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Von der Faszination der gefährlichen Conus-Schnecken

Bunte Kegel aus dem Meer

Von Wolfgang Weitlaner

Am Strand der Insel Manus in Papua Neuguinea hob ein achtjähriges Mädchen eine hübsch aussehende Schnecke auf, spielte mit ihr und steckte sie anschließend in die Innentasche ihres Kleides. Nur wenige Minuten später brach das Kind plötzlich zusammen. In einer nahen Klinik stellten die Ärzte eine Lähmung der Arm- und Beinmuskulatur fest. Das Mädchen konnte kaum noch sprechen, seine Reflexe setzten aus, kurze Zeit später kam es zu einer Atemlähmung. Die Patientin wurde intubiert. Die Ärzte kämpften verzweifelt um das Leben des Kindes. Erst nach zwei Stunden begann wieder die Spontanatmung und das Mädchen war wieder ansprechbar. Nach weiteren zwei Stunden konnte die künstliche Beatmung eingestellt werden. In den folgenden Stunden normalisierte sich der Zustand des Kindes. Am folgenden Tag konnte es das Krankenhaus verlassen. Nach der Entlassung erzählte das Mädchen von der hübschen Schnecke, die sie am Strand gefunden hatte. An der Handinnenfläche hatte das Kind einen kleinen schwarzen Punkt und eine Schwellung. Verursacher des fast tödlichen Stiches war eine Kegelschnecke

namens Conus omaria. Das Mädchen hatte großes Glück gehabt, denn das Gift vieler anderer Kegelschnecken ist für den Menschen tödlich.

Räuberische Fleischfresser

In den tropischen und subtropischen Meeren leben die meisten der etwa 500 Arten der auffällig gezeichneten Conus-Schnecken. Es gibt sie aber praktisch in allen warmen und gemäßigten Ozeanen, daher auch im Mittelmeer (dort allerdings nur zwei oder drei Spezies) und in der Kap-Region, sowie in Teilen des Atlantik und der Karibik. Die meisten Arten leben allerdings im Indo-Pazifik. Die Conidae, so der lateinische Familienname, sind räuberische Fleischfresser und - anders als etwa die von den Sammlern ebenso begehrten Porzellanschnecken (Cypraeidae oder Kauris) - Jäger. Die größten Conus-Arten erreichen eine Länge von fast 20 Zentimetern. Sie jagen mit ihrem hochspezialisiertem Giftapparat sogar nach Fischen, kleinere Arten müssen sich mit Weichtieren und Würmern zufrieden geben. Es sind rund 30 Angriffe von Conus-Schnecken dokumentiert, die alle auf die Unachtsamkeit von Speerfischern oder Strandwanderern zurückzuführen sind. In den vergangenen Jahren haben sich laut Angaben verschiedener Kliniken ob der zunehmenden Zahl an Schnorchlern, Tauchern und Sammlern die Unglücksfälle gehäuft. Das bevorzugte Habitat der hübschen Schnecken ist nämlich das Flachwasser in Küstennähe. Untertags sind die Tiere nicht aktiv, sondern vergraben sich teilweise im Sand oder in Riffspalten. Doch Unwetter, starke Strömungen oder Springfluten bewirken, dass die Schnecken am Strand angespült werden.

Gefährlich für den Menschen sind die 70 größeren Conus-Arten. Ihr Gift ist besonders stark. Der Giftapparat der Kegelschnecken baut auf demselben Prinzip auf wie die Radula (Raspelzunge) einer Weinbergschnecke. Die Conidae haben aber weit weniger Radula-Zähne. Nur ein Radula-Zahn ist in Form eines bis zu 12 Millimeter langen hohlen Giftpfeils immer einsatzbereit. Die übrigen lagern in einem Hohlorgan in der Radula. Wenn sie benötigt werden, wird einer in den Schlund genommen, dort in einer Giftdrüse sozusagen "scharf" gemacht und über das Schlundrohr (Proboscis), das nach außen gestülpt wird, abgefeuert. Die Pfeile arbeiten nach dem Prinzip einer Harpune, mit einer Spitze und einem Widerhaken daran. Die Toxine der Conidae wirken spezifisch auf deren Beutetiere. Viele Strandwanderbücher beruhigen die Sammler mit dem Hinweis, dass die Schnecken, wenn sie von hinten aufgehoben werden, keine Giftpfeile abschießen könnten. Experten halten das für einen gefährlichen Irrtum, denn die Schlund-rohre der Conidae sind äußerst beweglich und können in alle Richtungen schießen, wie dies zahlreiche Versuche in Aquarien bewiesen haben.

