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Mozart für Labormäuse

Die Hirnforschung hat eine neue Streitfrage: Macht das Hören der Sonate in D-Dur intelligent?
Von Peter Markl

Natürlich ist die Vorstellung nicht ohne Reiz: Wer Mozart hört, kann das nicht nur genießen, er wird auch intelligenter. Jedenfalls behaupteten das Gordon Shaw von
der Universität von Kalifornien und Frances Rauscher, heute an der Universität Wisconsin, in einer Arbeit, die vor nunmehr sechs Jahren veröffentlicht wurde.

Sie machten damit nicht nur Schlagzeilen: Im Internet Bookshop „Amazon.com" kam daraufhin eine CD mit dem verheißungsvollen Titel: „Musik für den Mozarteffekt. Band 1 · Stärken Sie ihren Geist" unter
die Top Ten der klassischen Musik. Mittlerweile hat die Skepsis, die an allen zu sehr rührenden Ideen nagt, auch vor dieser Vorstellung nicht halt gemacht. Ein Chor von Nörglern rezitierte die Frage,
welche skeptischen Wissenschaftlern schon bei der ersten Veröffentlichung unabweisbar schien: Wieso soll das Anhören von Mozarts Sonate für zwei Klaviere in D-Dur, KV 448, · übrigens in der
wunderbaren Aufnahme von Murray Perahia und Radu Lupu · nicht nur das räumliche Vorstellungsvermögen von Menschen verbessern, sondern auch Ratten den Weg durch ein Labyrinth schneller finden lassen?

Auch nur halbwegs kritischen Naturwissenschaftlern scheint schon das Problem so schlecht formuliert, dass es kaum in eine empirisch prüfbare Form zu bringen ist. Zu viele hierarchische Ebenen mit
ihren spezifischen Eigenschaften werden da übersprungen! Wie sollte eine befriedigende Erklärung aussehen, welche die Kluft zwischen einer mit Mozart traktierten Ratte zu Mozart hörenden Menschen
überbrücken kann?

Schwingungen im Hirn

Natürlich kann man immer Versuche arrangieren, bei denen Mozart-Hörer in Konkurrenz zu nicht beschallten Versuchspersonen Papier räumlich zu falten versuchen oder Gruppen von Ratten, die eine
begleitet von Mozarts Sonate, andere beschallt mit weißem Rauschen oder in vollkommener Stille · und versuchsbedingt hungrig · den Weg durchs Labyrinth suchen und dann die Resultate solcher Versuche
vergleichen.

Schon die Vorgeschichte dieser Versuche mutet etwas naiv an. Vor nun schon mehr als zehn Jahren versuchte der Neurobiologe Gordon Shaw die Aktivität des Gehirns auf einem Computer zu simulieren.
Dabei entdeckte er die nicht weiter verwunderliche Tatsache, dass die Art der Verbindung der (simulierten) Nervenzellen untereinander dazu führt, dass sich auf einen bestimmten Input hin ganz
bestimmte räumliche Erregungsmuster von Nervenzellen formten, deren Aktivität sich in bestimmten zeitlichen Rhythmen änderte. Gordon Shaw hatte dann die vage Idee, dass solche natürlichen Muster so
etwas wie eine grundlegende Grammatik mentaler Aktivität sein könnten.

