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Schiller: Zeitgenosse aller Zeiten

Neue Biographien und Werkausgaben zu Schillers 200. Todestag
Schiller auf dem Totenbett, 1805.  Bilder: Archiv

Schiller auf dem Totenbett, 1805. Bilder: Archiv

Blick auf den

Blick auf den "Neuen Friedhof" in Weimar mit der Fürstengruft, in die Schillers Gebeine im Jahr 1827 überführt wurden.

Von Rolf-Bernhard Essig

Im Jahre 1830 frisierte der greise Bildhauer Johann Heinrich Dannecker sein berühmtestes Werk, die Monumentalbüste Schillers, neu. Lustig flogen nun die Haare vom Marmorkopf. Später schenkte er die gefallenen Locken als seltene Doppel-Reliquien den Verehrern seiner und Schillers Kunst.

Diese Anekdote ist symptomatisch für die Schiller-Rezeption. Der Klassiker wurde aktualisiert, manipuliert, simplifiziert, kanonisiert, und so hält er sich seit langem als meist parodierter Dichter und meist gespielter Dramatiker der Deutschen. Schon zu Lebzeiten erkannte Schiller die Doppelnatur des Ruhms. Die starke Publikumswirkung war ihm so willkommen wie der finanzielle Segen, die fixierende Lesart dagegen ein Ärgernis: "Wenn man die Kunst so wie die Philosophie als etwas das immer wird und ist, also nur dynamisch und nicht . . . atomistisch betrachtet, so kann man gegen jedes Product gerecht seyn ohne dadurch eingeschränkt zu werden. Es ist aber im Character der Deutschen, daß ihnen alles gleich fest wird, und daß sie die unendliche Kunst so wie sie es bei der Reformation gemacht, gleich in ein Symbolum hinein bannen müssen."

Seit seine Schwägerin Karoline von Wolzogen 1830 die erste gehaltvolle Lebensbeschreibung des Dichters verfasst hatte, arbeiteten viele Biographen daran, Schillers Kunst "fest" zu machen. Die Deutschen konnten von dieser Erfolgsgeschichte nicht genug bekommen. Dass dieses Leben vergleichsweise unspektakulär verlief, kaum Reisen und praktisch keine Affären oder Skandale kannte, dass es von Arbeit, Disziplin und Fleiß geprägt war, machte Schiller zum Vorbild des Bürgertums.

Der moderne Schiller

Zum 200. Todestag ist zu erwarten, dass endlich die Modernität, die Eigenwilligkeit und das Überraschende hinter den Drohkulissen des Klassikerwesens aufgedeckt werden. Das geschieht etwa in Kurt Wölfels illustrierter kurzer Werk-Biografie, die, Spekulationen abhold, lieber die Quellen sprechen lässt und anregende Werk-Analysen bietet. Schiller, der mit seiner Lebenszeit geizte, hätte zweifellos eine solch kompakte Darstellung begrüßt.

Allerdings wäre diese kompakte Schiller-Würdigung ohne Peter-André Alts zweibändige Monographie aus dem Jahr 2000 kaum möglich gewesen. Deren Verdienste sind groß, hat doch niemand Schillers Bildung mit solcher Akribie untersucht, niemand ihn so überzeugend im Zusammenhang mit den medizinischen, ästhetisch-philosophischen und politischen Diskussionen seiner Zeit interpretiert wie Alt. Er zeigt die Ambivalenz Schillers als Schöpfer absoluter Kunst und als Pragmatiker des Erfolgs. Konsequent setzt er auf eine "Werkbiographie", denn: "Das Schreiben regiert Schillers Tagesablauf . . . mit imperatorischer Gewalt." Leider mangelt es Alt an Kompositionsgeschick und Stilgefühl. Sein Opus magnum ist daher ein exzellentes Werk für langmütige Leser.

Bewundern muss man, wie Alt nun seine Thesen in einem neuen Buch auf 128 Seiten konzentriert hat; dabei geht es fast nur um die Werke. In dieser pointierten Form erkennt man besser, wie Schillers "unabgegoltene Aktualität in dieser offenen Reflexionskultur begründet ist, die sein Werk zum Element einer progressiven Aufklärung mit dem Treibsatz der permanenten Kritik am Status quo werden lässt."

