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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die präparierten Tiere der Schausammlung des Nationalmuseums in Prag

Meisterstücke der Mimikry

Von Gisela Steinlechner

Schließlich wandten wir uns von den Affen der übrigen Menagerie zu: Da waren Bachstelzen, Rebhühner, eine Rohrdommel, ein Paar Sperber, Papageien und Sittiche, Pirole und Harzer Roller
sowie radschlagende Pfauen. Ich zählte ein Kamel, eine Gemse, einen Elefanten, ein Krokodil und einen von einem Neger geführten Lippizaner.

Der · nach Meinung der offiziellen kommunistischen Stellen unrechtmäßige · Herr über all diese Tiere ist ein verarmter Baron Utz, der eine an die 1.000 Stück zählende Sammlung
Meißnerporzellans in seiner Prager Zweizimmerwohnung hütet. Bruce Chatwin hat diesem "Rudolf unserer Zeit" den kleinen Roman "Utz" gewidmet, er handelt u. a. von der Wunderkammer als
Überlebensstrategie in widrigen Zeiten.

Besucht man im heutigen Prag das Nationalmuseum am Wenzelsplatz, so gelangt man, an Mineralien und Ausgrabungsgegenständen vorbei, in eine nicht weniger wundersame Menagerie: die seit dem frühen
19.Jahrhundert zusammengetragene zoologische Schausammlung. Da stehen sie · wie Unberührbare · und doch wurde an jedem Tier vielfach Hand angelegt. Die Hand eines Jägers oder Fallenstellers war
meistens im Spiel, auf jeden Fall aber die Hand eines Präparators. Dies ist die Hand, die Spuren tilgt, die das tote, auseinandergenommene Tier wieder aufrichtet und es in einer bestimmten Haltung,
einer Szene, festhält.

Die Aufstellung der Prager Sammlung ist betont sachlich, großteils in Vitrinen, es gibt kaum atmosphärisches Beiwerk, keine Life-Situationen. Die kleineren Tiere sind auf Sockeln mit
Namensschildern angebracht, die größeren stehen dicht bei ihrem Schild. Der Ankerplatz des Tieres ist sein Name (lateinisch und tschechisch). Die Umgebung, das sind andere Tiere, oft artverwandte,
die sich freilich in ihrem natürlichen Lebensumfeld nie begegnen würden: Eisbär, Braunbär und Koalabär. Sie kommunizieren auch nicht miteinander, bilden keine lebensnahen Kleingruppen, wie sie
in den meisten der heute aufgestellten Schausammlungen üblich sind. Die Tiere werden dort regelrecht inszeniert, eingefügt in kunstvoll aus Naturalien und Imitaten gefertigte Stimmungsbilder von
Urwald- und Savannenlandschaften. "Das Ausland, Amerika zum Beispiel, geht uns da mit glänzendem Beispiel voran. Dort entstehen Schausammlungen, so herrlich, so schön und groß angelegte
Tierpanoramen, daß sie Liebe zur Natur in jedes Beschauers Herz entzünden müssen." So frohlockte 1906 der deutsche Forschungs- und Sammelreisende C. G. Schillings in seinem Buch "Der Zauber des
Elelescho", in dem er die reiche fotografische und jagdliche Ausbeute seiner Afrikaexpeditionen verarbeitete.

Der Blick der Tiere

Im Museum ist er · naturgemäß · glasig, manchmal scheinen die Augen der Tiere unnatürlich weit aufgerissen, oft aber blicken sie nur stier vor sich hin. Es gibt hier nichts zu sehen, also
ist alles, was diese künstlichen Augen tun können, den Blick der Museumsbesucher unverzüglich zurückzuwerfen. Sie apportieren ihn wie brave Haustiere. So kommen die neugierig oder auch bang auf die
aufgeputzten Bälge gerichteten Blicke unverrichteter Dinge zurück, sie mögen noch die Glaswände durchdringen, aber nicht mehr die präparierten Hüllen. Was sehen wir in diesem Museum dann? Wo ist der
Geist der Tiere geblieben? Sollte er hier irgendwo anzutreffen sein, zwischen all dem gnadenlosen Sammlerfleiß und der steifen, dem wissenschaftlichen Credo geschuldeten Objekthaftigkeit?

