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Die Event-Kultur erobert nun auch die Tiergärten

Wie man Elefanten vermarktet

Von Walter Sontag

Abu und Mongu kennt hierorts fast jeder. Die jungen Stadtelefanten gehören mittlerweile zu Wien wie das Burgtheater und die Hofburg. Nicht weit vom Schönbrunner Schloss entfernt, trotten sie durch den so genannten Elefantenpark, schreiten ihr bescheidenes, doch fallenfreies Territorium ab, gewähren dem dankbaren Publikum Einblick in das bequeme Wohnzimmer einer der Wildnis entwöhnten Dickhäuter-Garde. Da stehen sie, die Rüsselriesen, in der von menschlichen Hirnen gewissenhaft ersonnenen Ordnung, und können sich in Sicherheit wiegen. Die künstlich entworfene Behaglichkeit ist für die Zuschauer inszeniert, für die Bewohner selbst freilich ein wenig reizarm.

Ständige Präsenz

So lernen heute junge und alte Städter Intimes aus der - immer weiter entrückten - Naturgeschichte kennen. Und es kommen viele. Wissensvermittlung über die unmittelbare Erfahrung verspricht diese Präsentationsform. Sie gaukelt Naturerleben vor, garantiert den zivilisationsfreundlichen Ordnungsrahmen bürgerlicher Übersichtlichkeit und spart die widrigen Seiten "natürlicher Freiheit" aus - selbst im Regenwaldhaus, selbst auf dem Bärenfelsen. Vor allem jedoch ist die ständige Präsenz der lebenden Ausstellungsstücke gewährleistet, etwas, das in der freien Natur niemals zutrifft. Aber für den verwöhnten, ungeduldigen Menschen der Moderne ist das Recht auf uneingeschränktes Begaffen der Tiergarteninsassen ein Muss. Schließlich zahlt man ja. Über die ungezwungene Live-Show hinaus bieten Videoclips und die Ansprache durch - in Schönbrunn betagtere - Zoo-Lotsen ein erweitertes soziales Entertainment.

Seit kurzem übersteigt die jährliche Besucherzahl im ältesten Zoo der Welt die Zwei-Millionen-Grenze. Stets anschwellende Zuschauerströme sind verlangt, Umsatzrekorde müssen her. Ganz oben auf der Agenda stehen nicht mehr gehobene Erbauung und bemühte, womöglich erzieherische Wissens- und Horizonterweiterung; vielmehr geht es in der Event-Gesellschaft um öffentliche Anerkennung und Einfluss, um "Erfolgsstorys", vielerorts wohl auch um Ehrgeiz - am wenigsten um den guten alten Zoobesucher, der bloß in Ruhe schauen will.

In Zeiten von Privatisierung, Quotenherrschaft und Ich-AG lastet enormer Vermarktungsdruck auf den Verwaltungen und Betreibern der Kultureinrichtungen, die allesamt um Medienpräsenz, Sponsoren und Subventionen buhlen, miteinander um Kapital und Kunden konkurrieren. "Horizontale" Produkt- und Werbeverbünde reichen die Kolonnen zwischen den musealen Erlebnis- und Konsumwelten weiter. Innerhalb der Zoomauern füllen zusätzliche (neudeutsch: "vertikale") Angebotsstrukturen die einträglichen Nischen zwischen den Gehegen; und die Bankcard regiert mit, wiewohl für einen guten Zweck. Da übernehmen der Elefantennachwuchs, die Pandas, Koalas und ihre Starkollegen die Rolle der "Quotenbringer", die für volle Kassen sorgen sollen.

