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Das ausgesetzte Haustier · das Problem der Stadttauben ist in erster Linie ein vom Menschen geschaffenes

Friedenssymbol in Häuserschluchten

Von Hilde Weiss

Millionen Tauben beanspruchen heute in den Städten Lebensraum und spalten die Menschen in Taubenfreunde und Taubenfeinde. Letztere vermehren sich ständig, offenbar
proportional zur immer weiteren Vergrößerung der Taubenpopulation, die sich seit den fünfziger Jahren durch Bauboom und wachsenden menschlichen Wohlstand wie nie zuvor in der Geschichte
vervielfachte.

Unter diesem Druck setzen Regierungen und Stadtverwaltungen immer neue Maßnahmen gegen Tauben, von Fütterungsverboten bis zu äußerst brutalen Tötungskampagnen, Folter inklusive. Auf die Vorschläge
und Forderungen von Tierschützern und Tierrechtlern, die allerdings in diesem Fall auch keine prompt wirkenden Ideallösungen zu bieten haben, wird dabei meist bestenfalls mit einem Ohr gehört. Was
bleibt, ist Ratlosigkeit, wie Mensch und Taube zu helfen ist, steigender Unmut über die ständige Verschlechterung der Situation (vor allem für die Tauben), Angriffe auf Taubenfütterer, zunehmende
Selbstjustiz genervter Großstädter · und weit und breit keine Lösung in Sicht.

Kein Problem wird sonderlich geliebt, dieses ist aber offenbar ein besonders ungeliebtes. Dabei ist es noch nicht lange her, dass Tauben, von manchen heute „Ratten der Lüfte" genannt, dem Menschen
sehr willkommen waren. Ob als Haustiere, in ausgefallenen Züchtungen als Ziervögel, Braten, Boten oder Düngerlieferanten, ob als religiöses oder politisches Symbol · sie wurden geschätzt und sogar
verehrt. Wie sind sie zum Problem und Streitfall geworden? Wie sich zeigt, wurden den Tauben paradoxerweise gerade ihre guten Eigenschaften und Stärken zum Verhängnis.

Ein Blick in die Geschichte der Tauben wirft ein seltsames, wenig schmeichelhaftes Licht auf die Entwicklung unserer Kultur. In den frühen Hochkulturen war die Taube meist den jeweiligen Göttinnen
der Liebe geweiht. So wurde sie zum Symbol für Liebe und Fruchtbarkeit und bis heute sprichwörtlich zum „Turteltäubchen". Oft wurde sie sogar als Götterbotin verehrt. Von Anfang an hatte sie eine
bevorzugte Stellung unter den Vögeln. Es war eine Taube, die Noah, die Arche bis zum Dach mit allen existierenden Tieren gefüllt, aussandte. Sie überbrachte, mittels des Ölzweigs, die Nachricht vom
Ende der Sintflut, also von der neuen Lebenschance für die Menschheit. So wurde sie zur Friedenstaube.

Im Christentum steht die Taube symbolisch für den Heiligen Geist und für Erleuchtung. Wieder ist sie es, die das Heilige und damit das Heil dem Menschen übermittelt. Als ganz mit göttlicher Energie
erfüllt sahen und verehrten sie früher die Christen. Sie galt als so heilig, dass man annahm, Hexen und Teufel könnten sich trotz ihrer großen Macht nicht in sie verwandeln: Nur bei den Tauben konnte
man vor allem Bösen und Schädlichen sicher sein. So wurde sie zum Symbol für Reinheit.

Gleichzeitig fanden unsere Vorfahren für das auserkorene Symbol der Liebe, des Friedens und der Reinheit aber durchaus auch profane Verwendung. Nicht nur bei den ärmeren Bevölkerungsschichten war die
Taube in Pfanne, Suppentopf und auf dem Spieß stets gern gesehen. Zu diesem Zweck wurde die Taube in immer größeren Mengen gehalten. Das brachte schon den mittelalterlichen Städten zusätzliche
hygienische Probleme und gleich darauf erste Einschränkungen und Verbote bei Züchtung und Haltung, die in den darauf folgenden Jahrhunderten regelmäßig gelockert und wieder verschärft wurden.

