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Dem musikalischen Phänomen "Gustav" auf der (Ton-)Spur

In der Echokammer der Ironie

 CD-Cover von

CD-Cover von "Rettet die Wale".

Gustav ist eine Eva. Foto: mosz records

Gustav ist eine Eva. Foto: mosz records

Von Karl Weidinger

"Gustav" ist das Projekt von Eva Jantschitsch. Es besteht in erster Linie aus Toncollagen und darüber gelegtem Gesang. Seit 2002 verströmt die Person dahinter leichthändig eingesetzte Musikteilchen, die wie aus der Spielkonsole klingen. Darüber setzt sich eine eigenwillige Lautmalerei aus Deutsch und Englisch hinweg. Eine lyrische Begabung mischt sich in den Sangestexten dazu. Es sind Slogans einer Alternativkultur, aber auch Bookmarks der Globalisierungsgegner ( "Lass uns nach Genua fahren, Liebling. Schwing dich auf die Vespa, Schatz. Lass uns Strand finden unter dem Pflaster der Revolution" , Genua).

Vor einem Vierteljahrhundert in Graz geboren, kam Eva Jantschitsch nach Wien und wurde rasch zum Darling der alternativen Szene. Schnell heimisch im Elektronik-Untergrund, bastelte sie ihren ersten Tonträger auf einem geborgten Laptop im Alleingang im Kinderzimmer. Dieses Debüt-Album mit dem dadaistisch anmutenden Titel "Rettet die Wale" (mosz records) geriet 2004 zum Überraschungserfolg. Und schon balgte sich die Avantgarde der elektronischen Medien um Patronanz und Entdecker-Bonus. Sofort nahmen die grauen Eminenzwölfe des FM4-Universums das Phänomen "Gustav" unter ihre Fittiche, um zu fördern, was ihnen selbst versagt blieb: Unschuld & Ruhm. Denn ein Kunstprojekt kann nur bestehen, wenn es mit gebauschten Mediensegeln über den Öffentlichkeits-Horizont gleitet.

Angeblich wollten ihre Grazer Eltern als drittes Kind einen Buben und nannten sie während der ersten Lebensphase "Gustav". Das ist hängengeblieben, so die Fama. Unter Kulturzwang aufgewachsen, verdichtete sich ihr Geigenspiel zu jener schrägen Performance, als das es nun erklingt. Zwölf Jahre musste Eva Geige lernen und baut dieses Instrument – als späte Form der Rache? – nun regelmäßig in ihre Stücke ein. Die digitale Medienarbeiterin hat auch noch angewandte Kunst studiert, bevor der Rummel um ihre Person losbrach.

Musik, abseits der vorformatierten Industrie, wird rasch zu einem Kultfaktor, bei dem in erster Linie die Persönlichkeit zählt. Auch Mitdenken ist gefragt. Die Musik von "Gustav" ist nicht so leicht konsumierbar wie der Rest der Glitzerwelt in all ihrer Eindeutigkeit ("Spaß haben!", "Kaufen!"). Es geht darum, in eine groteske Welt der Doppel- und Triple-Brechungen einzutauchen. Und dabei will das Phänomen "Gustav" in Gestalt von Eva Jantschitsch keinesfalls auf das Niedliche, Jugendliche oder nur Weibliche beschränkt werden. Dieser nicht zu verleugnende Kultfaktor macht "Gustav" optimal einsetzbar für Theaterstücke wie "draußen tobt die dunkelziffer" von Kathrin Röggla am Wiener Volkstheater. Und weitere Theater- und Performancearbeiten sind in der Warteschleife.

Stellenweise tönt "Gustav" experimentell wie Laurie Anderson, krakeelt wie die Schweizerin Pipilotti Rist und verkörpert mehr die E-Anteile, statt sich dem Diktat der U--Musik zu beugen. "Ich wollte meine vorgegebene Rolle als weibliche Stimme und Aufputz nicht akzeptieren" , merkt Eva selbstbewusst an. Doch ein Rest an Verunsicherung bleibt, so dass alles auch als "unernst gemeint" durchgehen könnte. Parolen, soweit das Ohr reicht. Dafür fehlen Holzhammer und erhobener Zeigefinger. "Singer/Songwriter des Jahres 2005 klingen nun mal nicht mehr nach Joan Baez, Joni Mitchell oder Patti Smith, auch wenn gleich zu Beginn ‚We Shall Overcome‘ angestimmt wird" , schrieb der personifizierte Detektor jeglichen Kultfaktors, Walter Gröbchen.

Die Kaskaden sich überlagernder Interpretationen, vorgetragen mit klarer Stimme, kommen oftmals in Tango-Verpackung daher. Plumpe Eindeutigkeit ist nicht das Ziel. Nichts funktioniert ohne ironische Brechung. Dabei weiß Eva geschickt zu relativieren und ineinander zu verschachteln. Stets bleibt sie subversiv, auch bezüglich Spielfreude und Ernsthaftigkeit des Anliegens. Ein guter Schuss Sozialromantik kann auch nicht schaden. Oder ist es nur altersbedingte Schwärmerei? "Rettet die Wale und stürzt das System. Und trennt euren Müll. Denn viel Mist ist nicht schön" , heißt es in der Titel gebenden Nummer. Ist das ein trauriger Aufruf zur Revolution oder nur die Echokammer der Ironie? Eine dadaistische Botschaft, ein Code der Spaßfraktion, eine Chiffre aus Phrasen-Trash, oder versteht man hier sein eigenes Wort vor lauter Formeln nicht mehr?

"Spannend", sagen die Gurus der Musikindustrie und meinen "nicht vorformatiert". Melodisch und sanft tönt es, melodramatisch und moribund, angereichert mit Cello, Akkordeon, Xylophon, Gitarre. Lautmalerisch in Schwebe gehalten, atmosphärisch verdichtet in einem avantgardistischen Tango gepresst. "Rettet die Wale" überzeugte sowohl Kritiker, Feuilleton wie auch die Hörer. Und dafür gab es die Auszeichnung "Austrian Music Award". Die melancholisch wirkende Künstlerin polarisierte die Zuschauer vor den TV-Geräten im selben Ausmaß wie die live anwesenden Vertreter der Medien. Für diesen ersten größeren TV-Auftritt würfelte sie – mehr als Geleitschutz denn als musikalische Verstärkung – einen bunten Chorsängerhaufen zusammen, der teilweise mit Schmierzetteln in der Hand auftrat.

Seither wird bei Live-Konzerten aufgesagt, deklamiert und bedeutungsschwer rezitiert. Und im Wiener Radiokulturhaus musste "Gustav" über die verspielte Attitüde ihrer Texte sogar lachen – nach dem Motto: nicht alles so ernst nehmen!

Freitag, 04. November 2005

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