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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Ein Gespräch mit dem Botaniker H. Walter Lack

Naturliebe und Gartenkunst

Von Robert Schediwy

Wiener Zeitung: Herr Professor Lack, Sie haben international beachtete Bücher wie den Prachtband über die von 1806 bis 1840 in Oxford herausgegebene "Flora Graeca" verfasst. Sie haben auch populäre Ausstellungen wie "Die Welt zum Frühstück" gestaltet. Kann die Botanik wieder so in Mode kommen, wie sie das im 18. und frühen 19. Jahrhundert war?

H. Walter Lack: Die Botanik kann gar nicht außer Mode kommen. Der Mensch ist ja eng mit ihr verbunden: Erstens, weil der gesamte Sauerstoff, ohne den tierisches und menschliches Leben unmöglich ist, ausschließlich aus Pflanzen stammt, zweitens, weil ein großer Teil der Nahrung des sesshaften Menschen pflanzlichen Ursprungs ist. Heute kommt hinzu das Interesse an den nicht heimischen Pflanzen, die allerdings bereits dem Prozess der "Veralltäglichung" unterliegen. Es geht da wie mit den Kartoffeln: Die ersten wurden als Arznei dem Papst geschenkt - und heute sind sie zum Rohstoff für gewöhnliche Pommes frites geworden. Auch Rosskastanien und Dahlien waren einst Prestigepflanzen und sind heute alltäglich geworden . . .

Freilich muss man sagen: Die spannendste Zeit der Botanik ist wahrscheinlich vorbei. Die faszinierenden Möglichkeiten, die Vielgestaltigkeit der pflanzlichen Welt zu entdecken, wie sie vom 16. zum 19. Jahrhundert bestanden haben, sind heute weitgehend ausgeschöpft. Manche haben zwar immer noch das Glück, in Neuguinea plötzlich eine zehn Meter hohe Palme zu sehen und festzustellen: Das ist ja eine noch unbekannte Art! Aber solche Erlebnisse sind sehr selten geworden. Man schätzt, dass nur mehr etwa 5 Prozent der Gefäßpflanzen unbeschrieben sind. Bei den Algen und Pilzen ist dieser Prozentsatz zwar wesentlich höher, aber mit dem Mikroskop eine neue Algenart zu entdecken und benennen zu können, ist vielleicht doch weniger motivierend als einer bisher unbekannten Orchideenart zu begegnen.

W. Z.: Diese Entdeckerfreude hat in vergangenen Jahrhunderten auch viele Laien motiviert . . .

Lack: Natürlich. Aber selbst die Entdeckungen von "Profis" wie des Botanikers John Sibthorp, des Begründers der "Flora Graeca", hatten etwas höchst Romantisches und Abenteuerliches. Seine zwei Reisen in die damals noch osmanische Levante mit seinem Freund John Hawkins waren auch so etwas wie eine "Grand Tour" wie sie damals unter reichen jungen Leuten üblich war. Es gab da ganz unglaubliche Vorkommnisse: Einmal sind die Reisenden auf einer Insel an Land gegangen, und dort sind die Toten in den Häusern gelegen. Da hat die Pest gewütet! Aber sie haben kaltblütig auch dort botanisiert. Selbst hoch fiebernd hat Sibthorp übrigens in Bulgarien das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Flieders entdeckt. Und Hawkins ist einmal einer Lady mit "fine black eyes" verfallen und auf ein paar Tage verschwunden. Hawkins war wahrscheinlich auch als Spion der britischen Admiralität unterwegs, die ja an den Befestigungen der Dardanellen hohes strategisches Interesse hatte.

W. Z.: Wir können hier die "Flora Graeca Story", die Sie anhand von Briefen, Zeichungen und Herbar-Exemplaren sowie Sibthorps Tagebuch dargestellt haben, nur antippen - aber es ist schon von besonderem Interesse, dass dabei der Österreicher Ferdinand Bauer einen so bedeutenden Anteil hatte.

