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Dem Wiener Tröpferlbad wird langsam das Wasser abgedreht

Die letzten Tropfen

Von Wenzel Müller

Genau wie Herr Zlovanek es vorausgesagt hat: Pünktlich um 13.30 Uhr betritt das Pensionistenpaar Kosstal (Name geändert) das Brausebad in der Rainergasse, Wien-Wieden. Herr Zlovanek kennt schließlich seine Besucher. Das ist Berufserfahrung, seit 14 Jahren leitet er das Volksbad 4, wie es offiziell heißt. Natürlich kennt er auch die besonderen Vorlieben seiner Stammgäste. Wie selbstverständlich teilt er den beiden Pensionisten die Kabinen 10 und 11 zu. Nicht dass sich die irgendwie von den anderen unterscheiden würden, doch das sind eben jene beiden Kabinen, die das Paar immer wünscht.

Das Pensionistenpaar wohnt gleich um die Ecke in einer so genannten Substandardwohnung. Ein eigenes Bad hat es nicht, das war schon immer so und wird wahrscheinlich auch so bleiben. Warum auch etwas ändern, zum Waschen gibt es schließlich die öffentlichen Badeanstalten. Allerdings: Wie lange noch?

Mittlerweile ist nämlich auch dieses Bad geschlossen worden. Herr Zlovanek, Kassenchef, Aufsichtsperson, Installateur und Reinigungskraft in einem, war von dieser Schließung kurz vorher inoffiziell unterrichtet worden. Wie war das noch vor zehn Jahren! 70 Besucher hatte er da an einem einzigen Tag, erinnert sich der Badeleiter und zeigt auf die leeren Sitze: "Die saßen da wie die Spatzen!" Das war noch jene Zeit, als die Besucher sich vorher telefonisch erkundigten, ob Duschen frei seien und sie nun gleich kommen könnten. Die letzte Jahre ist geradewegs Stille in das Brausebad eingekehrt, die nur jäh unterbrochen wurde, wenn Herr Zlovanek die Belüftungsanlage einschaltete, dann hallte es in dem gekachelten Raum geradewegs, mit den Worten von Herrn Zlovanek, "wie in einem Propeller der Austrian Airlines".

Kein Spucken in der Kabine!

Die Technik wurde nie erneuert, auch die Kabinentüren glänzten noch in jenem Orange, das einmal modern war. Lediglich kaputtgegangene Kacheln wurden im Laufe der Jahre erneuert. Ansonsten blieb das Bad genauso wie bei der Eröffnung im Jahr 1983. Kein Geld wurde für eine Verbesserung ausgegeben, der Betrieb des Bades war schließlich schon teuer genug.

Kam es in den letzten Jahren einmal zu einem besonderen Vorkommnis im Bad? Herr Zlovanek schüttelt den Kopf: "Kein einziges Mal Polizei oder Rettung. Nur hin und wieder gab es kleinere Schnittwunden zu verarzten."

Unerbittlich konnte er nur sein, wenn jemand in der Kabine anfing zu spucken. Dieses ungustiöse Würgen, Krächzen und Räuspern konnte er in "seinem" Bad nicht gebrauchen, darauf reagierte er geradewegs allergisch. Da kannte er kein Pardon - dem unbotmäßigen Besucher drohte er sofort mit Badeverbot.

Glaubt man Herrn Zlovanek, so hatte er die besten Duschen von ganz Wien. "So einen Druck gibt's in keinem anderen Bad noch einmal!" Doch damit ist nun Schluss. Dem Ende seines Bades sah er mit einer gewissen Gelassenheit entgegen. Nun wird er seinen Dienst eben im Geiselbergbad weitermachen, auf jeden Fall ist er schon lange genug bei der Stadt beschäftigt, als dass er gekündigt werden könnte. Und außerdem ist es nicht das erste Mal, dass er seinen Arbeitsplatz wechselt. Bevor er in das Volksbad 4 kam, arbeitete er 19 Jahre lang in der Sauna im Amalienbad. Beim Umzug nimmt er die Urkunden mit, die bis zuletzt seine Kabine schmücken: "25 Jahre Gewerkschaftszugehörigkeit" und "Bronzene Verdienstmedaille des Österreichischen Roten Kreuzes".

