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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Der Stierkampf ist in Spanien noch immer ein Volksvergnügen

Tierquälerei mit Stil

Von Walter Fischer

Wenn sich in die berüchtigt scharfe Luft Madrids ein weicher Hauch mischt, dann leuchten über Nacht von allen Anschlagsäulen knallig-bunte Plakate, mit denen der Beginn der "Stierkampf-
Saison" angekündigt wird. Die besten Kämpfe mit den berühmtesten Torero werden in den Wochen um den 15. Mai geboten, an dem das Fest des "San Isidro" des Schutzpatrons der spanischen Hauptstadt
gefeiert wird. Schauplatz ist die "Arena Monumental de las Veritas" an der Plaza de Toros, der größten und ältesten Stierkampfarena der Welt.

Die gesamte Stierkampfpresse, die auflagemäßig viele spanische Wochenzeitungen übertrifft, bespricht schon lange vorher den Start der neuen Stierkampfsaison und die Pläne der bekanntesten Toreros.
Kein Sportler oder Künstler, und schon gar kein Politiker, genießt in Spanien so große Popularität wie die berühmten Stierkämpfer. Allerdings gibt es auch nur wenige Berufe, die bessere
Verdienstmöglichkeiten offerieren. Manolete, einer der unvergeßlichen Matadore, erzielte allein an einem Nachmittag Einkünfte bis zu einer halben Million Peseten · und das zu einer Zeit, als die
Peseten noch etwas wert waren.

Heute erhalten die besten Toreros pro Nachmittag umgerechnet rund 100.000 Schilling, wovon sie allerdings ihr ganzes Team samt Ausrüstung finanzieren müssen. Ein bekannter Torero verdient in einer
Saison gut 10 Millionen Schilling. Während des europäischen Winters finden dann die Stierkämpfe in Lateinamerika statt: In Peru und Bolivien, Brasilien und Kolumbien, und natürlich in Mexiko.

Die Fan-Clubs

Stierkämpfe mit Fußvolk und festgelegtem Reglement gibt es allerdings erst seit rund 120 Jahren. Obwohl die Mai-Kämpfe offiziell schon monatelang ausverkauft sind, machen wir uns an einem
Sonntagnachmittag auf den Weg zur "Plaza de Toros". Von allen Seiten ziehen "Fan-Clubs" mit bunten Fahnen und Musikanten zur Arena, vor der Dutzende von Händler rote Tücher (Capas), Banderillas
(zirka 75 cm lange, mit Widerhaken versehene Kurzlanzen, die mit bunten Bändern geschmückt sind), Spielzeugstiere (mit batteriebetriebenem, wedelndem Schwanz), Stierkampfplakate und Fotos berühmter
Toreros zum Kauf anbieten. Wer rechtzeitig kommt, sollte auch das Stierkampfmuseum besuchen.

Fanfarenklänge kündigen den ersten Stier, ein mächtiges, 500 kg schweres Muskelpaket, an. Geblendet von der grellen Sonne bleibt er ein paar Sekunden lang regungslos stehen. Man hat ihn vor dem Kampf
in die stockdunklen "Toriles" eingesperrt und durch Entzug von Nahrung und Wasser, aber auch Einspritzen von Drogen, Nachfeilen der Hörner (wodurch das Gefühl für den Abstand verlorengeht) und oft
noch schlimmere Methoden "präpariert". Nun ist der Stier schon gereizt und geschwächt zugleich. Der Lärm der Menschenmenge und die mit farbigen Abzeichen der Züchter versehenen Widerhaken, die in
seinem fleischigen Nacken stecken, irritieren das Tier.

Tanz des Todes

Nun ziehen drei oder vier "Peones" (Stierkampfgehilfen) mit der "Capa", dem roten Tuch, von verschiedenen Seiten der Arena die Aufmerksamkeit des Stieres auf sich. Der Toro jagt hin und her
und ermüdet dabei. Wie ein graziöser Rokokotanz sehen die Bewegungen der Männer aus, die den immer wütender werdenden Stier nach ihrem Willen zu lenken trachten. Ein Tanz des Todes · für den Stier,
gelegentlich aber auch für einen der Peones.

