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Ein Besuch auf der deutschen Straußenfarm "Mhou"

Beflügelt seit BSE

Von Hans Christof Wagner

Zwei Meter und siebzig hoch, ein knallroter Schnabel, Krallen wie ein Reptil, Wimpern wie eine Filmdiva und dahinter wache Augen, die argwöhnisch den Mann mit der Kamera fixieren. Jameel, der schwarz-weiß gefiederte Straußenhahn, wacht über seinen Harem mit Argusaugen - bereit, jeden Eindringling aus seinem Revier zu vertreiben.

Ben, Oscro, Carlos, Nelson, Sambou, Elian, Renee und Jameel - nur die acht Hähne seiner Herde kann Züchter Christoph Kistner noch beim Namen nennen. Die Zahl der Küken, Jungtiere und Hennen, die unter ihrem strengen Regiment stehen, ist in den acht Jahren so stattlich geworden, dass sie der Farmer beim besten Willen nicht mehr auseinander halten kann. Mit rund 300 Tieren ist die Straußenfarm Mhou im badischen Schwarzach, 20 km südwestlich von Baden-Baden gelegen, die größte ihrer Art in Deutschland. Und sie soll noch größer werden.

Kistner, der gelernte Journalist, der sich 1993 entschloss, die Feder aus der Hand zu legen und Farmer zu werden, hat viele Pläne für die Zukunft geschmiedet. "500 bis 600 Tiere sollen es einmal werden", erklärt er zwischen zwei Telefonaten. Sein Handy trällert unerbittlich. "Tut mir leid, aber so viel Fleisch können wir derzeit nicht liefern", muss er dem Anrufer bedauernd mitteilen.

Der Ausbruch der BSE-Krise hat seinen Betrieb aus dem jahrelangen Schattendasein im behäbigen Baden förmlich ins Rampenlicht katapultiert. Journalisten geben sich buchstäblich die Klinke in die Hand, die Kamerateams kommen und gehen, Telefon und Faxgerät stehen nicht mehr still. Aber vor allem die ängstlichen Verbraucher haben das Fleisch des größten Landvogels der Erde als gesunde, schmackhafte und garantiert BSE-freie Alternative zum Rind entdeckt. An manchen Tagen treten sie sich fast gegenseitig auf die Füße, um in dem kleinen, dem Hof angeschlossenen Farmladen einzukaufen. Inzwischen ist ihnen sogar der Weg aus dem 150 km entfernten Stuttgart oder dem fast 200 km entfernten Basel nicht mehr zu weit.

Probleme mit Schlachthöfen

Traten vor BSE bis zu sechs Tiere ihren letzten Gang an, sind es heute zehn bis zwölf, die pro Woche zum Schlachten in eine Metzgerei im Nachbardorf gebracht werden.

Kistner hat lange suchen müssen, bis er endlich einen Metzger seines Vertrauens fand. "Mit den Schlachthöfen hatte ich so einige Meinungsverschiedenheiten", sagt er. Als er merkte, dass die das von ihm gelieferte Fleisch nicht mit der gewünschten Sorgfalt behandelten und zu Wurstwaren weiter verarbeiteten, kündigte er die Zusammenarbeit schleunigst auf. Aber nun hat er einen Partner gefunden, der seinen Purismus in Sachen Straußenfleisch teilt. Jetzt können seine Kunden sicher sein: wo Strauß draufsteht, ist auch garantiert nur Strauß drin. Derzeit aber gehen die meisten von ihnen leer aus. Mit den ersten BSE-Fällen in Deutschland begann der Run auf die kleine Farm, die seit Wochen schon nur noch den Mangel verwaltet.

