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Mensch und Tier - Zur Kulturgeschichte einer schwierigen Beziehung

Kuscheltier und Sonntagsbraten

Von Hilde Weiss

Der Mensch martert Tiere keineswegs nur, um seinen Hunger zu stillen, sondern durchaus auch aus Eitelkeit und Gewinnsucht. Gleichzeitig liebt er aber Tiere so sehr, daß er sie ins Haus holt,
verwöhnt und oft sogar Tisch und Bett mit ihnen teilt. Was mancherorts im Kochtopf landet, wird andernorts liebkost. Was macht die Beziehung zu den Tieren so widersprüchlich und kompliziert?

Aus den frühen Kulturen ist ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Tieren überliefert, das heute kaum mehr nachzuvollziehen ist. Der Mensch hatte Achtung vor den Tieren und ihren besonderen
Fähigkeiten. Er ernährte sich von ihnen und ihren Produkten, und er dankte ihnen dafür. Die gejagten und getöteten Tiere bat er um Vergebung. Manche der frühen Kulturen sahen in den Tieren eine
göttliche, schöpferische Macht verkörpert, die sich auf diese Weise den Menschen offenbaren wollte. So im antiken Ägypten, wo die Tiere als Mittler zwischen den Göttern und Menschen galten.

Die frühen menschlich-tierischen Beziehungen waren auffallend von Zurückhaltung und Rücksicht geprägt. Unser Weltbild der absoluten Verfügungsgewalt über die Tiere war noch nicht erdacht. Und dennoch
wurde das Verhältnis zu den Tieren bald sehr widersprüchlich.

Die einen Tiere galten (und gelten in manchen Kulturen) als heilig. Häufig Kühe, Stiere oder Bären, aber auch Schlangen und Vögel. Sie werden geschützt und sogar verehrt. Neben einem als heilig
erachteten Tier würde der Mensch lieber verhungern, als es zu töten. Nicht so neben religiös oder kultisch als unbedeutend erachteten Tieren. Wirklich erbittert gejagt wurden aber nur die, denen man
dämonische Kräfte zuschrieb. Häufig traf dieses Schicksal Wölfe, Schlangen, aber auch Katzen. Angebliche Unheilbringer unter den Tieren wurden zu Feinden erklärt und gnadenlos verfolgt · mit dem
deklarierten Ziel, sie auszurotten.

Andere Tiere fanden als Opfertiere Verwendung, um den Göttern zu gefallen. Manche eigneten sich besonders gut als Orakeltiere, also zu Weissagungszwecken. Für beide waren oft besonders grausame
Folterungen vorgesehen.

Schrankenlose Rücksichtslosigkeit und tiefe Verachtung den Tieren gegenüber haben eine lange Geschichte, wie die volksbelustigenden Tier- (und allerdings auch Menschen-)quälereien in den römischen
Arenen belegen. Seit noch längerer Zeit ergötzt sich der Mensch bereits an allen möglichen Arten von Tierkämpfen. Bis heute erhalten haben sich hauptsächlich der Stier- und der Hahnenkampf.

Von frühester Zeit an ließ der Mensch sich aber auch gern Tiere mit ins Grab geben. Es ist nicht anzunehmen, daß diese ganz zufällig gleichzeitig gestorben sind. Manchmal waren sie Opfertiere, die
die Götter gnädig stimmen sollten. Manchmal fungierten sie als Seelenführer fürs Jenseits, manchmal waren sie als Wegzehrung und Vorrat für den Toten gedacht.

Neben all diesen Arten der Tiernutzung gönnte sich der Mensch aber auch immer schon Kuschel-, Schmuse- und Renommiertiere. Zumindest der privilegierte Mensch, der es sich leisten konnte, Tiere zu
füttern statt sie aufzuessen. Auch das Interesse an exotischen Tieren als Hobby der Reichen hat eine lange Tradition.

