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Wiener Wirtshausbrauereien -ein Lokalaugenschein

Aus dem Sudhaus ins Krügel

Von Beppo Beyerl

Salmbräu, Rennweg 8, 1030 Wien. Begonnen hat alles im Jahre 1696: Ein gewisser Jakob Daniel Tepser erwarb den heutigen Keller. Von Bier war damals am Rennweg allerdings weit und breit keine Rede, Herr Tepser benutzte den Keller als Weinlager. Nach dem Sieg über die Türken im Jahre 1683 war im nach Vergnügen und Unterhaltung dürstenden Wien ein Weinkeller sicher kein Nachteil, in die Geschichtsschreibung hielt sein Besitzer allerdings dadurch Einzug, dass er über zwei Funktionsperioden hindurch als Bürgermeister von Wien amtierte.

Der Weinkeller blieb auch nach dem nächsten Besitzerwechsel erhalten. 1714 gründete die Witwe des Kaisers Joseph I., Wilhelmine Amalie von Braunschweig-Lüneburg, am Rennweg das Salesianer-Kloster. Im selben Jahr wurde auch das benachbarte Grundstück verbaut - Prinz Eugen von Savoyen gab den Auftrag zum Bau des Schlosses Belvedere, dessen Garten an das Salesianerkloster anschloss. Nach der Vollendung des Klosterbaus zog sich die trauernde Witwe in die klösterliche Abgeschiedenheit zurück und erwarb 1717 auch das benachbarte Gebäude mit besagtem Weinkeller. Im heutigen Schankraum, dem Georgsaal, befanden sich die Stallungen der kaiserlichen Wagenpferde, in der heutigen Küche waren die Wohnräume des Kutschers.

Nach dem Ersten Weltkrieg verfiel das Anwesen, die ehemalige Kutscherwohnung diente als Milchgeschäft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Stallungen als Autogaragen verwendet, ab 1960 stand das nunmehr als "Objekt" bezeichnete Gebäude unbenutzt und verfiel zusehends.

Salm und Salesianer

Ebenfalls zusehends wurde Walter Welledits auf das Gebäude aufmerksam. Nach mehreren Verhandlungen erwarb er es und begann, die zwischen dem unteren Belvedere und der Salesianerkirche liegende Ruine zu restaurieren. Nach aufwändigen Umbauten wurde im Oktober 1994 schließlich das "Salmbräu" eröffnet.

Das Brauen war Walter Welledits allerdings schon vor der Eröffnung des "Salmbräu" keine branchenfremde Tätigkeit: Von seinem Vater Georg Welledits hatte er die Firma "Salm&Co;" übernommen, die auf die Erzeugung von Brauanlagen spezialisiert war und mittlerweile Brauereien in allen Teilen der Welt beliefert, etwa in Russland, Japan, Brasilien, zuletzt sogar in Kuba. Den Firmennamen "Salm", ein Eigenname, der mit dem Heiligen Sales zufälligerweise die drei Anfangsbuchstaben teilt, übertrug er auf das neue Brauhaus. Das "Salmbräu" war - zumindestens sprachlich - geboren.

Der Eingang erfolgt durch einen eher unauffälligen Torbogen am Rennweg. Erst im Inneren des Areals erschließt sich das "Salmbräu" dem durstenden Besucher. Er steht in einem kleinen Biergarten, rechts hinein geht's in den geräumigen Schankraum, den Georgsaal, und hinunter führen die Stufen in den Bierkeller.

Gleich beim Eingang zum Georgssaal sind "Cervesiania" - Bierreliquien sozusagen - ausgestellt, etwa eine alte Fassspülmaschine oder ein automatischer Spundapparat. Der Georgssaal selbst ist stilgerecht adaptiert: Die Bar ist aus den alten Drasche-Ziegeln mit eingebranntem Doppeladler gemauert, rund um die Leuchtkörper, die in ihrer Form an die alten Kupferkessel der Bierbrauer erinnern, ranken sich die immergrünen Lianen des Hopfens, an der Wand hängen Hinweise auf die im Haus stattfindende "Bierakademie" sowie über die Möglichkeit, Biermünzen oder Partyfässer zu erwerben.

Am Herz der Brauerei kommt der Besucher der verwinkelten Anlage erst auf dem Weg zum Klosett vorbei: Auf einmal schlendert, respektive eilt er durch das Sudhaus. Er blickt auf die großen Kupferkessel, in denen sich drei wichtige Vorgänge des Bierbrauens ereignen: In einem Kessel wird das Malz eingemaischt, also mit Wasser versetzt, deshalb die alte Bezeichnung "Maischepfanne". Sodann wird im nächsten Kessel die "Würze" vom Rückstand, den "Trebern" getrennt, der zu Boden sinkt und die Würze demnach läutert, daher die alte Bezeichnung "Lauterbottich." Nun wandert die Würze zum eigentlichen Kochen in die "Würzepfanne", wo ihr der wichtige Hopfen beigemengt wird.

