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Warum für Kinder das Zusammenleben mit Hunden wichtig ist

Hunde erziehen Menschen

Von René Freund

Ein Besuch der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal ist immer ein besonderes Erlebnis: Die weltberühmt gewordenen Graugänse sonnen sich in der Wiese vor dem alten, im Vulgo-Namen "Auinger" genannten Haus. Auf der Dachrinne sitzen die ebenso originell wie schön aussehenden Waldrappen, an diesem frühlingshaften Vormittag übrigens - wie der Leiter der Forschungsstelle, a. o. Prof. Dr. Mag. Kurt Kotrschal anmerkt - "etwa 10 Prozent der Welt-Population von frei lebenden Waldrappen". Was nur bedeutet, wie selten dieser Vogel geworden ist, dem die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für vergleichende Verhaltensforschung zur Zeit eine Projektreihe widmet: Im Sommer sollen eigens aufgezogene Waldrappe mit Hilfe von Leichtflugzeugen wieder an ihre Zugtradition in den Süden gewöhnt werden, nächstes Jahr sollen dann die Überquerung der Alpen und ein Flug bis in die südliche Toskana gewagt werden. Die "Wiener Zeitung" wird berichten.

Diesmal ging es bei dem Gespräch mit Prof. Kotrschal, der auch Präsident des ECA (Eurasier Club Austria) ist, um die Mensch-Hund-Beziehung. Anlass war eine im Vorjahr durchgeführte Studie, wonach Kinder durch die Anwesenheit von Hunden sozial verträglicher, als Gruppe homogener und in Richtung Lehrerin aufmerksamer wurden als eine Vergleichsgruppe von "hundelosen" Kindern. Die Studie wurde an einer Volksschule im

3. Wiener Gemeindebezirk durchgeführt. Brita Ortbauer und Kurt Kotrschal beobachteten den Versuch von ethologischer Seite, eine Gruppe um Giselher Guttmann leitete die psychologischen und psychometrischen Tests und wertete sie aus. Das Ergebnis in groben Zügen: Die Kinder, die in einer Klasse mit (eigens ausgebildeten) Hunden zusammenlebten, profitierten im Vergleich mit der Gruppe von Kindern ohne Hund in vieler Hinsicht: Es gab deutlich weniger Probleme mit Aggressionen; die Kinder waren aufmerksamer, blieben öfter an ihren Plätzen, neigten weniger zu Einzelgängertum; verhaltensauffällige Kinder fügten sich besser in die Gruppe ein; die Lehrerin als Bezugsperson der Hunde wurde von den Schülerinnen und Schülern in hohem Maße akzeptiert.

Wiener Zeitung: Herr Professor Kotrschal, wieso haben sich die Hunde als "Hilfslehrer" bewährt?

Kurt Kotrschal: Diese Studie zeigt sehr gut, dass Hunde für Menschen vielfältige soziale Funktionen haben können. Kinder, die mit Hunden aufwachsen, haben als Erwachsene eine höhere soziale Kompetenz. Hunde werden auch sehr sinnvoll in der Arbeit mit Behinderten eingesetzt. Sie sind fast ein "Wundermittel" bei der Arbeit mit autistischen Kindern. Wir haben da schöne praktische Erfahrungen, auch durch das IEMT, das Institut zur interdisziplinären Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung. In diesem Rahmen gibt es zum Beispiel eine Gruppe von etwa 10 Damen mit Golden Retrievern, die sich Schulen anbieten, um zwei oder drei Stunden mit den Kindern zu verbringen. Die Kinder können lernen, wie man mit einem Hund umgeht, manche machen auch Turnstunden mit dem Hund. Sogar das Kind mit dem Down-Syndrom, das sich am Turnunterricht nie beteiligt hatte, wollte plötzlich mitmachen, da gab es die erstaunlichsten Ergebnisse. Auch das "dogteam" um Karin Bierbaumer und Silvia Kratzer leistet wertvolle Arbeit an Grazer Schulen. Ich finde diese Programme eigentlich sensationell, weil die Erfahrungen zeigen, dass drei Stunden mit einem Hund mehr bringen können als ausgefeilte pädagogische Programme.

