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Ein Kapitel
Wiener Sozialgeschichte

Pallas Athene und die Wassermassen

Von Lisa Fischer

Man schrieb den 21. Juli. Es war ein Montag. Ein Tag wie jeder andere auch. Ebenso kalt und regnerisch wie der gesamte Juli dieses Jahres. In der Nacht von Sonntag auf Montag hatte am
Abend sogar Nebel die Straßen verhüllt · und wenn man nicht aus Erfahrung wußte, daß man in Wien war, konnte man sich geradezu in London wähnen. Das Wetter spielte in diesem Jahr, seit es mit dem
ersten Jänner 1902 seine Denkwürdigkeiten begonnen hatte, eigenartige Spiele mit der Stadt. Schon im Februar blühten die Marillenbäume, dann aber folgten die vorverlegten "Hundstage" und die zogen
sich bis in den Sommer, der sich bereits herbstlich gab. So schienen alle wetterlichen Gewohnheiten in Frage gestellt.

Diejenigen, die die Stadt wegen der obligaten Sommerfrische verlassen hatten, mußten sich die Sinnlosigkeit dieser Angelegenheit selbst eingestehen, denn frisch war es hier ebenso, und zudem auch
feucht-grün. Das hatte die angenehme Folge, daß der sonst überall herumwirbelnde Staub diesen Sommer erfreulicherweise nur reduziert sein quälendes Werk tat. Die Ausgaben für die Sommerfrische hätte
man sich dieses Jahr daher wohlweislich sparen können, denn es war, abgesehen von der Kälte, durchaus angenehm in der Stadt.

In all diesen temperaturmäßigen Absonderlichkeiten veränderte sich Wien unaufhörlich. Es wuchs mit einer neuen Geschwindigkeit in die Randgebiete, gemeindete Vorstädte ein und versuchte sein Inneres
den modernen Zeiten anzupassen. Breitere Straßen und höhere Häuser bestätigten die Zeichen der allgemeinen Erneuerung. Plätze erhielten Monumente, und so wundert es nicht, daß gerade der 21. Juli
Wien einen neuen Glanzpunkt bringen sollte. Der Platz vor dem Parlament war zu leer gewesen, um derart schmucklos auf die Zukunft zu warten. Schon seit längerem baute man an einem Brunnen · jetzt
erhielt er seinen Mittel- und Höhepunkt: die Pallas Athene! Sie war 6 m hoch und wog 40.000 kg. Aus weißem Marmor gehauen, glänzten nur ihr Helm, ihr Brustpanzer und die Lanze in Gold.

Zeus als Kannibale

In der Antike galt sie als Göttin der Künste, der Wissenschaft und des Friedens. Der Oberolympier Zeus hatte sie aus seinem Haupte geboren, so berichtet die Mythologie, eine Kopfgeburt also.
Dieser eigenartigen Geburtsgeschichte lag allerdings ein Mord zugrunde. Zeus, in Metis verliebt, zeugte mit ihr · ob freiwillig oder durch Gewalt, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten · ein
Kind. Aus Angst, dieses könnte ein Knabe werden und ihn in der Folge entmannen und so um seine Herrschaft bringen, verspeiste Zeus die schwangere Geliebte. Das Kind lebte weiter, wollte geboren
werden, und entsprang schließlich dem gespaltenen Haupte des Mörders. So hatte Zeus gekonnt und mit Gewalt die Mutterschaft durch seinen eigenen Schöpfungsmythos ersetzt. Und so stand Pallas Athene
nun hier vor dem Parlament: das Produkt dieser Gewalt und das neue Symbol für den Frieden. Im Namen des Vaters, gegen den Namen der Mutter. Bis heute ein Anachronismus.

Ihr zu Füßen liegen Donau und Inn, Gesetz und Gerechtigkeit, Elbe und Moldau. Sie halten Muscheln in ihren Händen und ganz Wien wußte, hier würde ein Wasserspiel der Göttin in den Brunnen fließen.
Die Stadtväter nahmen sich damit etwas Besonderes vor. Zum ersten Male in der Geschichte von Wien sollte an jenem Brunnen die Elektrizität erprobt werden. 1902 hielt dieser Segen des Fortschrittes
gerade Einzug in der Stadt. Natürlich war Strom noch teuer, aber hier konnte man ein neues Sparargument benützen. Mit seiner Hilfe wurde es möglich, das Wasser nicht an die Kanäle zu verlieren,
sondern durch eine elektrisch betriebene Umlaufpumpe weiter zu verwenden.

Wolkenbruch als Zugabe

In Zeiten der allgemeinen Verteuerung war dieses Argument das beste, um gegnerische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die Berechnungen meinten, daß mit Hilfe des Stromes nur 1.440 Kronen
statt 19.440 zum Betreiben des Brunnens notwendig seien. So wurde der 21. Juli der inoffizielle Geburtstag des Parlamentsbrunnens. Wie als Zugabe zu den geplanten Wasserspielen setzte am Nachmittag,
genauer gesagt, um 16.30 Uhr, ein Wolkenbruch ein. Er dauerte kaum eine Stunde, hinterließ jedoch ein wahres Desaster. Das Kanalnetz war zu schwach, um die plötzlichen Wassermassen auffangen zu
können. Innerhalb kürzester Zeit waren die Abortrinnen vollkommen verstopft und das Wasser stieg bis in die zweiten Stockwerke. Natürlich waren vor allem die Außenbezirke besonders hart betroffen. In
Ottakring standen ganze Wohnungen unter Wasser, zahlreiche Menschen mußten evakuiert werden. Da traf es wieder einmal die Ärmsten, die in Parterre- oder Souterainwohnungen ohnedies schon ein karges
Leben fristeten und nun durch die Fluten oft auch ihre letzte Habe verdorben fanden.

Waren all diese Wohnungen im Alltag ohne Wasser · man mußte es oft mühsam von Brunnen heranholen ·, so hatten die Ärmsten nun zuviel von dem Naß. Zudem waren die Schlitzleitungen der "Elektrischen" ·
damals fuhr sie in erster Linie mit den Unterleitungen · innerhalb von Minuten verstopft, und es kam zu zahlreichen Auffahrunfällen, bevor die Tramway ihren Betrieb vollkommen einstellen mußte. Die
Wassermassen hatten sogar einen Erdrutsch ausgelöst, in dem ein Kind verschüttet wurde und nur mehr tot geborgen werden konnte. Zwar hatte man in Wien am vierten April 1902 den Hauptsammelkanal
fertiggestellt und damit Wesentliches für das Abwassersystem geleistet, das Unwetter bewies jedoch wieder einmal deutlich, daß sich in erster Linie das Zentrum dadurch bevorzugt sehen konnte, die
Vororte jedoch weiter gefährdet waren.

Während also im Zentrum der Stadt, vor dem Parlament, Pallas Athene den elektrisch betriebenen Wasserspielen zu ihren Füßen lauschen konnte, mußte man draußen in den Vororten noch einige Zeit warten,
bis die Brunnen von der Basena und schließlich von wohnungseigenen Wasserleitungen abgelöst wurden und das tägliche Leben erleichterten.

Freitag, 17. Juli 1998

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