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Mann, Erika: Des Dichters Liebling

Zum 100. Geburtstag von Thomas Manns ältester Tochter Erika
Von Friedrich Weissensteiner

Sie war des berühmten Vaters ältestes und bevorzugtes Kind, seine geliebte, teure Eri, der er von Herzen zugetan war und der er, wenn sie nicht bei der Familie weilte, verständnisvolle, zärtliche Briefe schrieb. Es war eine Zuneigung auf Gegenseitigkeit. Erika liebte, schätzte und bewunderte ihren Vater, den sie, wie auch ihre Geschwister, den "Zauberer" nannte. Diese sprachliche Liebkosung, aus irgendeinem Anlass zufällig geboren, wurde für ihn lebenslang verwendet.

Das menschliche Naheverhältnis zwischen Vater und Tochter erklärte der Pater familias in einem Brief einmal als "Verwandtschaft der Naturen". Diese so plausibel erscheinende Erklärung muss man jedoch wohl hinterfragen. Seelenverwandt waren die Beiden gewiss, aber von ihrem Naturell und ihrem Temperament her grundverschieden.

Thomas Mann war ein selbstgefälliger Großbürger, der gerne repräsentierte, vornehme Behaglichkeit liebte, er war ein ruhmsüchtiger Dichterfürst, hoch gebildet, elegant, unnahbar, eine eindrucksvolle, Achtung gebietende Persönlichkeit. Zu den Schattenseiten seiner charakterlichen Veranlagung zählten seine Egozentrik (die für ein schöpferisches Genie aber wohl unerlässlich ist), seine Hypochondrie und seine homoerotischen Neigungen, die ihn innerlich bedrängten und ihm schwer zu schaffen machten, wie er seinen Tagebüchern anvertraute.

Die Tochter war alles andere als eine großbürgerliche Grande Dame. Erika schätzte zwar ein luxuriöses Leben, aber in teuren Hotels und Restaurants, nicht in einer solid ausgestatteten, komfortablen Villa wie der Vater. Sie war kein Schreibtisch- und schon gar kein Familienmensch, kein treu sorgendes, ortsgebundenes Hausmütterchen. Abgesehen von ihren letzten Lebensjahren, die sie ganz dem Werk des Vaters widmete, führte sie ein buntes, abwechslungsreiches Vagabunden-Dasein. Von einer inneren Ruhelosigkeit erfüllt, hetzte sie aus purer Abenteuerlust, aus moralisch-politischem Antrieb oder von den Zeitumständen gejagt, von einem Land, von einem Kontinent zum anderen. Temperamentvoll, leidenschaftlich und todesmutig bekämpfte sie ab 1933 mit unversöhnlicher Kompromisslosigkeit publizistisch und später auch als Kriegsberichterstatterin in der US Army das inhumane, zerstörerische Nazi-Regime.

Erika Mann schonte sich nicht. Sie kannte kein Selbstmitleid, sie war hart gegen sich selbst und andere, unduldsam und unnachgiebig, wenn es um Prinzipielles ging. Von einer "Verwandtschaft der Naturen" kann also nicht die Rede sein.

Das Psychogramm der ältesten Mann-Tochter erschöpft sich freilich nicht im Männlich-Amazonenhaften. Erika war eine durchaus charmante und attraktive Frau, sie konnte liebenswürdig und gefällig sein, Avancen des anderen Geschlechts gegenüber verhielt sie sich keineswegs ablehnend.

Im Alter von 21 Jahren heiratete sie den damaligen Theaterstar von Hamburg, Gustaf Gründgens. Die voreilige Bindung hielt aber nicht lange. Die Partner verband nur die Liebe zum Theater, das war zu wenig. Erika ging bald eigene Wege, Anfang 1929 wurde die Ehe einvernehmlich geschieden.