Ein Glück für den Tiergarten-Direktor Pechlaner, dass seine Elefanten afrikanischen Ursprungs sind. Denn um ihre asiatische Vettern entbrannte jüngst eine heftige Debatte zwischen Befürwortern und Skeptikern des Zoo-Engagements, eine Kontroverse zwischen Arten- und Naturschützern, Tierschutzethikern und Anhängern der Tierhaltung. Diese Elefantenspezies befindet sich in ihrem schrumpfenden Lebensraum auf dem indischen Subkontinent, in Sri Lanka, Burma und Südostasien auf dem Rückzug; im Vorderen Orient und China ist sie bereits seit langem verschwunden. In den alten Kulturen zwischen Indus und Jangtsekiang dienten sie einst als Tempel- und Kriegselefanten sowie als Reittiere für die sagenumwobenen Gottkönige. Nach Norden und Westen hin setzte das Klima dieser Tier-Mensch-Verbindung Grenzen: Voraussetzung für sie waren offensichtlich 500 Millimeter Mindestniederschläge pro Jahr, bzw. ein Temperaturmittel von mindestens 21 Grad Celsius.

Tempel- und Arbeitstiere

Obwohl unter solchen günstigen Bedingungen wahre Heerscharen von Elefanten dauerhaft gehalten wurden, verfolgten ihre Besitzer zu keiner Zeit das Ziel einer sich selbst erhaltenden Nutztierpopulation. Daher blieben Sultane, Moguln, Maharadschas und Holzkonzessionäre auf die ständige Zufuhr wildgefangener Individuen angewiesen, weshalb es nirgendwo zu einer Domestizierung dieser Waldbewohner kam. Seit jeher schien es einfacher und rentabler, jedes Tier neu zu zähmen (und gegebenenfalls zu kaufen), als eine gutgehende Zucht aufzubauen. Selbst Elefanten, die in Camp-Arealen geboren wurden, waren meist von freilebenden Männchen gezeugt. Die genetisch begünstigten Tiere wurden "aussortiert", übrig blieben die Kümmerlinge. Die ununterbrochene Bestandsentnahme, die zum Ausbluten der natürlichen Populationen führte, währt bis heute fort. Gegenwärtig lebt rund ein Drittel der verbliebenen Weltpopulation von ungefähr 40.000 Elefanten unter der Obhut des Menschen, der kleinere Teil über den Globus verteilt in Zirkussen und Tiergärten außerhalb ihres Verbreitungsgebietes, der weitaus größte jedoch in Südasien in Intensiv- oder Extensivhaltung.

Im ersten Fall fristen sie als Tempel-, Animations- oder Schauelefanten eine in der Regel erbarmungswürdige Existenz in Ketten. Die zweite Gruppe bilden abgerichtete Tiere, die ihr Leben unter der Aufsicht von Menschen in weitläufigen Arealen und Camps verbringen. Ursprünglich waren sie im Urwald für die selektive Teakausbeutung gebraucht worden. Doch in den künstlich angelegten Plantagen dieses wertvollen Nutzholzes verrichtet modernes technisches Gerät die Aufgabe schneller, effektiver, billiger. Gleichzeitig gehen die natürlichen Teak-Ressourcen zur Neige. In Thailand etwa verloren Tausende Arbeitselefanten ihre Daseinsberechtigung, als nach den durch Abholzung verursachten Erdrutschen 1988 ein absoluter, bis heute gültiger Rodungsstopp verhängt wurde. Wohin mit den beschäftigungslosen Riesen? Der Weg der ausgedienten natürlichen Hubstapler und Holzschlepper führt vorwiegend zur Intensivhaltung in Touristenzentren; bestenfalls kommen sie als Reit- und Dressurelefanten zum Einsatz.

Nach den Kriterien unserer Zivilisation lassen sich gegenwärtig also drei Kategorien asiatischer Elefanten unterscheiden: natürlich vorkommende Individuen, extensiv, gewissermaßen halbwild gehaltene Exemplare und die sozusagen unter Verschluss präsentierten Tiere in Gehegen oder zwischen Tempelmauern.

Wüstlinge in Reisfeldern

Ehemals vor allem wegen ihres Elfenbeins verfolgt, stehen die wenigen in freier Natur umherziehenden Vertreter mittlerweile häufig als gefürchtete Wüstlinge in Reisfeldern und Zuckerrohrplantagen auf der Abschuss- oder Transferliste. Fortpflanzungsfähige Bullen gelten heute in den echten Wildbeständen oftmals als ausgesprochene "Mangelware". Bei einer Erhebung im Periyar Tiger Reservat im indischen Kerala wurden unter den rund tausend Elefanten lediglich fünf erwachsene Bullen festgestellt; die anderen waren gewildert worden.

