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Rennpferd des kleinen Mannes

Brieftauben und ihre außergewöhnlichen Leistungen
Von Elisabeth Hewson

Ich komm' aus dem Waldviertel, aus Wegscheid am Kamp. Dort war noch nichts mit Tauben, erst wie ich nach Wien gezogen bin. Da hab' ich ein paar Haustauben für meine Kinder geschenkt gekriegt von einem Nachbarn. Und da hat's begonnen.

Karl Steinhauer, heute 89, war nach Wien gekommen, um hier in einer Gärtnerei zu arbeiten. "Eigentlich hab' ich Bäcker gelernt, bei uns waren alle Bäcker, alle sieben Onkeln. Konditor wär' ich gerne geworden. Aber damals war's schlecht, auch in der Gärtnerei, und da bin ich halt Kutscher gewesen für einen Alteisentandler. Mit zwei Pferden hab' ich täglich um 6 Uhr früh an die 2.000 Kilo Kupferspäne, Messing oder Zinkblech nach Floridsdorf geführt." Dann kamen der Krieg, die Gefangenschaft in Frankreich - und 45 Jahre bei der Post. Als Entstörer. "Ich hab' immer nur Beurteilung sehr Gut gehabt." Und dann die Tauben.

Seine Tauben kennt er alle, der Karl Steinhauer. Alle die roten und blauen, gelben und schwarzen, die weißen, die scheckigen und die mit dem Schopf. In einer selbstgebauten Baracke hat er ihnen ihre Käfige hingestellt und auf dem Dachboden des Schuppens einen Kobel ausgestaltet. Dort muss der Herr der Tauben alle Monate einmal mit einer Leiter hinauf, um auszumisten. "Der Mist kommt auf den Komposthaufen, aber den muss man zwei Monate liegen lassen, der verbrennt sonst alles beim Düngen."

Besonders gefällt ihm seine "Nürnberger Schwalbe", eine Taube mit Federpratzeln. Und einen Liebling hat er auch unter seinen 50 bis 70 Tauben. Den Mucki. Wenn er in den Käfig greift, beginnt der zu gurren und hackt liebevoll auf die Hand ein, die ihn füttert. Offenbar ein Liebesbeweis. So sagt jedenfalls Herr Steinhauer. "Wenn ich allein bin im Garten, da kommen sie her und lassen sich auch angreifen. Wenn Fremde da sind, da sind sie schon verschreckt. Meine Frau, die hat die Tauben nicht besonders gemocht, hat sich auch nie um sie gekümmert. Aber zu der sind sie auch hergeflogen, die haben sie gekannt."

Mit seinem gurrenden Ruf lockt er die Tauben zum Napf, und prompt schweben sie von den umliegenden Hausdächern und Bäumen herab. 100 Kilo Mischfutter - Sonnenblumenkerne, Mais, Erbsen, Weizen - verfüttert er in etwa sechs Wochen an seine Kostgeher. "Wenn sie zu dick ist, die Taube, dann ist's nix mit dem Fliegen. Und wenn man sie auslässt, und sie setzt sich gleich wo hin oder dreht ein paar Runden, dann heißt sie auch nix als Brieftaube. Die muss gleich hoch und fort." "Heute flieg' ich nicht mehr", sagt er und meint damit seine Tauben. In der Umgebung natürlich schon, da lässt er sie ausschwärmen, da ziehen sie im Himmel rund um den benachbarten Kirchturm in Scharen ihre Kreise, flattern wieder herbei und sind abends zum Schlafen immer da.

Aber die Langstreckenflüge hat er eingestellt. "In 11/2 Stunden war der Tauber von Judenburg bei mir, das sind genau 210 Kilometer", erzählt er über frühere Flüge. "Man muss halt abwarten, bis schönes Wetter ist, denn bei Regen, da werden ja die Federn so schwer. Aber ganz egal ob Tag oder Nacht, die wissen genau, wo sie hergekommen sind und wieder hin müssen."

