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Die Wasserstoff-Ökonomie lässt noch lange auf sich warten

Suche nach neuer Energie

Von Peter Markl

Dieser Sommer unseres Missvergnügens hatte es in sich - nicht nur das Wetter, auch die Sommerthemen waren so miserabel wie selten zuvor. Mit einer Ausnahme: die Erdölpreise stiegen in Rekordhöhen und in uns wuchs der Verdacht, dass dieser Preisanstieg nicht nur eine Folge der gut bekannten, politisch ausgelösten Turbulenzen auf den Ölmärkten sein könnte, sondern auch ein Vorbote der unvermeidlichen Folgen einer Entwicklung, die schon auf mittlere Frist eintreten sollte: die Erdölförderung wird in den nächsten Jahrzehnten ihr Maximum erreichen, und danach sinken. Es wird zwar noch lange Erdöl geben, aber wegen zunehmender Verknappung zu einem immer höher werdenden Preis.

Dazu kommt noch ein Zweites: Fossile Brennstoffe, aus denen heute etwa zwei Drittel der weltweit verbrauchten Primärenergie gewonnen werden, stehen in Form von Kohle und Erdgas noch für mindestens ein Jahrhundert zur Verfügung. Die Frage ist nur, ob man es sich wirklich leisten kann, alle verfügbaren fossilen Brennstoffe zu verheizen und damit

den Treibhaus-Effekt weiter in die

Höhe zu treiben. In den letzten

150 Jahren hat man bereits die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre von 280 auf 370 ppm (="parts per million") erhöht; "Business as usual" würde zum Ende dieses Jahrhunderts zu einer Konzentration von über 550 ppm führen und damit - so eine Schätzung des New Yorker Physikers Martin Hoffert - die Temperatur im selben Maß erhöhen, in dem sie sich vor dem Ausbruch der letzten Eiszeit abgekühlt hat.

Ein paar harte Fakten

Es gibt ein paar Fakten, die nicht wegzudiskutieren sind: Es stimmt, dass Wasserstoff-Moleküle der ideale Ersatz für fossile Brennstoffe wären, die ja aus Kohlenwasserstoff-Molekülen bestehen. Gramm für Gramm kann man aus Wasserstoff-Molekülen mehr Energie erzeugen als aus irgendeinem anderen Brennstoff.

Es stimmt auch, dass Wasserstoff-Moleküle einen einzigartigen Vorteil bieten: wenn man sie mit Luftsauerstoff verbrennt oder in einer Brennstoffzelle elektrochemisch oxidiert, dann entsteht nur reines Wasser. Es gäbe somit keine Luftverunreinigung und keine Treibhausgase mehr: ein ökologischer Traum würde Realität.

Es stimmt aber leider auch, dass es auf der Erde nur sehr wenige Wasserstoff-Moleküle gibt. Was es gibt, sind ungeheure Mengen von Wasserstoff-Atomen - kein Atom kommt auf der Erde häufiger vor als diese. Man findet sie etwa, gebunden an Sauerstoff, in Wasser-Molekülen oder, gebunden an Kohlenstoff, in Kohlenwasserstoff-Molekülen.

Um aber aus Molekülen, die Wasserstoffatome enthalten, Wasserstoff-Moleküle zu gewinnen, muss man Energie aufwenden. Das ist unvermeidlich mit negativen ökologischen Effekten verbunden. Nur wer die energetischen und ökologischen Kosten übersieht, die mit der Produktion von Wasserstoff-Molekülen verbunden sind, kann unrealistischen ökologischen Tagträumen zum Opfer fallen.

Es ist eigentlich irreführend, Wasserstoff-Moleküle als "Brennstoff" zu bezeichnen. Während die Kohlenwasserstoff-Moleküle in Erdöl oder Erdgas Brennstoffe sind, ist der molekulare Wasserstoff - wie der elektrische Strom - ein Energieträger.