Die zweite eheliche Verbindung, die die extravagante Erika einging, war wohlüberlegt und hatte politische Gründe. Um ihrer Ausbürgerung durch die Nazis zu entgehen, heiratete Erika Mann 1935 den englischen Lyriker Wystan H. Auden, dem sie vorher nie begegnet war. Es war eine Passehe, es gab keine Feier, nicht einmal eine Hochzeitstafel. Auden schrieb an seinen Freund Stephan Spender: "I didn’t see her till the ceremony and perhaps I shall never see her again. But she is very nice."

Herausforderungen

In den Vereinigten Staaten, in die sie 1936 mit ihrem Bruder Klaus, dem sie in inniger Geistesverwandtschaft verbunden war, emigrierte, hätte sie das große Glück machen können. Steinreiche Männer umschwärmten sie. Aber ein drohnenhaftes Luxusleben hätte nicht zu ihr gepasst. Sie brauchte eine Herausforderung, eine Aufgabe, Ortsveränderung. Das musste auch der aus Berlin emigrierte Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert zur Kenntnis nehmen, mit dem sie eine jahrelange Partnerschaft verband, die aber schließlich zerbrach. Gumpert wollte die Unstete an sich binden, ihren Lebensstil (der Drogensucht einschloss) ändern – vergeblich.

Eine leidenschaftliche Liebesaffäre unterhielt Erika Mann zu dem um 30 Jahre älteren Dirigenten Bruno Walter, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Die Familien Mann und Walter waren in München und dann auch in der Emigration Nachbarn. Die Beziehung zu dem berühmten Musiker war die große Liebe ihres Lebens, war aber schon wegen des großen Altersunterschiedes stets gefährdet. Sie endete in bitterer Wehmut, als der Dirigent eine Sängerin zu seiner neuen Geliebten erkor. In dieses Verhältnis waren ihre Mutter, die es scharf ablehnte, und Erikas Bruder Klaus eingeweiht. Der Vater ahnte bestenfalls etwas davon.

Wir sind wieder bei der Vater-Tochter-Beziehung angelangt. Thomas Mann kümmerte sich wenig um die Erziehung seiner Kinder, und er verteilte seine Sympathien sehr ungleichmäßig, was zwischen ihnen zu Irritationen führte. Erika durfte sich jedenfalls vieles erlauben, ohne dass ihr der Vater gram war. Sie erheiterte ihn, wenn sie beispielsweise ihre Lehrer imitierte, Grimassen schnitt und im urbayerischen Dialekt jemanden nachäffte. Über ihre schulischen Leistungen und jugendlichen Eskapaden sah der Vater großzügig hinweg, ihre bohemehaften Allüren verzieh er ihr. Ihre schauspielerischen und schriftstellerischen Ambitionen unterstützte er jedoch nach Kräften.

Erika Mann war vielseitig begabt. Das Theaterspielen, das sie bereits im Kindesalter im Elternhaus erprobte, lag ihr im Blut. Als sie den Entschluss fasste, den Schauspielberuf zu ergreifen, ermunterte sie der Vater dazu und stand ihr bei schwierigen Entscheidungen hilfreich zur Seite. Er gab dem zeitkritischen Münchener Kabarett "Die Pfeffermühle", das Erika im Jänner 1933 ins Leben rief, den Namen und wohnte "liebevoll erschüttert" , aber nicht ohne Besorgnis den Vorstellungen bei. Erikas leidenschaftlichem antifaschistischem Engagement konnte der Autor der "Betrachtungen eines Unpolitischen" freilich nur zögernd folgen.

Thomas Mann war auf dringendes Ersuchen der Tochter im März 1933 von einem Urlaub in der Schweiz nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Vom NS-Regime hatte er sich in aller Öffentlichkeit jedoch nicht distanziert. Das verübelte sie ihm und kritisierte ihn schonungslos dafür. Im Notfall wollte sie es sogar auf einen Bruch der Beziehungen ankommen lassen.

Die Mutter riet zur Versöhnung, der Vater besänftigte seine Amazone mit den schönen Worten: "Zum Sich-überwerfen gehören gewissermaßen Zwei und mir scheint, mein Gefühl für Dich lässt dergleichen gar nicht zu." Der Schriftsteller brach mit dem NS-Regime, Erika entschuldigte sich, der Familienfriede war wieder hergestellt.

