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Erinnerungen einer Widerstandskämpferin an NS-Zeit und Befreiung

Wir waren endlich frei!

Das Hotel Metropol am Morzinplatz war das Wiener Hauptquartier der Gestapo. Das Foto ist dem Bildband

Das Hotel Metropol am Morzinplatz war das Wiener Hauptquartier der Gestapo. Das Foto ist dem Bildband "Wien. Die Metropole in alten Fotografien" entnommen. (Ueberreuter Verlag, Wien, herausgegeben von Hans Petschar und Herbert Friedlmeier.)

Nicht alle russischen Soldaten waren so edel wie dieser hier auf einem Plakat, das 1945 in Wien zu sehen war.  Bild: Archiv

Nicht alle russischen Soldaten waren so edel wie dieser hier auf einem Plakat, das 1945 in Wien zu sehen war. Bild: Archiv

Von Rosa Breuer

Als sich die Truppen der Sowjetunion im April 1945 vom Süden her Wien näherten, verlegten Wehrmachtssoldaten auf den Wegen zwischen den Gärten unserer Siedlung am Rosenhügel Kabel, vermutlich von Feldtelefonen. Sehr früh am nächsten Morgen gingen meine Zwillingsschwester Lisl und ich mit einer Gartenschere hinaus und durchschnitten die Kabel. Wir wussten, dass wir dabei unser Leben aufs Spiel setzten. Aber wir wussten auch, dass dies ein sinnvoller Einsatz war.

Wir waren damals 25 Jahre alt. Unser Vater, seit den zwanziger Jahren Kommunist, war 1936 wegen illegaler Betätigung verhaftet, nach Verbüßung seiner Strafe ins Anhaltelager Wöllersdorf gebracht und erst Ende 1937 freigelassen worden. Am 11. März 1938 hatte er auf einer Straßenkundgebung gegen den "Anschluss" gesprochen und anschließend bei in einer Schlägerei einen Knüppelhieb auf den Kopf bekommen. Wegen einer Blutung an der Gehirnwand musste er ein halbes Jahr im Spital bleiben und war dann noch lange arbeitsunfähig.

Lisl und ich waren seit 1934 im illegalen Kommunistischen Jugendverband tätig gewesen. Ich wurde deshalb mehrmals verhaftet. Wir nahmen an, dass unsere Familie nach dem "Anschluss" besonders streng beobachtet würde, aber das war ein Irrtum. Jüdische Kommunisten sind von den Nazis verfolgt, vertrieben und ermordet worden, weil sie Juden waren, so wie alle Juden, auch wenn sie sich nie politisch betätigt hatten. "Arische" Kommunisten hingegen, die in der Nazi-Zeit nicht mehr aktiv waren, hatten wegen ihrer politischen Vergangenheit keine Schwierigkeiten. Auch meinem Vater und mir ist, als wir später von der Gestapo verhaftet wurden, unsere illegale Betätigung vor 1938 nie vorgehalten worden.

Widerstand, aber wie?

Nach dem "Anschluss" bestand die illegale KP-Organisation anscheinend nicht mehr, jedenfalls nicht in unserem Umfeld. In der Verbandstofffabrik in Atzgersdorf, wo Lisl und ich Arbeit gefunden hatten, versuchten wir, die Kolleginnen von allzu eifriger Tätigkeit abzuhalten. Später haben wir Fremdarbeitern manchmal ein bisschen Essen zugesteckt, was streng verboten war. Wir hätten gerne mehr getan, aber wir wussten nicht, was. 1939 habe ich geheiratet, 1941 eine Tochter geboren. 1942 wurde mein Mann einberufen. 1943 ist er an der Ostfront gefallen.

