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Verblüffende Erkenntnisse über einen einzigartigen Staat

Atlantis lebt!

Von Christine Brügge

Es soll das Paradies gewesen sein. Eine Landschaft, wie der Schatzkammer Gottes entsprungen: Inseln, fruchtbar wie der Garten Eden. Umflutet von einem Klima, mild und warm wie eine weiche Sommerbrise. Hier gedieh alles. Die Ernte wurde zweimal im Jahr eingefahren. So reich, wie die Bodenschätze: Kupfer, Silber, Gold und Edelsteine. Mit denen die überirdisch schönen Häuser und Paläste zu wahren Prachtbauten verziert wurden. Fußböden aus Gold und Decken aus Elfenbein. Darin lebten Menschen in einer Atmosphäre der Liebe: Zehn Könige wachten über ihr Volk. Atlantis war der einzige Staat mit so vielen Königen, deren größtes Anliegen zudem noch die Gerechtigkeit war. Atlantis - versunkene Stadt der Geschichte. Und lebendiger Traum der Forscher. Noch immer suchen sie nach ihr - und sind dem Mythos nun ein Stück näher gerückt.

Lange Zeit galt Atlantis als reine Fantasie. Doch jetzt verdichten sich die Anzeichen, dass es die sagen- und meeresumwobene Insel tatsächlich gegeben hat, die vor etwa 11.500 Jahren einer Naturkatastrophe zum Opfer fiel, wie Platon (427 bis 347 v. Chr.) in seinen Aufzeichnungen schrieb. In zwei schicksalhaften Minuten soll sie in den Tiefen des Meeres verschwunden sein. Der Auslöser? Die Forscher wissen es nicht. Atlantis sei von einem gewaltigen Vulkanausbruch dahingerafft worden, sagen die einen. Oder von einer riesigen Flutwelle, sagen die anderen. Dritte glauben, ein Killer-Asteroid wäre auf die Insel gestürzt und habe sie dem Meeresboden gleich gemacht. Wo sie gelegen hat? Auch das ist ungeklärt. Das Inselkönigreich wurde bereits an über 30 Stellen vermutet. Vor den Azoren, Sri Lanka, Helgoland, im Kaukasus, in Schweden und sogar in der heutigen Wüste Sahara. Fast 30.000 Bücher wurden bisher mit den widersprüchlisten Theorien geschrieben.

Platons Aufzeichnungen immer wieder angezweifelt. Die auf Informationen basieren, die der griechische Philosoph durch einen seiner Vorfahren, den Staatsmann Solon, erhielt, der sie wiederum von einem ägyptischen Priester hörte. Wie groß ist also die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschreibungen fundiert sind? In einem langen Papyrustext, so lang wie 20 heutige Druckseiten, beschreibt Platon, wie die mit dem aristokratisch regierten Athen verfeindete Monarchie Atlantis aussah. Schwer zu überprüfen. Denn die atlantische Kultur, so glaubte man bisher, hinterließ nicht auch nur das geringste Anzeichen ihrer Existenz.

Moderner Forschungsstand

Doch neuste Ausgrabungen und Überlieferungen rekonstruieren nun den Alltag der Atlanter. Und diese Funde zeichnen das Bild einer Weltmacht, 400.000 km² groß, die bereits vor vielen tausend Jahren fortschrittlicher war als manch eines unserer heutigen Länder. Oberstes Gebot: Gerechtigkeit. Keine Folter, keine Gefangenen. Arbeit und Lohn für alle. Vieles von unserem heutigen Wissen scheint auf den atlantischen Kenntnissen zu basieren: Sie kultivierten Felder und pflasterten Straßen. Mehr noch: Sie benutzen Pflanzensamen als Treibstoff, besaßen Sternwarten und Waschmaschinen. Einfacher Gestalt zwar - aber immerhin. Werkzeuge wurden aus Messing und Metall gefertigt. Erstaunlich - denn für die Herstellung von Messing musste Zink in speziell konstruierten Brennöfen unter Luftabschluss mit Kupfer verbunden werden, so der Archäometallurge Ernst Pernicka der Universität Freiberg. Ein hochtechnisiertes Verfahren. Und auch sein Kollege Günther Garbrecht meint: "Wir haben die Vorzeit gänzlich unterschätzt." Es gab Restaurants, unterirdische Werften und Umleitungen ganzer Flüsse. Woher man das weiß? US-Wissenschaftler konnten in ägyptischen Grabkammern Malereien entziffern. Die weiterhin erzählen, dass die Pharaonen mit einer Insel Handel betrieben, deren Einwohner blond waren und deren Bauten sogar die Schönheit Pompejis übertrafen. Das muss Atlantis gewesen sein. Doch urplötzlich brach der Handel ab. Die Frage nach dem Warum bereitete den Forschern Kopfzerbrechen - bis es ihnen gelang, Hieroglyphen auf dem Schrein des Tutenchamun zu entziffern: "Diese Menschen verstießen gegen die Weltordnung. Und voller Zorn sandte ihnen Gott Re eine alles vernichtende Sintflut . . ." Von da an blieben ihre Malereien stumm: Das mysteriöse Reich tauchte nicht mehr auf.

