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Eine juck- und tränenfreie Betrachtung des kleinen Naturwunders

Reizende Pollen

Von Martina Weber

Pollen im Anflug, "Die Pollen werden immer aggressiver", "Wenn die Natur zum Feind wird" - das sind die alljährlich wiederkehrenden, bedrohlichen Schlagzeilen im Frühling. Solche Schlagzeilen werfen aber nur ein sehr einseitiges Licht auf eine faszinierende Welt im Mikrokosmos. Die Pollenkörner, in ihrer Gesamtheit Blütenstaub oder der Pollen genannt (die Pollen ist in der Einzahl sprachlich unrichtig), sind weit mehr als nur Auslöser für Heuschnupfen, Asthma und Hautausschläge.

Palynologie (griech. palynein = ausstreuen) ist die Wissenschaft, die sich mit Pollen und Sporen beschäftigt. Ihre Geschichte reicht zurück bis ins 17. Jahrhundert und ist eng mit der Erfindung der Mikroskopie verknüpft. MALPIGHI (1628 bis 1694) war der Erste, der - noch vor der Entwicklung des ersten Lichtmikroskops - Pollenkörner nach Größe und Farbe unterschied. Die ersten Illustrationen von Pollenkörnern nach lichtmikroskopischen Beobachtungen stammen von F. A. BAUER (1758 bis 1840), einem der berühmtesten Pflanzenmaler (ein gebürtiger Österreicher). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren alle wesentlichen Merkmale, zumindest die der Pollenwand, in ihren Grundzügen bekannt. Einen wahren Forschungsboom löste jedoch die Erfindung des ersten Transmissionselektronenmikroskops durch Ernst RUSKA und Max KNOLL 1933, sowie die Einführung kommerzieller Rasterelektronenmikroskope seit Mitte der 60er-Jahre aus. Durch diese neuen Techniken erlangten Palynologen viele neue und faszinierende Einblicke in die Welt des Pollenkorns.

Pollen und Fortpflanzung

Die sexuelle Fortpflanzung der Samenpflanzen umfasst eine Reihe komplizierter, fein abgestimmter Prozesse, die die Befruchtung einer Eizelle mit einer Spermazelle, und somit die Entstehung eines neuen Embryos zum Ziel haben. In diesem Lebenszyklus kommt dabei dem Pollenkorn, als Entstehungsort und Transportmedium der männlichen Erbinformation, eine ganz entscheidende Rolle zu. Gebildet werden die Pollenkörner innerhalb der Blüte in den Pollensäcken der Staubblätter. Sie entstehen aus den Pollenmutterzellen nach vorangegangener Meiose (Reduktionsteilung, wobei der doppelte Chromosomensatz auf die Hälfte reduziert und Erbinformation neu kombiniert wird). Nach wenigen Kern- bzw. Zellteilungen werden in ihrem Inneren die männlichen Gameten in Form von 2 unbegeißelten Spermazellen gebildet. Nur noch bei wenigen Samenpflanzen, wie z. B. beim Gingko-Baum (Gingko biloba), gibt es begeißelte Spermatozoide (Spermien), die zu den größten im Tier- und Pflanzenreich gehören.

Bestäubung nennt man den Vorgang, bei dem die Pollenkörner, mit den darin befindlichen Spermazellen, nun zu den weiblichen Blütenteilen (Narbe, Griffel, Fruchtknoten mit Samenanlagen und Eizelle) transportiert werden. Das geschieht entweder durch Wind, Wasser oder verschiedene Tiere (Insekten, Vögel, Säugetiere). Deponiert werden die Pollenkörner in der Regel auf der Narbe oder einer funktionell vergleichbaren Struktur, wo sie unter Ausbildung eines Pollenschlauches keimen. Der Pollenschlauch gehört mit zu den erstaunlichsten Zelltypen, die die Natur hervorgebracht hat. Einzigartig ist, dass es sich dabei um eine Zelle handelt, die an ihrem vorderen Ende unermüdlich wächst, während sie gleichzeitig am hinteren Ende abstirbt. Im Pollenschlauch werden die Spermazellen bis zur Eizelle herangeführt, wo schließlich die Verschmelzung zwischen Ei- und Spermakern stattfindet. Dieser Verschmelzungsprozess heißt Befruchtung. Umgangssprachlich werden Bestäubung und Befruchtung meist gleich gesetzt, was biologisch allerdings nicht korrekt ist.

