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USA und Europa schicken zwei Roboter zum Saturn

Huckepack zum Titan

Von Christian Pinter


Plutonium dient zur Erzeugung jener 630 Watt, die die Sonde Cassini auf ihrem langen
Flug benötigen wird. Noch ruht sie an der Spitze einer Titan-IV-Rakete, deren Start
nach technischen Problemen verschoben wurde. Das Fenster schließt sich am 4.
November. Bis dahin muß Cassini abgehoben haben. Bewohner Floridas sind besorgt.
Man erinnert sich noch an die Startexplosion der Challenger und den Absturz der
russischen Sonde Mars-96 , deren Plutoniumbatterien jetzt vermutlich irgendwo in den
Anden liegen. Auch wenn die NASA beruhigt - aufatmen werden viele erst, wenn
Cassini im All ist.


Mit einer Masse von 2.175 kg zieht der Roboter zunächst zweimal an der Venus
vorbei, kehrt nochmals kurz in Erdnähe zurück, schießt dann durch den
Asteroidengürtel und passiert Jupiter. Diese Manöver schenken ihm die nötige
Geschwindigkeit, um das eigentliche Ziel, den Ringplaneten Saturn , anzusteuern. Auf
Cassinis Rücken fliegt die kleine, nur 192 kg leichte europäische Sonde Huygens mit.
Sie verschläft die Reise. Huckepack zum Saturn befördert, wird Huygens erst nach
Ankunft aktiviert und abgekoppelt. Sie soll Titan erforschen.


Namenspatrone


Die Namenspatrone der Sonden lebten vor langer Zeit. Im 17.
Jahrhundert suchte die koloniale Seefahrt nach Verfahren, um die geografische Länge
zu bestimmen. Nur so konnten Schiffe sicher navigieren und neuentdeckte Eilande in
Karten eingetragen werden. Neben Instrumenten zur Sternhöhenmessung benötigte
man hierzu bessere Schiffsuhren. Wissenschafter sollten verläßliche Chronometer
entwickeln oder Ideen, wie man die Zeit "vom Himmel" ablesen konnte.


Galileis Pendelgesetze umsetzend, konstruierte der wohlhabende holländische
Diplomatensohn Christian Huygens 1655 die Pendeluhr. Gemeinsam mit seinem Bruder
arbeitete Huygens außerdem an der Herstellung größerer Fernrohrlinsen. Damit vollzog
er nun auch die Himmelsbeobachtungen nach, die Galilei 45 Jahre zuvor mit deutlich
schlechterem Instrumentarium versucht hatte.


Dabei war dem Italiener vor allem der Anblick des Saturn rätselhaft geblieben. Galilei
sah bloß drei unscharfe Kugeln, verglich das Bild mit einem alten Herren, der sich auf
zwei Diener stützen mußte. "Ich habe den obersten Planeten dreigestaltig
beobachtet" , wunderte er sich.


1656 fand Huygens die Erklärung: "Saturn ist von einem dünnen, flachen Ring
umgeben, der ihn nirgends berührt." So schmal, daß er scheinbar verschwand, wenn
man ihn alle eineinhalb Jahrzehnte genau von der Kante her betrachten konnte.
Außerdem stolperte Huygens über einen unscheinbaren Lichtpunkt in Saturns Nähe,
den er als Trabanten entlarvte. Nach dem Erd- und den vier Jupiterbegleitern galt Titan
jetzt als sechster Mond im Sonnensystem.


Die Zeit der nationalen Observatorien brach an. 1666 entstand die Französische
Akademie der Wissenschaften, kurz darauf legte man den Grundstein zum Bau der
Pariser Sternwarte. Ausländische Wissenschafter sollten den Glanz Ludwig XIV.
unterstreichen und Frankreich eine rasche Lösung des Navigationsproblems sichern.
Huygens, der seine Pendeluhr in Paris hatte patentieren lassen, wurde ebenso
eingeladen, wie der bei Nizza geborene Giovanni Cassini. Der Professor für
Astronomie in Bologna hatte sich mit seinen Studien der Jupitermonde bereits einen
Namen gemacht.


