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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Über die Rituale der Weinverkostung und ihre physiologischen Grundlagen

Schnüffeln und schwenken

Von Ingeborg Hirsch

Ah, sagte der Geheimagent seiner Majestät und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Rotweinglas, "Chateau Lafite, 1961, Richebourg, Südhang, vorzugsweise aus den tiefer gelegenen 100-jährigen Rebstöcken. Ein absoluter Prachtwein."

Diese und ähnliche Kosterlebnisse, die in Filmen gerne gezeigt werden, finden in Wirklichkeit selten statt. Denn wie Lynn Sheriff, Master of Wine, richtig sagt, ist eine Weinkost "zu 90% Wissen und Erfahrung, zu 5% Glück und zu 5% Bullshit". Wobei unter Bullshit alle Informationen fallen, die man bei einer verdeckten Verkostung zufällig erwirbt - das kann ein Blick auf den Korken sein, eine ausgefallene Flaschenform oder eine in der Umgebung aufgeschnappte fachkundige Bemerkung.

Da es seit einigen Jahren als trendig gilt, Kenntnisse in Sachen Wein zu demonstrieren, bemühen sich immer mehr Menschen um ein dementsprechendes Vokabular, um den Wein richtig "anzusprechen". Dabei ist es generell keine leichte Aufgabe, das sinnliche Erleben von Geruch und Geschmack in Worte zu fassen, denn diese Eindrücke sind eher an Gefühle oder Erinnerungen gebunden. Für die Beschreibung eines Geruches sind keine sprachlichen Kategorien vorhanden, und man muss sich mit externen Charakterisierungen wie blumig, würzig oder mandelartig behelfen.

500 verschiedene Aromen

Eine systematische Annäherung an die vielfältigen Dufteindrücke - rund 500 verschiedene Weinaromen sind bekannt - wurde von Wissenschaftlern der Universität Davis in Kalifornien versucht. Sie entwickelten das Modell eines mehrfach unterteilten Aroma-Rades, anhand dessen man sich von großen Duftkategorien zu immer spezifischeren Unterteilungen vorantasten kann (siehe Abbildung). Die Wortwahl bei einer Weinbeschreibung sollte allgemein verständlich sein, denn so treffend der Vergleich mit dem Parfüm der Großtante Luise auch sein mag, so wenig ist er für die anderen Verkostungsteilnehmer nachvollziebar, da sie die liebe Tante ja nicht kennen. Der Fachjargon zeigt auch die besondere Beziehung des Menschen zum Wein: im Wachstum wird der Weinstock "erzogen", in der Verkostung wird der Wein "angesprochen" - Ähnliches ist für Marchfelder Erbsen oder Gurken nur schwer vorstellbar.

Je nach Reifezustand unterscheidet man zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen des Weines. Die Primäraromen entsprechen den natürlichen Traubenaromen und sind meist den Kategorien blumig oder fruchtig zuzuordnen; ein typisches Primäraroma bei Sauvignon blanc ist z. B. der Stachelbeerton. Sekundäraromen entstehen bei der Vergärung und hängen von den Hefestämmen ab, die den Zucker in Alkohol umwandeln. Ihre Bandbreite reicht von brotigen oder pilzigen Tönen bis zum Stallgeruch, der durch den Hefestamm Bretanomyces ausgelöst wird und in leichtem Maße als animalische Note durchaus erwünscht sein kann. Tertiäraromen entwickeln sich während der Weinreifung; ein gutes Beispiel dafür ist der im Alter entstehende Petrolton bei Rieslingen. Die Gesamtkonzentration der Aromastoffe beträgt etwa 1 Gramm pro Liter Wein.

Die Geschichte des Weinkostens geht auf die alten Römer zurück. Sie experimentierten mit Trinkbedingungen, achteten auf die richtige Trinktemperatur und nahmen auf die herrschende Windrichtung Rücksicht. So war für den Weingenuss Nordwind am besten - und Westwind am wenigsten geeignet. Durch den Zerfall des Römischen Reiches ging viel Weinwissen verloren und musste wieder neu erarbeitet werden. Erst im 17. Jahrhundert erfolgten die ersten systematischen Untersuchungen am Wein nach "color, odor und sapor" - Aussehen, Geruch und Geschmack. Ein Land- und Hauswirtschaftsbuch aus dem 18. Jahrhundert warnt davor, die Einladung des Weinhändlers vor dem Kauf anzunehmen, denn dieser "gibt ihm einen guten herben Käs, dadurch wird des Käuffers Geschmack verwechselt, dass er den schlimmsten für den besten Wein aussuchet; und also bekommt der Verkäufer sein Frühstück redlich bezahlt."

Auch heute noch wird der Gaumen vor einer Verkostung geschont: scharfe oder zu heiße Speisen sind verpönt, ebenso etwa Schokolade, da sie die Geschmackspapillen auf der Zunge verstopft.

Die Weinprobe beginnt mit einem Blick ins Glas, dabei wird die Klarheit des Weines erfasst. Trübe Weine können auf einen Weinfehler hinweisen; leicht trübe Weine sind oft nur unfiltriert. Die Farbe kann Auskunft geben über Reife, Alter und Ausbau des Weines, manchmal auch über die Traubensorte. Junge Rotweine haben kräftige purpurne Farben, während sich bei älteren Weinen durch den Abbau des Farbstoffes Anthozyan immer mehr rote, orange und braune Töne zeigen. Manche Rebsorten allerdings haben von Natur aus eher ziegelrote Farbreflexe, z. B. Tempranillo, einer der Hauptbestandteile des Rioja. Blaufränkisch wirkt im Glas seinem Namen entsprechend dunkelrot-blau. Blasse Weißweine mit grünlichen Reflexen weisen eher auf säurereiche Weine hin, während eine goldgelbe Farbe auf einen höheren Reifegrad der Trauben oder einen Ausbau im kleinen Holzfass schließen lässt.

Die Arbeit der Nase

Auf den visuellen Eindruck folgt eine kurze Riechprobe, um festzustellen, ob der Wein fehlerhaft ist, um sich damit ein möglicherweise unangenehmes Kosterlebnis zu ersparen. Dann beginnt das Schnüffeln und Glasschwenken, um möglichst viele Aromamoleküle in die Nase aufzunehmen. In jeder Nasenhöhle befinden sich drei muschelartige, mit Schleimhaut ausgekleidete Gebilde (Conchae nasales), die den Luftstrom kanalisieren. Vor allem im Bereich der obersten Muschel liegt die Riechschleimhaut, deren Riechzellen auf die Wahrnehmung von Duftmolekülen spezialisiert sind. Ihre Ausdehnung variiert zwischen zwei und fünf Quadratzentimentern pro Nasenhöhle. Die aus der Erregung der Riechzelle resuliertenden Signale werden über Nervenbahnen zu den Riechkolben (Bulbi olfactorii) des Vorderhirns geleitet, in denen die erste Verarbeitung der Duftinformation stattfindet. Die Speicherung und Bildung von Erinnerungskategorien erfolgt im Bereich der Stirn- und Scheitellappen.

Wiederholtes Schnüffeln führt zu keiner besseren Riechleistung, sondern dient dem Speichern der Eindrücke. Wird das olfaktorische System konstant mit einem Duftreiz konfrontiert, kommt es zu einer Adaption, der Duft wird schwächer oder gar nicht mehr wahrgenommen. So registrieren zum Beispiel mehrere Gäste in einem geschlossenen Raum die dort entstandenen Gerüche kaum mehr, sehr wohl aber neu eintretende Personen. Beim Weinkosten passiert oft Ähnliches bei überschwefelten Weinen: die kleine "stechende Schwefelblume" wird nur beim ersten Hineinriechen erkannt.

Zu den wichtigsten Faktoren, die die Riechschärfe beeinflussen, gehört der Hormonstatus. Bei der Weinkost haben meist Frauen buchstäblich die Nase vorne, was auf den höheren Östrogenspiegel zurückzuführen sein dürfte. Aber auch durch mäßigen Alkoholgenuss kann man kurzfristig sein Riechvermögen verbessern. Im Alter nimmt die Sensibilität durch die Degeneration der Riechschleimhaut langsam ab.

