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Wieso haben die 68er keine Tradition hervorgebracht?

Die Revolution als Spielwiese

Von Martin Luksan

1968 wurde · etwa in Berlin und Frankfurt · dadurch Politik gemacht, daß man die Universität durch Sitzstreiks und den Straßenverkehr durch Aufmärsche lahmlegte. So wurde der Protest sichtbar
und der Forderung Gewicht gegeben. Doch schon damals fehlte den Studenten etwas Entscheidendes: Es gab sie nur als Demonstranten und Aktionisten und nicht auch als Nachdenkende und Schreibende. Das
ist auch der Grund, warum wir heute so wenig über sie wissen.

Ein New Yorker Filmkritiker (der die sehr viel deutlichere Protestbewegung in den USA vor Augen hatte), formulierte angesichts von Filmen den erhellenden Satz: "Wir wissen bis heute nicht, was in
den sechziger Jahren wirklich mit uns geschah."

Man möge also nicht von einer "Kultur der 68er" sprechen, denn eine solche wurde nicht geschaffen. Eine Verbesserung der Universitätsstrukturen wurde gefordert, was indes geschah, erzeugte ·
bislang! · "das System" von selbst. Und die Politisierung der Studenten, die Veränderung des Meinungsklimas, d. h. die ganze Unruhe jener Jahre hat weder eine Partei, noch ein Denken, noch eine
Literatur ergeben. Die sogenannte "Frankfurter Schule", die seit den vierziger Jahren bestanden und der Bewegung die Begriffe geliefert hatte, war um 1978 zu Tode abgenutzt.

Man schrieb über die Karrieren mancher 68er. Das waren Erfolgreiche aus dieser studentischen Bewegung, die ihre ursprünglichen Ideale später "verrieten". Doch hatten sie wirklich was verraten?
Vielleicht war gerade für diese Leute die Bewegung die ideale Spielwiese gewesen für ihre Vorbereitung für den Ernstbereich. So wurde zum Beispiel in deutschen Hörsälen über die Einflußnahme auf Bonn
diskutiert, während es in Wahrheit um einen Bericht im "Spiegel" ging. Wer damals fleißig mitdiskutierte und sich zugleich sagte, daß "alles nicht wahr" sei, hat wohl die Einstellung schon
geübt, die er später für eine Karriere in der Gesellschaft nötig hatte.

1983 kam es in Wien zu einem Veteranentreffen der 68er, bei dem Frau Gretchen Dutschke (der Witwe) die Lust verging, bei all dem Gerede über das "Gemeinschaftsgefühl" von damals ein paar Worte über
Rudi Dutschke zu sprechen. Erzeugt wurde nur Nostalgie, kein Wort über irgendeine Zukunft, geschweige denn die Zukunft dieser Bewegung.

Aber hat sich "das System", gegen das sich der ehemalige Protest richtete, in der Zwischenzeit so verändert, daß sich heute eine Kritik erübrigt? Wenn man das verneint, steht nicht nur die heutige
Gesellschaft zur Diskussion. Dann darf man auch die 68er befragen. Wieso haben sie keine Tradition gebracht? War ihr Mythos so schwach? Haben sie ausschließlich das getan, wozu der "Zeitgeist" sie
damals aufrief?

1. Nachsatz

1988 fand in Wien eine Demonstration gegen den Opernball statt, die überflüssig und nicht einmal lustig war. Sie war jedenfalls nicht so lustig wie die Besetzung des Büros von Minister Graf.
Dennoch war ein "Verein für gelebte Demokratie" vor allem stolz auf den Tumult, bei dem eine junge Frau von einem Polizeiauto angefahren wurde. Dieser Stolz war unangebracht, denn die Anarchos,
Jusos, Feministen, Zivildiener, Pyhrngegner, KPÖler, Grünen und Autonomen, die für die Anmeldung der Demonstration ihren Namen hergegeben hatten, waren nur 50 Leute.

2. Nachsatz

Historische und politische Bildung sind heute genauso wenig wert wie 1968 und doch werden die "Risikofächer" weiterhin inskribiert. Das war schon 68 ein Motiv für den Protest an europäischen
Universitäten: "Die Gesellschaft will uns nicht . . . sie legt den Bedarf an GRUWI- und GEWI-Absolventen willkürlich fest." Das haben wir heute durch eine strenge Ökonomie verschärft · mit viel
größerem Druck wieder. Man will den Universitäten Verschulung als etwas "Notwendiges" aufzwingen, die Forschung soll zu abhängigen "Drittmittelinstituten" abwandern.

Jetzt finden äußerst harte und unsolidarische Verteilungskämpfe statt, alle Welt schwafelt von "Leistung" und niemand sagt dazu, daß gerade "Vergeistigung" einem Teil der Kommunikationsgesellschaft
äußerst guttun würde. Für eine große Minderheit der Studenten und darüber hinaus für eine Minderheit der Österreicher wäre der "Sektor Vergeistigung" eine Lösung. Warum das nicht schadet und wohin
das führt, darüber wissen wir aber heute nichts, denn die 68er haben es uns nicht gesagt. Sie haben ihre eigene Lage weder analysiert noch dargestellt.

Freitag, 19. Juni 1998

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