Nun widmeten sich Huygens und Cassini von Paris aus der weiteren Beobachtung des
Ringplaneten. 1671 und 1672 stieß Cassini auf die Saturnmonde Japetus und Rhea.
1675 entdeckte er eine seltsame, dunkle Teilung im Ring. Seine Zeitgenossen hielten
den Ring für eine Flüssigkeit oder einen starren Festkörper. Mit keiner dieser
Interpretationen ließ sich die Existenz der Cassini-Lücke recht vereinbaren.


Um bessere Auflösung zu erzielen, mußten immer größere Teleskoplinsen geschliffen
werden. Da man nur einlinsige Objektive und Okulare kannte, deren Bildqualität mit
zunehmender "Bauchigkeit" stark abnahm, versuchte man es mit möglichst
langbrennweitigen Optiken. Das führte zu Instrumenten von mehreren Dutzend Metern
Länge, für die kein Handwerker mehr durchbiegungsfreie Rohre fertigen konnte. Also
wurden die Objektive einfach am Dach des Observatoriums, die Okulare auf kleinen
Schlitten im Garten montiert. Die rohrlosen "Luftteleskope" waren labil und würden von
heutigen Amateurfernrohren an Leistung übertroffen. Dennoch gelang es Cassini damit,
1684 die Saturnmonde Dione und Tethys aufzustöbern.


Huygens hatte Paris mittlerweile verlassen, fühlte sich im intoleranten, katholischen
Frankreich nicht mehr sicher. In seiner Heimat widmete er sich dem Bau von
Fernrohren und Mikroskopen, erfand einen zweilinsigen Okulartyp, der noch heute
verwendet wird, verbesserte mechanische Uhren und erarbeitete eine Theorie des
Lichts. "Jean" Cassini blieb, beteiligte sich an der Vermessung Frankreichs, ermittelte
die Sonnendistanz und untersuchte Jupiters Wolkenbänder. Seine Studien der
Jupitermonde ermöglichten es dem Dänen Olaf Römer, die Lichtgeschwindigkeit zu
bestimmen.


Sowohl Cassini wie auch Huygens waren bei ihren Saturnbeobachtungen am Limit der
technischen Möglichkeiten und auch an der vermeintlichen "äußeren Grenze" des
Sonnensystems angelangt. Die weiter entfernten Planeten Uranus, Neptun und Pluto
waren noch unentdeckt. Mit immer besseren Teleskopen, Newtons Gravitationstheorie
und der Spektralanalyse entrissen Forscher in den folgende Jahrhunderten Saturn
immer mehr seiner Geheimnisse. Die Raumsonden Pioneer 11 , Voyager 1 und 2
studierten ihn zwischen 1979 und 1981 aus nächster Nähe, ergänzten unser Bild und
stellten die Wissenschaft gleichzeitig vor neue Rätsel.


Schwimmende Welt

Kaum hatte sich das Sonnensystem vor viereinhalb Milliarden
Jahren aus einer interstellaren Materiewolke gebildet, sahen sich die Keimzellen der
heutigen Planeten schon in einen regelrechten "Ringkampf" verstrickt. Im äußeren,
kühleren Bereich gab es reichlich Wasserstoff und Helium. Das fuhren die Planeten
Jupiter und Saturn in enormen Mengen heim. Dabei gerieten sie zu riesigen Welten.
Zwar zog Jupiter dreimal soviel Materie an sich wie Saturn, doch führte seine "Gier" vor
allem zur Verdichtung der Planetenkugel. Daher erreichte auch der masseärmere Saturn
fast Jupiters Dimensionen. Seine mittlere Dichte blieb aber minimal. Könnte man Saturn
in einen Ozean tauchen, würde er schwimmen.


Die Kugel des mit 120.000 km Durchmesser zweitgrößten Planeten des
Sonnensystems besteht zu 96 Prozent aus Wasserstoff. Sie jagt in nur 10« Stunden um
ihre Achse. Das Höllentempo plattet Saturn mehr ab als jeden anderen Planeten. Eine
feste Oberfläche kennt diese Welt nicht. Der Wasserstoff geht vom gasförmigen in den
flüssigen und schließlich in den metallischen Zustand über. Nur ganz im Innersten könnte
ein Kern aus Eisen und Silikaten existieren. Über allem schwebt eine Wolkenschicht
aus Ammoniakeis, Ammoniumhydrosulfidkristallen und Wassereis. Darin tobt Saturns
Wetter.