Pflanzenembryos sind aber nicht immer ein Produkt der sexuellen Fortpflanzung. Junge Pollenkörner (Mikrosporen) besitzen nämlich eine Eigenschaft, die sie zu höchst interessanten Objekten für Pflanzengenetiker und -züchter machen. Vor mehr als 30 Jahren entdeckten Forscher aus Indien und Frankreich die Totipotenz der Mikrosporen. Als solche besitzen sie die Fähigkeit, zu vollständigen, allerdings haploiden (mit einfachem Chromosomensatz ausgestatteten), Pflanzen zu regenerieren. Dieser Prozess, die Androgenese, kann dadurch ausgelöst werden, dass die Mikrosporen einem Stressfaktor, wie z. B. Hitze, ausgesetzt werden, wodurch die Embryogenese eingeleitet wird. Eine der ersten Pflanzen, die aus einem jungen Pollenkorn regeneriert wurde, war die Tabakpflanze (Nicotiana tabacum).

Die Zahl der Pollenkörner, die pro Blühperiode gebildet werden, ist je nach Pflanzenart sehr verschieden. Besonders pollenreich sind windblütige (anemophile) Pflanzen. So produziert z. B. ein einziger Ast einer zehnjährigen Kiefer (Pinus sylvestris) bis zu 350 Millionen Pollenkörner. Ein gleich großer Ast der insektenblütigen (zoophilen) Linde (Tilia) hingegen nur 100 Millionen. Ebenso wie die Zahl der Pollenkörner variiert auch ihre Größe sehr stark. Zu den größten Pollenkörnern mit über 200 µm (1.000 µm sind 1 Millimeter, und ein Millimeter ist der ungefähre Durchmesser einer Stecknadelspitze) gehören die vom Kürbis (Cucurbita pepo), zu den kleinsten mit nur 5 µm Länge die vom Vergissmeinnicht (Myosotis).

Leisten, Warzen, Stacheln

Pollenkörner sind beim Transport durch Wind, Wasser oder Tiere zu den weiblichen Blütenorganen oft längere Zeit schädigenden Umwelteinflüssen (UV-Strahlung, Luftsauerstoff, Ozon) ausgesetzt. Schutz bietet dabei die als Sporoderm bezeichnete Pollenwand, die sich aus einer äußeren Exine und einer inneren Intine zusammensetzt. Besonders die Exine ist oftmals kompliziert gebaut und zeigt eine enorme Vielfalt an Strukturen und Mustern. Diese Vielfalt steht oft in einem Zusammenhang mit der Anpassung an verschiedene Bestäubungsformen. So sind Pollenkörner windblütiger Pflanzen, z. B. die der Gräser, in der Regel glatt. Hingegen sind Pollenkörner von tierblütigen Pflanzen, wie dem Huflattich (Tussilago farfara), mit besonderen Oberflächenstrukturen, wie Leisten, Warzen oder Stacheln ausgestattet. Diese Exinemerkmale sind häufig gattungs- manchmal sogar artspezifisch und somit ein wichtiges diagnostisches Merkmal zur Pollenidentifizierung. Sie stellen deshalb auch ein sehr brauchbares Instrument zur Erforschung der Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb bestimmter Pflanzengruppen dar.