Neben ihrem Wert als Volksnahrungsmittel und kulinarischem Kitzel in Form raffiniertester Feinschme-

ckerrezepte wusste man früher durchaus auch ihre Hinterlassenschaft zu würdigen. Taubenkot galt als hervorragender Dünger, der vielem anderen Tiermist den Rang ablief und entsprechend teuer gehandelt
wurde. Mit eigens dafür angelegten Taubenschlägen war viel Geld zu verdienen. Taubenkot war stets ein krisensicheres Geschäft, denn wie die Dinge auch immer standen, gedüngt musste werden. Außerdem
wurde er für Gerbemittel verwendet und für Heilmittel gegen Geschwüre und viele Arten von Vergiftungen. Sogar kulinarisch wussten die Menschen ihm etwas abzugewinnen: er war unentbehrlicher
Bestandteil einer wässrigen Lösung zum Aufbereiten von Teig, aus dem angeblich besonders wohlschmeckendes Gebäck hergestellt wurde.

Kot als Dünger

Selten wird heute noch in einigen Entwicklungsländern mit Taubenkot gedüngt. Den Städtern ist er als zerstörerischer Schmutz nur mehr Ärgernis und unerwünschter Kostenfaktor für die Staatskasse.
Dieser Sachverhalt ist allerdings sehr umstritten. Manche Experten behaupten, der Taubenkot sei nur auf Grund falscher Ernährung und Krankheit der Tiere so besonders ätzend und für Bauwerke
verderblich, andere sind überzeugt, dass, so oder so, von Schaden keine Rede sein könne, und der saure Regen Häusern und Denkmälern viel mehr zusetze. Jedenfalls ist der angehäufte Taubenkot meist
das Hauptargument der Taubengegner.

Die Taube als Krankheitsüberträger ist häufig das zweite Argument. Und auch dieses ist kaum zu widerlegen, denn sie verbreitet tatsächlich sehr viele Krankheiten, allerdings hauptsächlich unter ihren
Artgenossen. Eine Übertragung von einigen wenigen dieser Krankheitserreger auf den Menschen kann laut ärztlicher Meinung nur bei intensivem Haut- oder Schleimhautkontakt stattfinden.

Als drittes Argument folgt dann die allzu hohe Vermehrungsrate. Auch das ist richtig. Tauben wurden nicht zufällig als Fruchtbarkeitssymbol gewählt, sie sind tatsächlich sehr fortpflanzungsfähig ·
und zwar mittlerweile, im Gegensatz zu anderen Vögeln, saisonunabhängig. Dieser unerwünschte Tatbestand ist allerdings Menschenwerk, denn aus zoologischer Sicht zeigt das ganzjährige Brutverhalten,
dass es sich um domestizierte, aus der Zucht stammende Tiere handelt.

Weitere Gründe für den großen Erfolg der Tauben sind ihre Anpassungsfähigkeit und Anspruchslosigkeit. So schaffen sie es, sich auch unter den widrigsten Bedingungen zu vermehren. Sie brauchen weder
viel noch sehr spezifisches Material für ihre Nester. Zur Not „nisten" sie auch ungepolstert auf dem blanken Stein einer Hausnische. Außer dem Menschen haben sie in den Städten keine natürlichen
Feinde. Und auch kulinarisch sind sie leicht zufrieden zu stellen: der Mensch hat sie zu Allesfressern umfunktioniert, auch wenn ihnen das sehr schlecht bekommt. Ihre Zähigkeit stellt sicher, dass
sie und ihr Nachwuchs überleben · wenn auch nur notdürftig.