Im Sommer 1943 klopfte ein Genosse bei uns an, den Vater noch aus der Vorkriegszeit kannte. Er war mit falschen Papieren als Fremdarbeiter aus Frankreich nach Wien gekommen, wollte hier eine Widerstandsgruppe aufbauen. Er hatte Flugblätter mitgebracht, die nach meinem Empfinden wenig Verständnis für die Lage in Österreich zeigten. Wir haben trotzdem mitgeholfen, sie zu verbreiten. Der "Fremdarbeiter" fuhr nach einiger Zeit zu einer illegalen Konferenz österreichischer Kommunisten nach Frankreich zurück. Dort gab es auch Spitzel, und als er wieder nach Österreich kam, wurde er bereits beschattet. Schließlich wurden er und alle seine Kontaktpersonen, unter ihnen auch meine Eltern und ich, verhaftet. Gestapo-Männer blieben einige Tage in unserem Siedlungshaus, um allfällige Besucher unter die Lupe zu nehmen.

Tatsächlich hätten drei Tage später einige Besucher zu uns kommen sollen. Lisl wusste das, und während die Gestapo-Männer in der Küche saßen, sprang sie nachts aus dem Fenster, lief zu einer Freundin in der Nachbarschaft, die auch eingeladen war, und bat sie, allen abzusagen. Sie war kaum zurück im Bett, als ein Gestapo-Mann die Tür öffnete. Er schöpfte keinen Verdacht.

Die Gestapo wusste, dass wir einige Kontakte hatten, und wollte die Namen unbedingt aus uns herausquetschen. Aber wir blieben stumm. Bei einem Verhör wurde mir der "Fremdarbeiter" gegenübergestellt. Er war total zusammengebrochen. "Es hat keinen Sinn, etwas abzustreiten", sagte er. "Sie wissen alles über dich."

Ich war entsetzt. Wenn dieser starke Mann der Folter nicht standgehalten hatte, würde ich dazu imstande sein? Ich wollte mich lieber umbringen, als andere Menschen verraten, aber das war leichter gedacht als getan. Am 24. Oktober spät abends, wurde ich wieder zu einem Verhör in die Gestapo-Zentrale am Morzinplatz geholt. Normalerweise wurden die Häftlinge über eine vergitterte Seitenstiege hinaufgeführt, aber diesmal führte mich der Gestapo-Mann über die prunkvolle Hauptstiege. Das war eine einmalige Chance für mich. Zwischen dem dritten und vierten Stock sprang ich plötzlich kopfüber hinunter.

"Sie muss einen Schutzengel gehabt haben" , hörte ich eine Stimme, als ich wieder erwachte. Ich lag im Allgemeinen Krankenhaus mit einer Gehirnerschütterung, einem Sprung in der Schädeldecke, einer Prellung des Rückgrats, aber ohne bleibende Schäden. Nach drei Tagen wurde ich ins Inquisitenspital überstellt. Gestapo-Leute kamen, um mich zu verhören, aber ich brauchte nur ein wenig den Kopf zu bewegen und begann schon zu erbrechen. Fast drei Monate blieb ich im Spital, dann kam ich zurück ins Gefängnis. Man steckte Spitzel zu mir in die Zelle, aber ich war vorsichtig. Schließlich wurde ich gemeinsam mit meiner Mutter noch einmal zu einem Verhör geholt. Es gab keine Folter, aber der Beamte sagte uns, dass wir bald im KZ das Gras von unten sehen würden, wenn wir nicht redeten. Dann wurden wir völlig überraschend freigelassen. Nur mein Vater kam ins KZ.

Am Tag nach unserer Heimkehr ist Mutter einkaufen gegangen. In der Nähe des Greißlerladens standen zwei halb verhungerte russische Fremdarbeiter. "Mama, Brot" , flüsterte der eine. Wie versehentlich ließ Mutter zwei Brotmarken fallen. "Ham S‘ denn no net gnua?" zischte eine Nachbarin, Nazi-Anhängerin, die den Vorfall gesehen hatte. "Solln’s mi halt derschlagen", antwortete Mutter. "I kann des net mit anschaun." Es hat sie niemand angezeigt.