Solches Reflexionsniveau hätte man Jörg Aufenanger gewünscht. Für ihn, der immerhin die Werke akzeptabel zusammenfasst, ist Schiller ein an pietistischer Genussunfähigkeit, am überstrengen Vater und der daraus resultierenden schweren Psychosomatik leidender Dichter, der seinen Körper missachtet, in den Frauen stets nur Mutter oder Schwester sucht, und feige vor der Moderne zurückschreckt. Schillers Philosophie kommt kaum vor, Aufenangers Behandlung von Quellen ist kurios. Die Spekulationsfreude blüht und Tatsachen werden gelegentlich sensationslüstern verdreht.

Bei Marie Haller-Nevermann ist Schiller in besseren Händen, legt sie doch ein solides Faktenfundament. Gleichwohl überzeugt ihre Biographie in der Auswahl der Illustrationen mehr als textlich. Schiller ist bei ihr wieder "der Dichter der Freiheit" und seine Werke deshalb aktuell. Dagegen ist nichts zu sagen, doch findet Haller-Nevermann ihre Argumente im nebulösen Bereich des Allgemeinmenschlichen. Die Werke interpretiert sie eindimensional. Sie stützt sich gern auf ältere Literatur und nähert sich mehr als einmal der Heroisierung. Immerhin zitiert sie ausführlich, weist in Extrakapiteln auf Schiller als Mediziner und Psychologe hin, auf seine Karriere als Theaterdichter und Publizist und auf seine Verbindung zur Musik.

Die Schönheit des Idealismu s

Rüdiger Safranski will wesentlich mehr, wie schon sein Titel verspricht: "Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus". In der Tat präsentiert er einen modernen Dichter, einen Meister der Ambivalenz: Seit der späten Karlsschulzeit entspricht Schillers Rhetorik der Radikalität einer Radikalität des Denkens. Damals setzte er seine Liebesphilosophie mit "dezisionistischen, sogar autosuggestiven Zügen" als Antidot gegen den Nihilismus ein, der ihm vom philosophisch-naturwissenschaftlichen Empirismus seines Medizinstudiums nahegelegt wurde. Safranski stellt klar, dass ein Idealismus, der aus solchem Grund erwächst, nicht platt ist, sondern unterkellert: Er rührt von einem Pathos des Trotzdem her und führt bei Schiller zu einem "ästhetischen Polytheismus" . Das bewirkt jene Wandelbarkeit, die Goethe tief bewunderte. Schiller selbst konstatierte 1787, dass er "am Ende eines solchen Produkts [Werks] anders als bei dessen Anfang denken und empfinden" würde.

Safranskis Biographie ist anspruchsvoll, doch gut lesbar – eine gewisse Bonmot-Seligkeit erinnert sogar an Schillers Sentenzen-Freude. Schillers Denken, Schreiben, sein privates wie öffentliches Leben und die Zeithintergründe verbinden sich hier zu einem Gesamtbild, das die Modernität nicht nur behauptet, sondern in herausragenden Werkanalysen evident macht. Der "Enthusiast der Freiheit" ist hier auch als Enthusiast der Freundschaft zu erleben, als ein seltsamer Liebender, als eine "öffentliche Seele", als Theaterpragmatiker, dem es auf die Wirkungsmacht seiner Werke ankommt, und als Idealist, der seinen Körper als etwas dem Selbst Fremdes definierte.

Wer es weniger vollmundig mag, dafür eine philologisch gediegene, souveräne und umfassende Darstellung von Leben und Werk, dem bietet sich das Standardwerk des Schiller-Experten Norbert Oellers an. Es liest sich gut und überzeugt vor allem durch die Klarheit des Zugriffs und durch die Deutlichkeit der Urteile.

Einen ganz anderen, oft erprobten Weg geht Sigrid Damm, die höchst ausführlich die Quellen sprechen lässt, ohne dass es sich um eine Zitatmontage handelte. Schon mit der originellen Komposition des Materials hat Damm Wesentliches geleistet, zumal sie die Quellenkritik durchweg ernst nimmt. Sie bewirkt Nähe und Distanz gleichzeitig; dazu trägt auch ihr Grundprinzip bei, sich selbst vom ersten Satz an ins Spiel zu bringen. An Damms notorischem "Ich-Sagen" wird man sich stören, wenn man es unerheblich findet, was ein Biograph denkt, spürt, fühlt, versteht. Doch weist Damm ehrlich auf Unwissbares hin und hütet sich meist vor Spekulationen. Auch Kritik an Schiller fehlt nicht.

Ein Schiller-Verriss

Sehr viel kritischer als Damm verfährt allerdings Eva Gesine Baur in ihrem Buch "‚Mein Geschöpf musst Du sein‘. Das Leben der Charlotte Schiller" mit dem Klassiker. Hier erscheint Schiller als eine hypochondrische, undankbare, sexgierige, zuwendungsabhängige Drohne: Ein verlogener und leichtsinniger Jammerlappen.