Stilleben

Eine Giraffe steht frei (ohne Glasvitrine) herum, mit einer Kordel in Kniehöhe wird ein kleiner Zaun markiert · wer weiß? Ein Strauß hütet hinter Glas seine eben erst geschlüpften Jungen; auch sie
präpariert, festgehalten in ihrem unausgewachsenen Flaum, daneben ein hohles Ei. Als liefe das Leben rückwärts ab, präsentiert sich Wachstum hier in Stadien der Erstarrung.

Überhaupt die Vögel: ein eigenes Kapitel. Ihre Vielzahl und Vielfalt läßt sich kaum im Zaum halten, was als eindrucksvolles ornitologisches Register gedacht ist, tendiert unterschwellig zur Poesie.
Wie die Flug-formationen eines Vogelzugs den Himmel beschriften, so besingen diese festgenagelten Vogelstatuetten seine Abwesenheit. In langen, dichten Reihen besetzen sie ihre musealen
Haltestöckchen: stoische Flieger in einer Warteschleife. Manchmal zitiert ihre Anordnung auch die im Geäst eines Baumes aufgefächerte Sitzplatzverteilung. Kein Ton kommt ihnen aus, man möchte den
Glassturz heben und nachsehen, wann sie endlich aus den steifen Hüllen schlüpfen werden.

Fellpflege

Ein sterbendes oder krankes Tier gilt als Angelegenheit der Natur, nicht des Museums. Aus welchen Gründen immer die Schautiere in die Fänge der Jagd bzw. der Wissenschaft geraten sind und welches
ihre jeweilige Todesart war · davon ist hier nichts mehr zu sehen. Der kleine Schimpanse turnt auf seinem Ast für alle Ewigkeit, seine Neugier, seine Klugheit und Behendigkeit sind eingefangen in
einer natürlichen Geste, die man aus seiner Hülle entziffert hat. Doch trotz aller präparatorischen Raffinesse wirken manche Tiere räudig, schlecht genährt, besonders die Jungtiere überstehen die
Transformation ihres eben erst begonnenen Lebens in ein zeitloses Schaustück meistens sehr schlecht. Ihr Körperliches ist noch im Stadium des Versprechens und ein solches läßt sich schlecht
konservieren. Bei manchen der aufgerichteten Tiere, bei den Affen zum Beispiel, sieht man lange Narben auf der Brust, wie bei Herzoperierten. Bei anderen wurde ein melancholischer Zug übersehen
(vielleicht auch eine Zugabe jener Person, die das Tier präpariert hat, deren Signatur gewissermaßen).

Kaum jemals ist ein Tier im Schlafen festgehalten, zu nahe dem Tod ist der ruhende, ausgestreckte Körper. Sie stehen wie angewurzelt oder schleichen sich an ein imaginäres Opfer an, heben eine Tatze,
wittern, vollführen einen wie durch Zauberhand in der Luft angehaltenen Sprung. Eine wundersame Statik unterfängt diesen Auftrieb von Tieren aller Art. Sie scheinen weniger eingesperrt, als in einem
Dornröschenschlaf verharrend · in sinnfällige Anordnungen gebracht, aber jedes für sich, jedes in seinem eigenen Traum.

In den volkstümlichen Darstellungen der Arche Noah hat mich stets am meisten verblüfft die unglaubliche Sittsamkeit, mit der die Tiere (womöglich in Zweierreihen) in das Schiff einziehen. Noah hat
sie nicht allein vor dem Aussterben gerettet, er war auch der erste, der die Tiere der Welt in Ordnung gebracht hat, mit zoologischer Sorgfalt darauf achtend, daß in seinem hölzernen Museum auf Zeit
auch keines fehle.

Seid ihr alle da?