Keiner direkten Verfolgung sind dagegen die extensiv gehaltenen Arbeits- und Campelefanten ausgesetzt. Sie bilden noch ein beachtliches Reservoir, das bei gezieltem Management ein erschöpfendes Potential für eine dauerhaft lebensfähige Elefantenpopulation abgeben könnte. Sie pflanzen sich regelmäßig fort, ihre Lebensdauer liegt erheblich höher als beispielsweise die der Zooelefanten. Gegenüber ihren Kollegen in Wildnis, Zirkus und Zoo verfügen sie über einen entscheidenden Vorteil: unter ihnen gibt es viele Bullen. Traditionell sind nämlich die männlichen Exemplare besonders geschätzte und dementsprechend häufig verwendete Arbeitselefanten.

Die gefürchtete Musth, die vielen Zirkus- und Zoopflegern zum tödlichen Verhängnis wurde, verläuft hier wesentlich harmloser und rascher. In diesen Perioden, Ausdruck von Brunst und zügellosem Dominanzstreben, sondern die Elefantenbullen aus der mächtig angeschwollenen Schläfendrüse ein nach Moschus riechendes Sekret ab; der Testosteronspiegel des Blutes steigt drastisch an; Aggressivität, stechender Blick und bei Intensivhaltung ausgesprochene Bösartigkeit sind weitere Charakteristika. Plötzlich gehorchen die gezähmten Patriarchen den Befehlen des vertrauten Pflegers nicht mehr. Der tückische Verlauf dieses Stadiums macht die Bullenhaltung im Okzident von jeher zum Problemfall. Demgegenüber scheinen in naturnaher Haltung räumliche Großzügigkeit, die vielfältigen Möglichkeiten zu Spiel und Kontakt mit Artgenossen, das wechselseitige Ausleben der Aggression die Gemütsverfassung der vermeintlichen Machos in weniger gefährliche Bahnen zu lenken.

Vom Aussterben bedroht

Obwohl kleinohriger und weniger imposant als ihre afrikanischen Genossen aus der Savanne, geben die asiatischen Elefanten zweifellos prächtige Sammelstücke ab; doch ihre Zoohaltung weist insgesamt bedrückende Mängel auf. Das große Manko in den Tiergärten sind die geringe Lebenserwartung und das hohe Gewicht der Elefantenkühe, gemessen etwa an den burmanischen Arbeits- und Lagertieren. Die bisher übliche Kettenhaltung begünstigt Bewegungsarmut, diese wiederum Dickleibigkeit. Mit dem Übergewicht gekoppelt sind lange Tragzeiten, bei der Niederkunft überschwere Junge und eine erschreckend hohe Totgeburtsrate. Ohne je selbst in einer Tantenrolle bei anderen Jungtieren Erfahrungen gesammelt zu haben, neigen viele Elefantenmütter obendrein dazu, die eigenen Kinder zu töten. Zudem werden die fettleibigen Damen ausnehmend häufig von Gebärmuttergeschwülsten heimgesucht, die Schwangerschaften im Wege stehen. Auch akzeptieren die Weibchen nur solche Bullen als Geschlechtspartner, die mehr Gewicht auf die Waage bringen und stärker sind als sie selber. Kurzum, nach heutigem Stand ziehen Zooelelefantinnen zu wenige Nachkommen auf. Sollte dieser Trend anhalten, ist das Aussterben der Zoo-Population absehbar.

Lassen sich teure Investitionen in eine letztlich unergiebige und genetisch dürftig ausgestattete Zoo-Population überhaupt noch rechtfertigen? Mit weniger Aufwand könnte man die Bevölkerung für den Schutz der noch existierenden Restbestände gewinnen und die Extensivhaltung im südlichen Asien fördern, meinen viele Naturschutzexperten. Das wäre effizienter und erfolgversprechender - freilich weniger eventträchtig. Ja, wie gut

für die Wiener, dass ihre Elefan-

ten Afrikaner sind! Aber wie

lange noch ist ihr Nachschub gesichert?

Freitag, 09. Juli 2004

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