of Queensland in Brisbane, Australien, antwortet auf diese Frage mit einem klaren Ja. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich damit, Steinzeitwerkzeuge aus Fundstätten von
Neu-guinea bis Alaska nach solchen Resten zu untersuchen.

Um einen besseren Einblick in die Arbeitsweise der Menschen aus jener Epoche zu bekommen, hat er, wie er in einem Artikel im „New Scientist" (12. September 1998, S. 40) berichtet, solche
Steinwerkzeuge für sich selbst ohne Verwendung irgendwelcher moderner Geräte hergestellt und mit ihnen gearbeitet.

So hat er etwa die verschiedensten Tiere, vom Kaninchen bis zum Elch, mit seinen Steinwerkzeugen geschlachtet und zerlegt. Dabei kam er zu der Erkenntnis, daß sich aus der Art und Weise, wie Spuren
von Blut, Fett und so weiter auf einem Werkzeug verteilt sind, genaue Rückschlüsse ziehen lassen, wie das Werkzeug verwendet wurde.

Schleifstein aus

Hirschgeweih

Aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen ist Loy eingeladen worden, sich an der Untersuchung der beim Ötzi gefundenen Werkzeuge zu beteiligen, die an dem für solche Arbeiten hochqualifizierten
Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz durchgeführt worden ist.

Das war eine besonders faszinierende Aufgabe, denn hier handelte es sich nicht um zufällig an einer Fundstätte zusammengekommene Stücke, sondern um die komplette Ausrüstung eines Mannes, der allem
Anschein nach im Verlauf seiner normalen Betätigung vor mehr als 5.000 Jahren umgekommen ist und 1991 in den Gletschern der Ötztaler Alpen gefunden wurde.

Ötzis Ausrüstung bestand aus einem Steinmesser, einem größeren und einem kleinen Steinschaber, zwei Pfeilen, Spitzen aus Knochen und Geweih und einem Werkzeug, das gleichsam als „Schleifstein" diente
· einer Spitze aus Hirschgeweih in einem Griff aus Lindenholz. Die Spitze ist zur Härtung in Pech getränkt worden. Sie diente zur Schärfung und Entfernung kleiner Splitter von den Steinwerkzeugen.

Die Pfeile hatten Steinspitzen, die mit von Pech bedeckten Schnüren an die Schäfte angebunden waren. Die Schäfte sind aus dem Holz des Schneeballbusches (Viburnum) hergestellt. Am Hinterende
sind gespaltene Federkiele angeklebt. Die Verschnürung ist spiralig, so daß der Pfeil im Flug eine Drehbewegung ausführt. Die Pfeile sind leicht und offenbar für Schüsse über größere Entfernungen im
freien Gelände oberhalb der Waldgrenze gedacht.

An der vorderen Hälfte der Schäfte fanden sich Blutspuren, die zeigen, daß sie bis zu 15 cm tief in die Körper der Beutetiere eingedrungen sind. Wahrscheinlich hat Ötzi mit diesen Pfeilen vor allem
Steinböcke gejagt, die auch die Nächte oberhalb der Baumgrenze verbringen, während etwa Gemsen in den obersten Waldregionen übernachten.

Beide Pfeilschäfte waren gebrochen. An den Spitzen fanden sich Spuren von Erde. Offenbar hatte der Schütze sein Ziel verfehlt, und die Pfeile waren gebrochen, als sie mit erheblicher Wucht in den
Boden einschlugen.

An den Pfeilen hatte Ötzi unmittelbar vor seinem Tod gearbeitet. Die Schnüre zur Befestigung der Steinspitzen sind zum Teil entfernt. An dem kleinen Schaber finden sich Spuren von Pech sowie Fasern
der Schnüre. Allem Anschein nach hatte Ötzi während seiner letzten Mahlzeit versucht, aus den besser erhaltenen Teilen der beiden zerbrochenen Pfeile einen neuen zu machen.

Handwerkliche Fähigkeiten

Der Bogen ist aus hellem Eibenholz, das mit Blut bestrichen ist, so daß es nun rötlich-schwarz aussieht. Trockenes Blut ist wasserabstoßend und wurde laut Loy vermutlich aufgestrichen, um zu
verhindern, daß sich das Holz des Bogens verzieht, wenn er naß wird.

Die genaue Untersuchung verschiedener zur Verzierung eingeschnittener Muster hat gezeigt, daß sie von Ötzi mit seiner Kupferaxt hergestellt worden sind.

Der Bogen ist zerbrochen, als man Ötzis Mumie freilegte. Nach Loys Meinung war er verwendbar, obwohl er an seinen Enden keine Kerben zur Befestigung der Schnur hat. Es gibt auch andere Bogen
aus der späten Steinzeit, die keine solchen Kerben haben. Die von einigen Wissenschaftern vertretene Meinung, daß Ötzi seinen Bogen verloren hatte und gerade dabei war, sich einen neuen zu basteln,
hält Loy für nicht zutreffend.

Der Köcher besteht aus Leder mit einer Versteifung aus einem Stück Holz, das mit Riemen an das Leder angebunden ist. Die Gestalt der Löcher für die Riemen und andere kleine Details zeigen, daß diese
Löcher mit dem Bohrer gebohrt wurden, den Ötzi bei sich trug. Er konnte seine Ausrüstung nicht nur reparieren, er hat sie selbst hergestellt. Er muß ein Mann mit hochqualifizierten handwerklichen
Fähigkeiten gewesen sein.

Der große Schaber war ein Mehrzweckwerkzeug. An einer Kante hat Loy Reste von Gräsern gefunden, die Ötzi vermutlich abgeschnitten hat, um sie zur besseren Wärmeisolation in seine Fußbekleidung zu
stecken. An der anderen Kante des dreieckigen Schabers gibt es reichlich Kollagenspuren. Nach Loys eigenen Erfahrungen bei der Herstellung von Steinzeitwerkzeugen entstehen solche Ablagerungen, wenn
man Knochen eines frisch getöteten Tiers von ihrer Deckschicht reinigt. Tut man das nicht, dann trocknet das Kollagen auf den Knochen ein und sie sind später schlecht zu bearbeiten. Auch Reste von
der Reinigung von Tierfellen waren auf dem Schaber zu finden.

Axt mit Stärkekörnern

Auf der Kupferaxt fanden sich Holzfasern, aber auch Spuren von Kollagen und Blut. Ötzi hat die Axt anscheinend auch beim Schlachten von Tieren oder der Zerteilung von Jagdbeute verwendet. Auch
Stärkekörner waren auf der Axt, zum Teil noch halb roh, zum Teil schon gekocht. Sogar unter dem Lederband, mit dem die Kupferschneide am Holzgriff befestigt ist, hat Loy solche Stärkekörner gefunden.
Vermutlich hat Ötzi, während er sein letztes Mahl bereitete, das Lederband der Axt geöffnet, um es neu festzubinden. Dann wurde er von einem plötzlichen Wettersturz mit Schneesturm überrascht und
konnte nicht mehr absteigen.

Nach seiner Ausrüstung zu schließen war Ötzi ein erfahrener Jäger. Sein „Werkzeugkasten" war gut durchdacht zusammengestellt, gut gepflegt und enthielt bei möglichst geringem Gewicht alles, was er
zur Jagd, zur Reparatur des Jagdgeräts und zur Zerteilung der Beute benötigte. Daß er Bärenfell in seiner Kleidung hatte und eine damals noch seltene Kupferaxt benützte, lassen auf eine angesehene
Stellung in der Gesellschaft schließen.

Freitag, 13. November 1998

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