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Gefiederte Gladiatoren

Hahnenkampf -ein Nationalsport auf den Philippinen
Von Martin Arnold

Liebevoll streichelt Karl Garcia Lions Rücken. Seine Lippen huschen über den Kamm und deuten eine Liebkosung an. Um Missverständnissen vorzubeugen: Lion ist kein Löwe. Und doch, so hofft Karl Garcia, sollen Mut, Kampfbereitschaft und Todesverachtung in Lions Charakter einfließen. Dem Kampfhahn schlägt möglicherweise die Stunde. Es geht um Sein oder Nicht-Sein. Dafür sorgen rasiermesserscharfe Klingen, die an den Beinen fixiert werden. Die Todeswaffe blitzt im grellen Licht. Karl Garcia blickt wild entschlossen in die Runde, als ginge es um sein eigenes Leben, seinen eigenen Tod.

Das Publikum tobt. Auf dem Federvieh ruhen Karl Garcias Hoffnungen und Träume: die angesammelte Leidenschaft einer ganzen Woche. "Züchte du nur deine Hähne", sagt seine Frau Naomi. "Dann steigst du nicht anderen Frauen hinterher." Denn darauf hätte sie im fernen Rom, wo sie als Hausmädchen arbeitet und 300 Euro monatlich nach Hause schickt, keinen Einfluss. Über vier Millionen Filipinos verdienen ihr Geld im Ausland. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen. Meist arbeiten sie als Haushaltshilfen in Saudi-Arabien, Italien, Taiwan, Hongkong und Japan. Besonders viele Frauen dienen in Rom, Padua, Mailand und Barcelona. Rund zwei Drittel leben dort illegal und sind verschuldet, weil sie Schleppern Kredite zu horrenden Zinsen zurückzahlen müssen. Glücklicherweise nicht Karl Garcias Frau. So kann sie genug Geld schicken, damit er das Haus ausbauen kann und doch noch etwas übrigbleibt für den Hahnenkampf, den Cockfight.

Eine Männerwelt

Die lokale Arena von Mabini liegt rund 140 Kilometer südlich von Manila. Wer sich bei den Dutzenden Kampfhahnbesitzern umhört, findet fast nur Gewinner. Das hier ist eine Männerwelt, durch und durch. Um die Wetten auf Sieg oder Niederlage dreht sich alles im Hahnenkampf. Aus dem Verhalten und Aussehen der Tiere vor dem Kampf versuchen die leidenschaftlichen Wetter Indizien für Sieg oder Niederlage abzuleiten. Das Maß aller Dinge ist eine aggressive Ausstrahlung des Kampfhahns.

Der Hahnenkampf ist zweifellos eine Sucht, welche die Männer von der Arbeitslosigkeit und Armut ablenkt. Sie können ihrer herkömmlichen Aufgabe, eine Familie zu ernähren, oft nicht mehr nachkommen. Die Verhältnisse haben sich umgekehrt. Die Frauen versorgen die Familie und die Männer kümmern sich um die Kindererziehung, Haus und Garten.

Garcia hat wie so viele sein Haus ohne Landtitel gebaut. Er ist der Willkür der Behörden ausgeliefert - eine potentielle Verdienstmöglichkeit für jeden neuen Bürgermeister. Die Drohung, das Haus wegzunehmen, lockert die Pesos in der Tasche.

Für viele Männer wäre es allerdings weit schmerzlicher, wenn sie ihre Kampfhähne verlieren würden, die von überall her in der Dämmerung den Morgen einkrähen. Selbst in kleinsten Metallkäfigen, ja in umgestülpten Körben sind sie zu finden. Manchmal ist ein Fuß einfach nur an einen Pflock gebunden. Selbst dort, wo nur ein einfacher Bretterverschlag einer zehnköpfigen Familie als Behausung dient, wird der Federmacho maßlos verwöhnt. Für ihn sind feinste Körner reserviert, er darf Gemüse genießen, wird mit Vitamin B und C aufgepäppelt. Sein Gefieder muss voll sein, glänzen und seinen Kontrahenten beeindrucken. Die zu einem Rad aufgerichteten Schwanzfedern sollen den Träger großartiger erscheinen lassen, als er ist. Der philippinische Schriftsteller Alejandro Roces schreibt: "Wenn einem Filipino das Haus brennt, rettet er seinen Hahn vor seiner Frau und den Kindern."