Zur selben Zeit bauten die Menschen Europas einfache Lehmhütten und verwendeten simple Faustkeile. Doch "ganz plötzlich fand eine Kulturrevolution statt", sagt der US-Forscher Jon Ryan. Die architektonischen Künste glichen mit einem Mal einer Meisterleistung: "Die Häuser wurden mehrstöckig! So, als wenn die überlebenden Atlanter ihr Know-how in der neuen Heimat weitergaben." Verließen sie ihr Reich, bevor es für immer versank und setzten nach Europa über?

Oder waren sie gar Europäer? Geologen aus Hannover glauben, dass Atlantis eigentlich Troja war. So weist der Geo-Archäologe Eberhard Zangger eine Indizienkette vor, nach der Platons Atlantis und Homers Troja frappierende Ähnlichkeiten besitzen: Die für die Seefahrt wichtigen Winde, die Größe der Flotten, Quellen, Erzvorkommen und Landschaftsformen. Und die mächtigen Mauern, die die prunkvolle Stadt umgaben. Darin: Verwinkelte Gässchen, große Plätze, Hinterhöfe und ein emsiges Treiben auf den heimischen Märkten. Dass Troja reich wurde, verdankte es seiner Lage - niemand kam an ihm vorbei, denn es lag direkt am Dardanellen-Ausgang eines Meeresflaschenhalses. All das, so die Geologen, passt zu Atlantis. Zangger misstraut den Aufzeichnungen Platons, besonders der Zeitangabe - seiner Meinung nach, wurde Atlantis erst 1250 v. Chr. zerstört und zwar von den mykenischen Griechen. Die Forscher machen sich auf, die auf dem Meeresboden schlummernde Stadt zu finden: Mit einem BGR-Hubschrauber, der mit Suchsonden ausgestattet ist und kontinuirlich seine Kreise zieht. Magnetometer und Gammastrahlen-Detektoren sollen 100 m tief gelegene Hafenanlagen, Kanäle, Flussläufe und Gebäude aufspüren - falls diese vorhanden sind.

Für die Richtigkeit Platons geographischer Angaben sprechen jedoch weitaus mehr Anzeichen. Zum Einen stumme Zeugen, die nahe des Azorenplateaus einfach nur ihre Runden ziehen - das allerdings höchst kompliziert: Aale kommen in der Sargassosee zur Welt, schwimmen zum Golfstrom und treiben Richtung Westeuropa. Dort teilen sie sich auf: Die männlichen Jungaale bleiben im Salzwasser, während sich die Jungweibchen ins europäische Süßwasser begeben, um dort geschlechtsreif zu werden.

Nach fünf Jahren treffen sie sich an den Flussmündungen wieder und schwimmen zurück zur Sargassosee. Es folgen Hochzeit und Vermehrung. Dieses Ritual wirft bei den Forschern drei Fragen auf: Erstens: Warum treten sie diese riskante Reise zweimal an? Zweitens: Weshalb schwimmen die Aalweibchen nicht einfach ins näher gelegene Süßwassergebiet von Westindien? Und drittens fließt der Golfstrom nicht zurück. Die Hochzeitswilligen kämpfen also permanent gegen die Strömung an. Wieso nehmen sie solch eine schwierige Rückreise in Kauf? Eine schlüssige Erklärung, die mit Platons Aufzeichnungen übereinstimmt: Hätte Atlantis auf dem Azorenplateau gelegen und dem Golfstrom den Weg abgesperrt, dann wäre dieser zurückgelenkt worden. Die Aalweibchen hätten sich von der Wasserströmung bequem an die nahe gelegenen Flüsse von Atlantis und zurücktragen lassen können. Ein perfekter und kurzer Kreislauf, dessen Nutzung Sinn macht. Dadurch, dass die Insel nicht mehr existiert, zieht der Golfstrom die Aale nun ins ferne Europa. Und: Auf der Golfstrom-Sperrinsel müsste dann das Klima geherrscht haben, das die US-Wissenschaftler beschreiben. In Europa jedoch wäre es bitterkalt gewesen - was es vor zirka 11.500 Jahren tatsächlich war.

So weit, so gut. Doch nun stellen sich die nächsten Fragen: Warum passen sich die Aale nicht den veränderten Gegebenheiten des Meeres an? Sind sie evolutionäre Blindgänger, die notorisch einem Wasserlauf folgen, selbst wenn ein anderer in jeder Hinsicht komfortabler wäre? Welchen Sinn könnte ihre Schwerstarbeit haben? Und sind die Vögel, die über der Stelle kreisen, an der Atlantis Teil des Meeres wurde, ebenfalls von einer Wahnvorstellung besessen? Warum suchen sie mitten im Wasser nach Land, das es nicht gibt? Trotz dieser offenen Fragen stellt die Theorie der Sperrinsel Atlantis eine schlüssige Erklärung dar.

