Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die Kosten für Fachzeitschriften sind exorbitant hoch · Wissenschafter und Büchereien überlegen Gegenstrategien

Teure Information

Von Peter Markl

D ie offene Revolte brach zwar unter amerikanischen Bibliothekaren aus, aber sie ist mittlerweile weit darüber hinausgegangen: Ende Oktober gab die englische Royal Society of Chemistry den Plan bekannt, eine neue Fachzeitschrift zu gründen, die eine
von einem privaten Verleger herausgegebene Zeitschrift direkt konkurrenzieren soll. Anlaß dazu ist die Preisgestaltung mancher Verleger. Im Kreuzfeuer der Kritik ist · unter anderen · der
holländische Verlag Elsevier, der einige der führenden Zeitschriften auf dem Gebiet der Chemie herausgibt. Fachzeitschriften haben nur kleine Auflagen, oft weniger als 500 Abonnenten, aber sie sind
nur um exorbitant hohe Kosten zu haben · so hoch, daß als Abonnenten fast nur mehr wissenschaftliche Büchereien in Frage kommen.

Jetzt können viele von ihnen nicht mehr mithalten. Der Markt wird von manchen Verlegern ausgereizt. Sie rechnen damit, daß die Bibliotheken bei ihren verzweifelten Versuchen, die hochgetriebenen
Kosten doch von staatlichen Stellen wieder finanziert zu bekommen, auch weiter hinreichend erfolgreich sein werden. Manche selbst für Marktenthusiasten nicht mehr ganz lupenreine Manöver bedrohen
immer direkter die Interessen der Wissenschafter selbst, weil kurzfristige kommerzielle Erwägungen der Verlage sich schon auf mittlere Frist zu einer Einschränkung der wissenschaftlichen
Kommunikation auszuwachsen drohen.

Die wissenschaftlichen Vereinigungen sind jetzt dabei, zum Gegenschlag auszuholen. Sie haben sich in Washington mit aufmüpfigen Verlegern zur Scholarly Publishing and Academic Resources Coalition
(SPARC) zusammengeschlossen und den Kampf aufgenommen. Unter den ersten Zielen befinden sich zwei Zeitschriften von Elsevier: die „Tetrahedron Letters" und die „Chemical Physics Letters"
. Die „Tetrahedron Letters", führend auf dem Gebiet der synthetischen organischen Chemie, kosten im Jahresabonnement 8.602 Dollar. Die Gesellschaft amerikanischer Chemiker, ein Mitglied von
SPARC, plant die „Organic Letters", die um 2.300 Dollar pro Jahr zu haben sein werden. Die „Chemical Physics Letters", eine der führenden Zeitschriften auf dem Gebiet der chemischen
Physik, kosten bei Elsevier im Jahresabonnement 8.368 Dollar. Die englische Royal Society of Chemistry · ebenso Mitglied von SPARC · plant jetzt eine gleichwertige Zeitschrift um jährlich 353
Dollar herauszubringen, deren Preis bis 2003 mit steigendem Umfang auf 700 Dollar ansteigen soll.

Die Verleger begründen die steigenden Preise mit dem immer größer werdenden Seitenumfang, steigenden Produktionskosten und den hohen Kosten, die es verursacht, die Qualität der Zeitschriften zu
halten. SPARC und eine Vereinigung von 121 der betroffenen amerikanischen Büchereien sind nicht bereit, diese Erklärung zur Gänze anzunehmen. Sie weisen darauf hin, daß seit 1986 die
durchschnittlichen Preise der Zeitschriften von kommerziellen und nicht-kommerziellen Verlegern um mindestens 169 Prozent und damit um mehr als das Dreifache der Inflationsrate gestiegen sind. Und
das mit Folgen: Die erwähnten 121 Büchereien wenden heute 124 Prozent mehr Geld auf als 1986, obwohl sie 7 Prozent der Zeitschriften abbestellen mußten. (Elsevier hält sich übrigens in manchen
Stellungnahmen in bemerkenswerter Offenheit nicht lange mit · in gewissem Umfang nachvollziehbaren · Argumenten auf: Da wird einfach gesagt, daß die Shareholder mehr Geld sehen wollen und die
Preise daher steigen würden · für die Büchereien, die trotzdem keine der Elsevier-Zeitschriften abbestellen und eine Reihe anderer Auflagen erfüllen, etwas weniger als für diejenigen, die sich auch
nur eine von ihnen nun nicht mehr leisten können.)

Die Wissenschaftsverleger scheinen vorerst durch SPARC nicht allzusehr beunruhigt; sie glauben ihre Kunden zu kennen und vermuten, daß sie nicht besonders flexibel sind und daher auch nicht bereit,
die alten etablierten und guten Zeitschriften zugunsten der Neuheiten aufzugeben, so daß die neuen Zeitschriften angesichts der Geldknappheit der Bibliotheken über einen vielgefeierten Start nicht
weit hinauskommen werden. Aber gerade dagegen hat SPARC Solidarität mobilisiert: Jedes der bisher 114 SPARC-Mitglieder hat sich im vorhinein verpflichtet, die neuen SPARC-Zeitschriften zu abonnieren.