Auf der Erde lenken Unregelmäßigkeiten der Oberfläche, Hoch- und Tiefdruckgebiete
ab - auf Saturn ziehen sie sich zu parallelen Bändern und Zonen auseinander, die den
ganzen Planeten umspannen. Das Bild ähnelt dem Wolkenspiel auf Jupiter, läßt aber
dessen Kontrast und Dynamik vermissen. Grund ist die Kälte. In zehnfachem
Sonnenabstand erhält Saturn nur noch ein Hundertstel jenes Lichts, mit dem die Sonne
unseren Planeten verwöhnt. Dennoch strahlt er mehr Energie ins All ab, als er bezieht.
Saturn muß eine innere Wärmequelle besitzen. Wie sie funktioniert, ist umstritten.


Saturn ist Herr der Ringe. Wie Huygens richtig erkannte, sind die Ringe unfaßbar
schmal. 270.000 km Durchmesser stehen einer Breite von wenigen hundert Metern
gegenüber. Könnte man ein Blatt Papier auswalzen, bis es einen weiten Hauptplatz
bedeckt, erhielte man ein ähnlich extremes Verhältnis. Cassini vermutete zu Recht, daß
die Ringe weder flüssig noch starre Festkörper sein können. Statt dessen bestehen sie
aus Milliarden kleiner Himmelskörper. Die Wassereisteilchen kreisen exakt in der
Äquatorebene des Planeten. Ihre Durchmesser variieren von Staubkorngröße bis hin
zur Dimension von Einfamilienhäusern.


Im Fernrohr lassen sich vier Ringzonen unterschiedlicher Helligkeit - also Teilchendichte
- ausmachen. Die Voyagersonden fügten weitere hinzu, lösten aber auch die klassischen
in Tausende konzentrische Teilringe auf. Selbst in der Cassini-Lücke , die man früher
als materiefreie Zone von 4.000 km Breite interpretierte, fanden sich Dutzende dunkle
Ringe. Winzige "Hirtenmonde" fokussieren die Ringmaterie - eine wirklich befriedigende
Erklärung für die überraschend komplexe Struktur des Ringsystems existiert aber nicht.


Ließe sich das gesamte Ringmaterial einsammeln, könnte man daraus einen
Himmelskörper von rund 100 km Durchmesser basteln: vielleicht kam einst ein Mond
Saturn zu nahe, wurde von dessen Gezeitenkräften aufgerieben. Kein großer Verlust.
Saturn zählt noch immer mehr Monde als jeder andere Planet. Die 18 bekannten
Begleiter bestehen vorwiegend aus Wassereis. Nur die größeren dürften einen
Steinkern besitzen. Cassinis Funde dominieren mit Durchmessern zwischen 1.060 und
1.530 km. Auf Grund der gewaltigen Erdentfernung von über 1 Milliarde km
schrumpfen jedoch auch sie im Teleskop zu bloßen Lichtpunkten. Erst die
Voyagersonden konnten beim Vorbeiflug Teile ihrer eisigen Oberflächen kartieren.


Bei extrem tiefen Temperaturen wird Eis fast so hart wie Fels. Es formt komplexe
Landschaften. Die abwechslungsreiche Tethys besticht mit einem 4 km tiefen Graben,
der vom Nordpol bis zum Südpol reicht. Dione präsentiert helle Bänder im Eis, die auf
eine einstige, innere Wärmequelle deuten. Alle Oberflächen werden von
Meteoritenkratern zernarbt. Rhea scheint dabei einem besonders gewaltigen
Bombardement einstürzender Materie ausgesetzt gewesen zu sein.


