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Die Arbeit der deutschen Welthungerhilfe auf Madagaskar

Hilfe zur Selbsthilfe

Von Thomas Veser

Farafangana, im Frühjahr - gewöhnlich ballen sich bläulich-schwarze Regenwolken über dem Andringitra-Massiv. Am Rand der Kalksteinhochebene, die Madagaskars Südosten riegelartig durchzieht, erstrecken sich Tropenwälder, auf die kaum bewohnte, spärlich bewachsene Savannengebiete folgen. In Richtung Küste haben die Kräfte der Natur im Laufe der Zeit eine sanft hügelige Landschaft geformt.

Größere Flüsse durchziehen die Tiefebene, in der nur wenige Kleinstädte liegen. Mit etwa tausend Quadratkilometern etwas kleiner als die südfranzösische Camargue, zeichnet sich die Region von Farafangana durch eine gute Bodenqualität aus. Und auch über die Regenmenge können sich die Reisbauern, die in weit auseinander liegenden Weilern leben, nicht beklagen. Wenn im Frühjahr die gefürchteten Wirbelstürme die viertgrößte Insel der Welt heimsuchen, ergießt sich über das fruchtbare Land im Südosten allerdings mehr Wasser, als den Menschen lieb ist. Im vergangenen Jahr hat Zyklon Hudah, der Anfang April 2000 vom Indischen Ozean aus westwärts zwei Tage nach seiner Entstehung in der nordöstlichen Küstenstadt Antalaha verwüstete, die leidgeprüfte Region im Südosten für einmal gnädig verschont.

Farafanganas Bewohner haben ihre Prüfung bereits hinter sich; "Gloria" und "Eliane", wie die Meteorologen zwei vorangegangene Wirbelstürme tauften, haben im Februar 2000 in weiten Teilen des Südostens Häuser abgedeckt, Bäume entwurzelt und die Dämme vieler Wasserbecken zur Bewässerung der Reiskulturen zum Bersten gebracht.

Die Schäden waren indessen geringer als beim Durchgang des Wirbelsturms "Gretelle" vor vier Jahren. Mit bis zu 220 Kilometern Geschwindigkeit tobte das Naturphänomen damals durch das Land und löste vor der Kalkhochebene sintflutartige Regenfälle aus. In kurzer Zeit schwollen die Flüsse an, traten über die Ufer und setzten die Stadt Vangaindrano unter Wasser. Über Nacht verloren 60.000 Menschen ihre Unterkunft, Dutzende wurden von den Fluten in den Tod gerissen.

Niemand hatte die Betroffenen rechtzeitig gewarnt; drei Tage danach konnte ein peinlich berührter Präfekt von Farafangana vor der Presse erklären, dass er erst jetzt die Nachricht über einen herannahenden Wirbelsturm erhalten habe. Bis heute gibt es keine funktionierenden Telefonverbindungen zwischen dem Provinzhauptort und der madagassischen Hauptstadt Antananarivo auf der Hochebene.

Monatelang lag die fruchtbare Kulturlandschaft damals unter Wasser. Viele Dämme, Deiche und Rückhaltebecken waren nach dem Rückzug nicht mehr wahrnehmbar. Noch Wochen später versperrten Bäume, die von der Furie mit dem märchenhaften Namen wie Streichhölzer geknickt wurden, die löchrigen Pisten. Von Wasser umgeben, wirkten einige Dörfer auf Hügeln wie einsame Inseln, deren Bewohner mit Helikoptern versorgt werden mussten.

In dieser Notlage beschloss die "Deutsche Welthungerhilfe" (DWHH), die madagassische Region in ihr Hilfsprogramm aufzunehmen. Als eine der größten nicht- staatlichen Entwicklungsorganisationen bereitete das Bonner Hilfswerk mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ein Projekt zur Ernährungssicherung vor. Bis die Arbeit aufgenommen werden konnte, gingen 16 Monate ins Land. Die Welthungerhilfe musste mit den Partnern, darunter die Europäische Union (EU), erst eine finanzielle Beteiligung aushandeln.

