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Der Comoë-Nationalpark an der Elfenbeinküste ist von Wilderern und vom Verfall bedroht

Im Park der stillen Tiere

Von Thomas Veser

Im fahlen Schein der Gaslampe schälen sich die Umrisse des kleinen Blockhauses im Flußwald allmählich aus der Dunkelheit heraus. Kaum hat Nikolaus Gerhard sein vorgesehenes Nachtlager
erreicht, bietet sich dem norddeutschen Ingenieur ein Anblick, der selbst einen Kenner der afrikanischen Wildnis entsetzt zusammenzucken läßt: Einer ausgestreckten Python gleich, ballt sich die
Vorhut einer riesigen Waldarmee an der Türschwelle. Von unersättlichem Appetit getrieben, rückt eine meterlange Kolonne schwarzschimmernder Treiberameisen auf das Forschungscamp der Würzburger
Universität am Südrand des Comoë-Nationalparks vor.

Weder Baum noch Felsbrocken können den Vormarsch der kleinen Krieger aus dem wuchernden Pflanzendickicht heraus aufhalten. Taucht ein Hindernis auf, dann fächert sich die Spitze zügig in Einzeltrupps
auf, umgeht die Barrikade oder gräbt einen Tunnel, um sich anschließend wieder zu vereinen und den Raubzug fortzusetzen. Kein Insekt vermag sich der schwarzen Flut zu widersetzen; wer zu langsam ist,
wird von den messerscharfen Kiefern der Treiberameisen, um die selbst der Mensch besser einen Bogen schlägt, in Stücke gerissen.

Daß Treiberameisen bisweilen von den Einheimischen gerne gesehen werden, da sie in wenigen Stunden das Innere eines Hauses von Ungeziefer befreien, ist für Nikolaus Gerhard nur ein schwacher Trost.
Er muß sich im kleinen Forschungscamp nach einem neuen, ungefährlicheren Nachtquartier umsehen. Solche nächtlichen Szenen können die Frankfurter Biologin Frauke Fischer mittlerweile kaum noch
beeindrucken. Die aufgeweckte 31jährige, die im größten Nationalpark der Elfenbeinküste an ihrer Dissertation arbeitet, hat noch kurz vor der Dämmerung in der seichten Uferzone des Comoë, der den
Park auf einer Länge von 230 m durchfließt, ein Bad genommen: Allerdings hält sie dabei wie ihre Kollegen von der Würzburger Universität gebührenden Abstand zu den Flußpferden, die mit ihrem
Nachwuchs tagsüber in den braunen Fluten vor der trockenen Hitze Schutz suchen. "Den Krokodilen sollte man auch nicht zu nahe kommen", fügt sie mit der Ironie abgebrühter Biologen hinzu.

Nach dem frugalen Abendessen · Kartoffeln, Reis und Salat · schüttet sie die Reste in einen Blechnapf und stellt ihn in einigen Metern Entfernung auf den Boden; kurz darauf huscht aus der Dunkelheit
eine Ginsterkatze herbei, die sich inzwischen an die Gratismahlzeiten in Menschennähe gewöhnt hat. Wenn die untergehende Sonne die pagodenartigen Termitenhügel nahe des Forschungscamps während der
kurzen Tropendämmerung in warmen Rottönen schimmern läßt, verlassen die Flußpferde ihren begehrten Aufenthaltsort. Erstaunlich flink streben die bis zu 3 t schweren Kolosse über das steinige Ufer zum
Galeriewald, der kreuz und quer von uralten Flußpferdwegen durchzogen ist. In den Baumkronen der völlig unversehrten Wälder, die mit monotonen, nur selten von einer einsamen Schirmakazie bestandenen
Savannenflächen abwechseln, verharren afrikanische Wollkopfstörche.

