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Ansichten von Alt-Wien am Postkartenständer

Selbstbilder der Gegenwart

Von Anton Holzer

Geben wir es doch endlich zu. Die Vergangenheit ist schäbig geworden." Mit dem Satz schließt Helmut Qualtinger seine Einleitung zu einem Fotoband über das alte Wien. Das Buch erschien 1967 unter dem Titel "Die gute alte Zeit". In der wunderbaren kleinen Skizze "Post Mortem" kratzt Qualtinger am nostalgischen Glanz der Wiener Vergangenheit. Sein Befund über die ungebrochene Faszination der "guten alten Zeit" fällt deutlich aus. Die von Marx und Freud gezeichnete Epoche der Industrialisierung trete uns im Gewand der Operette entgegen. "Das Zentrum dieser Vorstellungswelt ist die Donaumonarchie: der Hofball, der Makartfestzug, der Blumenkorso, die Burgmusik, ferner, in Personen manifestiert: die schöne Kaiserin, der unglückliche Kronprinz und - unantastbar, überlebensgroß, seinen schwarzgelben Schatten noch auf spätere Generationen werfend - der gute alte Kaiser selbst. Sein Tod und das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutet für viele die Grenze zwischen der guten alten und der bösen neuen Zeit. (. . .) Der gelernte Österreicher sieht diese Welt durch einen Filter: jung, strahlend, bunt, intakt, das verlorene Paradies."

Idealisierte Vergangenheit

Qualtinger seziert mit scharfem Blick die Doppelbödigkeit der "guten alten Zeit", er diagnostiziert das Auseinanderklaffen von einem Möchtegern-Wien und dem tatsächlichen Wiener Alltag, von nostalgischem Anflug und ernüchternden Tatsachen. Er weist darauf hin, dass die Idealisierung der Vergangenheit in klarer Abgrenzung zur Jetztzeit erfolgt. Gleiches gilt für die Errichtung des "alten Wien" in Bildern: Diese geben Auskunft über die Selbstbilder der jeweiligen Gegenwart. Die Bruchlinie zwischen dem alten und dem neuen Wien ist für Qualtinger (wie für viele andere) das Ende der Monarchie.

Qualtingers Polemik rückt das Personal des alten Wien als lächerliche Schauspieler in den Mittelpunkt. In den Ansichtskarten des "Alten Wien" spielt dagegen die Architektur die Hauptrolle. Der Alt-Wiener Ansichtskartenblick verdichtet die Stadt in einem Parcours der Stimmungen. Die Schauplätze reichen von einzelnen Häuserensembles und Gassen - als Beispiele seien genannt: Ratzenstadl, Schönlaterngasse, Katzensteig, Fischertor, Griechengasse - über ausgewählte Straßenzüge in den Vorstädten - Sievering, Grinzing usw. - bis hin zu Panoramaansichten der Innenstadt, die das historische Zentrum isolieren und das "Alte Wien" den (fast nie gezeigten) Außenbezirken gegenüberstellen.

Wenn man die Konjunkturen der nostalgischen Wiener Bildpostkarten im 20. Jahrhundert verfolgt, wird deutlich, wie eng die jeweils gefragten Stadtbilder mit den jeweiligen politischen Verhältnissen in Verbindung stehen. Es zeigt sich: Die Inszenierung von "Alt-Wien" und die Polemik dagegen gehören stets zusammen. Drei Phasen kristallisieren sich heraus: die Zeit nach der Jahrhundertwende, in der Alt-Wien zum massenhaft produzierten Markenartikel wurde; die 1930er Jahre, als Alt-Wien durch Bauprojekte der Moderne Konkurrenz bekam und sich ein Kampf um die Stadtsilhouette abzeichnete; schließlich das späte 20. Jahrhundert, als die Alt-Wien-Idee sich im Interesse touristischer Blickachsen allmählich flächendeckend auf die Innere Stadt auszudehnen begann.