Japetus zeigt uns abwechselnd seine helle und dann seine dunkle Seite, was zu
regelmäßigem Lichtwechsel im Fernrohr führt. Bereits Cassini hat dies richtig mit dem
ungleichen Reflexionsverhalten der beiden Hemisphären erklärt. In punkto Helligkeit
gleichen sie einander so wenig wie Schnee und Asphalt. Auch das weist auf frühere
Katastrophen im Mondsystem hin.


Tiefgekühlte Erde

Huygens Mond ist mit 5.150 km Durchmesser buchstäblich der
Titan unter den Saturnmonden. Er übertrifft alle Trabanten im Sonnensystem mit
Ausnahme von Jupiters Ganymed und stellt sogar den Planeten Merkur in den
Schatten. Wichtiger noch: Titan besitzt eine Atmosphäre, die 60 Prozent dichter als die
der Erde ist und, ebenso wie unsere, vorwiegend aus Stickstoff besteht. Sauerstoff ist
rar. In manchem ähnelt Titan unserem Planeten, wie er sich vor Milliarden Jahren
präsentierte. Einige Forscher bezeichneten ihn daher schon als "tiefgekühlte Urerde".
Die Temperatur am Boden ist mit -178 Grad C allerdings ungemütlich.


Wie Titans Oberfläche aussieht, ist unbekannt. Eine dicke Dunstschicht aus Aerosolen
vereitelte ihre Erforschung durch die Voyagers. Vom fernen Pluto und seinem Mond
Charon abgesehen, ist Titan damit der einzige größere Körper im Planetensystem,
dessen Antlitz Geheimnis blieb.


Die ESA-Sonde Huygens soll es lüften. Nach der Trennung von Cassini wird sie, an
Fallschirmen treibend, zweieinhalb Stunden lang zu Titans Oberfläche hinabsinken,
Atmosphäre, Wolken, Dunst und Nebel analysieren und endlich Fotos seiner
Landschaft zur Erde senden.


Bei der Konstruktion der Sonde mußte man sich mit Spekulationen begnügen, ahnen,
welche Umwelt den Roboter erwarten wird. Vielleicht bedeckt ein viele hundert Meter
tiefer Ozean aus Äthan den gesamten Mond. Wahrscheinlicher ist eine
abwechslungsreiche Welt mit Bergen und Tälern aus Wassereis und gefrorenen
Kohlenwasserstoffen, mit Einschlagskratern und Kraterseen, mit heftigen Blitzen und
Niederschlägen. Die rauhe Landschaft reflektiert wohl das düstere, orangefarbige Licht
des Himmels. Die Helligkeit entspricht selbst zu Mittag bloß der der irdischen
Dämmerung. Auch vulkanische Phänomene sind nicht ausgeschlossen.


Der Gleitflug ist die Hauptphase der ESA-Mission. Denn für eine sanfte Landung ist
Huygens nicht ausgerüstet. Stattdessen schlägt er mit knapp 20 km/h auf. Fällt er in
einen See, könnte er noch einige Minuten lang Bilder und Meßdaten senden. Trifft er
auf Eis, stehen die Überlebenschancen schlechter.


Huygens Arbeit ist jedenfalls in wenigen, dramatischen Stunden getan. Cassini bleibt
hingegen genug Zeit, um sich langfristigen Studien der Wetterprozesse auf Saturn zu
widmen. Vom Orbit aus vermißt er mindestens vier Jahre lang das Magnetfeld,
beobachtet Feinstrukturen in den Ringen und analysiert die genaue Zusammensetzung
ihrer Teilchen. Mehrere Vorbeiflüge an den Monden erlauben ihm Detailaufnahmen, aus
denen man die geologische Geschichte der Trabanten rekonstruieren möchte.


Beide Roboter wandeln auf den Spuren ihrer Namenspatrone, sind aber freilich mit
modernerem Instrumentarium ausgerüstet. Spektrometer, hochauflösende Radargeräte
und CCD-Kameras haben die alten Luftteleskope abgelöst. Vermutlich sind sie bei
Ankunft schon wieder ein wenig "veraltet" - denn vor dem 1. Juli 2004 erreichen
Cassini und Huygens den Ringplaneten nicht.

Montag, 31. März 1997

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