Hilfreiches Gift

Das Gift der Kegelschnecken, das so genannte Contoxin, besteht aus mehreren Oligopeptiden. Dies sind aus wenigen Aminosäuren bestehende Eiweißmoleküle mit der Wirkung eines Nervengifts. Das Gift besteht in der Regel aus unterschiedlichen Peptidbausteinen, die auf verschiedene Teile des Nervensystems der Beutetiere wirken. 2002 schrieb der australische Forscher Bruce Livett von der University of Melbourne in der renommierten Wissenschaftszeitung "Nature" über seine Entdeckung: Das Schneckentoxin ist 10.000 mal stärker als herkömmliche Morphine, es macht nicht abhängig und erzeugt keine Nebenwirkungen. Das Gift könnte tausenden Patienten weltweit helfen, Schmerzen leichter zu ertragen. Das patentierte Derivat der Conus-Schnecke namens ACV1 wurde anschließend bei der "Venoms & Drugs Conference" auf dem australischen Heron Island präsentiert. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch andere Experten, wie etwa der Wiener Schmerzspezialist Hans-Georg Kress, der im Wiener AKH die größte Schmerzambulanz im deutschsprachigen Raum leitet. "Die Ergebnisse sind sehr gut und zeugen vom ungeheuren Potenzial dieses Wirkstoffs", so Kress. Der irische Pharmakonzern Elan Corporation will heuer die New Drug Application für sein Schmerzmittel Prialt bei der amerikanischen Food & Drug Administration beantragen. Prialt ist ein synthetisches Derivat eines Peptids aus einem Conotoxin der Schnecke Conus magus. Das Präparat absolvierte erfolgreich die klinische III-Phase an Patienten mit starken chronischen Schmerzen. Amerikanische Neurobiologen haben nämlich entdeckt, dass die Conotoxine die Kalziumaufnahme der Nervenzellen blockieren, so dass Schmerzen nicht weitergeleitet werden. Andere Expertisen gehen davon aus, dass Conotoxine auch gegen Epilepsie und Depressionen wirksam wären. Allerdings befürchten die Experten bis dahin den Verlust der Biodiversität in den Ozeanen. Denn Schnecken wie die Conidae werden tonnenweise gesammelt und weltweit verkauft, doch nicht für die Forschung, sondern für Sammler.

Der Wiener Werner Grünwald besitzt eine der größten Conus-Sammlungen Österreichs. Zu seinen Raritäten zählen unter anderem mehrere Exemplare der "Glory-of-the-Sea", der Conus gloriamaris. Diese Schnecke galt über Jahrhunderte hinweg als eine der seltensten überhaupt. In den ersten hundert Jahren nach ihrer Entdeckung (1777) wurden nur knapp ein Dutzend Funde dieser Spezies bekannt. Um diese fein gezeichnete, knapp zehn Zentimeter große Schnecke entstanden bald Legenden. Eine von ihnen berichtet über ein Erdbeben, welches das Habitat der Tiere vollständig zerstört und alle noch lebenden Tiere getötet hätte. Solche und ähnliche Geschichten führten dazu, dass der Marktwert dieser Schnecke immens stieg. 1957 wurden 24 Stück gefunden, eine von ihnen erzielte bei einer Auktion den Rekordpreis von 2.000 US-Dollar. Knapp sieben Jahre später konnten vor der Küste Papua Neuguineas fast 50 Stück gefunden werden, 1969 kam es zu einem regelrechten Massenfund von mehr als 120 Stück vor der Salomonen-Insel Guadalcanal. In den letzten Jahren hat der Preisverfall der einst so begehrten Schnecken dazu geführt, dass es bereits perfekt erhaltene Stücke für etwa 120 US-Dollar gibt.

Schutz vor Plünderung

Die Jagd nach den "goldenen Diamanten vom Meeresgrund" wird heute auf globaler Ebene ausgetragen. Zu den Hauptexportländern gehören die Philippinen und Indonesien. Die Gewässer rund um diese Archipele zählen gemeinsam mit dem Korallenmeer zu den artenreichsten marinen Ökosystemen der Erde. Und eben hier müsste ein Riegel vorgeschoben werden. Wissenschaftler zahlreicher renommierter Forschungseinrichtungen fordern eine sofortige Aufnahme von Conidae in die Convention on International Trade in Endangered Species (CITES). "Ein Verlust dieser wertvollen Tiere wäre ein Akt der Selbstzerstörung", meint der Mediziner Eric Chivian von der Harvard Medical School in Boston. Auch andere Experten, wie Callum Roberts von der britischen University of York und Aaron Bernstein von der Chicago University, plädieren für sofortige Maßnahmen gegen die Plünderung der Meere.

Übrigens: Echte Sammler lehnen Totfunde von Schnecken ab. Denn die fragilsten Teile der Gehäuse, die Lippen, sind nur bei lebenden Tieren vollständig erhalten. Kleine Beschädigungen machen solche Stücke quasi wertlos, ähnlich wie eine abgerissene Ecke einer wertvollen Briefmarke. Wie viele tausend Tonnen an tropischen Schnecken jährlich in die USA und

nach Europa gelangen, lässt sich nur schwer schätzen. Fest steht jedenfalls, dass die Sammelleidenschaft global geworden ist. Wissenschaftler vermuten, dass viele Arten der Conus-Spezies schon ausgestorben sein könnten. Denn nicht nur diese Schnecken sind äußerst bedroht, sondern auch ihr Lebensraum in den tropischen Riffen, Mangrovengebieten und Gezeitenzonen.

Literatur: R. Tucker Abbott & Peter Dance "Compendium of Seashells" Odyssey Publishing, El Cajon, California; (ISBN 0-9661720-0-0); Ravensburger Naturführer "Muscheln & Schnecken" von Peter Dance, Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH.

Freitag, 09. Juli 2004

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