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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die meisten Tiere ereilt ein unnötig früher Tod

Irgendwann ist Schluss

Von Stefanie Holzer

Unser Stammtisch ist fast wie jeder andere. Das "fast" kommt daher, dass wir ein vierbeiniges Mitglied haben: Der Hund hört auf den zugegebenermaßen merkwürdigen Namen Charmeur, aber dafür kann er nichts, nicht einmal seine Eigentümer, denn Sie wissen, wie es mit Rassehunden ist, der Anfangsbuchstabe weist drauf hin, dass das in Frage stehende Hündchen aus dem dritten Wurf stammt. Charmeur spricht kaum je, es sei denn jemand tritt ihm auf die Zehen. Er wäre also insgesamt ziemlich unauffällig, wenn nicht seine schiere Größe und seine etwas verwilderte Haartracht ihn unübersehbar machten. Es scheint so zu sein, dass die meisten Menschen deswegen Zutrauen zu ihm fassen, weil man bei ihm die längste

Weile nicht sieht, wo hinten und vorne ist, denn Charmeur ist ein Briard.

An diesem Abend war nicht viel los beim Wirten, also bekam unser Vierbeiner die Erlaubnis, seinen angestammten Platz unter dem Tisch zu verlassen. Oho! Da schaute der junge Mann am Nebentisch aber erzieherisch. So ein Vieh, sagte sein Blick, noch dazu so ein riesiges und haariges hat im Gasthaus nichts verloren.

Ich hab Charmeur vor Zeiten eine Spange geschenkt, auf dass er seine Stirnfransen aus dem Gesicht frisieren könnte. Doch mit solch modischem Firlefanz wollte sich der französische (!) Hirtenhund nicht anfreunden. Deswegen bemerkt er wahrscheinlich gar nicht, wie die Leute starren, wenn er kommt. Ich dagegen trage meine Haare aus der Stirn und überlegte, ob ich den jungen Mann beruhigen, ihm von der Gasthaustauglichkeit unseres Stammtischkollegen erzählen sollte. Da fiel mein Blick auf die für den Hundefeind soeben aufgetragenen Speisen: Ohne Zweifel, auf dem Teller lag ein in Stücke geschnittenes totes Tier. Es berührte mich merkwürdig, dass der junge Mann tote Tiere lieber mag als lebendige. Das Tier schien ihm nur in seiner Erscheinungsform als Essen erträglich.

Toter Nerz mit Kopf

Die ungewöhnliche Kälte im Dezember und im Jänner zwang manch eine Dame der Gesellschaft dazu, ihren Pelz auszuführen. Dagegen ist aus meiner Warte nichts einzuwenden. Ich halte Wind und Wetter selbst auch bisweilen durch Schaf- und Rindshäute ab. Dennoch hat mich ein modisches Accessoire an jener Dame etwas nachdenklich gestimmt: An Stelle eines Stirnbands oder meinetwegen einer den sibirischen Temperaturen angemessenen Pelzhaube trug die ansonst ansehnliche Blondine ein glänzend dunkelbraunes Pelztier, am ehesten einen Nerz, um den Kopf gewunden. Seitlich an der Schläfe der Trägerin baumelten die Füßchen und ein Stück weiter hinten - ich glaub es selber kaum - wippte bei jedem Schritt das Köpfchen des Tieres. Es wirkte wie die Jagdtrophäe eines etwas irregeleiteten Kopfjägers.

Da fiel mir ein: Das Nerzstirnband ist nicht wirklich neu, denn schon in meiner Kindheit schlang sich die Dame von Welt an Stelle eines Schals einen ganzen Fuchs asymmetrisch um den Hals. Als besonders chic galt es, wenn der Fuchs mit seinen Glasaugen starr blickend den Plebs in Schach hielt, der

hinter solchen Wunderwesen herging.

Beunruhigend an den Nerzfüßchen und den Glasaugen des Fuchses ist nicht allein das tote Tier, auch nicht die Tatsache, dass die Trägerinnen gar nicht verheimlichen wollen, dass es sich um ein solches handelt. Irritierend ist die Klarheit des Standpunkts, der durch Fuchs und Nerz mit Kopf markiert zu werden scheint. Die Dame spricht durch ihr Stirnband: Für mich, bedeuten die baumelnden Füßchen, ist das Tier jederzeit nutzbare Ressource. Das Tier, bestätigt der baumelnde Kopf, ist dafür da, ein Stirnband oder ein Schal zu werden.

Der Metzger wartet

Im Prinzip stimmen die meisten Menschen der blonden Schönheit zu: Sie essen Fleisch, sie tragen Lederschuhe, sie tuschen sich die Wimpern und pflegen sich mit Hirschtalgcreme. Unterschiedlich ist nur der Punkt, ab dem Skrupel empfunden werden: Am Neujahrstag besuchten wir einen Nachbarn, um ihm die besten Wünsche für 2002 zu übermitteln. Wir trafen ihn im Stall an, was mir sehr zupass kam. Ich halte mich gern in der Gesellschaft von Kühen, etwa zehn, einem Schwein, zwei Kälbern, einem ganz alten rassisch schwer beschreibbaren Hund, einem übermütigen und jungen Sennenhundmischling und ungefähr fünf wunderschönen Hauskatzen, von denen eine fast schwarz, eine rot- und eine dritte graugetigert war.