Mit einsetzender Dunkelheit schlägt in ganz Afrika die Stunde der Räuber. Löwen und Leoparden pirschen sich vorsichtig durch das dichte, hohe Elefantengras an Gazellen und Antilopen · ihre
bevorzugten Beutetiere · heran. Auch die afrikanischen Büffel verlassen das dichte Unterholz, das ihnen vor der Hitze der Trockenzeit Schutz bietet, um sich in Herdenverbänden den Wasserlöchern zu
nähern. Sieht man einmal von den dumpfen Grunzlauten der Flußpferde ab, empfängt der "Parc National de la Comoë" im Norden der Elfenbeinküste seine Besucher mit einer merkwürdigen, unheimlichen
Stille. Während in den Savannen Ostafrikas bei einbrechender Dämmerung Affen schreien, Löwen brüllen, Elefanten trompeten und Hyänen ihr gellendes Lachen ertönen lassen, wirkt dieser Park wie
ausgestorben. Kein durstiger Buschbock verirrt sich an seine Wasserlöcher und nicht Großsäuger auf Nahrungssuche, sondern höchstens der sanfte Abendwind, zaubert ab und an Wellen in das
Savannengrasmeer · Westafrikas wilde Tiere bleiben auf den 11.500 km² Fläche des Comoë-Nationalparks lieber unsichtbar und stumm.

Ihr Schweigen hat einleuchtende Gründe: Kein Park der Elfenbeinküste wird seit Mitte der achtziger Jahre schonungsloser von Wilderern heimgesucht als diese Savannenlandschaft mit ihren Inselwäldern,
Überflutungsebenen und Galeriewäldern entlang des Comoë und seiner Nebenflüsse. Obwohl das frühere Jagdrevier für gutbetuchte Großwildjäger 1968 zu einen geschützten Nationalpark und dann zum
Biosphärenreservat erklärt wurde, hat der Tierbestand seither kontinuierlich abgenommen. Frauke Fischer beschäftigt sich in ihrer "Untersuchung zur Ökologie und Ethologie (Verhaltenskunde)
der Kob-Antilope vor dem Hintergrund ihrer nachhaltigen Nutzung" mit dem Schicksal dieser Antilopenart. Früher auf dem gesamten Gebiet verbreitet, hat der Bestand dieser Antilopenart zwischen
1993 und 1995 um mindestens 50 Prozent abgenommen. Während Schwarzrücken- und Gelbrückenducker kurz vor dem Aussterben stehen, sind Bongo und Riedbock schon ausgerottet. Die Würzburger Biologen
zweifeln nicht mehr daran, daß im Nordteil, an dessen Grenzen der Bevölkerungsdruck stärker ist als im Süden, kein Huftier mehr lebt.

Auch der Rückgang der Großsäuger, die in Savannengebieten dank seiner Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume normalerweise in besonders großer Zahl vorkommen, geht einzig und allein auf das Konto
einer zügellosen Wilderei. Besaß der Comoë-Park mit 1.500 Tieren 1978 noch Westafrikas größte Elefantenherden, war ihr Bestand zwölf Jahre später auf die Hälfte geschrumpft. Heute dürfte die Zahl der
überlebenden Dickhäuter 200 nicht überschreiten. Wo sie sich verbergen, wissen nicht einmal die mit dem Gebiet gut vertrauten Biologen, die dank eines auf mehrere Jahre angelegten und mit
Drittmitteln bezuschußten Programms die noch vorhandene Biodiversität des Parks untersuchen. "Wenn ich meine Arbeit abgeschlossen habe, dürfte hier keine Kob-Antilope mehr leben", fürchtet Frauke
Fischer, die sich zudem mit den Aufzuchtmöglichkeiten von Kob-Antilopen in den Dörfern am Parkrand beschäftigt. "Dies wäre die Alternative zur Wilderei und würde den natürlichen Bestand im Park
schonen", so die Biologin, "aber vermutlich wird man sich diese Ratschläge erst dann zu Herzen nehmen, wenn die Kob-Antilope endgültig ausgerottet ist", fügt sie mit zynischem Unterton hinzu.

