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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Eine US-Weltraumsonde erforscht den kalten, rosaroten Wüstenplaneten

Das Innenleben des Mars

Der Rover "Spirit" zog seine Spur bloß durch eine unwirtliche Wüste.  Foto: NASA/JPL

Der Rover "Spirit" zog seine Spur bloß durch eine unwirtliche Wüste. Foto: NASA/JPL

Von Christian Pinter

Gäbe es Gastgärten auf dem Mars, würde der im August gestartete Mars Reconnaissance Orbiter die dort aufgestellten Tische selbst vom All aus noch erkennen – so grandios ist die Auflösung seiner Riesenkamera. Die US-Sonde soll im März 2006 in eine Umlaufbahn um den roten Planeten einschwenken und dann mehr Bits and Bytes zur Erde funken, als alle anderen Marsmissionen zusammen. Dabei hatte es allein zehn Jahre gedauert, sämtliche Daten der beiden 1976 auf dem Mars gelandeten Viking-Sonden auszuwerten. Schon ohne den neuen US-Aufklärer ist heute eine größere Zahl von Kundschaftern mit unserem Nachbarplaneten beschäftigt, als je zuvor: Mars Global Surveyor, Mars Odyssey und Mars Express mustern ihn vom Orbit aus. Rover Spirit und Opportunity haben sich als überraschend ausdauernde "Feldgeologen" am Marsboden erwiesen.

So nah wie selten

Die von den Spähern heimgesandte Bilderflut reicht aus, um jedes Monat ein eigenes "Marsmagazin" zu drucken. Die oft kontroverse Interpretation der Aufnahmen und Daten sorgt für reichlich Lesestoff – und nicht selten für Schlagzeilen. Mars ist aber nicht nur Medienrealität. Jeder kann ihn mit eigenen Augen sehen. Verwechslungen sind derzeit praktisch ausgeschlossen, ist er doch der strahlendste Lichtpunkt am Nachthimmel. Rasch fällt sein ruhiger, leicht rötlicher Glanz auf. Am 30. Oktober 2005 trennen uns 69 Millionen km von ihm. So günstige Bedingungen gibt es erst wieder 2018. Richtet man jetzt ein 90-fach vergrößerndes Teleskop auf den Mars, erscheint er ähnlich groß wie der Mond dem freiem Auge.

Seit knapp vier Jahrhunderten mustern geduldige Beobachter den Mars durchs Fernrohr. Die erzielbare Auflösung liegt dabei meist bei einigen hundert Kilometern. Deshalb erspäht man, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Krater, Vulkane, Gebirgszüge oder Schluchten – nur ausgedehnte Regionen unterschiedlicher Reflexionskraft. Die dunkleren sind mit Staubpartikeln bedeckt; die helleren von Feinstaub mit einem Teilchendurchmesser von wenigen Tausendstel eines Millimeters.

Science-Fiction-Autoren träumen manchmal davon, den kalten Wüstenplaneten mittels "Terraforming" in eine blühende Welt zu verwandeln. Doch das könnte bereits am Silikatstaub scheitern. Niemand weiß, ob er nicht giftig ist, organische Verbindungen angreift oder die Haut verbrennt. Etwaige Marsbewohner, mangels Ozonschicht sowieso schon der solaren UV-Strahlung ausgesetzt, hätten dann nichts zu lachen. Und Astronauten müssten peinlich darauf achten, den Staub nicht über Stiefel oder Handschuhe ins Raumschiff zu tragen.

Mars Global Surveyor fotografierte Tornados, die in mäanderähnlichen Pfaden dahinziehen. Sie peitschen den Staub mit 100 km/h über das Basaltgestein, ragen dabei acht bis zehn Kilometer hoch auf. Im marsianischen Südsommer arten lokale Staubstürme mitunter zur globalen Plage aus. Das könnte auch jetzt geschehen: Die aufgewirbelten Teilchen streuen dann das Sonnenlicht und vereiteln so den Blick auf die Oberfläche. Selbst am klarsten und windstillsten Tag schweben noch reichlich Partikel in der Luft. Der Marshimmel ist deshalb rosarot. Die Eisenoxide Magnetit und Hämatit schenken dem Staub die an Rost erinnernde Tönung.

Die Oxidation des Eisens geschah äußerst langsam. Die Marsatmosphäre kennt bloß Spuren von freiem Sauerstoff. Kohlendioxid dominiert mit einem Anteil von 95 Prozent. Das Treibhausgas lässt die Tageshöchstwerte am Äquator bis auf 20 Grad C klettern. Doch bald nach Sonnenuntergang fallen die Temperaturen um hundert Grad. Die "Marsluft" ist nämlich äußerst dünn. Selbst im tiefen Hellas-Becken zeigte das Barometer kaum ein Hundertstel des irdischen Werts. Wo immer man hinkommt – der Druckanzug ist obligat.

