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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Austin, Texas, hat ein zwiespältiges Verhältnis zu Vierbeinern

Himmel und Hölle für Hunde

Von Christine Brügge

Chica springt, Chica jauchzt. Fehlt nur noch, dass sie sich eine Pappnase aufsetzt und trällernd zu steppen beginnt. Die rüstige Hundedame zieht alle Register, um an die leckeren Kleinigkeiten heranzukommen, die der Kellner auf einem Tablett von Tisch zu Tisch trägt - aber nicht zu den Menschen, sondern zu den Hunden! Denn zweimal in der Woche gibt es im Mesa Hills Café die "happy hour for dogs". Dann heißt es: Gratis Hundekuchen für alle!

Der Laden ist brechend voll: der Mops sitzt neben dem Husky, die Luft ist erfüllt von freudigem Fiepen und hellem Gelächter. Wenn der Kellner mit dem frisch gefülltem Tablett aus dem Laden tritt, erklingt auf der Terrasse eine gebellte Sinfonie aus rund 80 Hundekehlen. Ausgerechnet in Texas, dem wohl rigidesten Staat Amerikas, in dessen heimlicher Hauptstadt Austin, wird den Vierbeinern so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie wohl nirgendwo auf der Welt. Austin wirbt ausdrücklich damit, eine hundefreundliche Stadt zu sein. Es gibt nicht nur einen Stadtführer für Menschen, sondern auch einen für Hundebesitzer.

Killerkommandos

Schnell bekommt man als Austin-Besucher mit, dass für die Vierbeiner hier so gut wie alles getan wird. Andererseits ist man irritiert: Es gibt nämlich auch staatliche Killerkommandos, deren Auftrag lautet: "Töte alles, was vier Beine hat und obdachloslos herumläuft." Dieser organisierte Tiermord rief in der Bevölkerung die Haltung hervor: "Rette alles, was vier Beine hat und obdachlos herumläuft." Die Anzahl der Tierschutzverbände ist schwer zu überblicken, ihr Einsatz beispiellos. "Pro Jahr werden 10.000 bis 15.000 Hunde und Katzen in einem einzigen Stadtgebiet umgebracht", erzählt Natasha Rosofsky, Präsidentin der Organisation "Austin Pets Alive".

Die streunenden Tiere ernähren sich vorwiegend von dem, was sie auf Komposthaufen finden. Jagen tun sie selten. "Wir beobachten manche dabei, wie sie auf unser Grundstück kommen, Kaninchen beobachten, sie aber nicht als mögliche Beute zu identifizieren scheinen", erzählt Michelle Barton. "Mein Mann sagt immer: Lass uns rausgehen und ihnen zeigen, wie man das macht. Vielleicht ist das gar nicht so dumm, es hat ihnen ja keiner beigebracht - und offensichtlich scheint sie auch der größte Hunger nicht zum Jagen zu verleiten."

Eine erstaunliche Tatsache, die auch den Tötungskommandos bekannt ist. Sie dürfen es bloß nicht zugeben. Denn die offizielle Legitimation zum Abschuss lautet: Die Tiere jagen und müssen deshalb aus dem Verkehr gezogen werden. Tierschutzpräsidentin Rosofsky winkt ab: "Die meisten sind gesund, gut erzogen und könnten leicht vermittelt werden." Woher kommen die vierbeinigen Musterschüler? "Wir haben zu viele Hobby-Züchter in der Stadt. Die setzen aus, was sie nicht verkaufen können. Und manche Besitzer von Haustieren überschätzen ihre Möglichkeiten."

Die texanischen Tierfreunde entwickeln einen ungeahnten Einfallsreichtum, um ihre Lieblinge zu erfreuen. Zum Beispiel den Hundegarten "Barking Hound Village", eine Art Kindergarten für Hunde, der an sieben Tagen in der Woche geöffnet ist . Die Hundebesitzer bringen ihre Lieblinge morgens hierher und holen sie abends wieder ab. Oder lassen sie gleich für ein paar Tage dort. Die Kleinen werden mit eigener Decke, persönlichem Spielzeug und individuellem Leibgericht versorgt. Das Konzept funktioniert. "Das Dorf des bellenden Jagdhundes" wirbt mit den Worten: "Das ultimative Hundehotel in Texas. Leuchtend und hip, inmitten der Stadt gelegen, mit modernen Möbeln und hündischer Popart." Nicht minder außergewöhnlich ist das Theater für Hundeliebhaber - mit Hunden als Darsteller, selbstredend. In dem Stück "States of Grace", einer modernen Performance, tanzen ein Englisch-Professor und ein Zen-Buddhist mit zwei Blindenhunden auf der Bühne. Das Publikum bellt vor Lachen.