Der Besucher hingegen wandert aufs Klosett, um nach der Stillung seines Durstes sowie der Sichtung jener Kupferkessel, in denen sein Durstlöscher hergestellt wird, den in seinem Körper zum Ausscheidungsprodukt verwandelten Durstlöscher in aller Ruhe und Besonnenheit wieder abzusondern.

Der Gerstensaft hingegen beginnt in den kühlen Kellern einen langsamen Reifeprozess, die Gärung, die durch die beigemengte Hefe verursacht wird. Je länger der Prozess dauert, desto stärker wird das Bier, manche Bockbiere lagern bis zu einem halben Jahr. Ein Reifeprozess eher gedanklicher Art wird den aus der Toilette Zurückgekehrten zu der folgenschweren Entscheidung führen: Soll er ein Märzen oder ein Pils bestellen?

Ein "Penzinger Prost"

Medlbräu, Linzer Straße 275, 1140 Wien: Herr Medl arbeitete dereinst als Fleischhacker, im Jahre 1983 wechselte er zur MA 48 der Gemeinde Wien. Da ermöglichte ein satter Lotteriegewinn im Jahr 1987 neue Perspektiven. Die erste Perspektive wurde gespeist von einem alten Jugendtraum und hieß: Restaurant, Gasthaus, Wirtshaus. Die zweite Perspektive, nach einem Gespräch mit der Steuerberaterin, spezifizierte die erste Perspektive: Gasthofbrauerei.

Bald wurde ein einstöckiges Haus mit anschließendem Garten in der Penzinger Straße gefunden. Und von der schon genannten Firma Salm kaufte Herr Medl die Brauereianlagen. Er stellte einen Braumeister an, und am 4. Juni 1989 wurde mit einem "Penzinger Prost" das erste Krügerl des Medlbräu abgezapft: Die "1. Penzinger Gasthofbrauerei" öffnete ihre Pforten.

Übrigens: Bereut hat Herr Medl den waghalsigen Schritt bisher nicht. Auch wenn er Tag für Tag morgens von Stockerau nach Penzing und spätabends von Penzing zurück nach Stockerau pendelt. Und sicher länger arbeitet als in seiner Zeit bei der MA 48.

Betritt man den Gebäudekomplex, so blickt man zuerst in den geräumigen Gastgarten, der mehr als 150 Personen Platz bietet und in den Sommermonaten bis 23 Uhr geöffnet ist. Kehrt man nach links und tritt ins Lokal, dann steht man auch schon vor den zwei Kupferkesseln des Sudhauses. Auch hier werden jene drei Vorgänge durchgeführt, die man mit Maischen, Läutern und Sieden zusammenfassen könnte. In einen der Kupferkessel passen 16 Hektoliter, ein "Sud" dauert sieben bis neun Stunden.

Sollte man sich nach rechts wenden, so ist die Türe abgeschlossen. Klarerweise, denn im rechten Trakt ist der "Bierkeller" untergebracht. Im Gärbottich wird die Hefe zugesetzt: der Gärungsprozess kann beginnen. Nach etwa acht Tagen kann das "Jungbier" in kleinere Lagertanks abgefüllt werden, wo es in aller Ruhe und Besonnenheit ausgären kann. Schafft man zur Linken den Weg vorbei am Sudhaus, so kann man in einer der vielen Stüberln an einem der verschieden großen Tische Platz nehmen und überlegen, ob einem mehr das einem Lager entsprechende "Märzen", das pilsartige "Helle" oder das malzige und leicht süßliche "Dunkle" mundet. Und sollte man an einem Nebentisch die orange bekittelten Männer der Müllräumung (MA 48!) bei einer kurzen Pause erblicken, so kennt man nun den Grund, warum sie ausgerechnet das "Medlbräu" zu ihrem Pausenort erwählt haben.

Übrigens: Das "Märzen" hat seinen Namen tatsächlich vom Monat März. Vor der Erfindung von Kühlapparaturen war es kaum möglich, untergäriges Bier in Kellern mit Temperaturen zwischen null bis vier Grad ausgären zu lassen. So war das im März gezapfte Bier noch ein geschmacklicher Höhepunkt, danach musste es zwangsläufig zu einem Sinken der Qualität kommen. Erst der legendäre Anton Dreher, Chef der Schwechater Brauerei, schuf durch neue Labortechniken und leistungsfähige Kühlmaschinen im Jahre 1839 jenen untergärigen Biertypus, der von nun an als "Lager" sich ganzjährigen Respekt verschaffen sollte.