Nein, sind sie nicht. Gerade die "häuslichen" fehlen in diesem Indoor-Panorama. Kein Schwein, kein Schäferhund, keine Kuh. Eine solche zu präparieren und auszustellen ist offensichtlich
nicht Sache einer zoologischen Museumsabteilung, eher kann man ihr in den Räumen der Modernen Kunst begegnen. Damien Hirst, englischer Künstler der jüngsten Generation, stellte u. a. eine präparierte
Kuh aus. Diese hat wohl Haut und Haar, aber einen entschiedenen Schönheitsfehler: sie ist nicht ganz, sondern in Scheiben auseinandergeschnitten, welche in einem mit Formaldehyd gefüllten
Glascontainer (nicht unbedingt in ihrer natürlichen Abfolge) arrangiert sind. Deutlich sichtbar ist bei Hirsts Kuh das komplexe organische Innenleben (der dunkle Fleck jedes "ausgestopften" Tieres).
Die Innereien sind, infolge der Konservierung, von gleichmäßig grauer Farbe und erinnern auch in dieser Hinsicht an ein Uhrwerk · das klassische Modell eines im Verborgenenen werkenden Organismus,
der der äußeren Erscheinung erst Leben einhaucht.

An und für sich sollte uns eine Kuh in Teilen nicht besonders irritieren, gehört portioniertes Fleisch doch zur alltäglichen Lebenswelt. Freilich ist mit der metzgerlichen Zerteilung immer auch die
Vorstellung des ganzen Tieres suspendiert, während man hier die ganze Kuh vor Augen hat, nur eben als Zerschnittene und Eingelegte. (Kaiser Rudolf hätte das kuriose Stück wahrscheinlich ohne mit der
Wimper zu zucken für seine Wunderkammer aquiriert.) In Damien Hirsts präparierter Kuh wird etwas sichtbar, was bei herkömmlichen Schaustücken immer ausgeblendet ist: die verschiedenen Stadien der
Zerstückelung, der chemischen Transformation und künstlichen Reorganisation, die die Tiere durchlaufen haben. Was wir ohne weiteres als Krokodil, Antilope oder Biber wiedererkennen, sind in
Wirklichkeit deren äußerste Hüllen, ihr lebensechtes Erscheinungsbild wird von nichts als einer dünnen Haut zusammengehalten. Das darunter befindliche Uhrwerk besteht meist aus Draht, Holzwolle,
Watte, Bindfaden, Leim, Gips, Modellierton und anderen Bastelutensilien. Manchmal ist auch noch der eine oder andere Knochen oder ein Teil des Schädels dabei. Bei heute hergestellten Präparaten
größerer Tiere wird meist ein Schaumstoffmodell verwendet, das dann zur gewünschten, dem Balg angemessenen Form zurechtgeschnitzt und -geschliffen wird.

Gewisse Handgriffe

"So du einen Vogel ausbalgen wilt: so leg ihn auf den Rücken / thue die Federn in der Mitte sauber voneinander / und auf die Seiten theilen / und schneide von Mitten der Brust biß hinunter / mit
einem Federmesserlein die Haut sauber auf / und löse das Fleisch heraus; wan du an den Füßlein zu den Knien kommest/ schneide solche ab / daß sie an der Haut hangen bleiben/ ingleichen wird der
Schweiff/ samt dem Fleisch und der Kopff von dem Hals abgeschnitten . . . Wann nun der Leib von der Haut gäntzlich gelöset ist · formirt man einen solchen / in gleicher Grösse von Strohe / oder mit
Spahet wol zusammen gebunden wird / an statt der Schienbeine / wird ein eiserner Drat durchgezogen / welcher hernach dem an der Haut hangenden Füßlein / biß zu den Keilen und Knien gantz
durchgesteckt wird / und damit wird der Vogel auf ein Stöcklein aufrecht gestellt und aufgerichtet / die Brust aber wird mit einem Leim zusammen / müssen auch die Flügel angeleimet werden. Darzu
gehöret nun eine Geschicklichkeit und gewisser Handgriff / so durch die Übung zu erlernen . . ." (Aus: Wolfgang Helmherd Freiherr von Hohberg: Georgica Curiosa oder Adeliges Landleben, 1692)