Die Tauben werden in einer Gemeinschaftsaktion, zu der man sich bei seinem Verein anmeldet, mit einem Laster zum Start gebracht. Jede Taube bekommt einen kleinen Gummiring ans Bein, und wenn sie wieder zu Hause eingetroffen ist, wird dieser Ring in eine spezielle Uhr gesteckt, und die registriert die Ankunftszeit. "Die Holländer, die Belgier, die erreichen schon bis zu 150 km/h. 600 Kilometer weit habe ich meine schon fliegen lassen. Höchstens zum Trinken kommen sie herunter. Und da passiert's halt dann, dass sie ein Öl erwischen auf den Federn, da geht's dann nicht mehr weiter. Da gibt sie oft jemand bei der Gendarmerie ab, und die verständigen uns. Oder es packt sie ein Marder oder ein Nebelkrah."

Besonders böse ist Karl Steinhauer auf eine ganz bestimmte Nebelkrähe. "Die Saatkrähen aus Russland, die machen nichts. Die füttere ich auch manchmal. Aber dieser grau-schwarze Nebelkrah, der da manchmal mit seinem Weiberl, einer ganz schwarz glänzenden, daherkommt, der hat mir schon viele Tauberln geholt."

Auch Marder holen sich Tauben. Jetzt hat er den Taubenschlag mit einer Stahlschnur verschlossen, aber vorher hat der Marder schon öfter zugeschlagen. "Die sind ganz schlau, die Marder. Die beißen sich die Schnur durch, die wissen genau, wie sie hineinkommen und wo die Tauben sitzen. Und dann saugen sie ihnen das Blut aus, da liegen nur noch die Federhüllen herum." Ein Freund hat auf diese Weise auf einen Schlag 200 Tauben verloren. "Aber ein Marder, der gibt dann Ruh'. Für Monate oder ein Jahr. Der Nebelkrah nicht."

Nicht viel hält Karl Steinhauer von den Mutterqualitäten der "Taubinnen". Zwar ziehen Männchen und Weibchen gemeinsam die Brut auf, aber wenn der Täuberich ausfällt - weil ihn ein Habicht oder das Heimweh gepackt hat -, dann haben die Jungen keine guten Karten: Immer wieder haben die Mütter dann ihre Jungen im Stich gelassen. "Aber der Mucki, das war nicht nur ein schöner Tauber, der war auch tüchtig. Sowas findet man unter hundert Tauben einmal. Der hat seine Jungen durchgefüttert, als die Mutter der Schlag getroffen hat."

"Tauben haben einen unheimlichen Heimweh-Instinkt." Karl Steinhauer erzählt von Tauben, die schon zwei Jahre bei ihm waren und dann, plötzlich, eines Tages wieder zurück nach Rumänien geflogen sind. Oder nach Polen: "Der eine hat das Weiberl und die Jungen sitzen lassen und ist geradewegs wieder nach Hause."

Wenn Tauben nicht wieder in ihren Herkunftsort finden, was auch passieren kann, dann drehen sie um und kommen meist wieder zurück ins neue Zuhause. Mit viel Geduld und Futter kann man Tauben durchaus an ein neues Heim gewöhnen. Aber nicht alle. Immer wieder verschwinden ein paar. Karl Steinhauer merkt das sofort.

"Besonders aufpassen muss man jetzt, wenn der Zug kommt. Vor allem auf die Ringeltauben. Die muss ich jetzt einsperren, sonst sind sie alle weg nach Afrika."

"Wenn der Zug kommt", das heißt: Ende September, Anfang Oktober. Bei uns wird es ihnen da offenbar doch zu unwirtlich. In England seltsamerweise nicht. Dort bleiben sie auch im Winter freiwillig. Taubenzüchten ist dort noch ein richtiger Volkssport, offiziell gibt es auf der Insel sechs Millionen registrierte Ringeltauben. "Wenn ich hereinkomm, und sie springen so vor und murren so schön, das mag ich halt." Und sie mögen ihren Karl Steinhauer, die immer wiederkehrenden Muckis.

Freitag, 05. Oktober 2001

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