Als Energieträger bieten Wasserstoff-Moleküle zwar den Vorteil, bei ihrer Verbrennung (fast) keine Luftverunreinigung zu erzeugen - kein Kohlendioxid, kein Schwefeldioxid, nur sehr wenige Stickstoffoxide und keine flüchtigen organischen Verbindungen. Für die ökologische Gesamtbilanz entscheidend ist jedoch die Frage, auf welchem Weg die Energie zur Erzeugung von Wasserstoff erzeugt wird. Zur Zeit gewinnt man Wasserstoff überwiegend durch katalytische Umsetzung von Methan (CH4, Erdgas) mit Wasser. Dabei entstehen zwar die gewünschten Wasserstoff-Moleküle (H2), aber die Kohlenstoff-Atome des Methans enden wieder in Kohlendioxid-Molekülen, welche den Treibhauseffekt weiter anheizen.

Um das volle ökologische Potential des Wasserstoffs auszunützen, muss man daher Wasserstoff-Moleküle erzeugen, ohne zugleich als unerwünschtes Nebenprodukt wieder Kohlendioxid zu produzieren. Das ist im Prinzip auf mehrere Arten möglich. Die wichtigste Methode ist die Elektrolyse von Wasser, wozu man allerdings elektrischen Strom braucht, so dass die Ökobilanz davon abhängt, wie der elektrische Strom erzeugt wird.

Wenn man dazu irgendeine Form der Sonnenenergie einsetzt - etwa indirekt durch Wasserkraftwerke oder Wind-Energie oder direkt mittels photovoltaischer Sonnenkraftwerke - dann bedeutet das wirklich den ökologisch entscheidenden Schritt zur "Dekarbonisierung" der Energieerzeugung. (Den gleichen Vorteil bietet auch die Stromerzeugung aus geothermischer Energie oder aus Kernenergie.)

Trotz all dieser einschränkenden Präzisierungen hat es ökologisch gesehen viele Vorteile, die abhanden kommenden fossilen Brennstoffe durch Wasserstoff-Moleküle als Energieträger zu ersetzen. Das gilt vor allem im Verkehrsbereich.

Diese Vorteile haben schließlich dazu geführt, dass die Bush-Administration allein in den nächsten fünf Jahren 1,7 Milliarden Dollar dafür ausgeben will, bis zum Jahr 2020 erschwingliche Wasserstoff-Autos zu entwickeln; andere Staaten wenden hohe Summen für Teilprojekte auf dem Weg zu einer Wasserstoff-Ökonomie auf. So hat die EU für 2,8 Milliarden Euro ein auf zehn Jahre geplantes Gemeinschaftsprojekt ins Leben gerufen, in dessen Rahmen öffentliche und private Forschungsstellen bei der Entwicklung von Wasserstoff-Brennstoffzellen zusammenarbeiten. Die japanische Regierung hat das dafür vorgesehene Budget auf 268 Millionen Dollar verdoppelt, und Staaten wie Kanada und China haben andere Projekte laufen.

Da immer wieder Teilerfolge von allen diesen Projekten in den Massenmedien kolportiert werden, hat sich bei manchen eiligeren Lesern der vage Eindruck festgesetzt, hier sei endlich etwas in Gang gekommen, das bei hinreichendem Nachdruck schon in absehbarer Zeit zu sehr signifikanten Fortschritten führen könnte - zumal es den Anschein hat, dass die entscheidenden technischen Fortschritte entweder schon gemacht seien oder zumindest bald gelingen würden.

Jetzt aber haben die Amerikanische Akademie der Wissenschaften und die Amerikanische Physikalische Gesellschaft in zwei Berichten Zwischenbilanzen vorgelegt, die sehr ernüchternd ausgefallen sind. Bei der Produktion wie bei der Speicherung von Wasserstoff, aber auch bei dem Aufbau eines Verteilungsnetzes und bei der Gewinnung von elektrischem Strom aus Wasserstoff stellen sich noch Probleme in einer Größenordnung, an der das ehrgeizige Vorhaben der Etablierung einer Wasserstoff-Ökonomie noch immer scheitern könnte.

