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Das Nilpferd ist eines der beliebtesten Tiere in der Literatur

"Trostgestalt vom Höchsten"

Von Evelyne Polt-Heinzl

Ein Mann hat sich hoffnungslos verstiegen. Vor sich die glatte Felswand, unter sich der gähnende Abgrund. Schweiß, Angst, Ausweglosigkeit. Da öffnet sich in der Wand vor ihm plötzlich ein Fenster, und ein kleines Nilpferd fordert den Erschöpften auf, einzutreten. Drinnen im wohnlichen Felsensaal, gemütlich vor dem Kamin sitzend, verlangt das Nilpferd seinen Lohn: Es will Geschichten hören bzw. Manuskripte des Autors lesen. Ein klassisches Motiv um bunt zusammengewürfelte Geschichten zu einem Kranz zu winden. Dazwischen äußert das Nilpferd in wohlgesetzten, auch belehrenden Worten seine Meinung zum Gelesenen, und der Ich-Erzähler wundert sich darüber ebenso wenig wie der Leser, denn Paul Scheerbart versteht es wie kaum ein anderer, das Skurrile für das Normale zu nehmen und zu präsentieren.

Scheerbarts "Immer mutig! Ein phantastischer Nilpferdroman mit 83 merkwürdigen Geschichten", erschienen 1902, ist so wundersam wie das Nilpferd selbst. Das beginnt bei den Dimensionen. Das Nilpferd ist das größte amphibische Säugetier: vier Meter lang, eineinhalb Meter hoch und zwei bis drei Tonnen schwer. Wegen seines Fassungsvermögens wurde es wohl auch von einer Bank zum idealen Sparschwein-Maskottchen adaptiert, eignet sich aber sonst nicht gut als Haustier. Nur in Kurt Schwitters Groteske "Die Zoologische Garten-Lotterie" meistert die Gewinnerin des Nilpferds alle Probleme mit großer Sorglosigkeit. Allerdings ertrinkt das Tier in der ersten Nacht in der vom laufenden Wasserhahn überfluteten Küche: ein ziemlich grotesker Nilpferd-Tod.

Nilpferd und Nashorn

Was die Tonnage betrifft, ist dem Nilpferd das Nashorn am nächsten, und das führt mitunter zu Identitätsproblemen. So ist Peter Hammerschlags "Nasenbohr-Nashorn" eigentlich ein "Nilpferd-Kind in Afrikas Oase", das, wie Reim und Titel erwarten lassen, gerne in der Nase bohrt. Die Strafe ist ein erzwungener Gattungswechsel, es wächst ihm ein Nasenhorn, worüber es sich sehr kränkt. Auch von Karen Düve gibt es einen gereimten Mutationsbericht vom Nilpferd zum Nashorn, allerdings ins Positive gewendet. "Weil das Nilpferd Pickel hat", natürlich auf der Nase, wird's von seinen Kollegen verhöhnt, die Nashörner jedoch sehen die tiefere Schönheit der immer größeren Pickelbeule und machen es zum König. Das ist allerdings eine Wortspende für "Das große Nashornbuch" und daher wohl etwas parteiisch. Denn einsichtiger ist schon, dass die Mutation vom friedlich-philosophischen Nilpferd zum aggressiv dahertrampelnden Nashorn imagemäßig einen gewissen Abstieg darstellt.

Tatsächlich ist Hippopotamus amphibius, das Fluss- oder Nilpferd, das am Nil seit gut 250 Jahren nicht mehr vorkommt, sondern nur mehr in den Seen Ostafrikas, mit dem Nashorn überhaupt nicht verwandt, es gehört vielmehr zur Familie der Schweine, obwohl das Nilpferd rein vegetarisch lebt - auch ein sympathischer Zug. Des Nachts streunen Nilpferde weit umher um Unmengen - etwa einen Zentner - an Gras in sich hineinzuschlingen. Berühmtheit ob ihrer enormen Mobilität erlangte die südafrikanische Nilpferddame Huberta. Von 1928 bis 1931 legte sie an die 1.600 Kilometer zurück, bis sie von Jägern erschossen wurde. Heute steht Huberta ausgestopft am Eingang des Kaffrarian Museums in Kingwilliamstown und ist damit auch eine Art Mahnmal für die Beinahe-Ausrottung ihrer Gattung: Nilpferdfleisch ist schmackhaft und die drei Kilo schweren Hauer sind aus Elfenbein.