Der Schwerpunkt der Tiernutzung ist seit zehntausend Jahren aber die immer systematischere Haltung von Nutztieren, der lebende Nahrungsvorrat des Menschen. Rasch gelangen große Fortschritte im
Nutzbarmachen von Tieren durch Tierzucht. Zuvor war der Mensch dem Tier bestenfalls ebenbürtig, häufig jedoch eindeutig unterlegen. Nun weitete er seine Herrschaft und Verfügungsmacht über die Tiere
kontinuierlich aus · im Kampf gegen Hunger und Kälte, bald aber auch aus Bequemlichkeit und Raffgier.

Fremde Federn

Die menschlich-tierischen Beziehungen sind naturgegeben vielfältig: Das Tier ist dem Menschen oft Feind, Nahrungskonkurrent, Parasit, aber auch Freund, Arbeitsgehilfe und Hausgenosse. Viele Tiere
verhalten sich dem Menschen gegenüber gleichgültig, viele aber auch feindlich, und viele profitieren in schädigender Weise vom Menschen, wie Ratten oder Zecken. In dieser Auseinandersetzung hat der
Mensch es allerdings rasch so weit gebracht, daß trotz aller Angriffe und Konkurrenz, trotz aller füchsischer räuberischer Absichten und schmarotzerischen Parasitentums eindeutig er es ist, der von
den Tieren profitiert. Er nimmt sich ihr Fleisch, ihre Eier, ihre Milch, und die Produkte ihres Fleißes, z. B. Honig. Dazu Haut und Knochen, Federn und Pelz und jedes Sekret oder Organ, das ihm
medizinisch interessant erscheint. Der Mensch bedient sich beim Tier schon seit langer Zeit weit über seine Grundbedürfnisse hinaus. Er schmückt sich sprichwörtlich mit fremden Federn.

Die Tiere haben aber auch von jeher Freunde unter den Menschen gefunden. Zum erklärten Zweck der Tierschonung begannen Menschen in einigen Teilen Asiens bereits Jahrhunderte vor Christus vegetarisch
zu leben. Auch Pythagoras verzichtete wegen der "Verwandtschaft aller beseeelten Lebewesen" auf Fleischgenuß. Zu welchem Zweck auch immer, Tiere durften seiner Ansicht nach nicht getötet werden.
Damit wandte er sich auch gegen das übliche Opfern der Tiere. Auch Platon, Epikur Plutarch und alle ihre Anhänger predigten und aßen fleischlose Kost.

Die ersten Tierschutzgedanken fanden aber keine breite Mehrheit. Diese frühen Verteidiger der Tiere und ihre vielen Nachfolger haben es dennoch geschafft, dem Menschen einen Stachel ins Gewissen zu
pflanzen. Eine weitere Zutat zum ohnehin verwirrenden Gefühlscocktail, der die Beziehung des Menschen zum Tier so kompliziert gestaltet: zu Gier, vor allem Herrsch- und Besitzgier, Gewinnsucht,
Besitzerstolz, mitunter Ekel, Angst und Abscheu gesellte sich Mitleid und bei näherem Hinsehen oft Begeisterung und Faszination, Zuneigung und Liebe.

Das alles brodelt im Menschen aber meist unbemerkt in der Dunkelheit des Unterbewußten. An der Oberfläche wird es als typische Ambivalenz dem Tier gegenüber sichtbar. Historisch gab jedoch die
schrankenlose menschliche Verfügungsgewalt, die sich ständig ausweitete und immer selbstverständlicher wurde, den Ausschlag.

Dieses Weltbild trieb die seltsamsten Blüten. So etwa in den Tierprozessen, die seit dem Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert veranstaltet wurden. Tiere, die einem Menschen oder seiner Habe,
vermeintlich oder tatsächlich, Schaden zugefügt hatten, wurden öffentlich angeklagt und ausführlich gefoltert, bevor sie hingerichtet wurden. Auch Ratten und Heuschrecken, die über die Felder
hergefallen waren, wurden angeklagt. Und viele Tiere wurden feierlich exkommuniziert, vor allem die Heuschrecken, Maikäfer und Fliegen, aber auch Schlangen und Wölfe.