Im Stall riecht es nach Dingen, die mein zu Hause gebliebener Kater, der als Innenstadtbewohner nie in den Stall kommt, überaus anregend findet. Eine Freundin hat ihm vor Jahren eine einschlägig verschmutzte Haarsträhne von einem Kuhschwanz geschenkt. Im Stall fällt so eine Strähne nicht weiter auf, in einer Wohnung dagegen wirkt so ein Büschel Haare, als ob ein Malheur passiert wäre. Mein Kater jedenfalls sniffte monatelange immer wieder an seinem Schatz und träumte wohl von unerhörten Abenteuern.

Ich streckte meine Hand nach dem schönen schwarz-grau-weißgefleckten Kalb aus. Die Box schien ihm bald zu klein zu werden. Seine noch sehr gelben, wie Wachs durchscheinenden Hufe standen auf einem dicken Haufen festgetretenem Strohs. Ich hielt ihm meine Hand hin, damit er - es war ein kräftiges Stierkalb - daran riechen konnte. So groß er schon war, so öffnete er dennoch bereitwillig sein Maul, um mit zunehmender Gier an meiner Hand zu saugen. Sein eigener Speichel schäumte weiß, als ob er tatsächlich Milch aus meiner Hand saugte.

Während wir noch hingerissen die Lebendigkeit und Lebenslust des Tieres bewunderten, sagte der Bauer unvermittelt: "Der kommt morgen zum Metzger!" Ich zog meine Hand zurück und konnte dem Kalb nicht mehr recht in die Augen schauen. Erst auf dem Nachhauseweg wurde mir klar, dass es nicht Rohheit, sondern das exakte Gegenteil davon gewesen war, das unseren Nachbarn die fried- und freudvolle Szene mit seiner Bemerkung stören ließ.

Es beschwerte sein Herz, dass er das Kalb dem Metzger überantworten musste. Ihm war nicht wohl, wenn er dem Kalb gegenüberstand, und sein Unbehagen wuchs in dem Maß, in dem sein Kalb vergnügt war.

Von Ziegen und Schafen

Ein paar Tage später, ebenfalls noch in den Weihnachtsferien, waren wir zum "Krippeleschauen" eingeladen. Die Weihnachtskrippe ist seit 70 Jahren im Besitz der Familie P.: Alljährlich stellen Vater, Sohn und Enkel Abende lang über hundert Figuren, darunter ein paar Kamele und viele Schafe und auch einige Ziegen auf. Nach dem "Krippeleschauen" und nach ein paar wärmenden Schnäpsen gingen wir in den Stall zu den richtigen Schafen und Ziegen.

Auf dem Weg dahin sahen wir über einem Pfosten ein am Rand noch von frischem Blut rotes zotteliges Schaffell hängen. Bauer P. bringt mit Ausnahme seiner rotschopfigen Grauviehkühe alle Tiere auf seinem Hof selber um. Schafe, Ziegen und Schweine finden durch seine Hand den Tod, damit sie

zuversichtlich und ohne Angst

bis zum letzten Moment leben können.

Im Stall bekam ich als erstes ein Büschel von einem Schweif einer Grauviehkalbin geschenkt, das mein Kater sehr zu schätzen wissen würde. Neugierig war ich auf die Ziegen, von denen ich schon Wunderdinge gehört hatte: In einem der vorangegangenen Sommer waren sie nicht mit dem Almerer ins Tal abgestiegen, sondern hatten sich vielmehr dazu entschlossen, mit ihren wilden Verwandten, den Gämsen, in die Höhen zu steigen. Die P.s hatten große Mühe gehabt, die Ziegen nach dem ersten Schneefall einzufangen und vor dem Hunger- und Kältetod in den Bergen zu erretten.

Auf den ersten Blick sah ich, dass P. weniger Ziegen als im Sommer davor hatte. Sie machten ihm viel Arbeit, murmelte er und zeigte uns stattdessen den schneeweißen, nur ein paar Tage alten Drillingswurf eines Schafes. Schafe haben nur zwei Zitzen, deswegen bekommt das kleinste Lamm bei einem Drillingswurf oft zu wenig Milch. P. wollte das Lamm dazu überreden, sich mit selbst gesaugter Ziegenmilch über die Runden bringen. Doch weder Lamm noch Ziege waren für diese Lösung zu gewinnen. Das Lamm würde vielleicht doch mit der Flasche aufgezogen werden müssen . . .

Die Bäuerin hatte mir erzählt, für ihren Mann gehöre das Töten zum Bauersein dazu. Nur wenn er die Kitzl umbringen muss, dann sei ihm tagelang nicht wohl. Dieses Unwohlsein hat offenbar die Zahl der Ziegen vermindert. Irgendwo zwischen Lamm und Kitz verläuft für den Bauern P. jene Linie, die zu überschreiten ihm ungehörig und schwer erträglich scheint.