Da Nilpferde nachtaktiv sind, findet man sie tagsüber meist faul und versonnen, aber durchaus gesellig in Gruppen in Ufernähe treiben. Wenn sie so träge-entspannt im Wasser liegen, nur der Kopf schaut raus, mit den freundlichen Nasenlöchern, den runden, leicht kummervoll vorstehenden, wissenden Augen, den winzigen Propellerohren und das breite Maul mit den lustigen Bartstoppeln wie ständig zum Grinsen bereit oder zum Gähnen - es ist ein Bild des Friedens und der Wohligkeit, so als hätten die Nilpferde schon in der Urzeit die Wellnesswelle erfunden.

Nilpferd-Legenden

Denn mit der Urzeit scheinen sie noch direkt in Verbindung zu stehen. Nicht von ungefähr ist ihr erster literarischer Auftritt in der Bibel, im Buch Hiob, damals - der große Brehm war noch nicht erschienen - noch "Behemoth" genannt. "Er ist das erste der Werke Gottes (. . .) Er liegt unter Lotosbüschen, im Rohr und im Schlamm verborgen." Eine sehr nette Legende erklärt die Entstehung des Nilpferdes so: Ein Pferd litt unerträglich unter der Hitze, da erbarmte sich der Nilgott seiner und stattete es umweltadäquater aus: Die Haut vom Elefanten, das Fett vom Schwein, den Nacken vom Stier, die Lunge vom Wal, den Rachen vom Krokodil - also von überall das beste, und deshalb ist das Nilpferd so glücklich und lacht immer. Einen Schöpfungsbericht gibt auch Peter Hammerschlag: "Es hat sein U zwar auch der schmucke Lurch - / Doch welches Vieh, wenn man die Schöpfung mustert, / Ist noch so Ur- und U, ganz durch und durch / Von Urgewalt zur Ungestalt geplustert?!" In "Ururstunden" aus Gottes Ursuppe gemacht, fügt sich harmonisch Wulst an Wulst zu "Kugeln, Wucht und Klumpen". Peter Hammerschlag hatte eindeutig eine besondere Beziehung zum Nilpferd, generell rät er allen Bedürftigen und Beladenen: "Im Unmut sollst du Zuflucht bei ihm suchen! / Voll guten Mutes küsst's dich auf den Mund / Und gibt dir Futter. Guten Dschungelkuchen."

Es scheint eine Korrelation zwischen Nilpferd-Affinität und Hang zum Skurrilen zu geben. Dass Kurt Schwitters "Die Geschichte vom Hasen" schreibt, der sich unter anderem auch in ein Nilpferd und vom Nilpferd in einen Dampfer verwandelt, hat einfach eine innere Logik. Auch Eckhard Henscheid nennt das Nilpferd eine "Trostgestalt vom Höchsten". Mit seinem straffen Runzelleib scheint es "aus einer Region weit vor den Anfängen der Genesis herzurühren, aus dem Grenzflur ja bereits zum Göttlichen". Das verleiht natürlich ein gerüttelt Maß an Gelassenheit, die sich in der mächtigen Leibesfülle und den ruhigen Gesichtszügen ausdrückt.

Nilpferde sind philosophische Tiere. Das wusste auch Christian Morgenstern. Er lässt ein Nilpferd aus Gram darüber sterben, dass es aufgrund eines Schreibfehlers plötzlich "Stilpferd" heißt, "Worauf es flugs von den Ästheten / als Wappentier ward auserbeten", was dem philosophischen Tier einfach unerträglich war. Nonsens steht auch an der Wiege von Schnuffi, dem Nilpferd der "WimS" ("Welt im Spiegel"), das 1964 bis 1976 als Mittelstück der Satirezeitschrift "Pardon" seine Abenteuer erlebte, die stets vier, von Robert Gernhardt gezeichnete Bilder umfassten. Schnuffi ist ein männliches Nilpferd mit vorstehenden Schneidezähnen und Ponyfransen, geht auf zwei Beinen, trägt gern unvorteilhafte kurze Hosen und häufig eine dicke schwarze Brille.

Durch seine physische Fremdartigkeit kann das Nilpferd aber auch Elemente des Unheimlichen und Nächtigen transportieren. In der

Erzählung "Der Hippopotamus" von Ernst Jünger ist es ein Aquarell mit Nilpferd, das die Geschichte einleitet und ihr Thema von der inneren Logik des Wahnsinns präludiert.