Auch beim Töten der Tiere, die man zu verspeisen gedachte, gab es weder Rücksicht noch Erbarmen. Versprach man sich davon eine geschmackliche Verbesserung, war keine Marter zu viel. Das kulinarische
Argument wog schwerer als die Qualen des Tieres. Viele Tiere wurden nicht einmal getötet, sondern ihr Verenden war Teil der Zubereitung. Manche dieser Rezepte finden heute noch Freunde, z. B. die
Krebs- und Schildkrötenzubereitung, aber auch das Stopfen der Gänse.

Auch die aktuelle Mode, durch jeweils Exotisches wie Krokodil- oder Känguruhschnitzel ein bißchen Abwechslung in den Fleischverzehr zu bringen, hat Tradition. Nicht aus Not begeisterten sich die
Feinschmecker unter unseren Vorfahren für Siebenschläfer und Spinnen, für Pfaue, Straußenhirne und Flamingozungen.

Keine Rechte für Tiere

Franz von Assisis Grundsatz der Brüderlichkeit gegenüber den Tieren fand keine breite Zustimmung. Ebensowenig die vielen nachfolgenden Ermahnungen und Aufrufe, bis hin zu Albert Schweitzers
Aufforderung zur Ehrfurcht vor dem Leben. Die historische Entwicklung brachte das krasse Gegenteil, und im Zeitalter der Aufklärung erreichte das Gefühl der uneingeschränkten menschlichen
Verfügungsgewalt seinen Höhepunkt. Tiere waren Sachen. Seele und Bewußtsein wurde ihnen abgesprochen. Rechte hatten sie folglich keine.

Die Verdinglichung der Tiere ermöglichte eine immer radikalere Ausbeutung, die bald darauf industriell organisiert und optimiert wurde. Gleichzeitig tauchten aber auch Tierschutzgedanken auf und eine
ganze Reihe von Tierfreunden, die versuchten, die schlimmsten Auswüchse einzubremsen. So kam es zu den ersten Gesetzen, die Tierquälerei verboten. Bezeichnenderweise bezogen sich die meisten von
ihnen aber lediglich auf den öffentlichen Bereich. Nur "wer öffentlich und in Ärgernis erregender Weise Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt", wurde mit Geldbußen oder Haft bestraft, wie es in
einer deutschen Verordnung heißt.

Geschehen durfte die Tierquälerei, nur öffentliche Aufregung sollte sie nicht mehr verursachen dürfen. Daher wurde auch das Prinzip der Schlachthäuser beständig ausgebaut und bald darauf der
industrielle Fortschritt bereitwillig eingelassen, während das Geschehen aus dem Bewußtsein der Fleischkonsumenten immer mehr verbannt wurde.

Tiere hinter Gittern

Viel passierte nahezu gleichzeitig. Der Vegetarismus verzeichnete nach langer Zeit einen Aufschwung, und der Mensch hatte seine Freude an den ersten zoologischen Gärten. Der erste Zoo wurde,
abgesehen von orientalischen Vorläufern, 1752 von Kaiserin Maria Theresia in Schönbrunn gegründet. Die Tiere hinter Gittern boomten dann vor allem im 19. Jahrhundert: London gründete 1828 den ersten
Zoo, Berlin 1844. In den USA wurde der erste Zoo erst 1858 in Philadelphia eröffnet.