Seit 1962 in 38 Ländern vertreten, bezahlt die Welthungerhilfe Projekte mit einem Budget, das im Jahr 2000 aus etwa 60 Millionen DM Spenden und rund 100 Millionen DM Zuschüssen der EU, der Bundesregierung und der Vereinten Nationen zusammengesetzt war. Es gehört zu den Grundprinzipien der Organisation, in den einzelnen Ländern ausschließlich mit nichtstaatlichen Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten.

Direkte und schnelle Hilfe

Damit umgeht die DWHH, die von der deutschen Bundesregierung und dem Berliner Senat seit vielen Jahren das deutsche Spendensiegel für "sparsame und transparente Mittelverwendung" zugesprochen bekommt, die schwerfälligen Staatsbürokratien der Entwicklungsländer. Sie kann ihr Geld direkt in Projekte zur Hilfe in Katastrophenfällen und zum Schutz der natürlichen Ressourcen einbringen.

Farafangana war mit Vorbedacht gewählt worden, halten die unberechenbaren Naturgewalten in dieser Region noch andere Geißeln bereit. In manchen Jahren herrscht Dürre, dann wieder fallen Heuschreckenschwärme über die Felder her und vertilgen die Ernte. Selbst wenn Aussaat, Pflege der Reiskulturen und Ernte einmal reibungslos verlaufen, müssen sich die Menschen in Bescheidenheit üben. Pro Hektar Anbaufläche, so errechnete der französische Logistiker und DWHH-Mitarbeiter Sylvain Houbier, erntet man im Südosten pro Hektar 900 Kilogramm Reis - eine verschwindend kleine Menge im Vergleich zu China, auf dessen Kulturen freilich mit Hilfe moderner Technik Rekordernten von bis zu 15 Tonnen pro Hektar erzielt werden.

Obwohl die fruchtbaren Böden im Südosten höhere Erträge ermöglichen würden, leben die Menschen vom Hand in den Mund. Hat ein Wirbelsturm die Reisfelder zerstört, müssen sich die Bewohner wenige Wochen später auf eine Hungersnot einstellen. Einfach mehr Reis anzubauen und den Überschuss einzulagern, ist ein Vorschlag, für den sich kein Einheimischer gewinnen lässt. Räuberbanden würden die Vorräte im Schutze der Nacht mit Sicherheit stehlen, geben sie zu bedenken.

Eine "Effizienzsteigerung" nach westlicher Denkart ist für diese Menschen, die seit jeher als Selbstversorger lebten, fremdes Gedankengut. Während der Reisanbau in den industrialisierten Ländern eine Frage der Technik ist, bleibt die Landwirtschaft in Madagaskar untrennbar mit den Ahnen verbunden. Und denen gehört das Land, versichern die Madagassen. Pflügen die Männer mit ihren Zebu-Ochsen die Felder um, sind die Frauen traditionellerweise für das Einsetzen der Reispflanzen und die Pflege zuständig. Geerntet wird in der Regel gemeinsam.

Die jährlich wiederkehrenden Naturkatastrophen, die zunehmend stärker werden, haben die Verwundbarkeit der Landbevölkerung noch vergrößert. Die Region um Farafangana zählt mittlerweile zu den dichtbesiedeltsten Gegenden des Südostens. Aber die Bevölkerung lebt mittlerweile schon zur Hälfte unterhalb der Armutsschwelle. In Farafangana beträgt der Anteil der unter 17-jährigen Jugendlichen über 80 Prozent, die meisten von ihnen erhalten so gut wie keine Schulbildung. Sie können nicht schreiben und lesen und oftmals nicht einmal rechnen. Und damit bleibt der angestrebte Aufbau einer klein-mittelständischen Handwerkerstruktur, die man dort dringend bräuchte, weiterhin eine Illusion.

Weil das Bevölkerungswachstum ungebrochen anhält, werden die Kulturflächen allmählich übernutzt. Um neue Anbauflächen zu gewinnen, holzt man fortwährend Wälder ab und verbrennt die Bäume, deren Wurzeln im Boden verbleiben. Auf diese Weise wird die Bodenerosion beschleunigt. Rauchfahnen, die der starke Wind des Südostens über die rötlichen Pisten treibt, zeugen von der anhaltenden Selbstzerstörung.