Somit bleibt das Volksbad 16 in Wien-Ottakring als einziges öffentliches Brausebad in Wien übrig. Eine Institution geht unter, die der Volksmund einst mit der liebevollen Bezeichnung "Tröpferlbad" bedacht hat, weil es bei starkem Besucherandrang passieren konnte, dass das Wasser ausblieb und nur noch Tröpferl aus der Brause kamen. Eine Institution auch, mit der die einstige Haupt- und Residenzstadt um die Jahrhundertwende Geschichte schrieb: Wien baute das europaweit erste öffentliche Brausebad, und zwar 1887 in der Mondscheingasse 9, Wien-Neubau.

Sukzessive sollte in den folgenden Jahren jeder Bezirk eine Badeanstalt (mitunter auch mit Wannen) bekommen. Das Programm, das Vorbild wurde für andere europäische Großstädte, zielte auf eine Verbesserung der sanitären Verhältnisse und war damit ein entscheidender Beitrag zur Krankheitsprophylaxe. Man darf nicht vergessen, dass gerade kurz vorher die Choleraepidemie in Europa gewütet hatte und Tuberkulose und Typhus zu den häufigsten Todesursachen zählten. Hygiene - das Wort, das im 18. Jahrhundert noch wenig bekannt war, avancierte im 19. Jahrhundert regelrecht zu einem Schlagwort. Hygiene galt als der Schlüssel, um die Infektionskrankheiten in den Griff zu bekommen.

"Bäder bauen heißt Krankenhäuser sparen." Dieses Motto hatte der Berliner Arzt Oskar Lassar ausgegeben. Mit Bädern verband man noch nicht wie heute Freizeitspaß, sondern Reinigung - körperliche und zugleich sittliche Reinigung. Ein prominenter Vorkämpfer für eine sozialmedizinische Kommunalhygiene war der deutsche Arzt Christoph Wilhem Hufeland, dessen Schriften in Wien eifrig rezipiert wurden.

Ob Berlin oder Wien: Um die Jahrhundertwende war ein Bad in der Wohnung noch längst keine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr der Luxus einiger Weniger. In den meisten Wiener Gründerzeitbauten gab es nicht einmal Wasser in der Wohnung, sondern nur auf dem Gang ("Bassena"). Waschen bedeutete eine umständliche Prozedur mit Wasserkrug und Waschschüssel.

Die Volksbäder sind nicht, wie oft fälschlich angenommen wird, das Verdienst des "Roten Wien", sondern der christlich-sozialen Regierung unter Karl Lueger. Sie ließ auch das Kanalnetz ausbauen, eine Hochquellwasserleitung nach Wien legen und ein städtisches Gas- und Elektrizitätswerk errichten - die öffentliche Hand begann sich verstärkt ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung bewusst zu werden.

1955 hatten die Volksbäder noch 4,7 Millionen Besucher, 1965 nur noch 2,6 Millionen. Ihr Niedergang ging einher mit der allmählichen Modernisierung der Altbauten und dem nach dem 2. Weltkrieg selbstverständlichen Einbau von Badezimmern in den Gemeindebauten. In den 70er-Jahren wies die Besucherstatistik noch einmal kurz nach oben, was wohl mit dem vermehrten Zuzug von Ausländern zu erklären ist. Doch gleichzeitig zeigten sich unübersehbar die Verfallsspuren des jahrzehntelangen Betriebes: Nicht nur, dass die mit Koks betriebenen Heizanlagen hoffnungslos veraltet waren, sie wiesen mitunter auch bedenkliche Korrosionsschäden auf. Vom Kontrollamt eingeschaltete Amtsärzte beanstandeten hie und da in den Duschräumen Schimmelbefall und ordneten eine Schließung an.

