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Zwischen Ufern in der Schwebe

Zur Geschichte der Brücken -speziell entlang der Donau
Von Arne Opitz

Beim Versuch, das Wesen der Brücke zu erfassen, stellt sich erstaunlicherweise schon bald die Frage, ob Brücken nicht ebenso sehr trennen wie sie verbinden. Sprachmetaphorisch jedenfalls steht das "Bauen goldener Brücken" gleichwertig neben dem "Abbrechen aller Brücken", einer Redewendung übrigens, die sich bereits bei den Römern findet.

Henry Miller, erotomaner Schriftsteller, Philhellene und Paris-Aficionado, bestätigt dies, wenn er die Brücke seines Geburtsorts Brooklyn eine "Todesharfe" nennt, "die mich zwischen den beiden Ufern in der Schwebe hielt". Überaus deutlich zeigt diese Ambivalenz auch die Glienicker Brücke in Berlin, während des Kalten Kriegs über Jahrzehnte klassischer Übergabeort für den Agentenaustausch zwischen West und Ost.

Der Brücke scheint diese Janusköpfigkeit immanent, wie auch die Zugbrücke der mittelalterlichen Burg eindrücklich zeigt. Sie vermochte ebenso rigide und schnell zu trennen wie zu verbinden. Reste davon finden sich noch heute bei den Hebebrücken über schiffbare Wasserläufe. In amerikanischen Gangsterfilmen dienen sie häufig dazu, das Verfolgerauto in die Tiefe stürzen zu lassen. Auch in der geschlechtlichen Zuordnung zeigt sich diese Bipolarität. Im grausam zerstörten Hiroshima etwa war eine der ersten Aktivitäten der Überlebenden, je eine dem weiblichen und dem männlichen Element gewidmete Brücke zu errichten. Diese Ambiguität verleiht der Brücke ihren "wahrzeichenhaften Charakter", wie das A. Reinle in "Zeichensprache der Architektur" nennt: die Brücke als Sinnbild für existenzielle Lebenssituationen, einschneidende Entscheidungen, folgenreiche Veränderungen oder - wie in der Metapher von der "Lügenbrücke" - als moralische Instanz.

Ein mythisch-archaischer Ton klingt auch in Ivo Andric' Roman "Die Brücke über die Drina" an. In der Brücke, so heißt es dort, seien zwei Kinder als Opfergabe eingemauert. Eine Versöhnungsgabe an die Naturgottheit? Die zahlreichen christlichen Brückenheiligen legen eine solche Lesart nahe. Immerhin macht die Brücke dem Flussgott seine Vorherrschaft streitig, raubt der Natur ihre Macht und ignoriert die - offensichtlich - naturgewollte Trennung zweier Ufer. Verstößt die menschliche Hybris gegen ein Urgesetz?

Lenkung des Blicks

Aber unter dem Sinn der Brücke als Verkehrsverbindung liegt häufig noch ein ganz anderer Subtext. Bei der Donau-Schrägseilbrücke in Bratislava z. B. verweist die dramatische Dynamik, die von den Stahlseilen ausgeht, die sich von einem einzigen hoch aufragenden Pylon auf der rechten Flussseite hinüber zum linken Ufer spannen, das Auge des Betrachters zwingend auf die Altstadtseite. Dieser geradezu pathetische Gestus scheint implizit die Abwendung vom modernen Stadtteil Petrzalka mit seinen sozialistischen Plattenbauten zu artikulieren und lenkt hin zum historischen Stadtteil, über dem sich der historische Burgberg erhebt. Eine explizite Botschaft hingegen transportiert der Pont Alexandre in Paris. Diese Seinebrücke steht als Symbol für die politische Allianz zwischen Frankreich und Russland von 1892.