Im Grunde sind das alles Stärken, die den Tieren allerdings in unserer Kultur immer mehr zum Verhängnis werden. Nicht nur manche Menschen, sondern die Tauben selbst leiden unter ihrer übermäßigen
Bevölkerungsdichte und den sich daraus ergebenden schlechten Lebensbedingungen. Das Symbol der Liebe, des Friedens und der Reinheit fristet als Stadttaube heute ein hartes Dasein. Diese umstrittenen
Geschöpfe, ständig zwischen Tierschutz und Vernichtungsmaßnahmen hin- und hergezerrt, sind die Nachkommen der früher so hoch geschätzen Haus- und Rassetauben sowie verirrter oder aufgegebener
Brieftauben, die aus der Mode kamen, seit der Mensch weder auf ihr Fleisch noch auf ihren Kot oder ihre Botendienste angewiesen ist, und zu seiner Gesellschaft und Unterhaltung andere Tiere
bevorzugt. Wie ihr Verhalten deutlich zeigt, sind die Tauben aber keine Wildtiere, sondern nach wie vor Haustiere. Ausgesetzte Haustiere. Hartnäckig halten sie uns die (bei anderen Tieren so hoch
gelobte und viel gepriesene) Treue · ob uns das gerade passt oder nicht.

Das ist der eine Grund, warum Ausbürgerungsversuche ins Grüne fehlschlagen. Haustauben sitzen lieber auf Straßen und Denkmälern als auf Bäumen. Sie fühlen sich zu städtischen Häuserschluchten stärker
hingezogen als zu Feld, Flur und Wald. Der zweite Grund dafür ist, dass es wilde Felsentauben waren, die für die Haustaubenmode, die Nutztaubenhaltung und die Brieftaubenzucht domestiziert wurden:
die Stammform aller gezüchteten Tauben ist die Felsentaube. Von daher die (doppelte) Anziehungskraft für alles Steinige und die Zähigkeit, Robustheit, Ausdauer und Bescheidenheit dieser Tiere.

Verlässliche Boten

Zum Problem wird, was sie als Brieftauben und Haustiere so sehr auszeichnet: der Ort, an dem sie aufgewachsen sind, zieht sie magisch an. Man kann sie also generationenlang kaum wieder los werden,
wenn man sie nisten lässt und obendrein füttert. Ihre außergewöhnlichen, bis heute noch nicht vollständig erforschten Orientierungsleistungen machten seit Menschengedenken gerade die Tauben zu
verlässlichen Boten. So mussten sie von jeher den Menschen helfen, erfolgreicher Kriege zu führen, den jeweiligen Feind auszuspionieren und den Gewinn manches Spekulanten zu vergrößern. Edlere und
friedlichere Ziele sind aus dieser Karriere zwar auch bekannt, aber sehr viel seltener.

Dieser phänomenale Heimatinstinkt über größte Entfernungen wurde den Tauben aber noch krasser zum Verhängnis, machte er sie doch für „Sportschützen" attraktiv. Jedenfalls schoss man mit Leidenschaft
auf eigens für dieses „Vergnügen" gezüchtete „Schusstauben", bevor Tierschützer durchsetzten, auf „Tontauben", also Tonscheiben umzusteigen. Auch wenn sich bei weitem nicht jeder dran hält, ist hier
jedenfalls eine brauchbare Lösung gefunden.