Es geht schließlich auch darum, die neue Technologie schnell ökonomisch so weit zu entwickeln, dass sie mit den mittlerweile ebenfalls weiter entwickelten Technologien beim Einsatz fossiler Brennstoffe konkurrieren kann.

Das - so Mildred Dresselhaus vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) - ist schon wegen seiner Größe ein einschüchterndes Ziel. Was man bisher an Forschungs- und Entwicklungsgeldern dafür vorgesehen hat, kann nur ein Anfang sein: "Keiner der beiden Berichte ist zum Schluss gekommen, dass es ein unerreichbares Ziel ist, aber die Probleme sind sehr schwierig, wie auch immer man den Problemkomplex in Teilprobleme zerlegt."

Technische Hürden

Trotz allen ökonomischen und politischen Schwierigkeiten sind die Hauptbarrieren doch die technischen Probleme. Das beginnt schon bei der Produktion des benötigten Wasserstoffs. Die billigste Methode ist die bereits erwähnte Umsetzung von Erdgas mit Wasser zu Wasserstoff (und leider eben auch Kohlendioxid). Trotz vieler Jahrzehnte Entwicklungsarbeit hat man bisher dabei nur einen Wirkungsgrad von 85 Prozent erreicht. 15 Prozent der aus Erdgas gewinnbaren Energie gehen als Abwärme verloren. Jede Energieumwandlung ist mit Energieverlusten verbunden. Die aus Wasserstoffmolekülen gewinnbare Energie wird daher immer teurer sein als die Energie, die man zur Produktion der Wassermoleküle aufwenden muss.

Diese Situation bessert sich auch dann nicht, wenn man Solarstrom zur Elektrolyse von Wasser einsetzt. Solarstrom ist heute immer noch rund zehn Mal teurer als der Strom, der aus Kohlekraftwerken stammt.

Aber selbst wenn das Problem einer nachhaltigen und hinreichend billigen Erzeugung von Wasserstoff gelöst wäre, bliebe noch das Problem der Speicherung. Bei Raumtemperatur und dem Druck von einer Atmosphäre nimmt Wasserstoff etwa 3.000 Mal mehr Volumen ein als jene Menge Benzin, aus der man gleich viel Energie erzeugen könnte. Man kommt daher nicht darum herum, Wasserstoff zu komprimieren, zu verflüssigen oder in einem anderen Speichermedium verdichtet zu lagern.

Zur Zeit verwenden alle experimentellen Wasserstoff-Fahrzeuge druckkomprimiertes Wasserstoff-Gas, das in Brennstoffzellen umgesetzt wird. Um ein und dieselbe Strecke zurückzulegen, muss ein Wasserstoff-Tank beim heutigen Stand der Technik vier Mal so

voluminös sein wie der Tank eines mit Erdgas betriebenen Fahrzeugs.

Auch die Alternative - nämlich der Einsatz von flüssigem Wasserstoff - hat erhebliche Nachteile. Wasserstoff verflüssigt sich erst bei minus 253 Grad Celsius und es ist energetisch teuer, das Gas so tief zu

kühlen. Man braucht dazu etwa

30 Prozent der Energie, die in dem Gas steckt. Dazu kommt, dass die Tanks für flüssigen Wasserstoff aufwändig isoliert werden müssen, so dass sie größer sind als Benzintanks.

Also bleiben nur andere Speichermedien, in deren Entwicklung die Materialwissenschaftler viel Zeit und Ideen investiert haben. Bisher ist der Erfolg allerdings nicht wirklich befriedigend, denn alle verwendeten Stoffe haben entscheidende Nachteile: Sie benötigen entweder zu hohe Temperaturen und Drücke, oder es ist nicht möglich, den Wasserstoff aus ihnen genügend schnell freizusetzen, oder es bedarf zeit- und materialaufwändiger Rezyklierverfahren. Viele Experten sind daher pessimistisch und erhoffen die befriedigende Lösung erst von einem ganz neuen Speicherprinzip. Peter Eisenberger, der Vorsitzende des Komitees der Amerikanischen physikalischen Gesellschaft, meint dazu: "Das Speicherproblem ist immer noch ein potentieller Show-Stopper."