Ein Blick entlang der Geschichte des Brückenbaus zeigt neben dem architektonischen Grundtyp der Balkenbrücke die Hängebrücke, die in primitiver Form bereits um 2.000 v. Chr. in Asien existierte, und schließlich die Bogenbrücke - und endet vorerst bei der mit 1.300 Meter Spannweite längsten (Hänge-)Brücke der Welt, der Verrazano-Narrows-Brücke in New York. Dazwischen finden sich unzählige Varianten: Die Assyrer bauten 700 v. Chr. eine 123 Meter lange Holzbalkenbrücke auf sechs Steinpfeilern über den Euphrat, und die Ponton-(Schiffs-)Brücke, die Alexander zu militärischen Zwecken über den Hellespont schlug, verband zwei Erdteile. Der Aquädukt Pont du Gard aus dem Jahr 13 v. Chr. zählt zu den eher ungewöhnlichen Brückenbauten ebenso wie die wundervolle Brücke über den Rialto von 1599, über die der verurteilte Casanova schritt, oder auch der Ponte Vecchio in Florenz aus dem Jahr 1345. Hier erhält die Brücke als zusätzliche Aufgabe die Funktion der Wasserversorgung bzw. die eines Marktplatzes über dem Wasser.

Der geschichtsträchtige Donaufluss, der Europa von West nach Südost durchquert, war schon von den Griechen bis hinauf zum Eisernen Tor erschlossen worden und bildete seit Oktavian im oberen Lauf die Nordgrenze des Imperium Romanum. Zur Zeit des ost- und weströmischen Reichs hatte die Donau eine Vermittlerrolle zwischen Rom und Byzanz, und schon immer bildete sie sowohl eine militärische, eine geopolitische und eine kulturgeografische Grenze.

Lange Zeit war sie Trennlinie zwischen dem germanischen Norden und dem lateinischen Süden. Nach einigen Jahrhunderten als Kreuzfahrerstraße war sie für die Türken die wichtigste Eroberungsachse nach Mitteleuropa. Wenig später erfüllte sie für die Habsburger die gleiche Funktion - diesmal in entgegengesetzter Richtung.

Schon Karl der Große hatte über eine weiträumige West-Ost-Verkehrsverbindung über die Donau nachgedacht und ließ den so genannten Karlsgraben anlegen; die Reste der Fossa Carolina sind noch heute zu sehen. Diesem frühen Versuch eines Rhein-Main-Donau-Kanals war jedoch ebenso wenig Glück beschieden wie dem Ludwigskanal von 1836, dessen Erfolg durch die beginnende Eisenbahnkonkurrenz ausblieb.

In Sachen Donauquerung gab man sich nach den militärisch motivierten Schiffsbrücken des römischen Eroberers Trajan über Jahrhunderte mit einfachen Überfuhren zufrieden, und erst 1146 entstand in Regensburg eine der heute ältesten festen Steinbrücken. Mit 16 Bögen teilt sie ihren historischen und architektonischen Ruf mit der Dresdner Elbbrücke, der Mainbrücke in Würzburg oder der Karlsbrücke in Prag, die übrigens aufgrund ihrer Lage ebenso wie der Pont Neuf in Paris Symbol für die Verbindung wie für die Trennung der bürgerlichen Stadt vom Herrschersitz ist.

Nach unzähligen Planungen, mit denen sich Archimedes, Leonardo da Vinci, Galilei und schließlich Thomas Hook befassten, begann erst mit der Entwicklung der Eisenbrücke - die erste entstand 1779 - und der Einführung der Eisenbahn ab 1860 ein ausgesprochener Brückenbau-Boom, von dem auch die Donau profitierte. Ein Reiseführer von 1898 zählt für die Donau 15 feste Brücken und zwei Schiffsbrücken zwischen Ulm und Neusatz/Peterwardein. Es findet sich hier auch die Bemerkung, hinter Budapest höre Europa auf. - Verglichen mit der gerne zitierten Ansicht, der Balkan beginne bereits hinter Wien, immerhin ein Fortschritt in Sachen Verbesserung von Mitteleuropa.

Betrachtet man den gesamten Flusslauf, so sticht die krass unterschiedliche Brückendichte ins Auge: Die knapp 100 Brücken und Flussquerungen der Donau verteilen sich zu rund zwei Drittel auf den Abschnitt zwischen dem schwäbischen Sigmaringen und dem bayrischen Passau, während die Strecke von Linz bis zum Schwarzen Meer nur ein Drittel davon besitzt.