Bisherige Erhebungen zur Artenvielfalt lassen befürchten, daß die Tage des Comoë gezählt sind. Das heisere Brüllen des "Königs der Savanne" haben die Würzburger seit Jahren nicht mehr
vernommen: Auch der Löwe gehört möglicherweise bereits auf die Liste der ausgerotteten Comoë-Wildtiere. Bevor Frauke Fischer nachts in den Schlafsack kriecht, legt sie Kugelschreiber und Liste
bereit. Jeder Gewehrschuß, der sie aus dem Schlaf reißt, wird mit einem Strich registriert. Die Spuren der Wilddiebe, die sich inzwischen von allen Seiten ungehindert Zugang verschaffen können,
finden die Biologen am nächsten Tag auf dem Boden: Hülsen ghanaischer Schrotpatronen aus den Läufen russischer Schrotflinten und primitive Fallen. Im vergangenen Jahr war Frauke Fischer hinter den
Bäumen eines Inselwaldes auf ein leeres Biwak gestoßen. Wutentbrannt hatte sie das Wildererlager mit ihren Kollegen zerstört. "Eigentlich eine lebensgefährliche Tat", bekennt die Biologin. "Weiße,
die Schwarzen ein Zeltlager zerstören: Wenn die Wilderer, die dort mit ihren Familien leben und das erbeutete Fleisch verarbeiten, aufgetaucht wären, hätte die Begegnung leicht ein böses Ende nehmen
können." Tage später sei ein halbverdursteter Wilderer, möglicherweise ein Bewohner des zerstörten Biwaks, im Forschercamp aufgetaucht, und habe die Biologen um Wasser gebeten.

Um die Jagd auf Wildtiere zu erschweren, hatten die Behörden in den siebziger Jahren die Angehörigen der Koulango-Ethnie zum Umzug in neue Dörfer außerhalb der Parkgrenze gezwungen. Natur und
Tierwelt hat diese Zwangsmaßnahme kaum die nötige Ruhepause verschafft. Koulango-Bauern bestellen weiterhin in jenen Teilen des geschützten Gebiets, in dem sie fruchtbaren Boden vorfinden, mit
größter Selbstverständlichkeit Hirse und Jamswurzeln. Selbst harmlose Honigsammler verursachen Schäden, weil sie die Bäume mit den Waben der wilden Bienen aus Bequemlichkeit fällen.

Von den rund 40 Wächtern, die im Monat umgerechnet knapp über 80 Mark Lohn erhalten und manchmal bis zu einem halben Jahr auf die Auszahlung warten müssen, erwartet Frauke Fischer keine Hilfe. Selbst
beherzte Wächter gehen einer Konfrontation mit Wilderern mittlerweile besser aus dem Weg. Mit ihren Karabinern, die längst in ein Museum gehören, hätten sie gegen die modernen Schnellfeuergewehre der
Eindringlinge wohl nicht den Hauch einer Chance.

Patrouillen gibt es schon seit Jahren nicht mehr, die Dienst-Geländewagen sind so altersschwach, daß keine längeren Strecken zurückgelegt werden können. Davon einmal abgesehen, kämen die Fahrzeuge
heute gar nicht mehr voran: Von den laut Parkprospekt angeblich 500 km befahrbarer Pisten, auf denen früher Besucher im Geländefahrzeug zu den Beobachtungsposten gelangten, blieben nur Reste. Niemand
hatte sich in den vergangenen Jahren darum gekümmert, die bei Platzregen regelmäßig zerstörten Pfade instandzuhalten.

Wie eigenartige Relikte, die an bessere Tage erinnern, erheben sich im südlichen Abschnitt von der Weltbank finanzierte und oft noch vorzüglich erhaltene Betonbrücken. Sie sind heute völlig nutzlos,
da die Zufahrtswege weggeschwemmt wurden. Mitte der siebziger Jahre ertappte der aus Frankreich stammende Direktor des Nationalparks Wilddiebe in flagranti und versuchte sie zu stellen. Er bezahlte
sein Engagement mit dem Leben, bis heute fand sich kein Nachfolger. Die bisher letzten Opfer waren ein Parkwächter und zwei Wilddiebe, die bei Feuergefechten zwischen 1992 und 1995 ihr Leben ließen.