Ist es noch ein Vogel? Oder vielmehr ein Meisterstück der Mimikri, ein einziges Täuschungsmanöver, ausgeführt von Spezialisten, die im Volksmund auch Ausstopfer genannt werden? In der
Fachsprache heißen sie Präparatoren oder · etwas hochgestochen · Dermoplastiker, was einen wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit auf den Punkt bringt: Sie bringen gegerbte Haut in eine dreidimensionale
Form, geben ihr einen Körper zurück. Erlaubt ist dabei alles, was seine Form bewahrt, resistent gegen Schädlinge ist und den Anschein des Natürlichen zu erwecken vermag. Um letzterer Anforderung
gerecht werden zu können, muß ein Präparator sowohl künstlerisch begabt als auch anatomisch und zoologisch gebildet sein; er muß eine genaue Vorstellung "nach dem Leben" mit einer handwerklichen
Technik zusammenbringen und dieses Kunststück soll auch noch haltbar sein. Einsalzen, Dörren, Beizen, Auskochen, Behandeln mit Alaun oder Arsen gehör(t)en aus diesem Grund ebenfalls zum Repertoire
des Präparators. Die Schwachstellen · das sind alle Öffnungen und alle feingliedrigen Fortsätze des Tierkörpers: Lippen, Augen, Füße, Nase, Ohren, After. Sie erfordern höchste Sorgfalt und
Geschicklichkeit, wenn das Ohr abbröckelt, wackelt gleich das ganze Bild.

Verwandlungen, zum Beispiel eines Krokodils

Das tote Tier wird vermessen und fotografiert. Zum Enthäuten wird es von der Kehle bis zur Schwanzspitze aufgeschnitten, die Beine werden ausgelöst, umgestülpt und entfleischt, ebenso wird der
Schädel enthäutet und entfleischt, die Augen herausgedrückt (Vorsicht: Augenlider!), alle noch verbliebenen Fett- und Fleischreste werden abgeschabt. Nächster Akt: Die Haut wird für ein bis zwei
Wochen in eine Gerblösung gelegt und danach mit Arsenik und Borax eingestrichen. Aus Draht, Holzwolle und Garn wird ein künstlicher Körper gefertigt, er muß um einiges kleiner sein als der natürliche
Körper und vorne spitz zulaufen, um in den Schädel eingeführt werden zu können. Die Beinknochen werden mit Draht, Watte und Ton präpariert, in die Haut zurückgeschoben und dann im Holzwollekörper
verankert. Danach wird die auf der Innenseite mit Modellierton ausgelegte Haut auf den Körper aufgebracht. Fehlende Körperdicke wird mit Ton aufgefüllt, man kann dazu eine Tortenspritze verwenden.
Die Haut wird zugenäht. Solange der Ton noch weich ist, bringt man das Präparat in eine natürliche Haltung, Runzeln und Hautfalten werden mit einem Spatel ect. von außen nachmodelliert. Glasaugen
einsetzen. Einige Wochen trocknen lasse, dann nachfärben mit Wasserfarben. Ein Überzug aus Zaponlack gibt der Haut wieder ihren Glanz.

All die Eingriffe und Verwandlungs-Kunststücke, die mit dem toten Tier veranstaltet wurden, müssen wieder unsichtbar gemacht werden. Denn oberstes Gebot präparatorischer Sorgfalt ist es, den Anschein
eines ganzen, unverletzten Körpers zu wahren. Es sei denn, ein Tier wird ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke präpariert, hier genügt ein Flachbalg, welcher Arbeit und auch Platz spart. Eine
weitere Ausnahme sind Jagdtrophäen. Auf dem Tablett jägerischen Stolzes wird der Kopf des Hirschen, Ebers oder Hechts als eine Hauptsache serviert. Die Schnittfläche an den Hälsen bleibt unsichtbar,
meist ist sie regelrecht versiegelt mit einem dekorativen Brett. Leergeräumte, ausgeschäumte Köpfe oder skelettierte Schädel zieren die Wände wie in einer Ahnen-galerie. Ihre Souveränität ist die von
Abwesenden.

Der Rundgang ist zu Ende. Wie in der Porzellanmenagerie des Sammlers Utz fehlten auch im Museum die Tierstimmen. Erst als ich auf den touristenbepackten Altstädter Ring trete, ertönt es plötzlich von
allen Seiten: Hühnergegacker, das aus kleinen Plastikspieldosen dringt. Sie sind die Renner der Saison.

Freitag, 10. Juli 1998

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