Doch alles in allem wiegt Kistner nachdenklich den Kopf, wenn er an BSE denkt. Natürlich freut es ihn, dass immer mehr Menschen das magere, cholesterinarme, protein- und vitaminreiche Fleisch schätzen lernen und einsehen, dass ein qualitativ hochwertiges Lebensmittel eben nicht zum Billigtarif zu haben ist. Kistner ist aber nicht der Typ, der angesichts des Rinderwahnsinns vom großen Reibach träumt, der mit fliegenden Fahnen sich über Nacht in einen Großfarmer verwandelt, nur weil die Nachfrage nach dem Fleisch seiner Tiere geradezu explodiert ist. "Selbst wenn ich 10.000 Tiere hätte, würde es nicht reichen", weiß er.

In der rund einhundertjährigen Geschichte der Straußenzucht hat es verschiedene Konjunkturen gegeben. Schmückten sich um die Jahrhundertwende die Damen des europäischen Adels und des gehobenen Bürgertums gerne mit den flauschigen Straußenfedern, dominierte um die Mitte des 20. Jahrhunderts die Nachfrage nach der Haut der Vögel, dem Straußenleder. Heute hat sich, zumindest was den europäischen Markt betrifft, das wirtschaftliche Interesse am Strauß klar auf seine Qualität als Fleischlieferant verlagert. Christoph Kistner hat dies lange schon vor BSE erkannt. Seine 300 Tiere gehören der Rasse "Simbabwe Blue" an. Sie erreichen im Vergleich zu den weltweit sonst gehaltenen Rassen das Schlachtgewicht zwei bis drei Monate früher, nämlich bereits mit neun Monaten, und bringen dabei auch ein um ein Drittel höheres Gesamtgewicht auf die Waage.

Bei allen seinen betriebswirtschaftlichen Kalkulationen darf sich Kistner aber nicht von den Verheißungen des seit BSE ausgebrochenen Booms auf alternative Fleischsorten hinreißen lassen. Was den internationalen Straußenmarkt beflügelt - er wird zu 80 Prozent von Südafrika bestimmt - ist für die zehn großen deutschen Farmen und die insgesamt rund 140 deutschen Halter eher zu einer notwendigen Begleiterscheinung geworden: die Nutzung des Straußenleders. Das der "Mhou-Farm" wird in Holland gegerbt und zur Weiterverarbeitung in verschiedene Drittweltstaaten geschickt. Aus Straußenleder gefertigte Geldbörsen, Handtaschen oder Aktenmappen, die es auch auf der Farm zu kaufen gibt, sind bis heute sündhaft teure Luxusartikel geblieben. Je mehr Tiere Kistner also schlachten lässt, desto intensiver muss er auch darüber nachdenken, wie er die übrigen Straußenprodukte an den Mann bringt.

Der Züchter weiß sehr genau, dass all dies es unmöglich macht, aus dem Strauß eine Art von Rinderersatz zu machen. Mühsam hat sich der Self-made-Farmer seine 23 ha Land zusammengepachtet, gegen mancherlei Widerstände der hiesigen Bauern. Wer Strauße züchtet, braucht diese Flächen. Die extensive Weidehaltung ist denn auch die natürliche Barriere, die eine industrielle Straußenmast in großen Ställen unmöglich macht. Strauße können bekanntlich nicht fliegen, und so brauchen die majestätischen Vögel mit den muskulösen Beinen vor allem viel Bodenfreiheit.

Jedes von Kistners 300 Tieren pickt täglich bis zu 20.000-mal mit seinem Schnabel in den winterlich kargen Wiesenboden. Selbst wo das menschliche Auge nur noch nackte Erde zu sehen glaubt, finden die Tiere noch ein Gräschen oder eine Samenkorn vor. "Der Strauß ist das genügsamste, umweltverträglichste und effizienteste Weidetier, das es gibt", sagt Kistner und zieht einer seiner Hennen liebevoll einen Grashalm aus dem Gefieder, der sich darin verfangen hat.