Die Bäderverwaltung ging daran, einen Teil der Häuser mit dem Einbau einer Sauna zu so genannten Warmbädern aufzurüsten und einen anderen Teil zu renovieren - den Großteil allerdings nicht nur zu schließen, sondern auch gleich abzureißen.

Ein Schicksal, dem das Volksbad in der Klagbaumgasse entging. Es wurde Ende der Siebzigerjahre zu einem Bezirksmuseum umgebaut, ein Raum ist auch heute noch zur Erinnerung an die Tröpferlbäder original erhalten. Die Duschkabinen waren einst mit einer Trittvorrichtung am Boden ausgerüstet. Um Wasser (oder eben Tröpferl) aus der Dusche kommen zu lassen, trat man auf das Brett, zum Einseifen stieg man kurz auf die Seite. Gegenüber der ursprünglichen Ziehvorrichtung mit einer Kette half diese Vorrichtung entscheidend Wasser einzusparen. Ausgestellt sind auch Bodenfliesen, die eigens für die Bäder entwickelt wurden: mit mehreren horizontal und vertikal verlaufenden Rillen, die Rutschfestigkeit garantierten und auch das Wasser problemlos ablaufen ließen.

Ein altes Emailschild lautet: "Die Mitnahme von Glassachen, Rasiermessern, Scheren oder sonstigen, die Badegäste gefährdenden Gegenständen in die Umkleide- und Baderäume ist strengstens verboten".

Wie Felix Czeipek, der Leiter des Bezirksmuseums, erklärt, bestand das Tröpferlbad in der Regel aus mehreren Stockwerken, die jeweils für Männer und Frauen reserviert waren. An der Kasse bekam der Badegast eine Schürze (Frauen mit Brustlatz) und außerdem einen Schlüssel für seinen Umkleidekasten. Die Badezeit war auf eine halbe Stunde begrenzt. Das Tröpferlbad - ein puristischer Ort der Reinigung, nicht der Regeneration.

Wer sich über die alten Badeanstalten informieren möchte, ist auf das Museum angewiesen. Denn eines von den alten Brausebädern, das Volksbad 2 in der Vereinsgasse 31, Wien-Leopoldstadt, ist im Oktober letzten Jahres geschlossen worden. Und das Volksbad 16, das nun als letztes übrig bleibt, ist erst 1977 gebaut worden, und zwar im Parterre eines Gemeindebaus.

Immer weniger Besucher

Die Kabinen aus Nirosta, alles sauber und hygienisch, freilich aber auch ohne jede anheimelnde Patina. So modern das Volksbad 16 ist, seine Tage sind genauso gezählt. Da macht sich der Chef Rudolf Melack keine Illusionen. Er selbst hat in seiner Jugend noch erlebt, wie er im Brausebad manchmal Stunden anstehen musste, bis er endlich an die Reihe kam. So groß war einmal der Andrang. Nun macht er in seinem eigenen Bad die Erfahrung, dass von Jahr zu Jahr die Besucher weniger werden, zurzeit sind es noch zwischen 80 und 100 in der Woche. Unter ihnen auch eine ältere Dame, die regelmäßig mit ihrem Mann kommt, der einen Schlaganfall erlitten hat. In der geräumigen Behindertenkabine des Brausebads geht das Abduschen leichter als zu Hause.

"Die meisten Besucher sind Pensionisten. Manche kommen jahrelang, und dann plötzlich von einem Tag auf den anderen nicht mehr. Und man weiß nicht, ob die vielleicht gestorben sind", erzählt Melack. Tröpferl gibt es in seinem Bad jedenfalls nicht mehr. Die Fernwärme Wien liefert das Wasser - mit konstantem Druck und konstant 45 Grad Celsius Höchsttemperatur.

Tröpferlbadmuseum im Bezirksmuseum Wien-Wieden, Klagbaumgasse 4, Sonntag 10 bis 12 Uhr,

Eintritt frei, Tel.: 502 34 114.

Freitag, 03. Mai 2002

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