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Virtuelles Haustier

Von Gerald Jatzek

Sie schinden Überstunden, um die Kosten für das Handy hereinzubekommen, das Sie benötigen, um die Aufträge zu akquirieren, die Ihre Überstunden sichern? Sie haben weder Zeit für einen Partner noch für Katze, Hund, Hamster oder Gummibaum? Und dennoch sehnen Sie sich zwischen dem dritten und vierten Whisky / Tequila / Caipiriñha danach, Verantwortung zu übernehmen?

Lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen, die Ihr Friseur ja doch wieder kaschieren muß, damit Ihr jugendlich-dynamisches Äußeres erhalten bleibt. Vertrauen Sie einfach auf die Marktwirtschaft, wo es für jedes Tierchen ein Plaisierchen gibt und umgekehrt. Für Sie beispielsweise das Tamagotchi, ein virtuelles Haustier, das von Japan aus die industrialisierten Länder erobert hat:

Das Tamagotchi existiert auf einem Display, welches sich in einem wenige Zentimeter großen eiförmigen Korpus befindet. Der Geschichte auf dem Beipackzettel nach ist es ein außerirdisches Wesen, das auf die Pflege eines Menschen angewiesen ist. Wartung wäre vielleicht das treffendere Wort, denn die unterschiedlichen Bedürfnisse teilt es dem - ja was nun - Frauchen, Herrchen, User über Symbole mit. Angezeigt werden der Status von Alter, Gewicht, Gesundheit, Hunger, Glück und - das Tamagotchi stammt schließlich aus Japan - Disziplin.

Um die optimalen Werte zu erreichen, müssen per Knopfdruck entsprechende Eingaben gemacht werden, die das Bildschirmwesen durch das Wachsen und Gedeihen belohnt: Es nimmt zu, es entwickelt Eigenheiten wie etwa eine Haartolle usw. Ab und zu piepst es auch, wenn ihm etwas nicht paßt, weshalb man es nicht unbedingt in der Sakkotasche zu vertraulichen Sitzungen mitnehmen sollte.

Freilich ist das traute Glück von kurzer Dauer. Denn spätestens nach ein paar Wochen verabschiedet sich das Tamagotchi und flattert auf seinen Heimatplaneten zurück - eine bemerkenswerte physikalische Unstimmigkeit des Technospielzeugs.

Aber was soll's, schon am nächsten Tag kann man ein neues Alien ausbrüten, und die Sache geht von vorne los. Da die Verweildauer von der richtigen Pflege abhängt, hat die Sache auch Wettbewerbscharakter, was wiederum an die Lebenshaltung der Zielgruppe appelliert.

Also, worauf warten Sie noch? Nutzen Sie Ihr Handy, Ihr Short-Message-System, Ihren e-Mail-Anschluß für Diskussionen über die Behandlung eines kranken Tamagotchis (Spritze verabreichen), über die Beseitigung schlechter, virtueller Laune (Spieltaste drücken) oder über die Reinlichkeitserziehung (Häufchen sofort wegmachen) und verweisen Sie den Juniorchef um Tage in die Schranken.

Um etwas über 200 Schilling sind Sie dabei. Und Sie werden sehen: Die neue Aufgabe verlangsamt das Ergrauen der Haare beträchtlich. Die Melancholie zwischen dem dritten und vierten Whisky ist wie weggeblasen, weil der Grund dafür beseitigt ist. Eine Therapie ex ovo sozusagen. Und Sie fühlen sich wieder so richtig als Mensch mit einem Bezugsei.

Oder auch nicht.

Mittwoch, 20. Mai 1998

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