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Ölförderung im Westpazifik gefährdet die Tierwelt

Grauwale machen keinen Gewinn

Von Bernhard Matuschak

Wir sehen die Grauwale schon von weitem. Fast synchron steigen zwei Wasserdampffontänen in die Höhe. Darüber flattert aufgeregt ein Schwarm Seeschwalben. Sonnenstrahlen brechen sich in der feuchten Atemluft, den die Meeressäuger ausstoßen. Sekundenlang stehen kleine Regenbögen über der Meeresoberfläche.

Unser Bootsführer schaltet den Motor an dem Schlauchboot ab, mit dem wir vor der russischen Insel Sachalin kilometerweit aufs Meer hinausgefahren sind. Nur die Schreie der Vögel über unseren Köpfen sind noch zu hören. Plötzlich tauchen mit einem lauten Prusten wenige Meter vor dem Boot Wale auf. Zwei massige, graue, mit Seepocken übersäte Körper gleiten wie U-Boote an dem inzwischen bedenklich schwankenden Gummiboot vorbei und versinken wieder in der Tiefe.

Sunglare und Harley

"Das sind Sunglare und ihr Kalb Harley. Sie suchen nach Nahrung, kleinen Krebsen und Muscheln, die sie aus dem Sediment am Meeresgrund filtern", ruft David Weller. Der Biologe ist seit 1997 den Meeressäugern vor Sachalin auf der Spur. Es sind westpazifische Grauwale, eine der bedrohtesten Walpopulationen der Erde. Nur noch rund 100 dieser grauen Riesen ziehen jedes Jahr die asiatischen

Küsten entlang. Weller vermutet, dass sich die Tiere während der Wintermonate im Japanischen oder Südchinesischen Meer aufhalten. Im Frühjahr schwimmen die Wale dann Richtung Norden, vorbei

an Japan und Südkorea nach Sachalin. Die Reise ist gefährlich und kräftezehrend. Sie führt die Tiere durch eine der am stärksten frequentierten Schifffahrtsstraßen der Erde. An der Bucht von Piltun, im Nordosten der Insel, finden sie noch ausreichend Nahrung. Hier können sie sich fortpflanzen und Kraft tanken für die Wanderung nach Süden.

Doch seit ergiebige Erdölvorkommen vor Sachalin die Erdölkonzerne ins Ochotskische Meer locken, ist das letzte Refugium der westpazifischen Grauwale in Gefahr. Immer näher rücken Tanker und Plattformen ihren Fressgründen.

Kurz nach unserem Ausflug zu den Walen stehen wir mit Vassili Spiridov auf dem Leuchtturm von Piltun. Spiridov ist der Koordinator des marinen Schutzprogramms beim WWF Russland. Er blickt durchs Fernglas hinaus aufs Meer. In der tiefstehenden Abendsonne sind die glitzernden Fontänen, die immer wieder über der Wasseroberfläche aufsteigen, deutlich zu sehen. Es mögen gut zwei Dutzend Grauwale sein, die vor dem knapp zwei Kilometer breiten Eingang zur Piltun-Bucht im Nordosten Sachalins tauchen.

Bohrlärm macht Wale krank

Dann fixiert der Meeresbiologe ein spinnenähnliches Gebilde am Horizont, über dem eine gelbe Flamme lodert, und schimpft verbittert: "Die Erdölgiganten nehmen keine Rücksicht auf Mensch und Tier. Sie nehmen, was sie kriegen können." Das Konstrukt im Meer trägt den Namen Molikpaq, was in der Sprache der Eskimos "Große Welle" bedeutet. Molikpaq ist eine Erdölplattform. Betrieben wird die Bohrstation von der Investment Company Sakhalin Energy, einem Konsortium, in dem die niederländische Shell AG den Ton angibt.

1998 wurde Molikpaq in Betrieb genommen. Während der Sommermonate werden dort rund 12 Millionen Liter Öl pro Tag gefördert und auf Tanker verladen. Doch Shell ist nicht alleine. Einige Dutzend Kilometer weiter nördlich ist ein Konsortium der amerikanischen Exxon und der russischen Neftegas am Werk. Bereits die schon bestehenden Bohrinseln und der mit ihnen verbundene Schiffsverkehr verursachen eine empfindliche Störung der Wale. Dies belegen

Messungen von David Weller und seinen Mitarbeitern. "Wir haben den Unterwasserlärmpegel eines Öltankers in 30 Kilometer Entfernung mit 153 Dezibel gemessen", sagt Weller. Zum Vergleich: Die Schmerzgrenze des menschlichen Gehörs liegt bei 130 Dezibel und entspricht der Lautstärke eines Presslufthammers. Wale orientieren sich und kommunizieren per Schallwellen. Sie reagieren äußerst sensibel auf Lärmbelastung.

Dass die westpazifischen Grauwale bereits unter erheblichem Stress stehen, zeigen weitere Untersuchungen der Arbeitsgruppe um David Weller. Die Forscher registrieren seit einigen Jahren eine deutliche Zunahme von abgemagerten Tieren. Zudem produzieren die Sachalin-Grauwale im Gegensatz zu ihren amerikanischen Verwandten (siehe Kasten) weniger Nachwuchs. Während an der kalifornischen Küste ein Weibchen alle zwei Jahre ein Jungtier zur Welt bringt, dauert es im Westpazifik drei Jahre.