Im Jahr 1988, als er mit Xiaodan Leng, einem seiner Mitarbeiter, über die Deutung der erzeugten Erregungsmuster und Rhythmen nachdachte, kam ihnen die Idee, dass man ja einmal versuchen könnte, diese
rhythmischen Erregungsmuster nicht nur vom Computer ausdrucken zu lassen, sondern direkt in Klang umzusetzen. Der Effekt war überraschend: Was da zu hören war, klang irgendwie nach Barock · oder war
es nicht doch New Age oder irgendwas in Richtung fernöstlicher Musik? Immerhin: eine rhythmische Änderung der Aktivität von Nervenzellen ist ja die bislang beste Erklärung für das so genannte
„Bindungsproblem". Man weiß heute, dass die von den Sinnesorganen erzeugten Signale im Hirn auch in räumlich weit voneinander liegenden Neuronen gespeichert werden können. So werden die optischen
Signale, die über einen bestimmten Gegenstand informieren, im Hirn nicht etwa nur in benachbarten Neuronen niedergelegt, sondern in weiter entfernten Gruppen von Neuronen, welche jeweils nur einen
Aspekt des Gegenstands „abbilden": zum Beispiel seine Form, Farbe oder seine Lage im Raum. Was man wahrnimmt, ist jedoch ein Bild des Gegenstandes in allen seinen Aspekten. Es muss also irgendeinen
Mechanismus geben, der alle diese Aspekte wieder zu einem Ganzen zusammen bindet.

Man nimmt heute an, dass diese „Bindung" durch synchrones Feuern der Neuronen aus zusammengehörenden Neuronennetzwerken erreicht wird: Neuronen, die zu genau derselben Zeit Signale abfeuern,
verstärken einander in ihrer Wirkung. Wolf Singer und Charles Gray vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt haben 1989 im visuellen Cortex von Katzen Oszillationen der
Neutronenaktivität mit einer Frequenz von 35 bis 75 Hertz aufgespürt, welche anscheinend mit dem Bindungsmechanismus zu tun haben.

Die Vorstellung, dass Oszillationen in der Aktivität von Neuronennetzen eine biologisch wichtige Funktion haben, war also schon in den frühen achtziger Jahren im Zentrum vieler Diskussionen. Und das
brachte Gordon Shaw auf die Idee, ob es umgekehrt nicht auch möglich sei, durch Musik solche Oszillationen hervorzurufen?

Vielleicht konnte man auf diesem Weg etwas über die „Grammatik mentaler Aktivitäten", die Gray in diesem Oszillationen vermutete, herausfinden. Neuronale Aktivität, hervorgerufen durch Musikhören,
könnte vielleicht eine Art Training für das Hirn sein.

Hilft Mozart wirklich?

Um das zu testen, adaptierte das kalifornische Team einen bekannten Intelligenztest, bei dem es um die Fähigkeit geht, sich räumliche Strukturen vorzustellen: 79 Studenten sollten versuchen,
welche Form ein Stück Papier haben würde, wenn es in einer ganz bestimmten Art gefaltet und dann wie ein Scherenschnitt bearbeitet wurde. Nach dem ersten Durchgang des Tests genehmigte man vor dem
zweiten Durchgang einer Gruppe der Studenten zehn Minuten Stille. Eine zweite Gruppe hörte Mozarts Klaviersonate, während man eine dritte Gruppe mit minimalistischer, repetitiver Musik oder „weißem
Rauschen" vom Band traktierte. Ergebnis beim darauf folgenden zweiten Durchgang des Tests: Die „Mozartgruppe" konnte 62 Prozent mehr Strukturen vorhersagen als im ersten Durchgang; auch Stille half,
allerdings bewirkte sie nur eine Steigerung der Trefferquote um 14 Prozent, immerhin etwas mehr als die Steigerung von 11 Prozent, welche minimalistische Musik zu verursachen schien.

Dieses Resultat war unerwartet und warf so viele Fragen auf, dass andere Gruppen sofort darangingen, die Versuche zu wiederholen. Die Zweifel schienen dabei anfangs bestätigt zu werden.