Vulkanische Prozesse

Im Nordbzw. Südwinter friert ein Teil der Marsatmosphäre ein. Bei Temperaturen um minus 130 Grad C setzt sich deren Kohlendioxid in Polnähe als "Trockeneis" ab. Im Frühling verdampft es wieder. Im Norden der Marskugel herrscht jetzt gerade bitterster Winter. Dort verstellt eine gleißend helle Wolkenschicht den Blick auf die Polkappe. Die südliche Kappe ist nun arg zusammengeschrumpft. Ganz verschwindet das Trockeneis dort aber selbst im Sommer nicht. Deshalb gelang es erst der ESA-Sonde Mars Express, das darunter verborgene Wassereis nachzuweisen. Des geringen Luftdrucks wegen fänden Eisläufer nur in Polnähe brauchbare Bedingungen vor: Zwar machte Mars Express sogar auf 71 Grad nördlicher Breite einen isolierten Eisfleck aus – doch in noch größerer Poldistanz ist Wassereis nicht mehr stabil. Es würde verdampfen, schüttete man es nicht rasch mit einer dicken Schicht aus Staub oder Vulkanasche zu.

Vermutlich statteten vulkanische Prozesse den Mars in seinen Kindertagen mit einer deutlich mächtigeren Atmosphäre aus. Sie war vielleicht sogar um vieles dichter als die unserer Erde. Damals hätten Marsbesucher Ausflüge zu Flüssen, Seen oder gar Meeresbuchten buchen können.

Heutige Gäste könnten bloß im Staub baden. Den Kompass dürften sie getrost zu Hause lassen. Zwar fand Mars Global Surveyor magnetische Strukturen im Krustengestein, die von einem früheren, globalen Magnetfeld erzählen. Doch das ist längst Geschichte. Deshalb mangelt es dem Planeten an einer schützenden Magnetosphäre. Der Sonnenwind reißt stündlich vier Tonnen Marsmaterie fort. Messungen des Mars Express deuten es an: Der unerbittliche solare Teilchenstrom dürfte auch die einst dichtere Marsatmosphäre hinweggerafft haben. Und das vermutlich schon vor 3,5 bis 4 Milliarden Jahren. Falls es damals einfache Lebensformen gab, drohte ihnen nun die rasche Auslöschung. Vielleicht blieben bloß Fossilien zurück.

Trotzdem hielt bei der letzten europäischen Marskonferenz jeder vierte Wissenschaftler Leben auf dem Mars für möglich – selbst unter den heutigen Bedingungen! Grund für den Optimismus war die Entdeckung von Methan über manchen äquatornahen Gebieten. Das Gas hält sich nur wenige Wochen lang in der Marsatmosphäre. Was sorgt für den Nachschub?

Irdisches Methan stammt großteils von biologischen Prozessen: Bis zu 25 Prozent produzieren allein Archaebakterien in den Böden gefluteter Reisfelder. Das marsianische Methan ist vermutlich nicht biologischen Ursprungs und rührt von chemischen Prozessen her, die einige Kilometer unter der Oberfläche stattfinden. Trotzdem lassen sich Bakterien als Verursacher nicht völlig ausschließen. Immerhin fand man Mikroben auf der Erde, die extreme Umweltbedingungen geradezu lieben: Manche ernähren sich von Eisen und brauchen nur ab und zu etwas Feuchtigkeit.

Mit der Ausdünnung der Atmosphäre verlor der Mars auch seinen mutmaßlichen Wasserreichtum. Ein Teil davon befindet sich wohl im Untergrund. Mars Odyssey fand Indizien für versteckten Permafrost, obwohl die Sonde bloß einen Meter tief in den Boden hinein "blickte". Die unterirdische Eisschicht könnte ein bis 13 Kilometer dick sein. Ihr Nachweis gelingt vielleicht dem Mars Express, dessen Radargerät bis zu fünf Kilometer tief vordringt.

Wäre die Eisschicht tief genug, reichte die Wärme aus dem Mars-inneren vielleicht aus, um deren Unterseite zu verflüssigen. Dann gäbe es tatsächlich Grundwasser auf dem Mars. Geschützt vor der solaren UV-Strahlung fänden etwaige Kleinstlebewesen dort vermutlich noch die günstigsten Bedingungen vor. Wer nach Leben auf dem Mars sucht, muss zunächst also einen tiefen Brunnen bauen.