Neuheiten unter Verschluß

Die Verleger wissenschaftlicher Zeitschriften sind jedoch auch an zwei anderen Fronten unter Druck geraten: Die Auflagen, die sie den Autoren machen, hindern die Forscher daran, ihre Arbeit in der
breiten Öffentlichkeit optimal auszuwerten, und sie schränkt immer wieder auch die Handlungsfreiheit von Wissenschaftsjournalisten ein, welche von der vorzeitigen Verbreitung „heißer Themen" durch
Informations-Embargos abgehalten werden. Wenn es um brisante Themen geht, finden sich Wissenschafter daher immer wieder zwischen den Mühlsteinen divergierender Interessen.

Viele der besten Wissenschaftszeitschriften befolgen mehr oder weniger strikt eine Modifikation einer Regelung, die Franz Ingelfinger 1969 als Herausgeber des „New England Journal of Medicine"
· der führenden Medizinzeitschrift der Welt · eingeführt hat: Sie veröffentlicht keine Arbeiten, deren Resultate bereits vorher in die Öffentlichkeit gelangt sind. Da der Ruhm einer Fachzeitschrift
nicht zuletzt auf der Qualität der Begutachtung der eingereichten Arbeiten beruht und die Gutachter Zeit brauchen, vergehen oft viele Monate, in denen der Autor um das Schicksal seiner Arbeit bangt,
ohne irgend etwas dazu tun zu können, dem jüngsten Kind seiner Arbeit eine Plattform zu verschaffen, wo es der breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden könnte.

Und auch dann, wenn die Arbeit einmal zur Veröffentlichung angenommen worden ist, erreicht sie die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit vorerst nur als Geheimsache: Viele der führenden
Fachzeitschriften informieren ausgewählte Wissenschaftsjournalisten noch vor dem Erscheinen der nächsten Ausgabe über besonders „heiße Arbeiten" · allerdings unter der Auflage, daß darüber nicht vor
dem mit Tag und Stunde festgelegten Erscheinungsdatum der Zeitschrift berichtet werden darf. In einem Gewerbe, in dem alles darauf ankommt, mit dem „heißen" Thema als Erste auf dem Markt zu sein,
zehrt das an den Nerven. Wenn dann jemand von den „heißen" Resultaten erfährt, der nicht in die Vertraulichkeit eingebunden ist, verliert der Verleger die Kontrolle über die Weiterverbreitung · so
geschehen bei der mehr als fragwürdigen Arbeit über die Indizien für Leben am Mars, welche die „Science" brachte, oder die Meldung der Geburt von Dolly, dem aus einer differenzierten Zelle
geklonten Schaf, welche „Nature" vorbehalten bleiben sollte.

Die Verleger dürften in solchen Fällen über das Einbrechen ihres Embargos aber nicht zu unglücklich sein · schließlich ist der Dammbruch selbst ein Beleg für die vermeintliche oder echte Brisanz
eines Themas und damit auch für sich schon wieder eine Meldung wert. Zeitlich befristete Informations-Embargos haben jedoch in gewissem Ausmaß vertretbare Gründe. Sie sind mehr als eine Verwertung
der alten · nicht nur Wiener · Weisheit, daß sich nichts so schnell verbreitet wie eine Nachricht, die man unter dem Signum der Verschwiegenheit in die Welt setzt. Es ist kaum zu leugnen, daß das
Embargo für Journalisten und Verlage Vorteile bringt: Die Journalisten haben Zeit, sich Hintergrundwissen oder passendes Bildmaterial zu beschaffen, und der Verlag sieht sich nicht dem Verdacht
ausgesetzt, einzelne Journalisten bevorzugt mit Informationen zu versorgen.

Zwei getrennte

Publikationskulturen?

Daß die Embargo-Politik noch unter einem anderen Aspekt gesehen werden kann, illustriert eine in letzter Zeit immer breiter werdende Kluft zwischen Zeitschriften, welche im weitesten Sinn
physikalische Themen behandeln, und Zeitschriften, in denen Themen aus dem Bereich der „Life Sciences" behandelt werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Während heute nur relativ wenige Arbeiten
auf physikalischen Gebieten das Potential haben, den Aktienkurs direkt zu beeinflussen, liegen die Dinge · etwa in der Biotechnologie · anders. Als am 

13. Jänner 1998 die Preise der Aktien der kleinen kalifornischen Firma Geron Co. zu steigen begannen, lag das daran, daß durchgesickert war, daß Mitarbeiter dieser Firma bei der „Science" eine
Arbeit eingereicht hatten, welche neues Licht auf die Rolle von Telomeren beim Altern warf.