Als Garcia in der Arena, dem Cockpit, einen Gegner sucht, wirkt Lion ein wenig eingeschüchtert. Gleich hinter dem Eingang kauern Dutzende Männer in einem durch eine halbhohe Mauer abgetrennten Raum und halten ihr Federvieh in etwas Abstand vor den Bauch. Langsam führen sie es an potentiellen Kontrahenten vorbei. Wie reagiert er? Ist er eingeschüchtert oder aggressiv? Für einen Kampf braucht es zwei. Beide Besitzer müssen einverstanden sein. Beide schließen also aus dem Verhalten ihres Kampfhahnes, dass er Gewinnchancen hat. Die Auswahl des Gegners ist eine zeitraubende, bedeutungsvolle Angelegenheit. Schließlich stehen monatelange Aufzuchtarbeit und der kommende Kampfeinsatz auf dem Spiel. Dessen Maß bestimmt der finanziell stärkere Partner. Will er um rund 50 Euro kämpfen was die Regel ist, muss der andere Partner mitziehen. Kann er das nicht, weil die Summe höher als ein Monatslohn ist, muss er sich verschulden. Garcia lieh von einem Freund umgerechnet etwa 20 Euro, um überhaupt mitmachen zu können. Dann bekommen beide Hähne eine farbige Markierung um die Füße gebunden. Damit sind sie angemeldet und werden zum Kampf aufgerufen.

Zuvor erfolgt allerdings die wichtigste Prozedur. Messerausleiher, die so genannten Mananari, stehen mit edlen Lederkoffern in einem Raum bereit. Mittels Pflaster und Schnur wird das sichelförmige Messerchen an den linken Fuß angepasst und mit einem Plastikschutz versehen. Der Preis ist fix. Am Ende muss der Gewinner 5 Euro bezahlen, der Verlierer nichts. Jeder Messermeister ist deshalb bemüht, seinem Klienten das absolut passende unter den rund zwei Dutzend Messern am Hühnerbein festzuzurren. Geld verlieren kann er im Gegensatz zu den Hahnenbesitzern nicht. Schlimmstenfalls verdient er nichts. Auch der Arenabesitzer, der pro Kampf 5 Euro verdient, gehört zu den sicheren Gewinnern dieses Nachmittags.

Tägliches Training

Die Vorbereitung für Lion verlief optimal. Schon lange ist Garcia das Tier in seiner Aufzucht aufgefallen. Er hält ein Dutzend Hähne, ein bis zwei Hühner zu Zuchtzwecken und einige Küken. Täglich trainiert er mit den Hähnen. Morgens und nachmittags nässt Garcia die Federn der Tiere und wirft sie in die Höhe, um die Muskulatur der Flügel zu stärken.

Anschließend scharren die Tiere einige Minuten im Sand, bevor Garcia sie mit einer auf einem Stecken aufgepeppten Hahn-Attrappe triezt und damit die Kampfbereitschaft seiner Schützlinge testet. Wenn sich ein Tier sofort blindlings auf seinen imaginären Feind stürzt, furchtlos, gezielt und zerstörerisch auf ihn einhackt, lächelt Karl Garcia zufrieden. Ein Terminator muss er sein, um im Kampf der gewetzten Messer zu bestehen.

Ein Kampf ist zu Ende. Ohne Regung kommt der Verlierer die Treppe der Arena herunter. In der Hand hält er sein abgeschlachtetes Tier. Ihm folgt der Sieger. Auch sein weißer Hahn blutet stark. Doch er wird wieder aufgepäppelt. In einer Nische hocken ein halbes Dutzend Tierbesitzer und flicken ihre Schützlinge mit Faden und Schere wieder zusammen. Jede Diskussion über die Schmerzen der Tiere, über Tierschutz oder Tierrechte ist sinnlos, denn die Verständigung ist unmöglich. "Ich liebe meine Tiere. Sie haben doch gesehen, wie ich sie pflege", erklärt Karl Garcia. Für die Männer ist der Hahn kein Lebewesen, das empfindet, sondern die gefiederte Projektionsfläche ihrer Machoträume von Stärke und Schönheit.