Lack: Nur ein paar Worte: Die "Flora Graeca" ist ein monumentales Subskriptionswerk, das in nur 28 Exemplaren erschienen ist und vom Beginn der Forschungsarbeit bis zur Fertigstellung des zehnten Bandes 55 Jahre in Anspruch genommen hat. Ihr Initiator war der bereits erwähnte John Sibthorp, ein junger Botaniker aus Oxford, der 1785 nach Wien reiste, um hier den "Codex Vindobonensis" zu studieren, ein unschätzbar wertvolles illustriertes Manuskript aus den Jahren vor 512. Verfasser des Textes war Pedanios Dioscorides, wahrscheinlich ein Militärarzt der römischen Armee um das Jahr 60.

Sibthorp hat in Wien den berühmten Botaniker und Chemiker Nicolaus Joseph Jacquin getroffen, und der hat ihn wieder mit dem Pflanzenmaler Ferdinand Bauer (1760 bis 1826) bekannt gemacht. Bauer war zwei Jahre jünger als Sibthorp und war bereit, ihn als Zeichner 1786 bis 1788 auf seiner geplanten Griechenland-Expedition zu begleiten.

Die Arbeitsteilung war so: Sibthorp hat die Pflanzen gesammelt und Bauer hat sie gezeichnet. Nach der Rückkehr war Bauer dann in Oxford noch längere Zeit mit der Herstellung der Deckfarbenmalereien beschäftigt, Sibthorp hat 1794 bis 1795 eine zweite Reise unternommen, diesmal ohne seinen Illustrator. Kurz nach der Rückkehr ist Sibthorp - wahrscheinlich an Tuberkulose - 1796 gestorben. Er hat aber der Universität Oxford ein größeres Legat hinterlassen, unter der Bedingung, dass sie die "Flora Graeca" herausbringt. Das ist dann auch über Jahrzehnte hinweg geschehen und die Abbildungen Bauers wurden in Drucke umgesetzt.

W. Z.: Die Flora Graeca gilt heute als einer der schönsten und berühmtesten botanischen "Klassiker". Aber Ferdinand Bauer hat auch sonst Bemerkenswertes geleistet . . .

Lack: Er hat beispielsweise 1800 bis 1803 an der berühmten Flinders-Expedition nach Australien teilgenommen, und danach auf Norfolk Island, einer entlegenen Gefängnisinsel im Pazifischen Ozean, viele zuvor unbekannten Pflanzen entdeckt und gezeichnet. Später hat er dann in Hietzing ein Haus gekauft und an seinen Darstellungen von australischen Pflanzen weitergearbeitet - auf höchstem Niveau, bis zu seinem Tod. Bauer hatte aber auch zwei ältere Brüder, die ebenfalls Maler und bemerkenswert waren: Josef Anton (1756 bis 1831), hat sich zum Direktor der liechtensteinischen Galerie in Wien hochgearbeitet, und Franz Bauer (1758 bis 1840) hat überhaupt die eindrucksvollste Karriere gemacht. Er war Begleiter des jungen Joseph Franz Jacquin auf dessen "Grand Tour", hat dann in London ein märchenhaftes Angebot bekommen, eine sehr großzügige Leibrente, mit der einzigen Verpflichtung, ein Leben lang die Pflanzen des botanischen Gartens in Kew zu dokumentieren. Das hat er dann über 50 Jahre hin gemacht, auch mit dem Mikroskop. Sein Spitzname war "Mr. Microscope". Er ist hoch angesehen verstor-

ben und liegt im Friedhof von

St. Anne's Church in Kew bei London begraben.

W. Z.: Die unglaubliche Schönheit der alten, handkolorierten botanischen Publikationen fasziniert. Gegenwärtig haben wir ja Gelegenheit, noch bis Oktober im Prunksaal der Nationalbibliothek eine von Ihnen gestaltete Ausstellung zu sehen. Auch das Wiener Exemplar der "Flora Graeca" ist ausgestellt. Haben solche historische Kostbarkeiten aber auch einen aktuellen wissenschaftlichen Wert?

Lack: Selbstverständlich, wir gewinnen durch sie Aufschlüsse über Veränderungen der Flora bestimmter Regionen, wie sie sich etwa durch Trockenlegungen, Abholzung usw. ergeben haben.