Schriftstellerisches Talent

Wenn es auch zuweilen politische Meinungsverschiedenheiten gab – im schriftstellerischen Bereich herrschte zwischen Vater und Tochter das beste Einvernehmen. Wie ihr Bruder Klaus hatte auch Erika das schriftstellerische Talent vom Vater geerbt. Sie verfasste gemeinsam mit Klaus, den sie neidlos für begabter hielt, eine Reihe von Büchern ("Rundherum", "Escape to Life" "The Other Germany" usw.), schrieb zahlreiche Glossen, Aufsätze und Artikel in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbänden und publizierte auch einfühlsame Kinderliteratur.

Aber während Klaus lebenslang darunter litt, der Sohn eines weltberühmten Vaters zu sein, aus dessen Schatten er nicht treten konnte, fühlte sich die selbstbewusste Erika vom väterlichen Ruhm nie erdrückt. Sie versuchte erst gar nicht, sich mit ihm zu messen, sondern machte es sich in reiferen Jahren zur Aufgabe, ihm und seinem Werk zu dienen. Gemeinsam mit der klugen Mutter organisierte sie resolut den Gang in die Emigration, die Übersiedlung in die Vereinigten Staaten, wählte die Domizile aus, sorgte für den Komfort, an den Thomas Mann gewöhnt war, und schuf die äußeren Bedingungen, die er für seine Arbeit benötigte.

In den USA begleitete sie ihren Vater auf seinen LectureTours und leistete ihm sprachgewandt wertvolle Dienste, wenn er nach den Vorträgen beim Frage- und Antwort-Spiel mit der kritischen Zuhörerschaft um treffsichere Formulierungen und Argumente rang. Erika redigierte und kürzte seine Manuskripte und übersetzte seine Texte ins Englische.

Die späten Jahre

Zurück in Europa, wo sich das Ehepaar Mann im Kilchberg am Zürichsee niederließ, war Erika die unentbehrliche Stütze und Helferin des greisen Vaters, der kränkelte und dessen Schaffenskraft merklich nachließ. Sie überarbeitete seine Manuskripte, erledigte seine Korrespondenz und überwachte mit Argusaugen die Verfilmung einger Werke Thomas Manns. Über sein letztes Lebensjahr schrieb sie ein einfühlsames Buch. Den Tod des Vaters, der am 12. August 1955 im Zürcher Kantonsspital starb, betrauerte sie tief.

In den 14 Lebensjahren, die ihr noch blieben, war Erika Mann hauptsächlich damit beschäftigt, dem umfangreichen Werk ihres Bruders Klaus Geltung zu verschaffen und den Nachlass des Vaters zu betreuen. Das war zeitaufwendig und ungeheuer kräfteraubend. Allein die Publikation der Briefe des Vaters nahm viele Jahre in Anspruch. Sie musste die etwa 10.000 Briefe, die im Nachlass vorhanden waren, sichten, eine Auswahl treffen, Streichungen vornehmen. Sie tat es umsichtig, aber doch mit einem gerüttelt Maß an Subjektivität. Das trug ihr Kritik ein, die sie mit bissiger Entrüstung zurückwies.

Zuletzt war diese außergewöhnliche Frau, die mit sich selbst und der Welt nicht in Frieden leben konnte, schwerem körperlichem Leiden ausgesetzt: Sie erkrankte an einem Gehirntumor, von dem sie der Tod am 27. August 1969 befreite. Thomas Manns Lieblingskind wurde an der Seite des Vaters auf dem Kilchberger Friedhof beigesetzt.

Literatur:

Irmela von der Lühe: Erika Mann. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2002.

Erika Mann: Mein Vater der Zauberer. Rowohlt Verlag Reinbek b. Hamburg 1998.

*Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher. Zuletzt erschienen: "An den Hebeln der Macht. Die Parteiführer der Zweiten Republik", Edition Atelier, Wien 2005, und "Kinder der Genies", Kremayr & Scheriau/Orac, Wien 2005.'

Freitag, 04. November 2005

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