Dem Gesetz nach müssen "Braconniers" (Wilderer), die sich erwischen lassen, zwar mit Geldstrafen bis zu 150.000 CFA-Francs (450 DM) rechnen, in der Regel fällt das Strafmaß, das die Angehörigen der
dörflichen Oberschicht verhängen, glimpflicher aus. Bezeichnenderweise dürfen die Parkwächter dabei auch immer mit etlichen 100-Francs-Stücken rechnen.

Als weiträumige Naturlandschaft, die im Gegensatz zu den übrigen Savannenflächen in Westafrika nicht durch den Menschen stark beeinträchtigt oder gar ganz beseitigt wurde, war der "Parc
National de la Comoë" noch in den achtziger Jahren wesentlich besser geschützt. Im Übergangsbereich zwischen den Feuchtwaldgebieten und den Sudansavannen gelegen, besaß der Park einstmals eine
außergewöhnliche Fülle von Tierarten, die während der Trockenzeit Besucher aus dem Süden der Elfenbeinküste anzogen. Kein Nationalpark hat besser erhaltene Galeriewälder, die mit den Inselwäldern und
einigen, sonst nur noch im Süden der Elfenbeinküste anzutreffenden Regenwaldabschnitten günstigere Lebensbedingungen für zahlreiche Tierarten gewährleisten.

Damals zählte man elf Affenarten · darunter Schimpansen · drei Krokodilarten und vier der insgesamt sechs westafrikanischen Storcharten, die mit den übrigen Vogelarten · darunter Reiher, Hammerköpfe
und fünf der sechs westafrikanischen Geierarten · den Ruf des Comoë als Paradies für Ornithologen nachhaltig gestärkt haben. Der Bau eines größeren Hotels in der Nähe eines Dorfes am südlichen
Parkrand versprach in jenen Tagen gute Verdienstmöglichkeiten. Mit Schwimmbad, Bar und Restaurant ausgestattet, bot das Calao-Safari-Hotel 25 Familien Platz. Der Luxus hatte seinen Preis: Für eine
kleine Flasche Coca Cola waren umgerechnet 15 DM fällig.

Wer heute nach der Überfahrt mit einer Autofähre wenige Meter nach dem Flußufer den Park betritt, stößt auf verwitterte Betongebäude, die seit der Schließung 1991 hinter einer dichten Vegetation
verschwunden sind. "Nächstes Jahr wird es wieder eröffnet", versichert ein junger Dorfbewohner, der hartnäckig darauf besteht, die Gäste als Parkführer zu begleiten.

Vom Tourismus gemieden, steht die Savannenlandschaft als tristes Symbol für die wirtschaftliche Talfahrt der Elfenbeinküste, die einst als Musterbeispiel für den afrikanischen Kapitalismus
gelobt wurde. Nachdem in den vergangenen Jahren die Ausgaben für den Park fortwährend gekürzt wurden, hat sich jetzt die Europäische Union bereiterklärt, dem World Wide Fund for Nature (WWF) Geld für
die Rettung des Parks zur Verfügung zu stellen. Die Verwaltung soll damit modernes Gerät und die Parkwächter eine bessere Ausbildung erhalten.

Eine Ruhepause für die Tierwelt des Comoë-Nationalpark, den die

UNESCO 1983 auf ihre Liste des Weltnaturerbes gesetzt hat, wäre in der Tat dringend nötig; um den Park langfristig zu bewahren, müßte allerdings auch die Bevölkerung in den Ortschaften am Rand für
die Belange des Naturschutzes gewonnen werden. Daß jedoch selbst auf höchster Ebene dieses Bewußtsein nur schwach ausgeprägt ist, belegen die Aussagen, die der Direktor des staatlichen Büros für
Tourismus und Hotellerie vor einigen Monaten der Pariser Wochenzeitung "Jeune Afrique" gegenüber gemacht hatte: Er pries ausgerechnet die Elfenbeinküste, in der die Dynamik der Waldzerstörung
seit den sechziger Jahren gigantische Ausmaße angenommen hatte, als künftiges "Eldorado für Großwildjäger".

Freitag, 10. Juli 1998

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