Kenneth Steele, Psychologe an der Universität von North Carolina, testete 125 Personen, ohne einen Effekt von Mozart aufspüren zu können: Seine Versuchspersonen kamen weder als Gruppe noch einzeln
besser weg, wenn sie die Pause mit Mozart füllten. Ähnliche Experimente folgten. Als die Publizität eine irritierende Größe erreicht hatte, begann man sich auch an der Harvard-Universität mit dem
Mozart-Effekt zu beschäftigen · nicht allzu intensiv, aber immerhin so weit, dass man sich die bisherigen Veröffentlichungen einmal kritisch ansah. Christopher Chabris sichtete dazu 16 Studien über
die Leistungssteigerungen von 714 Versuchpersonen und kam zum Schluss, dass Mozart · wie er erwartet hatte · nichts half. Er schlug eine nahe liegende Erklärung vor. Mozart, so viel gestand er zu,
hätte vielleicht einen indirekten Effekt: Manche Leute werden durch schöne Musik angeregt und angeregte Menschen schneiden bei solchen Experimenten eben leicht besser ab.

Seiner Harvard-Kollegin Lois Hetland · anfangs in Bezug auf den Mozart-Effekt eine Agnostikerin · schien das jedoch vorschnell. Sie machte darauf aufmerksam, dass Chabris Mozart nur gegen Stille
hatte antreten lassen, ein Fehler, den sie in einer umfassenderen Studie behob: darin waren nun alle bislang vorliegenden Studien berücksichtigt, so dass die Resultate von 1014 Versuchspersonen
ausgewertet werden konnten. Und siehe da: Jetzt schnitten die Mozart-Hörer geringfügig besser ab als die anderen. Das war zwar nur ein kleiner Effekt, viel kleiner als das, was Shaw und Rauscher
gefunden haben wollten, aber immerhin so groß, dass er laut Statistik nicht mehr nur Spiel des Zufalls sein konnte. Und damit war einmal mehr eine bekannte Problemsituation aufgetaucht, vor der zum
Beispiel auch die Parapsychologen stehen: Wenn man einen Effekt aufgespürt haben will, der nur wenig signifikant ist, wird man Skeptiker nicht überzeugen, solange man nicht eine empirisch prüfbare
Theorie anzubieten hat, wie dieser Effekt zustande gekommen sein könnte.

Louis Hetland war jedenfalls bekehrt, zumal sie sich klar machte, dass es eigentlich erstaunlich ist, dass man überhaupt etwas aufspüren konnte. Schließlich hängt der Erfolg in solchen Versuchen von
einer großen Zahl von Faktoren ab, die alle individuell sehr verschieden sind: musikalische Vorbildung, Geschmack, räumliches Vorstellungsvermögen, kultureller Hintergrund und anderes mehr.

In ihrem Glauben an die Realität des „Mozart-Effekts" wurden die Skeptiker weiter bestärkt, als Eric Seigel vom Elmhurst College in Illinois einen zweiten Test auf räumliches Vorstellungsvermögen mit
und ohne Begleitung von Mozarts Klaviersonate ausführen ließ und dabei wieder fand, dass die Mozart-Hörer etwas besser abschnitten · so als ob sie den Test unfairerweise vorher trainiert hätten. Eric
Seigel, bis dahin in den Reihen der Skeptiker, will jedenfalls jetzt seinen Test verfeinern.

Die harten Skeptiker hat das alles nicht überzeugt: Die einen finden etwas, andere wieder nichts. Und wenn kein Effekt aufzuspüren ist, dann vermuten die Gläubigen, dass man einfach nicht die
richtige Musik eingesetzt hat. Doch dabei will es das Forscherteam von der Universität Illinois nicht bewenden lassen: Sie haben einen Musikologen angeheuert und mit ihm Hunderte von Kompositionen
von Mozart und 55 anderen Komponisten analysiert, um in einer quantitativen Skala einmal festzuhalten, wie oft sich in einem Zeitraum von zehn Sekunden und länger die Lautstärke der Musik hebt und
senkt.

Auftritt der Ratten

Ein Minimalist wie Philip Glass war da auf verlorenem Posten: Mozarts sich wiederholende Lautstärkerhythmen hatten eine zwei- bis dreimal höhere Frequenz. Nur bei Mozart fand man Oszillationen in
dem Frequenzbereich, den man schon vorher in den Erregungsmustern der Neuronennetze aufgespürt hatte. Die Versuche, in denen man den Resonanzen dieser Schwingungen im Hirn von Mozart-Genießern
nachgehen will, sind gerade im Anlaufen.