W. Z.: Wie wurden die Auswirkungen auf das soziale Verhalten der späteren Erwachsenen untersucht?

Kotrschal: Mitarbeiter von Unternehmen wurden befragt, was sie von ihrem Chef halten. Da gab es eine eigens ausgearbeitete Skala. Die beliebteren und als sozial kompetent erlebten Chefs sind signifikant häufiger mit Hunden aufgewachsen als die unbeliebten. Natürlich kann man Einwände anführen: Zum Beispiel, dass eine Familie, in der auch ein Hund lebt, insgesamt wahrscheinlich ein permissiveres Verhalten hat als Eltern, die keinen Hund wollen, weil er zu viel Schmutz macht. Aber im Wesentlichen gehen die positiven Effekte tatsächlich von den Hunden aus. Auch auf der physiologischen Ebene gibt es klare Untersuchungen, wonach Menschen, die mit Hunden zusammenleben, zum Beispiel signifikant weniger häufig bzw. später an einem Herzinfarkt sterben als die Tierlosen. Das funktioniert auf der mechanistischen Ebene: Der soziale Kontakt mit dem Tier, das Streicheln usw., bewirkt etwas Ähnliches wie der soziale Kontakt zu einem menschlichen Partner, es beruhigt, entspannt, nimmt Stress weg, senkt den Blutdruck . . . die Effekte sind ähnlich wie bei einem guten menschlichen Sozialpartner. Die Anwesenheit des Hundes allein bewirkt, dass man sich ruhiger und besser fühlt.

W. Z.: Es gibt aber auch nervende Hunde.

Kotrschal: Ja, das ist dann ein schlechter Partner. Wenn ich meine beiden Hunde anschaue, ist mein sozialer Ansprechpartner die Hündin. Der Rüde ist der Reibebaum. (lacht) Das ist auch eine wichtige Funktion.

W. Z.: Für wen wichtig?

Kotrschal: Für mich und umgekehrt genauso. Wir sind zwei Männchen, wir haben ständig irgendwelche Rang-Geschichten auszufechten.

W. Z.: Inwiefern ist dieser persönlich vorteilhafte Effekt auch gesellschaftlich relevant?

Kotrschal: Es gibt auf verschiedenen Ebenen Daten, die belegen, dass Hunde wichtig sind. Und ich möchte betonen: Nicht nur Hunde, die für etwas ausgebildet sind. Dass ein Lawinenhund wichtig ist, sehen wir alle ein. Doch dass der ganz normale und "unnütze" Hund, der nichts anderes tut, als mit der Familie zu leben, einen unglaublichen Plus-Effekt in der Gesellschaft hat, sieht man nicht. Man sieht immer nur die Hundstrümmerln und ab und zu einen Hundebiss. Das sind tragische, aber statistisch gesehen wenige Fälle. Im ÖKV, dem Österreichischen Kynologen Verband, haben wir Überlegungen angestellt, dass man den gesellschaftlichen Vorteil der Hunde einmal in Zahlen fassen sollte, in einer Art Sozialbilanz. Zum Beispiel wurde ja unlängst auch versucht, zu beziffern, welche Kosten soziale Inkompetenz in der Gesellschaft verursacht. Die Summe war astronomisch. Man muss sich nur anschauen, was in einem ganz normalen Unternehmen für Reibungsverluste durch Dominanzspiele zwischen den verschiedenen hierarchischen Ebenen entstehen. Und das sind

ja nicht nur wirtschaftliche Schäden.

Im Auftrag eines englischen Ministeriums hat ein Soziologe eine Studie erstellt, deren Ergebnisse belegten, dass Chefs im Durchschnitt zehn Jahre länger leben als die Leute in den mittleren Ebenen. Das hatte nicht mit der Stress-Menge zu tun, sondern ganz entscheidend mit der Selbstbestimmtheit. Die Chefs machen sich ihren Stress sozusagen selber, wogegen der Angestellte in der Mitte den Druck von oben und von unten bekommt. Und dieser Stress kostete einen durchschnittlichen englischen Mann zehn Jahre seines Lebens. Ein Beispiel für die verheerende Auswirkung von sozialer Inkompetenz.

W. Z.: Wie ist das mit Hunden in der Stadt? Soll sich eine Familie, die in einer Wohnung ohne Garten lebt, einen Hund nehmen?

Kotrschal: Ja, auf jeden Fall. Gartenhunde sind oft weniger gut gehalten als Wohnungshunde, weil Leute, die einen Garten haben, meist weniger regelmäßig mit dem Hund spazieren gehen. Und es ist eine Grundvoraussetzung für die Partnerschaft, dass man mit dem Hund täglich mindestens zweimal eine halbe Stunde spazieren geht. Sonst kenne ich meinen Hund nicht und er mich nicht. Dass die Wiener partout nicht einsehen, dass man die Hundstrümmerln wegräumen sollte, ist wieder eine andere Geschichte. Ich verstehe die Menschen in Wien, die sich darüber aufregen, dass überall Hundekot herumliegt. In der Schweiz zum Beispiel gibt es kaum weniger Hunde, aber für einen Schweizer wäre es unerträglich, die Exkremente seines Hundes nicht aufzuklauben. Man müsste in Österreich das soziale Prestige des Hundstrümmerl-Aufklaubens verbessern!