W. Z.: Das Wirken des Menschen ist hier nicht nur segensreich . . .

Lack: Auch das belegen historische botanische Werke. In alten Publikationen über den seit jeher geschätzten Apfel finden wir etwa hunderte von Sorten abgebildet, die es heute nicht mehr gibt. Wir begegnen hier einem enormen Prozess genetischer Verarmung. Gottlob hat man die Gefahren dieser Entwicklung erkannt. Heute werden ja bereits mit großem Aufwand Expeditionen unternommen, um etwa die letzten Bestände von besonders kälte- oder salzresistenten Weizensorten zu sichern.

W. Z.: Sie sind Direktor am Botanischen Garten und Botanischen Museum der Freien Universität Berlin. Können Institutionen wie die Ihre eine Rolle bei der Erhaltung der bedrohten genetischen Vielfalt spielen?

Lack: In begrenztem Ausmaß. Wenn eine ganz seltene Pflanze in ihrem einzigen verbliebenen Areal akut bedroht ist, etwa durch einen Straßenbau, dann kann man sie schon einige Jahre in einem botanischen Garten in Obhut nehmen. Aber man sollte eine bedrohte Pflanzenart in ihrem natürlichen Lebensraum erhalten, und meistens schafft sie das auch, wenn der Mensch nicht allzu sehr hineinpfuscht.

W. Z.: Der Mensch, vor allem der Zivilisationsmensch, bewundert die Natur, aber er macht sie sich gerne untertan, möchte die Landschaft "verbessern", schöner, bunter und ertragreicher machen. Dabei scheint es allerdings nationale Unterschiede zu geben.

Lack: Das ist richtig, und man muss wohl sagen, England ist das Land der Gartenkunst. Auch anderwärts gibt es prachtvolle Gärten, etwa in Oberitalien, aber da ist die Liebe zur anspruchsvollen Gärtnerei stärker auf die "happy few" beschränkt. Auch in Großbritannien war die Liebe zur Botanik lange ein Privileg der Oberschicht. Die Herausgabe unglaublich teurer Werke wie der "Flora Graeca" - das British Museum hat damals erfolglos um ein Freiexemplar prozessiert - beweist das. Heutzutage aber ist die Liebe zur Natur und zur Gartenkunst in England stark demokratisiert. Auch kleinere private Gärten sind viel artenreicher als viele leider oft fantasielos bepflanzte Hausgärten Deutschlands und Österreichs, und die Berühmtheit Richard Attenboroughs, der einschlägige TV-Sendungen gestaltet, wäre auf dem Kontinent undenkbar.

W. Z.: Was sind Ihre aktuellen Publikations- und Ausstellungspläne?

Lack: Die gerade eröffnete Ausstellung im Botanischen Museum Berlin Dahlem heißt "Äpfel - Mythos, Eros, Wissenschaft". Das nächste Buch wird eine Biographie Franz Bauers, die 2003 in London erscheinen soll.

W. Z.: Zum Abschluss noch eine recht persönliche Frage: Wie kommt es, dass Sie trotz vieler Jahrzehnte in Berlin ihr gepflegtes Wiener Deutsch so unverfälscht erhalten haben?

Lack: In der akademischen Welt gibt es Gott sei Dank hinsichtlich der Intonation der Sprache keinen Anpassungsdruck. Aber einen kleinen Kompromiss musste ich doch akzeptieren: Ich sage, nach deutscher Art, nur mehr "die Akte". Der Akt ist nämlich in Deutschland ausschließlich die Darstellung des unbekleideten Menschen - und man würde, wenn man den österreichischen Sprachgebrauch beibehielte, stets amüsiertes Gelächter ernten . . .

Die Ausstellung "Ein Garten Eden. Botanische Meisterwerke der Österreichischen Nationalbibliothek" ist noch bis 31. Oktober im Prunksaal der Nationalbibliothek, 1010 Wien, Josefsplatz 1, zu sehen.

Unter dem gleichen Titel hat Walter Lack im Taschen-Verlag ein außerordentlich schönes Buch zur Ausstellung publiziert.

Der vom Benteli-Verlag im Jahre 2000 veröffentlichte Band "Ein Garten für die Ewigkeit. Der Codex Liechtenstein" ist sowohl in der deutschen wie in der englischen Ausgabe vergriffen.

Die bei Oxford University Press erschienene "Flora Graeca Story" ist - zum Preis von

750 Pfund - noch erhältlich.

Freitag, 07. September 2001

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