Jetzt preschen Reiter, deren prunkvolle Kostüme in seltsamen Gegensatz zu den abgetriebenen Mähren stehen, an den Stier heran. Die "Picadores" (Lanzenreiter) versuchen nacheinander durch einen Stich
mit der Lanze die Nackenmuskulatur des Tieres zu verletzen. Vor dem Herausziehen wird die Wunde noch möglichst durch Herumdrehen der Lanze vergrößert. Oft werden die Pferde (ausgediente Reitpferde
oder Schlachttiere) vom vor Schmerzen rasenden Stier aufgerissen. Eine Schutzpolsterung ist zwar seit 1929 vorgeschrieben, doch nicht immer wirksam. Vor 1929 wurden pro Stier oft fünf bis acht Pferde
getötet. Aber auch heute noch werden viele der Pferde, denen die Augen verbunden und die Ohren mit nassem Zeitungspapier verstopft worden sind, schwer verletzt.

Wenn die Situation der Picadores gefährlich wird, greifen die "Banderilleros" ein. Mit den Banderillas in den Händen laufen sie dem Stier entgegen und stoßen ihm die mit Widerhaken versehenen
Stäbe in den Rücken, möglichst in die Nähe der schon blutenden Lanzenwunden. Wehe, wenn die Banderillas in den Sand fallen! Ein höllisches Pfeifkonzert wäre das Echo der Menge. Eingefleischte und
fanatische Anhänger der "Corrida de Toros", wie der Stierkampf genannt wird, sollen angeblich "Neuerungen" anstreben, um zu zahme oder schwache Stiere zu reizen; so ist an Widerhaken, die im
Fleisch steckend explodieren und ähnliche Torturen gedacht.

Dann beginnt der Höhepunkt des Stierkampfes: Der Espada, der "Held" des Tages, betritt die Arena. In einer Hand hält er die "Muleta" (an einem Stock befestigtes rotes Tuch), in der anderen den
"Estoque" (Stoßdegen). Haarscharf rast der schon geschwächte Stier am Torero vorbei.

Nun muß der Espada den Stier in die für den Todesstoß günstigste Stellung bringen. Die zusammenstehenden Beine und der gesenkte Kopf sind allerdings keine Angriffshaltung, sondern das Zeichen totaler
Erschöpfung. Man könnte ein Blatt rascheln hören, so still ist es in der weiten Arena geworden, während der Espada die "Achillesferse" des Stieres anvisiert. Sie liegt in der Wirbelsäule und ist
manchesmal durch das Wegrasieren der Haare markiert. Der Espada versucht mit einem Stich des 80 cm langen Degens das Rückenmark zu durchtrennen bzw. eines der großen Blutgefäße oder das Herz zu
treffen. Meist trifft er allerdings nicht richtig und muß mehrmals zustechen.

Der Toro ist tot . . .

Unser Stier ist sehr tapfer, obwohl sich die Klinge bis zum Griff in das Genick des Toro senkt. Mit zitternden Flanken steht er dem Espada gegenüber. Aus seinen Nasenlöchern schießt eine Fontäne
von rotem Blut, aber er fällt nicht. Erst der zweite Versuch des Espada führt zum Erfolg. Der Stier ist noch nicht tot, auch nicht bewußtlos. Immer wieder versucht er aufzustehen. Da durchtrennt ihm
ein Gehilfe mit der "Puntilla" (einem Dolch) das Rückenmark. Nun trennt ihm der Espada als Trophäe für einen "guten Kampf" die Ohren ab. Vier geschmückte Rosse schleifen den Stier durch die
Arena. Der Toro war tapfer, applaudierend erheben sich die Massen und ehren so im gefallenen Stier den Heros und Dämon zugleich. Schon stürzt der nächste Stier in die Arena. Der Toro ist tot · es
lebe der Toro!

Hang zur Grausamkeit

So werden in Spanien pro Jahr durchschnittlich 6.000 Stiere umgebracht. 400 Arenen wurden erbaut, um dieser "perversen Tierfolterung", die selbst von vielen Spaniern als "Kulturschande" empfunden
wird, den "richtigen Rahmen" zu geben. Die Präsidentin der spanischen Tierschutzvereinigung erinnert daran, daß jahrhundertelang spanische Dichter und Politiker, wie auch Kirchenfürsten, gegen den
Stierkampf waren · ohne daß die Öffentlichkeit Konsequenzen gezogen hätte.

Historiker weisen in diesem Zusammenhang auf die Grausamkeiten der spanischen Konquistadoren hin: In Lateinamerika, auf den Philippinen und überall dort, wo damals "Spaniens Sonne nicht unterging",
hinterließen sie ein Meer von Blut und Tränen. Auch in der Begeisterung vieler Spanier für den Stierkampf offenbart sich ein Wesenszug, der uns wahrscheinlich immer rätselhaft bleiben wird.

Freitag, 10. Juli 1998

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