Das ist erfrischend! Es gibt ja genügend Material, das neu interpretiert werden kann: Schillers Krankheitsheroismus, der ihn trotz schlechter Gesundheit feiern und trinken ließ, kann man auch als Leichtfertigkeit sehen und seine Gastfreundlichkeit als Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner Frau. Doch Baur geht weit darüber hinaus. Sie fällt mit so erstaunlicher Gehässigkeit über Schiller her, dass einem Hören und Sehen vergeht. Charlotte gerät bei dieser Metzelei oft aus dem Blick.

Nach so viel Sekundärem wächst die Sehnsucht nach dem Primären. Man bekommt es liebevoll-ironisch im Text-Bild-Band "Schiller für Kinder" von Peter Härtling und Hans Traxler kredenzt; meine zwölfjährige Nichte allerdings fand beim Test die Bilder toll, die Texte dagegen – bis auf die Balladen – als schwer verständlich. Aber sie las allein, dabei sollte man das Buch in Gesellschaft und laut lesen.

Erwachsene können sich die umfassende und bestens kommentierte Klassiker-Verlagsausgabe für allerdings 980,- Euro oder die "nur" zehnbändige "Berliner Ausgabe" des Aufbau-Verlags zulegen. Man kann aber auch zur aktualisierten Hanser-Ausgabe, die bei dtv seitenidentisch lieferbar ist, greifen. Sie hat dreieinhalbtausend Seiten weniger als die "Berliner Ausgabe", bietet aber trotzdem einen ausgezeichneten Kommentar und "Sämtliche Werke". Viele Seiten der "Berliner Ausgabe" füllen nämlich Varianten, Bearbeitungen und Fragmente.

Bleibt zu hoffen, dass der Popanz Schiller, von Lehrern und Festrednern mit pathetischem Eifer errichtet, mit der Hilfe von Alt, Safranski, Oellers und Wölfel endlich zerstört werden könnte! Kann man doch beim Abenteuer unvoreingenommener Lektüre erstaunt bemerken, wie nah Schiller seinem selbst gesetzten Ziel gekommen ist, "Zeitgenosse aller Zeiten" zu sein.

Peter André Alt: Friedrich Schiller. Leben – Werk – Zeit. Eine Biographie. 2 Bände. C. H. Beck, München 2000, 1.423 Seiten.

– : Friedrich Schiller. C. H. Beck/Wissen, München 2004, 128 Seiten.

Jörg Aufenanger: Friedrich Schiller. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2004. 329 Seiten.

Eva Gesine Baur: "Mein Geschöpf musst du sein". Das Leben der Charlotte Schiller. Hoffmann & Campe, Hamburg 2004. 431 Seiten.

Sigrid Damm: Das Leben des Friedrich Schiller. Eine Wanderung. Insel Verlag, Frankfurt/Leipzig 2004. 500 Seiten.

Marie Haller-Nevermann: Friedrich Schiller. "Ich kann nicht Fürstendiener sein." Aufbau Verlag, Berlin 2004. 320 Seiten.

Ehrenfried Kluckert: Schnellkurs Schiller. DuMont, Köln 2004. 171 Seiten.

Norbert Oellers: Schiller. Elend der Geschichte, Glanz der Kunst. Reclam, Stuttgart 2005. 520 Seiten.

Rüdiger Safranski: Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. Hanser, München/Wien 560 Seiten.

Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Peter-André Alt, Albert Meier und Wolfgang Riedel. Hanser, München/Wien, 2004. 5 Bände 5.800 Seiten (seitengleich bei dtv, München 2004).

– : Werke und Briefe. Herausgegeben von Otto Dann, Heinz Gerd Ingenkamp u. a. Klassiker Verlag, Frankfurt, 1988–2004, 12 Bände, 15.550 Seiten.

– : Sämtliche Werke in zehn Bänden. Berliner Ausgabe. Hg. von Hans-Günther Thalheim u. a. Aufbau, Berlin 1980 ff. 10 Bände, 9.500 Seiten.

". . . und mich – mich ruft das Flügeltier". Schiller für Kinder. Ausgewählt von Peter Härtling, illustriert von Hans Traxler. Insel Verlag, Frankfurt/Leipzig. 93 Seiten.

Kurt Wölfel: Friedrich Schiller. dtv, München 2004. 186 Seiten.

Freitag, 29. April 2005

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