Zurück zum "Penzinger Prost" im Medlbräu. Mitnehmen kann man von dort zweierlei. Einmal den durchaus als angenehm zu empfindenden Geruch der Maische - sollte man nahe des Sudhauses Platz genommen haben, kann der Geruch noch zwei, drei Stunden in den Nasenlöchern schweben. Und mitnehmen kann man Fässer, die in verschiedenen Größen zwischen 5 und 40 Litern angeboten werden. Da das gereifte Fass teurer ist als das darin ausgereifte Bier, ist der Preis für den Einsatz des Fasses auch um einiges höher als der Bierpreis.

Bier mit Chilischoten

Siebensternbräu, Siebensterngasse Nr. 19, 1070 Wien: Als erstes zieht das in zentraler Lage errichtete Sudhaus die Blicke auf sich. Mit ein paar Schritten gelangt man zur Theke, die den Schankraum vom Sudhaus abgrenzt. Um die zentrale Lage des Sudraumes zu betonen, wurde über die Kupferkessel eine gläserne Kuppel errichtet. Am gemauerten Aufbau der Kuppel hängen riesige Holzschaufeln, mit denen früher im Gewölbe die Gerstekörner geschlichtet und gewendet wurden. Zwischen den Schaufeln winden sich immergrüne Hopfenreben.

Malerisch kugeln vor den Kupferkesseln mehrere mit Malz gefüllte Säcke. Das Malz wird von einer Mälzerei in Bamberg eingekauft. Herr Sigmund Flitter zeigt die Palette mit über 20 verschiedenen, hellgoldenen bis dunkelbraunen gedörrten Gerstenkörnern. Da könne man schon vor dem Siedevorgang wunderbar selektieren, um dann nach dem Sieden und dem Gären die verschiedensten Geschmacksrichtungen an der Schank abzapfen zu können.

Apropos Gären. Im intakten Kreislauf einer Wirtshausbrauerei wird die Bierwürze vom Sudhaus in den "Bierkeller" gepumpt. In vier großen Gärtanks - früher offen, heute meist geschlossen - sowie in 16 kleinen Lagertanks kann das Bier zur vollendeten Reife gelangen. Über geräumige Drucktanks ist das ausgereifte Bier mit der Schank verbunden. Das vom Personal dort abgezapfte Bier wird zur Theke des Sudhauses getragen, wo es vom Besucher mit zügigen oder zögernden Schlucken mehr oder weniger schnell vernichtet wird.

Herrn Sigmund Flitter befiel die Idee mit der Wirtshausbrauerei im Jahr 1992. Nach dem Erwerb eines ehemaligen Gasthauses in der

Siebensterngasse 19 sowie eines

im hinteren Trakt liegenden Filmvorführraumes wurde mit dem Umbau begonnen. Und am 22. Juli 1994 erfolgte mit einem "Anzapft ist!" die Eröffnung des Siebensternbräu.

Der durstende Besucher kann in mehreren Räumen rund um das Sudhaus auf verschieden großen Tischen Platz nehmen und seinen trockenen Gaumen netzen, er kann sich auch an die Theke rund ums Sudhaus platzieren. Im Sommer verspricht ein Garten die berühmte Frischluft bei "28 Krügeln im Schatten". Im hinteren Trakt liegt ein

Extraraum mit Blick auf den bei

Bedarf illuminierten Gärkeller. Die Sitze im Garten mitgerechnet, hat das Lokal Platz für 400 durstende

Gäste.

Der Blick auf die Speisekarte beschert ein cervesiologisches Aha-Erlebnis. Aha, da wird kein puritanischer Kult mit dem Reinheitsgebot getrieben, das für den Brauvorgang nur Wasser, Gerste und Hopfen zulässt und dadurch verschiedene Geschmacksrichtungen eigentlich verhindert. Freilich war es vor dem 1516 verhängten Reinheitsgebot üblich, der Bierwürze allerlei stimulierende Kräuter zuzusetzen - etwa Bilsenkraut, Tollkirschenextrakte, aber auch Hanf. Zusammen mit dem Reinheitsgebot schaffte man es, jene Kräuter zu ächten, deren Verwendung ob ihrer eigenartigen Wirkungen von nun an eher einer hexerischen Energie zugerechnet wurden.

Doch zurück zum Siebensternbräu, ehe wir durch die sättigenden, schmackhaften, infolge der nicht vorgenommene Filtrierung ein bisschen unreinen Biere des frühen Mittelalters verwirrt werden und am Ende den Verstand verlieren. Hier kann man Chilibier bestellen - die Chilischoten werden während der Fasslagerung zugesetzt - oder das schon erwähnte Hanfbier. Sollten die exotischen Biere dem Dürstenden die Kehle eher schnüren, dann kann er auch auf bewährte Biere zurückgreifen. Etwa auf das Siebensternbräu. Das soll jenem "Wiener Typus" nahekommen, den Anton Dreher kurz vor 1848 in seiner Schwechater Brauerei entwickelte. Oder auf das "Wiener Helle". Oder auf das "Prager Dunkle", apropos differenzierende Geschmacksrichtungen. Prost!

Freitag, 03. Oktober 2003

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