Die äußere Pollenwand (Exine) ist aber auch ein Musterbeispiel an Stabilität und Widerstandsfähigkeit. Aufgebaut ist die Exine aus Sporopollenin, einer Stoffklasse, deren chemische Struktur bis heute ein Mysterium ist. Faktum ist, dass Sporopollenin die resistenteste, in der Natur vorkommende organische Verbindung ist. Kochen in Flusssäure oder in einem Gemisch aus Essigsäureanhydrid und Schwefelsäure, einer Standardmethode der Palynologie zur Reinigung der Pollenoberfläche (Acetolyse), übersteht dieses Biopolymer schadlos. Zerstörbar ist es nur durch starke Oxidantien wie Wasserstoffperoxid oder exzessive Ozonbehandlung. Neueste Untersuchungen von R. WIERMANN (Universität Münster) haben gezeigt, dass langkettige Fettsäuren und Phenole am Aufbau beteiligt sind. Dieser Widerstandsfähigkeit des Sporopollenins verdanken wir es unter anderem auch, dass Jahrmillionen alte Pollenkörner nahezu unzerstört aus Gesteinsschichten isoliert - und damit Florengeschichte und Klimaveränderungen vergangener Erdzeitalter rekonstruiert werden können.

Pollenkörner sind nicht nur für Bienen und andere blütenbesuchende Tiere (Bestäuber) eine wertvolle Nahrungsquelle, sondern, so man der einschlägigen Literatur glaubt, auch für den Menschen. So wurden in Pollen Proteine, Vitamine (B1, B2, B6, B5, B3, C, H, E), Kohlenhydrate und Mineralstoffe (Fe, Cu, K, Na, Mg, Ca, Si) nachgewiesen. Die Angaben über die Wirkung von Pollenpräparaten (zu kaufen als Pollenpulver oder in Kapselform) reichen von verbessertem Haarwuchs, über Hilfe bei Darmbeschwerden bis zur Belebung der Psyche.

Pollen als Detektive

Die Anwendungsmöglichkeiten palynologischer Kenntnisse sind vielfältig. Nicht nur die Botanik (Systematik, Evolutionsforschung, Arealkunde) bedient sich der diagnostischen Merkmale der Pollenkörner, sondern auch eine Reihe anderer Forschungszweige. Genannt seien die Paläopalynologie (Paläobotanik, Paläoklimatologie, Geologie, Bergbau, Kohle- und Erdölindustrie), die Kryopalynologie (Gletscherpollenforschung), die Tephropalynologie (Datierung von Vulkanausbrüchen) oder die Kopropalynologie (Rekonstruktion der Nahrung früherer Lebebewesen). Die Melitopalynologie verwendet den Pollen, um Herkunft und Sortenreinheit des Honigs zu bestimmen, da Pollen im Honig ausgezeichnet konserviert bleibt und jede Honigsorte ein charakteristisches Pollenbild zeigt.

Zu den ältesten Anwendungsgebieten der Pollenmorphologie zählt die Drogenechtheitsuntersuchung in der Pharmakologie (Pharmakopalynologie). Zum Beispiel ist die Verfälschung von Safran (Crocus sativus) durch Zungenblüten von Calendula officinalis wegen des auffälligen "Stachelpollen" von Korbblütlern, wie Calendula, sehr leicht nachzuweisen. Auch die Kriminologie bedient sich der Pollen bei der Spurenfindung von Verbrechen (Forensische Palynologie). Und schließlich sagen uns Iatropalynologie (Pollenallergieforschung) und Aeropalynologie (Pollen- und Sporenzusammensetzung der Luft) warum welcher Pollen um welche Jahreszeit vielen Menschen das Leben erschwert.

Die Abteilung für Ultrastrukturforschung und Palynologie am Institut für Botanik, Universität Wien, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit verschiedensten Aspekten der Morphologie und Entwicklungsgeschichte von Pollen. Um die zahlreichen Daten auch anderen Interessenten zugänglich zu machen, wurde im Zuge eines, von der Oesterreichischen Nationalbank geförderten Projekts, die palynologische Datenbank "PalDat" entwickelt. In dieser Datenbank wird der Pollen jeder aufgenommenen Pflanzenart durch 35 Merkmale charakterisiert und mit Fotos umfangreich dokumentiert. "PalDat" umfasst derzeit mehr als 170 Pflanzenarten aus über 140 Gattungen und wird kontinuierlich erweitert.

Für Interessenten gibt es ab sofort unter der Adresse http://paldat.botanik.univie.ac.at/ via Internet einen kostenlosen Zugriff auf diese Datenbank.

Martina Weber ist Professorin für Botanik an der Universität Wien. E-Mail: martina.weber@univie.ac.at

Freitag, 19. Mai 2000

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