Das Bild zeigt einen Pommerschen Bauernhof inmitten weiter Wiesengründe und eine Scheune, in der ein Flusspferd steht. Dem Betrachter kommt das gar nicht seltsam vor, denn farblich passt das Dunkelgrau des Tiers wunderbar zum satten Grün der Wiesen, und es wirkt einfach logisch, dass ein

so großer Esser sich in einer üppigen Weidelandschaft wohlfühlen muss.

Wenn Nilpferde das Wasser verlassen, tun sie das trotz ihrer kurzen dicken Beine und dem plumpen, schweren Leib mit erstaunlichem Klettergeschick. Von den Proportionen sollte man sich nicht täuschen lassen. Nilpferde sind wendig, und wenn es sein muss, auch sehr schnell, bis zu 30 Stundenkilometer.

Eugen Roth, in dessen holpernden Versen oft viel Entlarvendes über die verquere Gutmütigkeit der biederen Kleinbürgerseele nachzulesen ist, hat eine wenig schmeichelhafte Erklärung für die Beliebtheit des Nilpferds: "Jetzt aber trifft man allerwegen / Das plumpe Tier in den Gehegen / Und freut sich sehr als Mensch und Christ, / Dass man nicht auch so hässlich ist."

"Entschlummern gähnend"

Aber das ist allenfalls die halbe Wahrheit. In ihrer ganzen Schwerfälligkeit haben Nilpferde durchaus etwas Graziles.

Es ist dieser Widerspruch zwischen Plumpheit und Geschmeidigkeit, der fasziniert, und auch der zwischen physischer Riesenhaftigkeit und prinzipieller Friedfertigkeit. Geraten zwei Flusspferde aneinander, sperren "beide ihr Maul auf, so weit sie nur können, haken ihre großen Hauer ineinander und entschlummern so, gähnend".

Das ist die etwas geschönte Version, die Wolfgang Hermann vom Sozialverhalten der Nilpferde liefert. Aber prinzipiell stimmt das schon. Nur wenn sie sich angegriffen fühlen, werden sie aggressiv. In Karl Mays "Sklavenkarawane" kommt so ein Kampf der Giganten vor, und zwar zwischen einem Nilpferd und einem Elefanten, dem es mit einem gewaltigen Biss den Rüssel abreißt. Sehr übel und sehr langatmig, wie Karl May das schildert, die nicht schwer zu erratende psychologische Interpretation dieses schaurigen Kampfes kann man in Arno Schmidts "Sithara" nachlesen.

Tapsig und friedlich

Über seine Tapsigkeit und stets gähnbereite Friedlichkeit hat sich das Nilpferd auch in die Kinderzimmer geschlichen. "Die Gelse ist ein frecher Wicht, weil sie das arme Nilpferd sticht", reimt Erwin Moser eine kindgerechte Version von der dickfelligen Langmut des Nilpferds. Verkleinerungssimulationen gewichtiger Tiere schmeicheln kindlichen Omnipotenzträumen und simulieren die äußerste Kolonisation des Fremden. Das hat Burghart Schmidt in seiner kleinen "Philosophie durchputzbar-abwaschbarer Handlichkeit" am Beispiel des Teddybären analysiert.

Und so ähnlich geht's wohl auch beim Nilpferd zu. Es gibt eine erstaunliche Fülle an Kinderreimen und Kinderbüchern zum Nilpferd.

Auffallend häufig erzählen die Geschichten von Nilpferdmädchen. Oft sind sie aus irgendeinem Grund zunächst melancholisch und unzufrieden mit ihrer Situation, vor allem auch mit ihrer Körperlichkeit. Katharina, das Zirkusnilpferd, kann nicht durch den Reifen springen, weil es stecken bleibt, Veronika will in die Stadt, richtet mit ihrer Fülligkeit dort aber nur einen Störfall nach dem anderen an, ein kleines Nilpferd will laufen wie die Gazelle, brüllen wie der Löwe und turnen wie die Affen.

Da es pädagogische Kinderbücher sind, steht an ihrem Ende immer die glückliche Selbstbescheidung, womit das Nilpferd sein Image des weise Über-den-Dingen-Stehens rehabilitiert.

Freitag, 05. April 2002

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