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Bei gedämpftem Licht

In der TU Wien begann eine Serie von „Streitgesprächen"

Von Hermann Schlösser

Der Festsaal der TU Wien war kaum erleuchtet, aber gut gefüllt, als in der vergangenen Woche zu einem „Streitgespräch" geladen wurde. Das Thema hieß „Sind die
Geisteswissenschaften Wissenschaften zweiter Klasse?", der rege Besuch war erfreulich, und die Beleuchtung Programm: Dass man „bei gedämpftem Licht" streiten wolle, war auf der Einladung ausdrücklich
angekündigt worden.

Nicht alle Diskussionsteilnehmer waren mit dieser vorsätzlichen Dämpfung zufrieden. Werner Welzig, Germanist und Präsident der Akademie der Wissenschaften, forderte in seinem ersten Redebeitrag
Helligkeit und polemisierte zugleich gegen die Fragestellung des Abends. Sie schien ihm nämlich geradeso unerleuchtet zu sein wie der Saal: Was man in der TU unter „Wissenschaften zweiter Klasse"
verstehe, fragte er nach.

Peter Skalicky, Rektor der TU Wien, antwortete: Man sei auf die Frage verfallen, weil sich in den Geisteswissenschaften neuerdings ein sehr leichtfertiger Umgang mit der wissenschaftlichen
Terminologie einzubürgern scheine. Skalicky berief sich in seiner Kritik auf das viel diskutierte Buch „Eleganter Unsinn", in dem der Physiker Alan Sokal der „postmodernen" Theorie einen
konsequent unpräzisen Gebrauch naturwissenschaftlicher Termini nachgewiesen hat. Provokant fragte der Rektor der TU: „Tolerieren die Geisteswissenschafter solchen Unsinn?"

Wie anders hätte die Antwort lauten können als „nein"? Welzig räumte wohl ein, dass die Geistewissenschaften hie und da „schwatzgefährdet" seien, doch ändere das nichts daran, dass die Philologie,
die er vertrete, genau so exakt und sorgfältig arbeite wie die Naturwissenschaften. Der Historiker Helmut Konrad hingegen ließ sich auf Skalickys Kritik gar nicht ein, sondern behauptete schlankweg:
„Eine Postmoderne gibt's nicht." Das erinnerte ein wenig an den guten alten Kottan („Inspektor gibt's kaan."), und man darf angesichts der Fülle von internationaler Literatur bezweifeln, dass das
Thema „postmoderne Philosophie" damit ein für allemal erledigt ist. Für das Streitgespräch in der vergangenen Woche aber war es damit vom Tisch, und die Frage, ob die Geisteswissenschaft zweitklassig
sei, verlor ebenfalls zunehmend an Brisanz.

Das freilich war kein Schaden. Denn an die Stelle der Rangzuweisung trat in der Diskussion immer mehr die Auslotung der Unterschiede und der Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Spielarten der
Wissenschaft: Peter Weinberger, Physiker an der TU, stellte unter anderem dar, dass die Naturwissenschaft von vorgegebenen „Objekten" ausgehe, während die Geisteswissenschaften ihre Gegenstände erst
durch eine bestimmte Art der Betrachtung hervorbringe. Zum anderen betonte Weinberger, ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Fakultäten bestehe in der verschiedenartigen Verwertbarkeit:
Während naturwissenschaftliche Forschung niemals losgelöst von einem · zumindest potenziellen · Nutzen durchgeführt werde, sei die unmittelbare Verwertbarkeit der Geisteswissenschaften sehr viel
schwerer zu erweisen.

Dem widersprachen die beiden Geisteswissenschaftler nicht direkt, doch versuchten beide, einen möglichen gesellschaftlichen Nutzen ihres Tuns zu benennen. Helmut Konrad erwartete von der
Geschichtswissenschaft Aufschlüsse darüber, warum sich bestimmte Lebensformen und Verhaltensweisen so und nicht anders entwickelt haben. Auch hegte er keinen Zweifel daran, dass die Gesellschaft an
solchen Aufschlüssen ein genuines Interesse habe.

Welzig malte von der Zukunft der Geisteswissenschaften ein eher düsteres Bild. Allerdings wies er die Schuld daran den Geisteswissenschaftlern selbst zu: Wer nicht mehr den Mut hätte, der
allgemeinen Verrohung und Verarmung der öffentlichen Rede entgegenzutreten, verlöre jedes Recht auf Einfluss in der Gesellschaft. Wenn, so Welzigs aktuelles Beispiel, ein Justizminister öffentlich
mit amourösen Studentenabenteuern renommiere, sei es die Pflicht des Philologen, aufzustehen und zu sagen: „Ein Mann, der so spricht, hat zu verschwinden."

Der Germanist beanspruchte also für sich und seinen Berufsstand eine Art Wächteramt. Der Historiker Konrad und der Physiker Weinberger teilten diesen hohen Anspruch nicht ganz. Konrad meinte zwar
ebenfalls, dass Geisteswissenschaftler Stellung beziehen müssten · er führte als Beispiel die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte an · doch betonte er zugleich, dass die Erkenntnis von Ursachen
und Wirkungen allemal wichtiger sei als jede Verurteilung oder Parteinahme. Peter Weinberger gestand schließlich, dass er vor allzu eindeutigen ethischen Forderungen zurückschrecke. Anstelle der
normativen Frage: „Was ist gut, was schlecht?" wollte er die Frage setzen: „Was ist für eine Gesellschaft erträglich, was nicht?" Diese Frage bewahre den Wissenschaftler vor allzu rigorosen
Äußerungen, denn bei ihrer Beantwortung werde man erkennen, dass sich die Erträglichkeitsgrenze im Lauf der Geschichte ständig wandle.

Diese vorsichtige Relativierung entsprach dem gedämpften Licht der Veranstaltung, die trotz einiger scharfer Töne friedvoller verlief, als die gestellte Frage erwarten ließ. Die Veranstaltungsreihe,
die übrigens auch von der „Wiener Zeitung" unterstützt wird, wird während des kommenden Sommersemesters in zwangloser Folge fortgesetzt.

Freitag, 10. März 2000

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