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Franzobel: "Weltmaschine aus Worten"

Der Dichter über seine Schreibmanie, seinen Namen – und über Fußball
 Franzobel wurde 1967 als Stefan Griebl in Vöcklabruck geboren. Seit 1989 ist er literarisch tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen und Preise, darunter der Ingeborg-Bachmann-Preis 1995.  Foto:Weidinger

Franzobel wurde 1967 als Stefan Griebl in Vöcklabruck geboren. Seit 1989 ist er literarisch tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen und Preise, darunter der Ingeborg-Bachmann-Preis 1995. Foto:Weidinger

Von Karl Weidinger

W iener Zeitung: Zuvor habe ich hier, in Ihrem Stammcafé, die Kellner gefragt, ob der Dichter Franzobel schon da wäre – keiner will sie kennen.

Franzobel: Ich gehe ja nicht stolz herum und posaune überall aus, wer ich bin. Im Gegenteil, es ist mir unangenehm, wenn mich jemand erkennt.

Bekannter sind Sie wohl in Ihrer oberösterreichischen Heimat und dort sind sie, untypisch für einen oberösterreichischen Dichter, sogar anerkannt . . .

Dort wurde heuer ja auch ein Freilichttheaterprojekt von mir realisiert, mit dem Titel "Hunt oder Der totale Februar", das sich mit den Ereignissen im Bürgerkriegsjahr 1934 auseinander setzt. Das Stück zeigt recht anschaulich, wie Politik Menschen kaputt macht. Und es war mein erstes Stück, das von der Kritik hochgelobt und von Menschen geradezu überflutet worden ist. Nächstes Jahr wird es wieder aufgenommen.

Wie viele Bücher haben Sie bereits veröffentlicht? Kennen Sie deren Gesamtauflage?

Ich sage einfachheitshalber seit sechs Jahren, dass ich zwanzig Bücher, darunter fünf größere Romane, geschrieben habe. Meine Gesamtauflage kenne ich nicht. Das müsste ich mir anschauen: grob geschätzt, 70.000 Exemplare.

Sind Sie eigentlich ein getriebener Schreiber?

Mir macht Schreiben einfach Spaß. Außerdem habe ich Probleme, nein zu sagen, ich sage praktisch bei allen Projekten zu. Die Romane schreibe ich eher für mich, denn da weiß man letztlich nie: wird er überhaupt veröffentlicht, funktioniert er . . .

Von Ihnen wird doch alles veröffentlicht! Es gab Jahre, in denen gleich drei Franzobel-Werke erschienen sind.

Im Prinzip wird fast alles veröffentlicht, was ich schreibe, das stimmt! Das rührt daher, weil ich bei Kleinverlagen begonnen und den Kontakt zu ihnen nie abgebrochen habe. Und die wissen, wenn Franzobel auf den Büchern steht, verkaufen sie zumindest eine Auflage, und das ist für einen Kleinverlag ganz gut.

Ihr neuer Roman, "Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik", hatte eine lange Vorlaufzeit und geht erstmals über 600 Seiten. Haben Sie damit den österreichischen Olymp bestiegen?

Das ist ein Auswandererroman, der großteils in Buenos Aires und Wien spielt. Die Themenkomplexe sind Heimatlosigkeit, Schuld, Verdrängung. Im "Fest der Steine" wehrt sich einer, ist politisch völlig unkorrekt, begeht einen Fauxpas nach dem anderen, ist an einem Verbrechen beteiligt und bleibt trotzdem weitgehend sympathisch. Ein Plädoyer für die Freiheit, die Kunst, das Individuum und die offene Gesellschaft. Vielleicht ein österreichischer "Peer Gynt" – ein letzter Freigeist. Ein großes Buch für mich. Aber für Österreich, für die Literatur? Man wird sehen . . .

Woher kommt Ihree beeindruckende Wortgewalt, woher Ihre überbordende Fantasie?

Mein Hauptantrieb ist der, dass ich nichts anderes kann als schreiben. Außerdem bin ich hybrid genug, der Schöpfung in der Sprache etwas entgegenhalten zu wollen, ein kleines Roman-Wunderwerk, eine "Gsellmann’sche Weltmaschine" aus Worten, einen demiurgischen Bauplan aus kleinen und großen, symbolischen und banalen Geschichten. Ich bin ja kein vordergründig politischer Autor, aber trotzdem werden meine Texte zusehends politischer – und religiöser. Die dahinter stehende Ideologie wirbt für eine Poetisierung der Welt. Bei Großprojekten wie dem "Fest der Steine" geht das nur mit einem Plan, an den ich mich aber nicht immer halte. Ich habe an dem Roman sieben Jahre gearbeitet, und er hat alle Kapazitäten gesprengt. Der Text ließ sich auf keiner Diskette mehr speichern, beim Ausdrucken ist die Druckpatrone immer leer geworden, das Manuskript hat in kein Kuvert gepasst. Das war eine echte Herausforderung. Ich bin zwar froh, das abgeschlossen zu haben, aber gleichzeitig spüre ich schon wieder die Sehnsucht nach einer solchen Parallelwelt, wie ich sie mir im "Fest der Steine" erschaffen habe.