Wenn der Staat in diesem Teil der Insel überhaupt jemals vertreten war, so sind seine Repräsentanten heute spurlos verschwunden. Niemand kümmerte sich darum, die mit Schlaglöchern übersäten Verkehrsverbindungen auszubessern. Metallteile eingestürzter Brücken verrosten auf dem Boden der Flüsse, wo auch die Wracks gesunkener Fähren liegen. Und daher bleibt der Ausgang vieler Reisen ungewiss. Wenn das Fahrzeug nicht wegen einer technischen Panne am Pistenrand liegen bleibt, endet die Fahrt womöglich am Flussufer. Dann transportiert man die Waren auf die andere Uferseite und wartet so lange, bis ein anderes Transportfahrzeug auftaucht, die geplante Reise nicht mehr fortsetzen kann und mit einer zusätzlichen Ladung wieder zurückfährt.

Als die Welthungerhilfe 1998 ihr Hilfsprogramm startete, übernahmen Mitarbeiter unter Leitung des Darmstädter Ethnologen Marty Feldmann Aufgaben, die eigentlich in die staatliche Zuständigkeit fallen. Mit Hilfe einheimischer Arbeitskräfte räumte man entwurzelte Bäume von den Straßen, füllte die Löcher und erneuerte die eingestürzten Holzbrücken. Als Gegenleistung erhielten die Mitwirkenden Lebensmittel, die überwiegend aus dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen stammten.

Dann reparierte man die zerstörten Wohnhäuser von 500 Haushalten und verteilte Saat- und Pflanzgut mit der Auflage, dass nach der Ernte 50 Prozent davon zurückerstattet werden mussten. Manchmal trifft man auf Männer, die einen schadhaften Pistenabschnitt eigenständig erneuern. Mieden Gewürzhändler früher diese Gegend mit ihren schlechten Zufahrtswegen, fahren sie nun in die Dörfer und kaufen den Reisbauern Kaffee, Nelken und Pfeffer ab. "So verdienen die Familien etwas Geld, womit sie auf den Märkten Produkte kaufen, die sie selbst nicht anbauen", vermerkt Sylvain Houbier.

Erfreuliche Fortschritte

Dann erneuerte die Welthungerhilfe das überalterte Bewässerungssystem und versah Rückhaltebecken mit einem Betonüberlauf und stabilen Schleusen. Die herkömmlichen Schleusen bestanden aus Erdreich, mit dem die Abflussrinne abgedichtet wurde. Jetzt kann die jeweils nötige Wassermenge pro Feld genau bemessen werden. Weitere Fortschritte verzeichnen die zwei Dutzend DWHH-Mitarbeiter in Farafangana bei ihren Bemühungen, die Einheimischen auf die nächste Naturkatastrophe vorzubereiten. Wo immer möglich, werden Reisfelder nicht mehr nebeneinander, sondern weit verstreut angelegt, um bei Überschwemmungen wenigstens einen Teil der Ernte zu retten.

Zwar wird die Welthungerhilfe bei Naturkatastrophen weiterhin Soforthilfe durch herbeigeschaffte Lebensmittel aus den benachbarten Regionen leisten; allerdings soll die Bevölkerung nun planmäßig damit vertraut gemacht werden, wie sie sich bei Wirbelstürmen selbst schützen kann. Die klassische "Hilfe zur Selbsthilfe" will die Organisation mit dem Beistand der Europäischen Union umsetzen.

"ECHO", wie Brüssel sein gemeinschaftliches Nothilfeprogramm nannte, sieht unter anderem vor, die Bevölkerung in gefährdeten Gebieten darüber aufzuklären, wie sie eigenhändig die größten Schäden verhindern kann. Wie das im Detail laufen muss, erläuterten im vergangenen Frühjahr Staatsfernsehen und Rundfunk, als sich der Wirbelsturm Hudah der Insel näherte. Mehrmals am Tag mahnten Sprecher, den Strom abzustellen, abbrechende Äste sicherheitshalber abzusägen und Hausdächer mit Steinen oder Sandsäcken zu beschweren.

In den weit auseinander liegenden Dörfern um Farafangana müssen jedoch die elementaren Verhaltensmaßregeln wie bisher weiterhin vor Ort eingeübt werden. Denn dort gibt es keine Radios, geschweige denn einen Fernsehapparat.

Freitag, 23. November 2001

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