„Science" hatte seine Neuheit mit einem Embargo belegt, das erst am 15. Jänner um 16 Uhr mit dem 

Erscheinen des Hefts enden sollte. Einige der Autoren der Arbeit aber hatten versprochen, schon um 

13.30 Uhr bei einer Pressekonferenz anwesend zu sein, welche eine „Allianz zur Förderung der Erforschung des Alterns" geben wollte. Das wiederum hat die Rechtsanwälte der Geron auf den Plan gebracht,
weil sie befürchteten, daß man diese Pressekonferenz als einen Versuch der Firma auslegen könnte, die Aktienpreise hochzutreiben, so daß die Pressekonferenz so weit nach hinten verschoben wurde, daß
sie mit dem Erscheinungsdatum der „Science" zusammenfiel. Was den Anstieg der Aktien auslöste, war dann eine unschuldige Notiz über diese Verschiebung der Pressekonferenz.

Auf der anderen Seite aber haben viele Zeitschriften auf dem Gebiet der Physik oder Astronomie es aufgegeben, auf ihren Embargo-Regeln herumzureiten, auch wenn ihre Statuten noch strenge Regelungen
enthalten. Insider wie Benjamin Pederson, der lange Zeit eine der angesehensten Physikzeitschriften · die „Physical Review A" · herausgab, konnte nicht bemerken, daß sich die Verbreitung der
Nachrichten über die Erfolge der Physiker oder die Qualität der Arbeit der Journalisten geändert hatte, seit das Embargo auf stille Art verschwand: „Ich habe nicht bemerkt, daß sich da etwas
ernsthaft geändert hätte."

Alles das ist vor dem Hintergrund des Internet zu sehen, von dem viele annehmen, daß es schon auf mittlere Frist die Publikationssituation stark beeinflussen wird. Schon jetzt gibt es, weil
Zeitschriften so langsam sind, vor allem in speziellen Teilgebieten der Physik · etwa der Hochenergiephysik · Trends, Neuigkeiten als nicht begutachtete Preprints in das Internet zu stellen.
Diese Trends drohen das herkömmliche System der Qualitätskontrolle immer weiter auszuhöhlen. Die „Nature" hat unter dem Eindruck der geänderten Situation ihre Philosophie geändert: Für sie ist
die Verbreitung eines Preprint im Internet mit einem Vortrag auf einer Konferenz oder der Publikation einer Zusammenfassung der Arbeit gleichzusetzen · etwas, das nicht als Veröffentlichung gelten
kann, weil es nicht die Qualitätskontrolle von Gutachtern passiert hat und damit vorerst als von zweifelhafter Qualität gelten muß.

Gefahr für die Qualitäts-

kontrolle der Wissenschaft?

Auch die „Science" gibt sich kompromißbereit und hat sich vorerst zu einer Art „österreichischen" Lösung entschlossen: Wenn man eine Arbeit in genau der Form ins Netz bringt, in der man sie
zur Veröffentlichung einreicht, dann gilt das als Veröffentlichung und kann abgelehnt werden. Wenn der Autor allerdings glaubhaft machen kann, daß sie auch im Internet nur beschränkt zugänglich war,
dann wollen die Herausgeber mit sich reden lassen. Das Problem bei allen diesen schnellen Lösungen bleibt natürlich die Qualitätskontrolle. Schließlich ist es die wechselseitige Kritik unter
Sachkennern, welche subjektive Voreingenommenheiten oder Fehler von Autoren so weit eliminieren, als es zu einem bestimmten Zeitpunkt den Gutachtern möglich ist.

Es ist diese wechselseitige und institutionalisierte Kritik, die alles an Objektivität und Verläßlichkeit hervorbringt, was die Wissenschaft zu bieten hat. Genau an den sozialen Institutionen, welche
Offenheit und wechselseitige Kritik erzwingen sollen, rütteln die neuen Randbedingungen, unter denen heute Wissenschafter arbeiten: Der Erfolg des alten Publikationssystems beruhte auf
institutionalisierter wechselseitiger Kritik · etwa durch konkurrierende Zeitungen. Wie aber kann die Möglichkeit von Kritik garantiert werden, wenn große Verlage den Markt zu beherrschen versuchen
und außerwissenschaftliche, kommerzielle Interessen immer stärker Art und Zeitpunkt von Veröffentlichungen bestimmen ?

Literatur: „Science", 30.Oktober 1998.

Freitag, 04. Dezember 1998

Aktuell

erlesen: Zwei verwandte Meister der kleinen Form
Kronauer, Brigitte: Sprache, Klang und Blick
Zum Werk der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer
Mann, Erika: Des Dichters Liebling
Zum 100. Geburtstag von Thomas Manns ältester Tochter Erika

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum