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Ein Gespräch mit der englischen Schimpansenforscherin Jane Goodall

„Da hielt er meine Hand“

Jane Goodall in Begleitung ihres Stoffaffen „Mister Age“ im Wiener Tiergarten Schönbrunn. Foto: Schneider/APA

Jane Goodall in Begleitung ihres Stoffaffen „Mister Age“ im Wiener Tiergarten Schönbrunn. Foto: Schneider/APA

Von Von Eugen-Maria Schulak

Im Jahr 2002 schrieb der „Boston Globe“: „To be with Jane Goodall is like to walk with Mahatma Gandhi.“ Diese Äußerung kommt nicht von ungefähr, denn neben exakten wissenschaftlichen Ergebnissen liefert Jane Goodall seit über 40 Jahren der Öffentlichkeit ein vorbildliches Beispiel dafür, wie respekt- und liebevoll man mit allen Lebewesen und mit unserer Umwelt umgehen sollte.

Geboren 1934 in London, als ältere von zwei Töchtern eines Ingenieurs und einer Schriftstellerin, arbeitete Jane Goodall nach Abschluss der höheren Schule zunächst als Kellnerin und Sekretärin. Ihre Begeisterung für die Tierwelt Afrikas führte schließlich dazu, dass sie 1960 als Assistentin des Paläontologen Louis S. Leakey damit begann, im heutigen Gombe National Park das Verhalten von Schimpansen zu erforschen. Die ungewöhnlichen Erfolge der jungen Frau zogen Wissenschaftler und Medienvertreter gleichermaßen an, so dass Jane Goodall 1965 aufgrund einer höchst selten gewährten Ausnahmeregelung, ohne die sonst erforderliche Magisterprüfung, an der Universität von Cambridge erfolgreich promovieren konnte.

„Botschafterin des Friedens“

Ihre Erkenntnisse in der Primatenforschung, die sie in zahlreichen Publikationen eindrucksvoll darlegte, leiteten nicht bloß eine wissenschaftliche, sondern auch ein ethische Revolution innerhalb ihres Forschungszweiges ein. Heute reist Goodall, die von UN-Generalsekretär Kofi Annan vor zwei Jahren zur „Botschafterin des Friedens“ ernannt wurde, etwa 300 Tage im Jahr durch die Welt, um in Vorträgen Kinder und Erwachsene von der Notwendigkeit einer Verbesserung menschlicher und tierischer Lebensverhältnisse zu überzeugen. Das folgende Interview fand im Rahmen der „Siemens Academy of Life“ statt, die Jane Goodall kürzlich nach Wien eingeladen hatte.

Wiener Zeitung: Frau Goodall, Sie tragen ein Stofftier mit sich, einen Affen. Was hat es mit dem auf sich?

Jane Goodall: Also, das ist Mister Age. Ich habe ihn von Gary Horn bekommen. Gary Horn wurde im Alter von 25 Jahren blind und hat sich daraufhin entschlossen, Zauberer zu werden. Man hat ihm gesagt, dass dies für einen Blinden unmöglich sei. Er wurde jedoch ein ganz großartiger Zauberer. Die Kinder merken überhaupt nicht, dass er blind ist. Nach seinen Vorführungen sagt er immer zu den Kindern: „In eurem Leben geht vielleicht auch einmal etwas schief, aber ihr dürft nie aufgeben.“ Gary Horn hat mir also diesen Affen geschenkt und gemeint, das sei ein Schimpanse. Ich habe ihm gesagt: „Gary, du siehst das nicht. Das ist die falsche Farbe. Außerdem haben Schimpansen keinen Schwanz.“ Aber jedenfalls habe ich ihn mit hierher gebracht, und damit ist Gary im Geiste bei uns. Der Affe war jetzt schon in 54 Ländern. Zwei Millionen Menschen haben ihn berührt. Ich möchte, dass die Menschen mir und Mister Age helfen, die Welt besser zu machen.

Blicken wir gemeinsam in Ihre Vergangenheit: Ein junges Mädchen aus gutem Haus träumt von Afrika, liest die Dschungelbücher, Dr. Doolittle und Tarzan und wird eines Tages zu einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt eingeladen, bei dem man ganz bewusst eine Person haben will, die nicht studiert hat, um von vornherein Vorurteile zu vermeiden. Es ging damals um die Erforschung des sozialen Lebens von Schimpansen. Das ist eine unglaubliche, eine märchenhafte Geschichte.