Auch Francis Rauscher ist noch am Ball. Sie testete Ratten, von denen man ja nun wirklich nicht annehmen kann, dass sie das Entzücken über Mozart so angeregt hat, dass sie in hellwachem Zustand
schneller durchs Labyrinth fanden. Die Versuche verliefen überzeugend, obwohl · so ist man geneigt einzuwenden · sie eine Ethik-Kommission eigentlich hätte verbieten sollen: Rauscher spielte die
Sonate in D-Dur 30 Ratten zwei Monate lang täglich 12 Stunden lang vor, worauf sie um 27 Prozent schneller durchs Labyrinth rannten und sich dabei um 37 Prozent weniger irrten als eine Kontrollgruppe
von 80 anderen Ratten, denen man weißes Rauschen zugedacht oder Stille gegönnt hatte.

Rauscher akzeptiert mittlerweile den Einwand von Kenneth Steele, dass der Vergleich schon daran krankt, dass die Kontrollgruppe aus schwer geschädigten Ratten bestand, weil man sie lange Zeit in
einer extrem reizverarmten Umgebung eingesperrt hatte · hätten die Ratten ein normales Leben führen können, dann hätten sie besser abgeschnitten. Francis Rauscher will das nicht auf sich sitzen
lassen und ist jetzt dabei, den Versuch zu wiederholen. Die eine Gruppe von Ratten lebt mit schwerer Mozartidität, während die Kontrollgruppe viel Spaß haben darf.

Mozart im

Computertomographen

So skurril alle diese Versuche auch scheinen, irgendetwas scheint doch spezifisch an Mozart zu sein, denn Mark Bodner von der Universität in Kalifornien hat mit magnetischer Kernresonanz das Hirn
von Personen abgebildet, denen man Musik vorspielte. Natürlich hat er gefunden, dass man dann zeigen kann, dass die Töne Regionen des auditorischen Cortex aktivieren · das schaffte Mozart ebenso wie
Popmusik oder Beethovens „Albumblatt für Elise". Und natürlich fand man auch, dass manche Musik Aktivität in den Zentren des Gehirns auslöst, die mit der Erzeugung von Emotionen verbunden sind.

Mozart aber war anders: Beim Mozart-Hören „leuchtete der ganze Cortex auf" · auch Hirnareale, die mit der Feinkoordinanation von Bewegung zu tun haben oder anderen Gedankenabläufen, von denen man
vermutet, dass sie beim räumlichen Orientierungsvermögen eine Rolle spielen.

Womit die Frage wieder offen ist, was es an Mozarts Musik sein könnte, auf das Mann und Maus gleichermaßen reagieren. Allerdings nur für kurze Zeit, denn bei allen bisher erwähnten Versuchen
verschwand der „Mozart-Effekt" relativ schnell. Mozart, aber wahrscheinlich auch jede andere komplexere Musik, so weit sie nicht gerade wie Disco-Musik mit dem Bauch rezipiert wird, kann aber mehr:
Gerade Frances Rauscher hat gezeigt, dass Kinder, welche man mehr als zwei Jahre in einem Tasteninstrument unterrichtet hat, überall dort besser abschneiden, wo es auf geistiges Vorstellungsvermögen
ankommt. Und so hat in der Entwicklungsphase des Gehirns verabreichte Musik einen bleibenden Effekt · lebensbereichernd und jenseits all dessen, was man auch in Ratten auslösen kann.

Literatur: Christopher Chabris: Prelude or

requiem for the Mozart effekt? Nature 400, Seite 826 (1999).

Gary Kliewer: The Mozart Effect. New Scientist 6. 11. 1999.

Freitag, 26. November 1999

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