Tiere im Salat

Beim Salatwaschen war ein Ohrenschliefer im Waschbecken geblieben. Ich bemerkte ihn, als das heiße Wasser lief, um den Teller für das Katzenfutter vorzuwärmen. Noch vor zehn Jahren hätte ich den Wasserstrahl genau auf den Ohrenschliefer gelenkt, um ihn möglichst schnell zu töten und in den Ausguss zu spülen. So habe ich auch immer wieder Salatschnecken entsorgt. Irgendwann seither hat sich mein Verhältnis zum Ohrenschliefer und zu den Schnecken verändert.

Ich drehte schnell das Wasser ab und klaubte den verzweifelten Ohrenschliefer auf und lagerte ihn im Kompostkübel, den ich am nächsten Tag erst ausleeren würde. Bis dahin konnte er sich erholen. Dann hatte er eine faire Chance. Einzelne Schnecken haben gute Überlebenschancen, treten sie allerdings massiert auf, so sinkt meine Hemmschwelle rapid, und ich metzle sie dahin.

Meine Freundin K. hat ebenfalls eigene Regeln im Umgang mit dem Tier: Sie lebt in einem schönen Haus, das sie mit ihrem Lebensgefährten, dem bereits erwähnten französischen Hirtenhund und zwei Katzen teilt. Gegenwärtig denkt sie darüber nach, sich eine dritte Katze ins Haus zu holen. Ohne Zweifel liebt K. Tiere, allerdings dürfen sie eine gewisse Mindestgröße nicht unterschreiten. Den Asseln in ihrem Keller verkündete sie die Bedingungen für deren weiteren Verbleib im Keller: So lange ihr unten seid, bleibt ihr unbehelligt. Sobald sich die erste auf der untersten

Stufe der Kellertreppe zeigt, hat euer letztes Stündlein geschlagen, dann mache ich euch allen den Garaus.

Beim Spreißelhacken fand ich drei weißliche Würmchen mit einer Verdickung auf einer Seite und einem dunkeln Punkt in der Mitte der Verdickung.

Es handelte sich um Larven eines Bockkäfers, der, stahlblau schimmernd, einer der schönsten Käfer ist, die ich kenne. Ich habe strikte Anweisung, alle diese wunderschönen Käfer und natürlich ihre unförmigen und wehrlosen Larven sofort zu zerquetschen, wenn ich eines Exemplars ansichtig werde. Die Larven fressen nämlich unsere Veranda auf. Sie wandeln sie nach und nach in gelben Staub um.

Als ich Späne zum Anheizen holte, sah ich, dass die kleinen von mir mit der Hacke entzweigeschnittenen Holzwürmer noch auf dem Hackstock lagen. Sie hatten sich gar nicht verfärbt, waren immer noch unschuldig weiß.

Mit den Spänen kam das Feuer sehr schnell in Gang. Ich legte ein etwas dickeres Holzstück auf die prasselnden Späne. Nach ein paar Minuten kontrollierte ich, ob das Feuer Fortschritte gemacht hatte und legte danach ein großes Holzscheit darauf.

Da vernahm ich ein Prasseln, anders als wenn nur Holz brennt. Es prasselte so, wie wenn Fett verbrennt. Fett? Das waren die Holzwürmer, sie verbrutzelten in den von ihnen selbst gefressenen Gängen im Holz und gaben dem Feuer Nahrung.

Würmer im Feuer

Die Dame mit dem Nerz-Stirnband würde dem Prasseln wohl nicht so lange zuhören, dass sie auf die Idee käme, dass hier Kreaturen Gottes vielleicht ihre Seele, aber gewiss ihr Leben aushauchen. Tiere haben Seelen. Alle? Oder nur Säugetiere?

Bei Katzen, Hunden und Kühen besteht längst kein Zweifel mehr. Insgesamt wandelt sich in unseren Tagen die Sicht auf das Tier sehr schnell. Für mich manifestiert sich die Seele im Blick: Wenn ein Tier mich anschaut, wenn ich sehe, dass es sich freut, Angst hat oder unentschlossen ist, wie es, zum Beispiel, auf meine Avancen reagieren soll, dann sehe ich Seelen, Verwandte.

Bei der Schnecke weiß ich zwar, wo die Augen sind, doch ich sehe keine Regung darin. Doch halt, so einfach ist es auch hier nicht: Die Schneckenaugen selbst zeigen mir nichts. Aber die Fühler, auf denen die Augen sitzen, zeigen beim Ausfahren und Sich-Strecken wohl etwas wie Neugier und Wünschen. Der ganze Schneckenkörper zeigt Angst oder zumindest Vorsicht, wenn sich die Schnecke zusammenzieht, sobald man sie auch nur mit einem Grashalm berührt.

Freude, denke ich, empfinden Schnecken, wenn überhaupt, heimlich. Es muss Schadenfreude sein, die sie empfinden, wenn sie frisch gesetzte Pflänzchen abraspeln.

Freitag, 05. April 2002

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