Vieles von dem, was ich geschafft habe, ist meiner erstaunlichen Mutter zu verdanken. Sie hat mich bei meinen verrückten Plänen unterstützt und wurde nie böse. Sie hat für mich alle jene Bücher aufgetrieben, die ich lesen wollte. Es waren vor allem Bücher über Tiere. Ich war damals aber auch in Tarzan verliebt. Und ich war eifersüchtig auf Jane, die er geheiratet hat.

Einladung nach Afrika

Wir waren damals arm, konnten uns nicht einmal ein Fahrrad leisten, erst recht kein Auto. Wie konnte ich es also schaffen, nach Afrika zu kommen? Alle lachten mich aus, nur meine Mutter nicht. Sie sagte mir etwas ganz Wichtiges, das man einem Kind immer sagen sollte: „Wenn du wirklich etwas willst, wenn du hart arbeitest und jede Gelegenheiten ausnutzt, nie aufgibst, dann wirst du einen Weg finden.“ Ich konnte nicht auf die Universität gehen, aber meine Mutter sagte: „Du kannst Sekretärin werden und dir einen Job in Afrika suchen.“

Wie durch ein Wunder bekam ich eine Einladung nach Afrika. Die Eltern einer meiner Schulfreundinnen hatten dort ein Landhaus. Um schneller zu Geld für die Überfahrt zu kommen, arbeitete ich als Kellnerin, sparte das Trinkgeld und kaufte von dem gesparten Geld ein Schiffsticket. In Afrika habe ich dann von Louis Leakey gehört, den ich bald nach meiner Ankunft besuchte. Der Grund, warum er mir einen Job als Sekretärin anbot, war, dass ich sehr viel über Afrika und die afrikanischen Tiere gelernt hatte und viele seiner Fragen beantworten konnte. Ich habe dann mit ihm und seiner Frau gearbeitet.

Das kleine Mädchen, das von Afrika geträumt hat, war auf einmal in der Serengeti. Da gab es keine Straßen und keine Wege, nur Tiere. Jeden Morgen wachte ich sozusagen in meinem Traum auf. Und da begannen wir – Leakey und ich – über Schimpansen zu sprechen. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und ich war bereit.

Louis Leakey ermunterte Sie schließlich dazu, in den Dschungel zu gehen und einige Zeit mit den Schimpansen zu leben, um deren Verhaltensweisen zu erforschen. Sie waren damals 24 Jahre alt. Blicken Sie auf diese Zeit mit Nostalgiezurück?

Ja, auf diese Zeit blicke ich wirklich nostalgisch zurück. Die ersten vier Monate war meine Mutter bei mir. Geld hatte ich nur für sechs Monate. Meine Mutter munterte mich auf, denn am Anfang liefen die Schimpansen ständig davon, wenn sie mich sahen. Sie hatten noch nie einen Weißen gesehen. Kurz bevor mir das Geld ausging, hatte ich aber das Glück, zu beobachten, wie die Schimpansen Werkzeuge verwenden. Einer der Schimpansen, David, entfernte die Blätter von einem Ast und verwendete ihn als Werkzeug. Er fischte damit Termiten aus einem Bau heraus. Auf Grund dieser Entdeckung bekam ich zusätzliche Mittel von „National Geographic“ .

Nun bekam ich auch Studenten, die mir bei meiner Forschung halfen. Wir entdeckten, dass es unter den Schimpansen Gewalt und Kriege gibt, dass sie uns Menschen also auch in dieser Hinsicht sehr ähnlich sind. Die Trennlinie zwischen uns und unseren Vorfahren erschien uns zunehmend verschwommener. Heute wissen wir, dass sich der genetische Unterschied zwischen uns und den Schimpansen auf etwa 1 Prozent beläuft. Leider ist ihre Population in den letzten Jahren auf rund 150.000 zurückgegangen.

Louis Leakey, der mich zu dieser Arbeit ermunterte, war Paläontologe. Von den menschlichen Fossilien, die er ausgrub, konnte er vieles ablesen, bloß das Verhalten dieser ersten Menschen konnte er aus den Überresten nicht erschließen. Deshalb meinte er, dass die Lebensweise der Schimpansen, als unsere nächsten Verwandten, Aufschlüsse über die frühe menschliche Lebensweise geben könnte. Er stellte sich vor, dass sich unsere menschlichen Vorfahren ebenfalls geküsst haben, genauso wie wir, dass sie ebenfalls um ihr Territorium kämpften und dass es zwischen Müttern und ihren Kindern enge Beziehungen gab, die ein Leben lang anhielten, so wie bei uns. Er stellte sich auch vor, dass unsere Ahnen Gegenstände verwendet haben, um Nahrung zu suchen. Damit war Leakey seiner Zeit weit voraus. Heute erwähnen die meisten Bücher über die menschliche Evolution Schimpansen als ein mögliches Verhaltensmodell.