Die Fotopostkarte, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aufkam, wurde in Wien - ebenso wie in anderen Städten - zum billigen, populären Transportmittel konkurrierender Stadtbilder. Die erste große Welle Alt-Wiener Sujets kam vor dem Ersten Weltkrieg auf den Markt. Zahlreiche Unternehmen hatten derartige Karten im Angebot. Dennoch ist die Kultivierung retrospektiver Images in Ansichtskarten vor allem mit einem Namen verbunden: Ledermann. Paul Ledermann (1883 bis 1946) betrieb am Wiener Fleischmarkt einen gut gehenden Postkartenverlag und hatte ein umfangreiches Wien-Sortiment im Verkaufsprogramm. Aus den Alt-Wien-Karten sticht besonders eine 32-teilige Serie hervor, die auf historische Fotovorlagen zurückgriff. Die Serie umkreist die Altstadt in Fotografien, die kurz vor der Schleifung der Basteien Ende der 1850er Jahre aufgenommen wurden.

"Die Ansichtskartenpostkarten", bemerkte Robert Musil einmal, "sehen in der ganzen Welt einander ähnlich, sie sind koloriert; die Bäume und Wiesen giftgrün, der Himmel pfaublau, die Felsen grau und rot, die Häuser haben ein geradezu schmerzendes Relief, als könnten sie jeden Augenblick aus der Fassade fahren; und so eifrig ist die Farbe, dass sie gewöhnlich auch noch auf der anderen Seite ihrer Kontur als schmaler Streifen mitläuft. Wenn die Welt so aussähe", meint Musil lapidar, "könnte man wirklich nichts Besseres tun, als ihr eine Marke aufzukleben und sie in den nächsten Kasten zu werfen."

Eine solche Ansichtkarte wurde am 2. November 1949 abgeschickt. Das Foto wurde vom Rathaus aus aufgenommen. Der Blick schweift über die Innere Stadt, etwa in der Bildmitte ragt der Stephansdom über den Horizont und sticht in den blau kolorierten Wiener Himmel. Im Vordergrund ist das Burgtheater zu erkennen. "K.K. Hofburgtheater" steht an der Hauptfassade, nicht Burgtheater. Die Aufnahme stammt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und wurde erst über drei Jahrzehnte später abgeschickt. Das ist keine Seltenheit, denn wer hätte, sagen wir, um 1912, ahnen können, dass der gewaltige Vorrat an Karten, den manche Hersteller auf Lager hatten, wenige Jahre später schon nicht mehr aktuell sein würden. Händler und Käufer nahmen die Sache nicht sonderlich genau. Die Karten wurden weiterhin verkauft, und die Käufer kauften weiterhin, was ihnen gefiel. So kommt es, dass die Sujets meist träger blieben als die politische Wirklichkeit. In den Ansichtskarten blieb Wien weit über die Umbruchjahre 1918 hinaus die kaiserliche Stadt.

Nicht immer aber sind die Bildpostkarten die Agenten der Architektur der Vergangenheit. Gelegentlich ergreifen sie auch Partei für die Gegenwart. Am 31. Dezember 1940 wurde eine Karte von Wien aus auf den Weg geschickt. Die Adressatin war eine Frau Zaininger im 16. Wiener Gemeindebezirk, die Botschaft kurz und bündig: "Prosit 1941!" Frankiert ist die Karte mit einer Briefmarke des Deutschen Reiches, Österreich hatte bekanntlich 1938 zu existieren aufgehört. Die Bildseite zeigt ein winterliches Panorama der Innenstadt, im Hintergrund erkennen wir die Silhouette des Stephansdoms, im Vordergrund schiebt sich ein imposanter moderner Bau ins Bild. Es handelt sich um das neue Hochhaus in der Herrengasse, das nach Plänen der Architekten Siegfried Theiss und Hans Jaksch für das "Credit-Institut für Öffentliche Unternehmungen und Arbeiten" in den Jahren 1930 bis 1932 errichtet wurde. Mit dem 16geschoßigen Gebäude gewannen die beiden den Wettlauf um das erste Hochhaus Wiens. Das Projekt wurde zum Prestigeobjekt der christlichsozialen Bundesregierung und galt als symbolischer Gegenentwurf zur sozialdemokratischen Wohnbaupolitik.