Karl Garcia rutscht schon unruhig auf der Bank hin und her. Noch ein Kampf, dann ist er an der Reihe. "Sie denken vielleicht, ich riskiere zu viel Geld", sagt er plötzlich. "Aber das stimmt nicht. Ich verliere schlimmstenfalls 20 Euro." Jetzt wird klar, warum diese Männer immer von Gewinnen beim Cockfight sprechen. Nur wenn geborgtes Geld verloren geht, wird es als Verlust bezeichnet. Der eigene Einsatz wird im Falle eines Gewinns in eine Siegesfeier investiert, im Falle der Niederlage einfach vergessen.

Kurz vor Kampfbeginn findet sich auch Karl Garcias Gegner wieder ein. Dann werden die beiden aufgerufen. Wie Matadore steigen sie mit dem Tier, das sie wie ein Baby in Händen halten, in die Arena hinauf. In dem mit gut 200 Zuschauern gefüllten Rund steht Karl Garcia einsam da. Schweißperlen treten ihm auf die Stirne. Wegen der Hitze, und wohl auch aus Anspannung über das bevorstehende Duell. Nun kann auch er zum Gelingen des Cock Super Hackfights beitragen, wie die Organisatoren die sonntäglich sich wiederholende Veranstaltung anpriesen.

Der Kampf beginnt

Der Schiedsrichter fordert die Kontrahenten auf, aufeinander zuzugehen. Dabei bewegen sie ihre Hähne vorwärts und wieder zurück. Jenes Tier, das sich bei der Annäherung aggressiver verhält und auch sonst in physiologischer Hinsicht zu gefallen weiß, wird vom Schiedsrichter zum Meron, zum Favoriten, erklärt. Mit einem zufriedenen Lächeln nimmt Karl Garcia Lions Favoritenrolle entgegen. Dann verlangt ein wild fuchtelnder Animator und Buchmacher von der inzwischen erregten Menge über Mikrofon die Wetteinsätze. Sie nennen ihn Kristo, weil er mit ausgebreiteten Armen in der Arena umherschreitet - der Heiland des

Hahnenkampfes. Nun brandet ein rhythmischer, ohrenbetäubender Lärm auf. Verschiedene Helfer quittieren die Wetteinsätze mit Hand- und Fingerbewegungen. Die Anzahl hochgestreckter Finger zeigt die Summe in 100 Pesos an, liegt die Hand waagrecht, zeigen die Finger Tausenderwerte an, fünf Finger nach unten entsprechen 5.000 Pesos (70 Euro). Wer auf den Außenseiter setzt, erhält den doppelten Einsatz zurück. Kristo merkt sich alle Einsätze - eine verantwortungsvolle Aufgabe in dieser wettverrückten Welt.

Nach kurzer Zeit legt sich das Geschrei. Der Kampf beginnt um 14.47 Uhr. Die Streithähne, durch raue Männerkehlen angefeuert, stürzen wütend aufeinander los. Kein Krächzen, kein Ton, nur das Schlagen und Flattern der Flügel. Lion marschiert geradewegs auf seinen Gegner zu. Der pariert seine Attacke mit wildem Flügelschlag, was ihn einige Zentimeter über Boden hebt, sodass der Angriff im Nichts endet. Schnell dreht Lion sich um, und greift wieder an. Diesmal verkeilen sich die Kontrahenten, werden vom Schiedsrichter getrennt und 30 Zentimeter voneinander entfernt wieder auf den Boden gestellt.

Aus Lions Brust tropft Blut. Karl Garcias Augen verfinstern sich, als er mit ansehen muss, wie sein Tier nun attackiert wird, am Boden liegen bleibt, vom Schiedsrichter nochmals in die Mitte gestellt wird, dort leblos zusammenbricht und zum Verlierer erklärt wird. Der Sekundenzeiger hat kaum eine Runde geschafft, als Karl Garcia die Arena verlässt. Während sein Gegner, der Außenseiter, verarztet wird, endet Lion, mit einer Nummer versehen, in einem Plastiksack. Vielleicht wird ihn Garcia zu einer Suppe verarbeiten. Er müsste sie ohnehin alleine auslöffeln. Frauen dürfen von dieser fleischgewordenen Supermacho-Kraft nichts essen. "Ihr fragiler Körper würde das nicht aushalten", erklärt Karl Garcia. Er hat die erste Enttäuschung überwunden und sucht einen Gegner für einen zweiten Kampf. Mit geborgtem Geld will er auf die Kraft seines Reservetieres bauen. "Sonst bin ich nächsten Sonntag wieder dabei. Dann wird ein Tier bereit sein, das mir garantiert viel Geld einbringt."

Freitag, 09. Juli 2004

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