Kontakte zu Schimpansen

Als Sie in Afrika mit Ihren Forschungen begannen, brauchten Sie sehr lange, um mit den Schimpansen in Kontakt zu kommen. Wie haben Sie es geschafft, den Affen die Angst vor Ihnen zu nehmen?

Die Kontaktaufnahme erfolgte in mehreren Schritten. Der erste wirklich aufregende Moment war, als ich eine Gruppe von jungen Schimpansen sah, die Fellpflege betrieben. Ich wollte näher kommen. Dazu musste ich einen Berghang hinuntersteigen und einen anderen wieder hinaufklettern. Dabei schätzte ich die Entfernung falsch ein und kam viel zu nahe an sie heran. Die Schimpansen blickten auf, wir stellten Blickkontakt her, und dann betrieben sie ihre Fellpflege weiter. Das war der Augenblick, in dem ich sagte: Endlich ist es passiert.

David, einer der Schimpansen, spielte bei der Kontaktaufnahme eine entscheidende und maßgebende Rolle. Er verlor seine Angst viel früher als alle anderen. Das wirklich Erstaunliche war nun Folgendes: Ich folgte David – das war neun Monate, nachdem ich meine Studien begonnen hatte – durch ein dorniges Gestrüpp. Ich blieb im Gestrüpp hängen und dachte, dass ich ihn nun verloren hätte. Als ich mich endlich durchgearbeitet hatte, saß er da – so, als hätte er auf mich gewartet. Vielleicht hat er ja auch auf mich gewartet.

Ein magischer Augenblick

Ich setzte mich in seine Nähe. Ich sah eine rote Frucht auf dem Boden liegen, nahm sie in die Hand und streckte sie ihm entgegen. Er wandte den Kopf ab. Ich streckte meine Hand näher an ihn heran. Dann blickte er mir direkt in die Augen, nahm die Frucht, ließ sie fallen und hielt gleichzeitig sanft meine Hand, drückte sie ein bisschen. So geben sich Schimpansen gegenseitig Zuversicht. Sie beruhigen sich damit. Es war ganz eindeutig: Ich wollte ihm etwas geben, er wollte es nicht, aber er verstand. Das war eine sehr schöne Geste. Es war erstaunlich: Wir haben auf eine Art und Weise kommuniziert, wie vermutlich auch unsere gemeinsamen Vorfahren miteinander kommuniziert haben. Es war eine Brücke zwischen zwei Welten, ein magischer Augenblick.

Später erschrieben Sie sich aber doch noch Ihr Doktorat.

Ja, ich schrieb es in Cambridge. Zum Schreiben suchte ich mir einen Wohnsitz am Land. An die Universität ging ich nur, um meinen Betreuer zu sehen. Ich hatte mit den anderen Wissenschaftlern nichts zu tun. Die waren mir auch nicht wichtig.

Ich machte das Doktorat für Louis Leakey, nicht für mich. Ich wollte über die Schimpansen etwas lernen und sie verstehen, ich hatte sozusagen nicht die akademische Karotte vor der Nase, sondern ich tat es Louis zuliebe und bin dankbar, dass ich es gemacht habe. Ich war dann sogar am Cover von „National Geographic“ , das sah schon gut aus.

Und in der Folge schrieben Sie ein Buch nach dem anderen.

Ja, aber als ich das große Buch „Schimpansen in Gombe“ publizierte, das die ersten 20 Jahre meiner Forschung beschrieb, musste ich noch einmal zurück nach Cambridge, um all das nachzulernen, was ich während eines normalen Studiums gelernt hätte, sonst hätte ich nie in die Labors gehen und mit den Wissenschaftlern in den weißen Mänteln reden können, die unglaubliche Dinge mit den Schimpansen anstellten. Ich wollte mich auch in einem akademischen Gespräch behaupten können. Ich musste also tatsächlich studieren, was ein wichtiger Teil in meinem Leben war. Ohne dieses Studium und ohne Wissen über Gehirnhormone und vieles mehr hätte ich dieses Buch nicht schreiben können.

Viele Leute haben mir gesagt, dass mein erstes Buch, „In the Shadow of Men“, die Denkweise der Menschen über Tiere grundsätzlich verändert hat. Das habe ich in China gehört, in Südkorea, in Japan und auch in ganz Europa. Menschen, die dieses Buch gelesen haben, denken seither anders über Tiere. Das hat mich wirklich begeistert.

Samstag, 09. April 2005

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