Nach der Riechprobe wird der erste Schluck genommen und gut durch den Mund gespült oder "gekaut", um eine möglichst große Oberfläche der Mundschleimhaut zu benetzen. Das eigentliche Geschmackserlebnis findet entgegen Ausdrücken wie Gaumenkitzel oder Feinschmeckergaumen auf der Zunge statt. Sie verfügt über die größte Dichte an Geschmacks-knospen. Jede Geschmacksknospe enthält 40 bis 60 Sinneszellen, die chemisch erregt werden und ihre Information über Fasern des VII., IX. und X. Hirnnerves weiterleiten. Der durchschnittliche Mensch verfügt über rund 2.000 Geschmacks-knospen und teilt diese Eigenschaft mit 50% der Weltbevölkerung, 25% haben eine deutlich höhere Anzahl an Geschmacksknospen und dürfen sich "Superschmecker" nennen; das restliche Viertel zählt zu den "Nichtschmeckern".

Verteilung auf der Zunge

An der Zungenspitze ist die Sensibilität für süß am größten, die Seitenränder reagieren im vorderen Bereich am stärksten auf salzig und im hinteren auf sauer. Am Zungengrund wird bitter am stärksten wahrgenommen. Die Einteilung in diese vier Grundqualitäten geht auf Aristoteles zurück, allerdings fügte er noch eine fünfte hinzu: scharf oder stechend. Diese wird im Unterschied zu den anderen Empfindungen aber nicht über die Geschmackspapillen vermittelt, sondern über die Nervenenden des Trigeminusnerves. Bei der Weinkost werden sie durch einen höheren Alkoholgehalt, der das typische Nachbrennen im Hals auslöst, oder durch Kohlensäure aktiviert.

Kinder im Mutterleib reagieren auf süße Geschmacksempfindungen bereits positiv. Die Akzeptanz von scharfen oder bitteren Geschmacksreizen wird erst im spätern Leben erworben. Die angeborene Aversion gegen Bitterstoffe dürfte als Schutzmechanismus dienen, um die Aufnahme von Giftstoffen zu vermeiden. Alle weiteren "Geschmacksempfindungen" wie Fruchtaromen oder Würze entstehen durch die retronasale Stimulation (wenn flüchtige Nahrungsbestandteile durch den Rachen in die Nasenhöhle gelangen) und sind daher genau genommen Geruchseindrücke.

Weinglasproduzenten, allen voran die österreichische Firma Riedel, machen sich die Verteilung der Geschmacksempfindungen auf der Zunge zunutze, um spezielle Gläser für verschiedene Rebsorten zu entwickeln. So ist z. B. der Rand des Rieslingglases leicht geschwungen, damit der Wein zuerst auf der Zungenspitze auftrifft, und nicht an den Seitenrändern, wo der ohnedies säurestarke Eindruck noch verstärkt würde. Das Chardonnay-Glas ist breiter und leitet den eher milden Wein gleich zu den Zungenrändern.

Ziel der Weinkost ist es, die von der visuellen Prüfung bis zum Abgang des Weines gewonnenen Wahrnehmungen zu einem Gesamteindruck zusammenzusetzen, zu bewerten und reproduzierbar zu machen. Durch konsequente Übung kann die Fähigkeit dazu beträchtlich gesteigert werden.

Ein echter Weinkenner wird nun einwenden, dass all diese Ausführungen gut und schön seien, aber die als Einleitung zitierte Aussage des Geheimagenten jedenfalls falsch sein müsse, da Chateau

Lafite im Bordeaux liege, während sich die Weinlage "Richebourg" im Burgund befinde. Und er hat völlig Recht: Dieser Agent prahlt mit nicht vorhandenem Weinwissen, aber auch das kann bei einer Weinkost vorkommen.

Literatur:

W. Flitsch: Wein verstehen und genießen. Springer Verlag, 1999, 242 Seiten.

J. Priewe: Wein. Die neue große Schule.

Zabert Sandmann Verlag, 1998, 256 Seiten.

Freitag, 24. Oktober 2003

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