Ausbeutung der Ressourcen

Die Situation der westpazifischen Grauwale spitzt sich zu. Sakhalin Energy hat bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und weiteren Banken - auch aus der Schweiz - einen 10-Milliarden-Dollar-Kredit beantragt, um an der Nordostküste von Sachalin weitere Ölplattformen zu errichten. Auf seiner Website behauptet Sakhalin Energy, "ein Maximum an Rücksicht auf bedrohte Lebewesen" zu nehmen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Die Planung sieht vor, nur zehn Kilometer vor der Küste Bohrinseln zu errichten und sie untereinander mit einer Pipeline zu verbinden. Die Leitung soll auf dem Meeresgrund an Land geführt werden, die Bucht durchschneiden und quer durch die Insel verlaufen. Das bei der Grabung anfallende Material soll, wie schon bisher, im Meer entsorgt werden.

Doch inzwischen regt sich auch auf der ehemaligen Sträflingsinsel Sachalin Widerstand. Natalia Barannikova, Programmkoordinatorin der Organisation Sachalin Environmental Watch, klagt an: "Die Ölindustrie nimmt keinerlei Rücksicht. Ich habe die Baustellen gesehen, den Dreck des aufgewühlten Meeres und die Öllachen auf dem Wasser. Nicht nur die Grauwale sind von der hemmungslosen Ausbeutung der Ressourcen bedroht." Der Protest der Umweltschützer richtet sich auch gegen die Art und Weise, wie das Öl von Piltun durch fast ganz Sachalin in den Süden transportiert werden soll: "Geplant ist eine unter der Erde geführte Pipeline. Doch wir leben hier in einem tektonisch sehr aktiven Gebiet. Eine oberirdische Leitung, wie sie aus denselben Gründen zum Beispiel auch in Alaska gebaut wurde, wäre wesentlich sicherer. Außerdem könnten Lecks schneller erkannt und abgedichtet werden."

Barannikova kritisiert vor allem die laxen Umweltbestimmungen. Die Verträge zwischen der Regierung und den Investoren seien Anfang der 90er Jahre unterzeichnet worden, als es in Russland praktisch überhaupt keine Umweltgesetzgebung gab. "Gemäß der heutigen Gesetzeslage ist das Vorgehen der Ölmultis illegal. Die geplante Bohrinsel vor der Piltun-Bucht muss

aus den Küstengewässern in die offene See hinaus verlegt und die Pipeline an Land in einem Bogen um die Walgründe herum geführt werden." Der WWF setzt sich für die Errichtung eines marinen Schutzgebietes vor der Piltunbucht ein. Doch die Umweltschützer fürchten, von der Realität überholt zu werden. "Wir können nur hoffen, dass die Banken nicht mitspielen und den Erdölkonzernen den geforderten Kredit verweigern", sagt Vassili Spiridov.

Preis der Entwicklung

Während die Umweltschützer ihren schier aussichtslosen Kampf kämpfen, werden an Land bereits Fakten geschaffen. Auf der Strecke bleiben die Ureinwohner Sachalins. Sie werden buchstäblich von der Entwicklung überrollt, wie beispielsweise in Val, 50 Kilometer südwestlich der Piltun-Bucht. Schwere Tanklastwagen donnern im 30-Minuten-Takt durch die kleine Gemeinde und hüllen den Ort in eine permanente Staubwolke. Die Holzhäuser am Rande der Straße wurden von ihren Bewohnern bereits verlassen und verfallen. Stromleitungen sind unterbrochen, umgeknickte Masten liegen in den Gärten.

Am Rande von Val hat ein Bauunternehmen aus dem Baltikum Container aufgestellt. Arbeiter sind mit schwerem Gerät dabei, die Schotterpiste aufzupflügen. Ortsvorsteher Victor Sangi beobachtet das Geschehen: "Sie plündern unser Land, und wir haben nicht einmal Arbeit. Sogar die Straßenarbeiter haben sie von auswärts mitgebracht", empört sich der 45-Jährige.

Sangi ist ein Angehöriger der Nivkh. Der Stamm lebte jahrhundertelang vom Fischfang. Doch mit Beginn der Ölförderung verfangen sich immer weniger Lachse in den Netzen der Fischer von Val. Der Plan der Mineralölkonzerne, eine Pipeline quer durch die

Lagune von Piltun zu bauen,

könnte, so befürchtet Victor Sangi, das Ende der Fischerei in Val bedeuten. Der Stammesführer wurde bei den Mineralölkonzernen vorstellig und forderte eine Entschädigung, doch die waren nicht bereit zu zahlen. "Sie werden sehr viel Geld verdienen und uns wird nichts bleiben", prophezeit der Stammesführer und droht, alle

seine schamanischen Kräfte gegen die Zerstörer seiner Heimat zu

richten.

Freitag, 09. Juli 2004

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