Kann auch den Stadttauben und ihren Gegnern geholfen werden? Die meisten Tierschützer treten nach mehr oder weniger erfolgreichen internationalen Versuchen für eine gezielte Betreuung und
Bestandskontrolle der Tauben ein: Taubenschläge sollten an geeigneten Stellen eingerichtet und die befruchteten Eier regelmäßig gegen Gipseier ausgetauscht werden. Zeitweise könnten zusätzlich
Hormonpräparate (Taubenpille) zum Einsatz kommen. Durch die kontrollierte Fütterung würden nicht mehr manche Tauben gar nichts und andere eine schädliche Dosis abbekommen. Außerdem, und dass ist wohl
eines der größten Probleme, könnte in Taubenschlägen artgerecht gefüttert werden. Falsches Taubenfüttern, so paradox es klingt, erweist sich als Tierquälerei. Es ist den Tauben keine Hilfe, sackweise
Küchenabfälle hingeschüttet zu bekommen. Die artfremde und minderwertige Nahrung schwächt sie und macht sie umso anfälliger für Infektionen. Außerdem führt unsere Wohlstandsnahrung auch bei Vögeln zu
Übergewicht und den damit verbundenen typischen Verhaltensweisen, Beschwerden und Folgekrankheiten.

Manche Tierfreunde bezweifeln diesen Befund der Über- und zugleich Mangelernährung ihrer Lieblinge, allerdings meistens nur so lange, bis ein Blick auf eine artgerecht gefütterte gesunde Brieftaube
sie überzeugt. Diese anmutigen und höchst leistungsfähigen Tiere büßen als Straßentauben ihre Eleganz, Liebenswürdigkeit und ihren Ausdruck an Lebensfreude fast völlig ein. Wie sehr sie früher
geschätzt und geliebt wurden, ist bei ihrem erbarmungswürdigen Zustand heute schwer nachvollziehbar. Mehr und mehr werden sie zu einem verzerrten Spiegelbild der etablierten großstädtischen
Lebensweise, die auch vielen Menschen an Wohltaten mehr verspricht, als sie unter dem Strich an Lebensqualität tatsächlich zu halten im Stande ist.

Sanft wie die Tauben?

Warum die Tauben das Übermaß an falschem Futter nicht einfach liegen lassen, erklärt sich aus dem Vertrauen, das Haustiere nun mal zum Menschen entwickelt haben und das leider gesunde Instinkte
überlagert, sowie aus der unwiderstehlichen Versuchung der Konkurrenzsituation beim Füttern, in die man die ohnehin gestressten Tiere durch falsches Verhalten bringt. Unser Lebensstil verändert auch
die Tauben. „Seid sanft wie die Tauben", empfiehlt die Bibel. Als Friedenstauben sind viele in ihrem Elend heute aber eine Fehlbesetzung. Wie andere Lebewesen gehen sie aufeinander los, wenn es eng
und alles knapp wird. Konrad Lorenz lieferte diesbezüglich ein unfreiwilliges Experiment: Nach einer Reise musste er entdecken, wie eine seiner zurück gelassenen Tauben ihren Käfiggefährten auf
grausame Art zu Tode gefoltert hatte.

Dieses Problem der Irritiertheit ist wohl auch durch die vorgeschlagenen Taubenhäuser nicht von heute auf morgen zu lösen. Auch an falscher Nahrung wird es den Tauben wohl weiterhin nicht mangeln,
ist es der Wohlstandsgesellschaft nun mal zur Gewohnheit geworden, Nahrung auf die Straße zu werfen und liegenzulassen. Auch ist keineswegs anzunehmen, dass sich alle notorischen Abfallfütterer so
leicht in das neue Konzept einbinden lassen. Jedenfalls wäre aber mit der Einrichtung und Betreuung (einer ausreichenden Anzahl!) von Taubenschlägen die Anerkennung der Tauben als unsere Haustiere
offiziell vollzogen, was auch für die Zukunft das Übernehmen von Verantwortung sichern würde. Ein erster Schritt also. Ihrer Zeit weit voraus sind aus dieser Sicht die belächelten, beschimpften und
zunehmend kriminalisierten Taubenfütterer. Ihnen ist offenbar klar, auch wenn sich ihr Handeln letztlich als kontraproduktiv erweist, dass der Mensch (zumindest) für domestizierte Tiere die
Verantwortung trägt, auch wenn er sie aussetzt. Die Rechnung muss er jedenfalls auf die eine oder andere Weise sowieso begleichen.

Freitag, 12. November 1999

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