Zum anderen untermauert der Sprachforscher Charles Berlitz Platons Ortsangabe, indem er Sprachähnlichkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks anführt. Amerikanische Sagen berichten des weiteren von einem fruchtbaren Land im östlichen Meer, afrikanische und europäische von einem Land der Seligkeit im Westen. Treffpunkt beider Überlieferungen: das Azorenplateau. Platons Heimat von Atlantis. Ob es sich bei den altertümlichen Geschichten um einen Ausdruck menschlicher Begierde nach dem irdischen Paradies handelt oder um fundierte Belege, bleibt vorerst Zankapfel der Wissenschaft.

Allerdings fügt sich ein weiteres Forschungsergebnis zu den zwei Beobachtungen: Bei Reparaturarbeiten des Transatlantikkabels wurde ein Tachlyt entdeckt, ein Felsbrocken, geborgen aus den Tiefen des Meeres. Untersuchungen zeigen, dass der Meeresboden an seinem Fundort insgesamt von Lava bedeckt ist und der Tachlyt vulkanischer Herkunft sein muss. Zudem ist der Brocken an freier Luft erstarrt und nicht in Gewässer. Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Nur ein überseeischer Vulkan kann ihn ausgeworfen haben. Und zwar dort, wo Platon Atlantis vermutete. Weiterhin lässt sich durch die Konturen und Strukturen des Brockens ein ungefähres Entstehungsdatum errechnen, das mit Platons Zeitangabe übereinstimmt. Mechanische Kräfte geben weitere Hinweise: Abtragungen der Küste durch Brandungen und Erosionen. Sie zeigen an, ob ehemalige Landstücke schnell oder langsam ins Meer glitten. Das Ergebnis der Forscher: Atlantis ist rasend schnell versunken, falls es sich bei den geologischen Funden um Überreste des historischen Inselreiches handelt. Denn der Brocken Atlantis besitzt buchstäblich Ecken und Kanten.

Stimmt Platons Theorie?

Charles Darwin und Alexander von Humboldt, die Platon von Anfang an Glauben schenkten, finden Nachfolger. Und warum sollte sich der griechische Philosoph, der die Dichtkunst sogar hasste, ein Märchen erschwelgt haben, das seinen Ruhm profund hätte beeinträchtigen können? An wissenschaftlichen Belegen war ihm gelegen, so unglaubwürdig sie zunächst auch klingen mögen.

Hätte der Mensch nicht zwischendurch entdeckt, dass die Erde wirklich rund ist, würden Wissenschaftler Platon auch heute noch als schwatzhafte Märchentante verspotten - er war der Erste, der behauptete, die Erde sei rund. Und: Forscher der Universität Braunschweig legten im Orient Bauten frei, die dem atlantischen Erfindergeist keineswegs nachstehen. In Ägypten, Babylonien und Mykene stießen Archäologen auf Zeugen aus Stein und Metall, die lange vor der Zeit Platons erschaffen wurden. Offensichtlich besaßen die Menschen der Bronzezeit ungeahnte Fähigkeiten in der Metallverarbeitung.

Die Wissenschaft ist nun vorsichtiger geworden, bei der Beurteilung der platonschen Papyrusschrift. Auch der Hildesheimer Archäologe Edgar Pusch mag sie nicht mehr als verträumte Fiktion abtun, seit er den Zentralpalast des Gottkönigs des Nil entdeckte - mit Fußböden aus Gold. Die Methode, mit der die atlantischen Bauten verziert gewesen sein sollen, kommt der ägyptischen, die der verblüffte Archäologe entdeckte, mehr als nahe: Gold, so fein gerieben, dass es Puderstaub ähnelt, vermischt mit Kalk. Platon sprach von einem salbölartigen Brei, Pusch analysierte Pasten. Zwei Bezeichnungen für ein und dasselbe oder ein ähnliches Verfahren.

Viele Puzzelteilchen fügen sich so zu einem Bild, auf dem das mystische Inselkönigreich allmählich sichtbar wird. Weshalb es versank und was an jenem schicksalhaften Tag wirklich geschah, an dem es auf den Boden des Meeres geschleudert wurde, wird zunächst noch ungeklärt bleiben. Doch durch ägyptische Hieroglyphen und Malereien, scheinbar umherirrende Vögel und Aale, Felsbrocken und Metall erhebt es sich zumindest ansatzweise aus dem rätselhaften Dunkel der Vergangenheit in das begierige Licht der Aufklärung.

Das Königreich des frühen Fortschritts beflügelt die Menschheit immer wieder und treibt die Forscher zu immer neuen Expeditionen an. Atlantis - versunken zwar, doch lebendig bis heute. Und sei es nur als kollektiver Wunsch nach einem wirklichen Paradies.

Freitag, 22. September 2000

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