Bei der Entwicklung geeigneter Brennstoffzellen ist man - dem Urteil der amerikanischen Experten zufolge - bereits wesentlich weiter. Schließlich sind Brennstoffzellen seit Jahrzehnten in Raumfahrzeugen im Einsatz. Dort sind die Kosten allerdings nicht wirklich kritisch. Beim Einsatz in Kraftfahrzeugen ist das anders. Ein Verbrennungsmotor kostet pro Kilowatt erzeugter Kraft in den USA heute etwa 30 Dollar, Brennstoffzellen, deren Katalysatoren wertvolle Edelmetalle enthalten, etwa hundert Mal so viel. Zur Zeit scheinen sich keine Entwicklungstrends abzuzeichnen, die zur Verbilligung dieses Problems beitragen.

Die Frage der Versorgung

Damit wären wir beim letzten Punkt angelangt - der Versorgung der Endverbraucher. Sie ist eines der größten Probleme. Die Autokonzerne werden sicher keine Flotten von Wasserstoff-Fahrzeugen in die Welt setzen, solange unklar ist, wo die potentiellen Käufer Wasserstoff tanken können. Die Schweizer Energie-Experten Baldur Eliasson und Ulf Bossel haben anhand von Modellen abgeschätzt, was die Verteilung von Wasserstoff energetisch kosten würde. Geht man von einer zentralen Erzeugung von Wasserstoff aus, dann muss das komprimierte Gas in Tankern transportiert werden, und das ist wegen des großen Volumens energieaufwändig. Man braucht 21 Gas-Tanker, um so viel Energie zu transportieren wie mit einem einzigen Benzin-Tankwagen. Wenn ein Wasserstoff-Tankwagen 500 Kilometer weit fährt, dann schluckt er Energie im Ausmaß von 40 Prozent der Energie, die er transportiert.

Natürlich kann man daran denken, Wasserstoff in flüssigem Zustand durch Pipelines zu pumpen, aber auch das ist aufwändig. Man braucht alle 150 Kilometer eine Pumpstation, deren Kompressoren den Fluss aufrecht halten. Sie verbrauchen dazu 1,4 Prozent des Wasserstoffs, der sie durchströmt: Würde etwa in Nordafrika mit Sonnenenergie erzeugter Wasserstoff via Pipeline nach Europa gepumpt, würden nur 60 bis 70 Prozent davon ankommen.

Die führende amerikanische Wissenschaftszeitschrift "Science" kam daher bei ihrem jüngsten Versuch, die Nebel einer überbordenden "Wasserstoff-Rhetorik" zu durchdringen, zur Ansicht, dass Ernüchterung unvermeidlich sei. Zu vieles von dem, was kolportiert wird, ist einfach nicht genügend durchdacht. Es ist hier wie bei vielen zentralen Umweltthemen: das Ziel ist relativ klar, der Weg dorthin macht Probleme.

Auch wenn viele Fachleute der Ansicht sind, dass man (auf einem eben noch reichlich unklaren Weg) fast unvermeidlich bei einer von Wasserstoff-Technologie dominierten Energieversorgung landen müsse, so ist das ein langer und risikoreicher Übergang. Ernest Moniz, Physiker am MIT und einst für Energiefragen zuständiger Unterstaatssekretär, konstatiert diplomatisch: "Wir sind noch sehr, sehr weit entfernt von dem Punkt, an dem der Einsatz von Wasserstoff-Technologien einen nennenswerten Unterschied machen würde. Wir sollten von Jahrzehnten reden - und dabei meine ich nicht ein oder zwei Jahrzehnte." Was man jetzt braucht, sind produktive Ideen, um die Übergangsphase zu meistern, und schließlich sehr viel mehr Geld, als zur Zeit vorgesehen ist.

Literatur: Towards a Hydrogen Economy. In: Science, 13. August 2004, Seite 958 bis 976.

Freitag, 10. September 2004

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