W. Z.: Wann sollten Hund und Kind am besten zusammentreffen?

Kotrschal: Am idealsten ist sicher, wenn Kind und Welpe gleichzeitig kommen. Das passiert auch häufig. Problematisch kann es sein, wenn der Hund schon da war und dann das Kind kommt. Im ersten Lebensjahr des Kindes sollte man in diesem Fall den Hund und das Neugeborene keinesfalls allein in einem Zimmer lassen. Niemand braucht seinen Hund wegzugeben, wenn ein Kind kommt, aber man sollte wirklich aufpassen. Gefährlich können in der Beziehung dominante Hunde und besonders Hündinnen sein. Oft sind das kleine Hunde. Die werden nicht so gut erzogen, weil man sie eh nicht ernst nimmt. Ich will da keine Ängste schüren, aber man sollte das wissen. Auch Kleinkinder und fremde Hunde sind so ein Kapitel. Wobei Kinder, die mit Hunden aufwachsen, den positiven Effekt haben, dass sie oft besser mit Hunden umgehen können und wissen, dass nicht jeder Hund so ist wie ihr eigener.

W. Z.: Haben Katzen auch positive Effekte auf das soziale Verhalten?

Kotrschal: Bei den Katzen sind die Effekte nicht so genau untersucht. Wahrscheinlich ist ihre Wirkung auf Kinder nicht so stark, weil Katzen sehr individualistisch sind. Hunde sind nicht so distanziert. Hunde fordern etwas, sind selbst sozialer und insofern "wirksamer" als Katzen. Die mittlerweile 100.000-jährige Beziehung zwischen Mensch und Hund ist sicher kein Zufall.

W. Z.: Der Hund stammt vom Wolf ab . . .

Kotrschal: Der Hund ist ein Wolf.

W. Z.: Auch ein Dackel?

Kotrschal: Jeder Hund ist genetisch gesehen ein Wolf.

W. Z.: Es gibt da zwei Hypothesen: Die erste besagt, dass der Mensch den Wolf domestiziert und zum Hund gemacht hat; die zweite geht davon aus, dass der Wolf sich, indem er den Vorteil des Zusammenlebens mit dem Menschen erkannt hat, selbst domestiziert hat. Welche halten Sie für richtig?

Kotrschal: Es gibt noch eine dritte Hypothese: Nämlich die, wonach der Wolf den Menschen domestiziert hat.

W. Z.: Wie das?

Kotrschal: Indem es durch das Zusammenleben einen gewissen Effekt auf die soziale Reaktionsbereitschaft gab. Der Wolf hatte ganz sicher eine Auswirkung auf die menschliche Kulturentwicklung, möglicherweise sogar auf seine biologische Evolution - bei einer so langen Assoziation ist das durchaus möglich. Wahrscheinlich stimmen alle drei Hypothesen.

W. Z.: Durch die Öffnung des Eisernen Vorhangs werden immer mehr Wölfe aus Tschechien, aus der Slowakei und aus Slowenien nach Österreich kommen.

Kotrschal: Ja, eventuell sogar aus Italien, wo sich in den Abruzzen wieder eine relativ potente Wolf-Population gebildet hat, die sich über den Apennin und Florenz bis in die französischen Alpen ausgebreitet hat.

W. Z.: Bei Bad Ischl wurde kürzlich ein Wolf von einem Berufsjäger erschossen. Der Wolf hat angeblich bei der Wildfütterung Hirsche gerissen.

Kotrschal: Ja, da sind wir darauf angewiesen zu glauben, was der Jäger sagt. Er hat den etwa 50 Kilogramm schweren Wolf, der ja in Österreich unter Naturschutz steht, angeblich mit einem Hund verwechselt. Wie auch immer, die Diskussion ist eigentlich eine um unseren Zugang zur Natur. Ist die Natur ein Wirtschaftsraum, in den man so viele Rehe und Hirsche hineinpackt, wie die Baumbestände gerade noch vertragen, oder ist die Natur ein Wert an sich? Das ist eher eine ethisch-politische als eine naturwissenschaftliche Frage. Bei den anderen ist man sich über die Antwort meist einig. Den Afrikanern nehmen wir es zum Beispiel sehr übel, wenn dort die letzten Nashörner abgeschossen werden, aber in Österreich glaubt man, dass Wölfe einen dramatischen Schaden anrichten können. Natürlich wird der Wolf immer wieder ein Schaf oder ein Stück Wild reißen, aber hat er deshalb hier kein Lebensrecht? Es ist ja heute nicht mehr so, dass ein Bauer in existentielle Schwierigkeiten gerät, wenn er ein Schaf weniger hat. Er wird dafür von staatlicher Seite entschädigt, und die

Sache ist erledigt. Was hat es

nicht für einen Aufstand gegeben, als 1993/94 die Bären nach Österreich kamen? In der Zwischenzeit leben laut WWF in Österreich an die 40 Bären, und was passiert? Nichts.

W. Z.: Und bei 100 Wölfen wäre das genauso?

Kotrschal: Das hängt davon ab, was die Rudel für eine Tradition entwickeln. Jedenfalls kann man das Problem der Einwanderung nicht auf Dauer mit der Flinte lösen.

Freitag, 05. April 2002

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