Bereits in den 1930er Jahren fand der Bau Eingang ins Repertoire der Wiener Stadtansichten. Die in harten Schwarz-Weiß-Kontrasten gehaltenen Ansichten rücken demonstrativ einen modernen Bau vor die Wiener Altstadtsilhouette. Das Motiv wurde immer wieder neu aufgelegt und - meist als Sommeransicht - bis weit in die Kriegszeit hinein verkauft. Der Schriftzug trägt den Zeichen der "neuen" Zeit Rechnung. Bis etwa 1938 wurden die Karten mit Kursivbeschriftung verkauft, danach mit Kurrentbeschriftung.

In der Welt der Postkarten wurden die Bombenschäden an den Wiener Wahrzeichen schneller "ausgebessert" als in der Wirklichkeit. Der Stephansdom avancierte nach Kriegsende schnell wieder zum symbolischen Zentrum der Stadt. Während sich die Beseitigung der Kriegsschäden an dem Gotteshaus bis Ende der 1950er Jahre hinzog, tauchte in den Ansichtskarten der unversehrte Dom schon 1945 wieder auf. Man griff einfach auf Vorkriegsmotive zurück.

Bewährtes neben Neuem

In den Wiederaufbaujahren war das Interesse an Alt-Wien-Motiven nicht sonderlich ausgeprägt. Erst nach 1960 tauchten diese Ansichten wieder vermehrt auf. Als in den 1970er Jahren die Stadtsilhouette Konkurrenz durch groß angelegte Neubauprojekte - etwa die UNO-City - bekam und die Altstadtsanierung systematisch einsetzte, wurden die Postkartenständer um neue Alt-Wiener-Ansichten ergänzt. Allmählich wurde nun Alt-Wien zum Zeichen einer charmanten Stadt, die am Bewährten festhält, ohne das Neue zu leugnen.

Das vorerst letzte Alt-Wien-Revival zeichnet sich dadurch aus, dass die nostalgischen Wien-Bilder stärker auf die "reale" Stadt zurückzuwirken begannen. Ab 1970 begann man damit, die Innere Stadt und "typische" Ortskerne in den Außenbezirken zu "Schutzzonen" zu erklären, seit den frühen 1980er Jahren wurden Auszeichnungen für "vorbildliche Fassadenrestaurierung" und "Altstadterhaltungsmedaillen" vergeben. 1986 konnte der Wiener Bürgermeister bilanzieren: "Wien ist in den vergangen Jahren um vieles schöner geworden."

Unter dem Markennamen "Alt-Wien" lassen sich mittlerweile sowohl Fremd- als auch Selbstbilder trefflich bündeln. Eine Ansichtskarte, die am 26. Jänner 1965 abgeschickt wurde, weist den Weg. Sie ist ein schönes Beispiel für das subtile Spiel der Projektionen und Zuschreibungen, das die Präsenz der Alt-Wien-Motive bis heute begleitet. Wenden wir die Karte: Die Wiener Verwandtschaft, Emil und seine Mutter, gratuliert Tante Marie zum 85. Geburtstag. Die Karte geht nach Gelnhausen, Deutschland. Dort verbringt Marie ihren Lebensabend in einem Pflegeheim. Die Bildseite der Karte zeigt ein Kaleidoskop des alten Wien: Straßen in Grinzing und Sievering, das Dreimäderlhaus, einen Alt-Wiener-Hof und den Kahlenberg. Und auf der Rückseite heißt es: "Wie geht es Dir? Bei uns ist alles beim Alten."

Freitag, 19. November 2004

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