Hunde mit Homepage

In Austin werden Hunde am Alltagsleben beteiligt, wo es nur geht. Sie dürfen in manche Supermärkte mit hinein, so lange sie nicht aus dem Einkaufswagen springen. Manche Hunde haben eine eigene Homepage, auf der sie mit Foto und sämtlichen Angaben vertreten sind. Die Besitzer werden topaktuell vom "Heißen Draht bellender Hunde" versorgt, den neuesten Hunde-Nachrichten aus den gesamten Vereinigten Staaten. Interaktiv wird jede Woche der Hund der Woche gewählt. "Congratulations Willow Rose, you're dog of the week", heißt es dann. Weidenröschen, Honigbrei, chinesisches Gold, Barbiepüppchen - auch bei der Namensgebung sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Wuffi, Bello oder Max ist es wurscht, welch menschliche Assoziation sich bei der Nennung seines Namens einstellt.

In der Hundebäckerei "Groovy Dog Bakery" gibt es jede Menge Futter-Variationen - täglich frisch gebacken, mit wechselndem Angebot, oder für den Vorrat haltbar gemacht. Gerne steht man vor den langen Regalen mit den bunten Verpackungen, die von Namen geziert werden wie "BarkBQue" (statt der uramerikanischen Grilltradition Barbeque; bark = bellen). Oder "PeaMuttButter", was sich nur phonetisch erschließt, denn mudd ist der Schlamm und pee das, was der Hund macht, wenn er das Bein hebt. Somit lautet die vollständige Übersetzung: Pinkelschlammbutter. Es gibt auch den "Cinna Bone", abgeleitet von Cinnamon (Zimt), was so viel heißt wie Zinn-Knochen. Auch Eiscreme gibt es: "Groovy smoothies" kühlen die lechzende Kehle des in der texanischen Schwüle brütenden Vierbeiners (übersetzt: "einschlägige Eis-Fruchtshakes").

Auch an Zubehör mangelt es nicht, wie etwa dem Hundeshampoo "Buddy Wash". Klingt wie Shampoo für den Körper (Body), meint aber den Kumpel (Buddy), was auf den treuesten Freund des Menschen allemal zutrifft. Und auch was Spielzeug angeht, ist man in Austin auf den Hund gekommen: alle möglichen Flugkörper, wie beispielsweise "fliegende Postboten" oder "fliegende Einbrecher", segeln - ähnlich wie bemalte Frisbee-Scheiben - durch die Lüfte.

Damit sich Bello nicht die Augen verdirbt, haben pfiffige Erfinder Sonnenbrillen und Kontaktlinsen in sämtlichen Farben entwickelt, die UV-Licht, Wind und Staub von den empfindlichen Äuglein fern halten.

Hundegeburtstage sind in Austin ein besonderer Knüller. "Die Leute lieben sie", erzählt Verkäuferin Brenda Barnes. "Da kommt die gesamte Nachbarschaft vorbei." Unter fachkundiger Anleitung werden tierische Geburtstagskuchen gebacken und die Hunde kostümiert. Zum Beispiel mit den "Jezbelles", Tüll-Tütüs mit bunten Bommeln, als Röckchen oder Halskrause. Die Liebe zu den Vierbeinern ist in Austin so groß, dass sich selbst Wohnungsvermieter den Marktgesetzen beugen. Riesige Schilder zieren die Haus-Eingänge: "Große Hunde willkommen!" Man glaubt fast, ein Underdog zu sein, wenn man keinen haarigen Gefährten hat.

Hundehütte mit Klimaanlage

In einem speziellen Fotostudio lassen sich Künstler gerne mit Hund ablichten. Da Austin als Musik-Metropole gilt, kommt der Hund mit Gitarre aufs Bild. Kein Wunder, dass sich das australische Zitronenbier "Two Dogs" in Austin außergewöhnlicher Beliebtheit erfreut. Der texanische Hunde-Oscar geht aber eindeutig an "La Petite Maison", die Hersteller jener Hundehütten, die es mit Klimaanlage als Schwarzwald-Häuschen (für Amerikaner mit deutschsprachigen Vorfahren), im italienischen Landhausstil oder auch in viktorianischer Manier gibt. Durchschnittlicher Preis: 10.000 Dollar. Die Verquickung von Eigenheimen und Hunden hat in Texas Tradition: Die "dog-runs" oder "dog-trots" sind seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts landestypische Eigenheime.

Man kann sich natürlich fragen, ob die spezielle Hundeliebe in Austin dazu führt, dass es zu viele Hunde gibt, die eben aufgrund der enormen Nachfrage im Überangebot produziert werden. Man erinnere sich nur an die Zeit, als Walt Disneys "101 Dalmatiner" in die Kinos kam - und plötzlich nahezu jeder einen solchen schwarzweiß gefleckten Hund haben wollte. Bald darauf wimmelte es in den Tierheimen von herrenlosen Dalmatinern. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Bemühungen der Tierfreunde als Taten ausgleichender Gerechtigkeit. Chica ist jedenfalls immer wieder aufs Neue entzückt, wenn sie im Mesa Hills Café Hundekekse serviert bekommt.

Freitag, 03. Dezember 2004

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