Im 18. Jahrhundert kam auch das wissenschaftliche Interesse an den Tieren in Schwung. Nun bekamen sie ihre lateinischen Namen, was sie dem Menschen nicht unbedingt näher brachte, und die ersten
tierärztlichen Hochschulen wurden gegründet. Das Tier wurde zum faszinierenden Forschungsobjekt. Mehr Einfühlsamkeit wurde ihm deswegen aber nicht zuteil. Arthur Schopenhauer forderte daher als einer
der Fürsprecher für die Tiere Gerechtigkeit. Den Gelehrten und Mächtigen gab er zu bedenken: "Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen"
.

Es dauerte allerdings noch einige Zeit, bis den Tieren tatsächlich Rechte zugesprochen wurden. Im 19. Jahrhundert schossen allerorts Tierschutzvereine aus dem Boden und weitere Tierschutzgesetze
boten den ärgsten Grausamkeiten Einhalt. Am grundlegenden Herrschaftsdenken, an der absoluten Verfügungsvollmacht, änderte das aber so gut wie nichts. Daher gab Friedrich Hebbel 1857 zu bedenken:
"Man kann wohl fragen: Was wäre der Mensch ohne die Tiere? Aber nicht umgekehrt: Was wären die Tiere ohne den Menschen?" Zumindest, wenn sie nicht vorher durch Gefangenschaft abhängig gemacht
wurden.

Es sollte aber noch sehr viel schlimmer kommen, vor allem bei der Tierhaltung, beim Tiertransport und in den Labors. Hier will es der Mensch ganz genau wissen, aber keineswegs nur aus Neugier am Tier
und für dessen Lebensverbesserung, auch nicht nur aus dringenden humanmedizinischen Gründen, sondern durchaus zur Herstellung von Waschmitteln, Nagellack und Wimperntusche. Kommen Tierschützer
dahinter, schlagen sie Alarm. Die tierliebende Seite des Menschen führt einen verzweifelten Kampf gegen die gewinnsüchtige.

War die Beziehung des Menschen zum Tier von jeher schon komplex, widersprüchlich und für seine eigenen jeweiligen ethischen Vorstellungen äußerst problematisch, so trifft das heute ganz besonders zu.
So wächst die Entfremdung zwischen Mensch und Tier zwar weiter, aber das Schicksal der zu verzehrenden Tiere wird allmählich wieder sichtbarer. Wie das Fleisch auf die Teller und die Wissenschaft zu
ihren Forschungsergebnissen kommt, interessiert immer mehr Konsumenten.

Die ungeliebten Tiere, wie Mäuse, Ratten und Insekten, hat der Mensch recht erfolgreich zurückgedrängt oder überhaupt verbannt. Der Hamster zuhause, bei manchen dürfen es durchaus auch Spinnen oder
Schlangen sein, wird hingegen zärtlich geliebt. Die Haustiere braucht der städtische Mensch heute dringender denn je, stellen Psychologen fest. Sie interpretieren den Trend als Sehnsucht nach Natur
und Natürlichkeit, als Sehnsucht nach der eigenen verlorenen Naturverbundenheit und als Ausgleich für die vielen aus unserem Lebensbereich verbannten oder unsichtbar gewordenen Tiere.

Glückt dieser Ausgleichsversuch? Immer mehr Tierschützer und Psychologen verneinen das. Und so manche Art von bezeugter Tierliebe muß sich zunehmend Kritik gefallen lassen. Auch bei unseren
verwöhnten Schmuse- und Kuscheltieren orten Kritiker Mißbrauch. Noch immer bezieht der Mensch sich fast ausschließlich auf sich selbst, nicht aber auf das Tier, das heißt, das Tier ist nicht für sich
sondern für ihn da. Er züchtet und verwendet das Tier als Trostspender, zur Verbesserung seines Selbstgefühls, als Bestätigung der eigenen Autorität oder Liebenswürdigkeit, als Quelle des Stolzes,
als Wärmespender oder Kontaktvermittler und zu vielem mehr. Das Tier als Krücke des Menschen also, als sein willenloser Diener wie eh und je.

Freitag, 10. Juli 1998

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