Ausschlaggebend dafür sind Geografie und Wirtschaft, denn die Verkehrsströme und damit der Brückenbau hängen von der Siedlungsdichte und -verteilung ab, die sich wiederum an der lokalen und regionalen Wirtschaft orientieren.

Im oberen Donaubereich stammen von den über 30 Donaubrücken zwischen Regensburg und Passau etwa 20 Prozent aus der Zeit zwischen 1870 und 1900, nur zirka 10 Prozent wurden zwischen Jahrhundertwende und 2. Weltkrieg gebaut, die übrigen entstanden danach. Von den Querungen an den 330 österreichischen Flusskilometern wurden alle Eisenbahnbrücken zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und 1945 erbaut, während 80 Prozent der Straßenbrücken aus der Zeit danach stammen.

In der österreichisch-ungarischen Monarchie begann im ehemalig türkischen Herrschaftsgebiet erst ab 1860 eine Verdichtung der Verkehrsstruktur, da in türkischer Zeit lediglich Stichbahnen und einige wenige Hauptstrecken existiert hatten. Zwischen 1885 und 1914 entstanden Lokalbahnen und Hinterlandverbindungen sowie vor allem aus militärischen Gründen die Karpatenbahnen, die Verbindungen nach Galizien, Mazedonien und in den Raum zwischen Isonzo und Piave.

Wie eng die Geschichte der Donauquerungen mit der Geschichte der Verkehrsentwicklung im Donauraum verbunden ist, wie sehr die Faktoren einander beeinflussen und die Raumplanung bestimmen, und welch eminente Bedeutung dabei Brücken spielen, zeigen einige Querungen geradezu modellartig. Im österreichischen Niederranna machte die Anbindung ans Inn-, Hausruck- und Mühlviertel den Brückenbau schon frühzeitig nötig, ebenso wie in Aschach, wo auf der Überfuhr bereits im 16. Jahrhundert ein lebhafter Warenverkehr herrschte; auch Linz-Urfahr erhielt schon 1497 ein entsprechendes Privileg von Maximilian I.

Die Linzer Eisenbahnbrücke wurde zwischen 1880 und 1900 um 1,2 Mill. Kronen gebaut, um die Mühlkreisbahn an die Hauptstrecke anzubinden, und es war die Straßenbrücke von Steyregg, die erst das tägliche Einpendeln aus dem Mühlviertel überhaupt ermöglichte.

Über Grein mit dem viel gefürchteten Greiner Strudel, den die Schiffsleute angstvoll mit den Worten "Gesetzt, das Schiff zerbricht, Gott verlass' mich nicht" beschworen, wurde die Verbindung nach Amstetten und in die Eisenwurzen lange Zeit mit Zillen, Plätten und Mutzen aufrecht erhalten, bis 1858 eine "fliegende Brücke" entstand, die bis zu 40.000 Personen und 2.400 Fuhrwerke pro Jahr nutzten. 1875 installierte man dann eine Rollfähre und 1967 schließlich eine feste Brücke.

Überbrückung des Hauptarms

In Marbach gab es einen ganz anderen Grund, zwar keine feste, so doch 1858 eine "fliegende Brücke" und 1902 eine Rollfähre einzurichten: Das Eröffnen der Westbahn hatte nämlich den Pilgerstrom nach Maria Taferl immens anschwellen lassen. In Wien schließlich hatte man sich 1493 zu einer Überbrückung des Hauptarms entschlossen, um vom Anschluss an die Handelswege zu profitieren, doch just da verschoben sich die wichtigen Handelsrouten auf die so genannte "mitteldeutsche Straße" von Nürnberg nach Leipzig, Breslau und Krakau.