Der Mars wurde ebenso wie die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren geboren. Auch er hat, speziell in der Frühzeit, immer wieder unter dem Beschuss kleinerer Himmelskörper gelitten. Besonders heftige Treffer katapultieren Marsmaterial sogar ins All. Modellrechnungen zufolge hätten vier Prozent davon auf die Erde gelangen sein sollen – als "Marsmeteoriten". Mega-Einschläge auf dem Mars müssten den Permafrost lokal zum Schmelzen gebracht und das resultierende Wasser an die Oberfläche getrieben haben. Tatsächlich starten viele der großen Flusstäler in der Nähe von Einschlagskratern. Die eindrucksvollen Schluchten wären dann von kurzen, aber gewaltigen Sturzfluten in den Boden geschnitten worden.

Wahrscheinlich verflüssigten Vulkanausbrüche die unterirdische Eisschicht ebenfalls. Jüngst fotografierte Mars Express einen "gefrorenen See", groß wie die Nordsee und bloß fünf Millionen Jahre alt, von Vulkanasche bedeckt. Deshalb ist noch unklar, ob erstarrte Lava eine Eisfläche nicht bloß vortäuscht.

Einzelne Marsvulkane brachen in einem Zeitraum, der mindestens drei Milliarden Jahre umspannte, immer wieder aus. Sie pusteten dabei wahrscheinlich enorme Mengen schwefeliger Verbindungen in die Atmosphäre. Heute scheinen alle Vulkane erloschen zu sein. Doch vielleicht schlummern sie nur. Mars Express hielt Lava-Flüsse fest, die sicher jünger als zwei Millionen Jahre sind. Womöglich gibt es sogar aktuelle vulkanische Prozesse, die den Spähern entgehen.

Im Marsgestein fanden sich Indizien für die Einwirkung von Wasser. So zum Beispiel Evaporite. Auf Erden bleiben sie zurück, wenn wässrige Lösungen verdampfen. Wie Schichtstrukturen im Gestein manchmal andeuten, kam und ging das kostbare Nass. Zuletzt verschwand es allerdings vor drei bis vier Milliarden Jahren. Wollten Künstler ein möglichst "idyllisches" Gemälde der Nachbarwelt schaffen, müssten sie ihre Staffelei also in fernster Vergangenheit aufstellen.

Einige Details passen allerdings nur bedingt in das Bild eines einst mit Gewässern und wohliger Wärme gesegneten Mars. Wie auf der Erde hätte das Oberflächenwasser im Zusammenspiel mit dem atmosphärischen Kohlendioxid ausgedehnte Karbonatvorkommen bilden müssen. Diese müssten den Mars meterhoch bedecken – sofern sie nicht von saurem Regen gleich wieder aufgelöst wurden. Gefunden hat man sie jedenfalls nicht. Dafür tritt an manchen Stellen gehäuft Olivin auf, der unter feuchten Bedingungen rasch verwittert wäre. Jüngst wies man Olivin auch reichlich im Marsstaub nach.

Einige andere Mineralien, die anscheinend von Flüssen oder Seen zeugen, formten sich vielleicht bloß im Grundwasser. Dort reiften vermutlich auch die berühmten "Heidelbeeren" heran, auf die der Rover Opportunity stieß. Sie sind denkbar vitaminarm – handelt es sich doch nur um kleine, graue Hämatit-Konzentrationen.

Seit langem bitterkalt

Der Mars ist jedenfalls längst zu einem höchst ungastlichen, eiskalten Wüstenplaneten geworden. Die globalen Durchschnittstemperaturen liegen bei minus 48 Grad C. Neulich analysierte man den Argongehalt von 7 der insgesamt 57 bekannten Meteoriten, die sehr wahrscheinlich von unserer Nachbarwelt Mars stammen. Der Analyse zufolge dürfte diese schon vor vier Milliarden Jahren bitterster Kälte anheimgefallen sein.

Selbst der legendäre Meteorit ALH84001 erlebte in den letzten 3,5 Jahrmilliarden nur eine kurze Periode mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt. Zur Erinnerung: 1996 wurden auf einer Aufsehen erregenden NASA-Pressekonferenz winzige, wurmartige Strukturen in diesem Meteoriten präsentiert. Dass es sich dabei um Spuren einstiger Marslebewesen handelt, glauben heute nur noch wenige Wissenschaftler.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachautor in Wien. Das ist sein 180. Artikel im "extra".

Freitag, 28. Oktober 2005 14:41:34
Update: Freitag, 28. Oktober 2005 15:27:00

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