Neben dem Kühlschrank im Farmladen hat Kistners Frau einen kleinen Spankorb dekoriert, gefüllt mit den Inhaltsstoffen des Futtermittels, das die Tiere zusätzlich zum Wiesengras bekommen. Weizen, Gerste, Mais, Soja und Zuckerrübenschnitzel - nur pflanzliche Inhaltsstoffe sind erlaubt. "Tiermehl und wachstumsfördernde Zusätze sind bei uns tabu und Antibiotika brauchen die robusten Tiere ohnehin nicht", erklärt Kistner und wird schon wieder vom Klingeln seines Handys unterbrochen. Mit einer Engelsgeduld steht er dem Anrufer Rede und Antwort. "Nein, wir verkaufen keine Küken. Nein, staatliche Zuschüsse für die Straußenzucht gibt es keine." Fast treibt es ihm die Zornesröte ins Gesicht, nur mühsam kann er höflich bleiben. "Da war wieder so einer dran", berichtet er nach dem fast fünfzehnminütigen Gespräch. "Ein Landwirt mit einer großen Rindermast, Puten und Hühnern, der glaubt, er könne jetzt noch ein paar Strauße in seinen Kuhstall pferchen", empört sich der Straußenpionier, der offen von seiner Angst spricht, dass jetzt skrupellose Nachahmer die Straußenhaltung als lukrativen Nebenerwerb entdecken.

Seit BSE wird Kistner, der nebenbei auch Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Straußenzüchter ist, täglich mit solchen Anfragen konfrontiert. Das ist auch der Grund, warum er die Rinderseuche nicht nur als Chance, sondern auch als Problem sieht.

Gleichzeitig ist es ihm aber auch ein Ansporn, dass er momentan als Deutschlands Straußenpapst und Ansprechpartner Nummer eins gilt. Tierschutz ist ihm eine Herzensangelegenheit. Möglichst viel von dem in acht Berufsjahren erworbenen Wissen weiterzugeben, ist sein Ziel. Auf seinem Hof finden dreitägige Seminare statt, die zumindest Grundwissen über die Zucht vermitteln. Kistner kann seine klammheimliche Genugtuung nicht verleugnen: "In den Seminaren sitzen jetzt genau die drin, die uns 1993 angefeindet, verteufelt und boykottiert haben. "

Ammenmärchen von Afrika

Was wurde dem "Neigschmeckte", wie im Badischen die Nichteinheimischen gerne bezeichnet werden, nicht alles vorgeworfen, als er vor acht Jahren als einer der Ersten mit neun Tieren begann? Strauße gehörten nach Afrika, im kalten deutschen Klima würden sie krank und früher oder später sterben. Der Strauß sei ein Exot und kein landwirtschaftliches Nutztier und wer ihn dennoch so halte, sei ein Tierquäler und Sadist. "Ist doch alles Blödsinn", hält Kistner dagegen, dessen Tiere augenscheinlich bestens gedeihen und auch keinen gequälten Eindruck machen: "Vor 10.000 Jahren, während der letzten Eiszeit, haben Strauße in großen Herden ganz Europa bevölkert. Es ist doch ein Ammenmärchen, dass der Strauß aus Afrika stammt", redet er sich in Rage. Überleben jedenfalls könne er sogar im kalten russischen Winter. Das Gedeihen seiner Herde hat dem Angefeindeten Recht gegeben und ihn beflügelt, seine Farm weiter auszubauen. 500 bis 600 Tiere, solidere Ställe, feste Zäune und als größtes Projekt: ein eigenes Spezialitätenrestaurant für Straußengerichte.

"Ich verstecke mich nicht, sollen die doch kommen, und sich selber davon überzeugen, dass ich hier keine Tiere quäle", fordert der badische Züchter seine Kritiker auf. Sein Ziel ist die "gläserne Farm". Er wird zusätzlich Leute einstellen müssen. 100.000 Besucher erwartet er in diesem Jahr auf der Mhou-Farm. Mhou heißt in der Bantu-Sprache übrigens Strauß. Allen will er seine Farm zeigen und alle davon überzeugen, dass die Tiere artgerecht bei ihm leben. Christoph Kistner steckt auch in der BSE-Krise nicht den Kopf in den Sand. Und das tun auch, entgegen eines weit verbreiteten Glaubens, seine Straußenvögel nicht.

Freitag, 16. Februar 2001

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