Ihre Karriere begann mit dem Bachmannpreis 1995. Welcher Juror hat Sie damals eingeladen?

Ferdinand Schmatz. Er hat mehrere Autoren gefragt, ob sie hinfahren wollen. Ich habe ihm daraufhin einen sehr unfertigen Text geschickt. Schmatz hat dann lange gezögert, ob er mich mitnimmt oder nicht, hat aber kurz vorher, nach dem Lesen der Endfassung, gemeint, dass da was drin sein könnte. "Auch der erste Preis?" , habe ich verdutzt gefragt. "Schauen wir einmal" , hat er lächelnd geantwortet.

In einer Glosse habe ich unlängst gelesen, dass man mit Autoren heutzutage fast nur noch übers Fußballspielen reden könne. Auch sie gelten als großer Aficionado.

Wenn Medien draufkommen, dass man als Autor eloquent über Fußball sprechen kann, wird man permanent darüber befragt. Dabei war ich noch nie in einem Stadion. Diese Fußballmanie ist mir unsympathisch. Man erfährt im Fernsehen mittlerweile alles über Fußball und nichts mehr über Literatur oder Kunst oder Leben. Wenn ein österreichischer Autor ein dickes Buch herausbringt, ist das höchstens eine kleine Meldung wert. Trotzdem schaue ich mir hin und wieder ein "Kickerl" im Fernsehen gerne an. Aber der Sport wird dermaßen vermarktet, dass er mich schon wieder "anzipft". Das wird in den nächsten Jahren mit WM und EM noch schlimmer werden - danach werden wir alle lange keinen Fußball mehr sehen können.

Apropos Überpräsenz: Ein Kolumnist schrieb einst: "Es möge eine Erholungsphase über uns herein brechen, in der nichts über und vom literarischen Selbstdarsteller Franzobel zu lesen ist" – kränkt Sie so etwas?

Soweit ich mich erinnern kann, war ich damals medial sehr präsent. Das war während der letzten WM, da habe ich ein Fußballbüchlein herausgebracht: "Mundial. Gebete an den Fußballgott", das ein Nebenprodukt meiner Arbeit war, sich aber trotzdem gut verkauft hat, und dann bin ich halt dementsprechend oft befragt worden und habe auch viel Häme einstecken müssen . . .

Das war nicht meine Frage. Ob es Sie kränkt, wollte ich wissen.

Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich habe dem Kolumnisten ein paar Bücher geschickt, und er hat recht freundlich darauf reagiert. Es gibt natürlich auch Kritiken, denen man anmerkt, dass man schon im Vorhinein niedergemacht werden sollte. Das findet man natürlich nicht nett, aber als kränkend würde ich es nicht bezeichnen. Man will den Rezensenten zwar häuten, pfählen, sieden, kastrieren und vierteilen, weiß aber gleichzeitig, dass es nicht einmal Sinn macht, einen berichtigenden Leserbrief zu schreiben. Also baut man sich Schutzbarrieren. Auch ein Lob freut mich nur bedingt. Mittlerweile habe ich das Glück, dermaßen viel über mich gelesen zu haben, dass das an Bedeutung verliert.

Ihr Künstlername soll auf den Spielstand in einem Fußballmatch zurückgehen: Als Frankreich 2:0 gegen Belgien führte, soll Sie das Insert "FRAN2:0BEL" zu Ihrem Namen inspiriert haben.

Das ist natürlich frei erfunden!

Das Wiener Literaturhaus hat eine andere Theorie: "Der Autor Franzobel war vor seiner schriftstellerischen Karriere fünf Jahre lang als bildender Künstler Franz Zobel tätig. 1991 erklärte er seine Produktion bildender Kunst für beendet. In seinem Buch ‚Schinkensünden. Ein Katalog‘ rechnet er mit seinen eigenen künstlerischen Ambitionen und dem Kunstbetrieb ab: ‚Ich definierte damals die Laufbahn des Dichters Franzobel als Konzept des bildenden Künstlers Franz Zobel‘", heißt es in der Publikation "zirkular".

Das stimmt schon eher. Ich habe mich immer als bildender Künstler definiert. Mit zwölf habe ich im Keller einen Kasten mit Ölfarben entdeckt, und schon ist es losgegangen. Wir hatten viele Bildbände zu Hause, also habe ich versucht, diese Werke nachzumalen. Ich wollte von da an immer Maler werden. Leider bin ich nach meiner HTL-Matura an der Akademie abgewiesen worden. Daraufhin versuchte ich mich als Autodidakt. Nur war Malerei damals komplett out, Konzeptkunst in. Ich habe viel experimentiert, und eines Tages bin ich auf die Idee gekommen: Ich erfinde jetzt den Schriftsteller Franzobel, der ist das Produkt des bildenden Künstlers Franz Zobel. So ist es bis heute geblieben.

Karl Weidinger , Jahrgang 1962, lebt als Schriftsteller in Wien und im Burgenland; zuletzt von ihm erschienen: "Die Verhaftung der Dunkelheit wegen Einbruchs" (Uhudla Edition).

Freitag, 16. September 2005

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