Klimawandel

Anfang 1944 war klar, dass Hitler den Krieg verlieren und Österreich befreit werden würde. Weit weniger klar war jedoch, ob wir das noch erleben würden. Wir nahmen wohl mit Recht an, dass wir ständig beobachtet würden, lebten in der ständigen Angst, dass uns die Gestapo wieder holen würde.

Im April 1945 wurde das Klima auf einmal ganz anders. Nachbarn, die uns nie angeschaut hatten, fragten nun, ob wir etwas von unserem Vater wüssten. An einem Abend klopfte der NS-Blockwart an unsere Tür, aber nicht, um uns wegen schlechter Verdunkelung zu ermahnen. Er hatte ein schönes rotes Kinderkleidchen mit und fragte mich, ein wenig verlegen, ob ich das nicht für meine Tochter brauchen könnte.

Am Vormittag desselben Tages rollte eine ältere Frau aus unserer Nachbarschaft ein Fass Wein über die Rosenhügelstraße. Drei Wehrmachtspelze hatte sie übereinander angezogen, und jedem, der es wissen wollte, sagte sie, dass die SS-Kaserne am Maurer Berg offenstehe und dass dort viel zu holen sei. Das sprach sich rasch herum, viele Leute eilten hin. Ein Nachbar schleppte Möbel nach Hause und stellt sie auf die schönen Teppiche, die er sich 1938 aus der Wohnung einer jüdischen Familie geholt hatte.

Als dann die ersten sowjetischen Panzer durch die Rosenhügelstraße fuhren, holten wir eine rote Fahne mit einer Aufschrift in kyrillischen Buchstaben heraus, die Vater einst von einem Schulungsaufenthalt in der Sowjetunion mitgebracht hatte, und hängten sie ins Fenster. Die Panzerfahrer schauten nur erstaunt, doch Soldaten des nachfolgenden Trosses kamen zu uns ins Haus. Einer wollte sich mit Lisl in einem Zimmer einsperren. Nur dem resoluten Auftreten meiner Mutter war es zu verdanken, dass das noch glimpflich ausging. Mit Tränen in den Augen haben wir die Fahne wieder hereingeholt. Die Nächte verbrachten wir nun auf dem Heuboden, der nur durch eine kleine, kaum sichtbare Falltür in der Veranda erreichbar war. Ringsum hörten wir Schreie von Frauen und ab und zu auch Schüsse.

In den folgenden Tagen kamen Rotarmisten immer wieder in die Siedlungshäuser, holten Wasser für ihre Pferde, wollten essen und trinken, und nahmen auch sonst vieles mit, so etwa die Pelze, die sich unsere Nachbarin aus der SS-Kaserne geholt hatte. Auch zu uns kamen wieder Soldaten, gingen durch die Zimmer, öffneten einige Laden, fanden Briefe meines Mannes mit Fotos, die ihn in der Wehrmachtsuniform in Russland zeigten. Sie wollten uns nicht recht glauben, dass wir ihre Freunde waren, nahmen schließlich mein Fahrrad mit und meine Armbanduhr.

Andere Soldaten waren gesprächiger. Einer sagte zu mir, als ich meine Tochter auf dem Arm hielt: "Ich auch hatte kleines Kind. Da kommen Faschist, macht bum bum – und Kind ist tot." Ein anderer sagte zu Mutter: " Meine Matka so aussehen wie du. Nemezky kommen, suchen Partisan. Nicht finden. Werden 30 Mann und Frau gehenkt. Meine Matka auch sterben."

Nach vier Jahren eines grauenhaften Krieges sah die Rote Armee ganz anders aus als in unseren idealisierenden Vorstellungen. Aber Hitler war geschlagen. Wir waren wieder frei. Auch unser Vater ist nach einer abenteuerlichen Flucht zurückgekommen. Er war halb verhungert, aber hatte überlebt.

Freitag, 06. Mai 2005

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