Auf eine ganz eigene Geschichte blickt die Wiener Reichsbrücke zurück. 1876 im Rahmen der Donauregulierung erbaut, wurde sie in den 30er-Jahren auf vier Fahrbahnen, zwei Straßenbahngleise sowie zwei Gehsteige erweitert und 1937 - nun 200 Meter länger - dem Verkehr übergeben. Nicht nur die Kosten dafür waren bemerkenswert, sondern auch die technischen Anstrengungen: Man hatte die alte Brücke zum Zweck des Umbaus nämlich 26 Meter stromab bewegen müssen! Nach dem Krieg wurde aus der "Reichsbrücke" für einige Jahre die "Brücke der Roten Armee". Am 1. August 1976 ereignete sich ihr Einsturz, doch der Wiederaufbau erfolgte in der Rekordzeit von 38 Monaten, die Kosten betrugen 910 Mill. Schilling und am 11. November 1980 wurde sie wieder in Dienst gestellt.

Ein Bilderbuchbeispiel in Sachen Brücke & Wirtschaftsstandort bildet die ungarische Hauptstadt Budapest. Hier waren wie bei den anderen wichtigen ungarischen Donauübergängen Komaron, Gran, Visegrad oder Peterwardein aus den Landestellen der Überfuhr Ortschaften geworden - auf dem westlichen Ufer Buda/Ofen und auf dem östlichen die Ortschaft Pest/Taban. Während aber eine Überfuhr an beiden Flussufern Versorgungs- und Unterkunftsmöglichkeiten verlangt, um die Reisenden bei Schlechtwetter oder ungünstigen Wasserverhältnissen zu versorgen, reicht bei einer Brücke eine solche Einrichtung auf nur einer Seite.

Buda gegen Pest

Besteht also das Vorhaben einer fixen Flussquerung, so entsteht ein Standortwettbewerb zwischen den Orten auf beiden Ufern. Bei diesem Wettbewerb trug die Pester Seite den Sieg davon, denn da war der Fluss ruhiger, so dass sich dort der bedeutendere Hafen entwickelte. Außerdem verliefen von Pest aus die Ausfallstraßen nach Nordosten, Osten und Südosten, nach Miskolz und Kaschau, Mähren und Galizien, Szolnok, Großwardein und Klausenburg, während die ItalienRoute zwar über Ofen ging, aber auch über Gran und Komaron Italienrouten verliefen; Ofen stand damit in harter Konkurrenz.

Dann begannen sich in Pest Salz- und Getreidelager anzusiedeln, und Handelsniederlassungen konnten sich ausbreiten, da der flache landwirtschaftlich wertlose Sandboden billig war. Andererseits gab es reiche Wasservorkommen, eine wichtige Siedlungsvoraussetzung sowie Lehmvorkommen für das Brennen von Ziegeln. Der Kalksteinfels wiederum eignete sich für die Anlage von Höhlen und damit für Weinkeller und Braustätten. Im 19. Jahrhundert besaß Budapest bereits Hafenanlagen von über vier km Länge. Ab 1840 hatte man begonnen, die seit der Römerzeit erste ständige Brücke unterhalb von Wien zu bauen, denn vordem hatten sich die Budapester aufgrund der ungeregelten Wasserführung und des winterlichen Eisgangs der Donau mit Sommerbrücken begnügen müssen. 1849 stellte der englische Ingenieur William Thierny Clark die Holz-Eisen-Stein-Konstruktion der Szechenyi-Kettenbrücke fertig, eine Hängebrücke von 666 Meter Spannweite an zwei Pylonen.

Ein letzter Blick auf die Donau und ihre Brücken, der sich Novi Sad, der Hauptstadt der Woiwodina, zuwendet, ist weniger erfreulich. Ausgerechnet diese alte Donaustadt mit dem einstigen Übernamen "serbisches Athen", die auch unter Milosevic stets regierungskritisch war, wurde durch den Jugoslawien-Krieg und das NATO-Bombardement zu einem negativen Wahrzeichen, denn ihre drei wichtigen Donaubrücken wurden zerstört und ihre Trümmer bringen den Schiffahrtsverkehr seit Jahren zum Erliegen.

Freitag, 03. August 2001

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