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Die Impaktforschung hat unseren Blick auf die Entstehung der Erde revolutioniert

Lebenszeichen aus dem Weltall

Nur wenige Millimeter klein, rund 65 Millionen Jahre alt – verwitterte Glassphärulen aus Haiti.

Nur wenige Millimeter klein, rund 65 Millionen Jahre alt – verwitterte Glassphärulen aus Haiti. (© Pinter)

Von Christian Pinter

Im Mai und im Juni 1980 erschienen zwei atemberaubende Artikel in den Zeitschriften "Nature" und "Science" . Nach Ansicht der Autoren griff der Kosmos vor 65 Millionen Jahren mit einem vernichtenden Schlag in die Entwicklung des irdischen Lebens ein. Gut die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten, Saurier inklusive, verschwand damals vom Erdboden.

Der Faunenschnitt definiert die Wende von der Kreidezeit zum Tertiär. Er geschah abrupt und ohne Vorwarnung, schreiben Jan Smit, Amsterdam, und Jan Hertogen, Leuven, am 22. Mai in " Nature ". Eine zeitlich entsprechende Gesteinsschicht aus dem spanischen Caravaca weist einen erhöhten Gehalt an Osmium und Iridium auf.

Zu Staub pulversiert

1980 gilt das berühmte Ur-Meter, ein bei Paris aufbewahrter Platin-Iridium-Stab, noch als Eichmaß dieser Längeneinheit. Iridium ist rar in der Erdkruste. Während der heißen Entstehungsphase unseres Planeten zog es sich gemeinsam mit Platin, Osmium und anderen eisenliebenden Elementen in den Erdkern zurück.

Bei der Geburt von Himmelskörpern geringer Masse – dazu zählen Kometen und die allermeisten Kleinplaneten – ging es wesentlich kühler zu. Deshalb ist der Gehalt an Iridium und Osmium in Steinmeteoriten bis zu 30.000-mal größer als im Erdkrustengestein. Diese Meteorite enthalten nämlich fast alle Materialproben aus dem Kleinplanetenreich.

Für Smit und Hertogen stammt das Iridium von Caravaca also aus dem Kosmos. Für die Zustellung machen sie einen hypothetischen Riesenmeteoriten von 5 bis vielleicht 15 km Durchmesser verantwortlich. Beim Einschlag, dem so genannten "Impakt", soll er einen Krater von mehr als 150 km Durchmesser ausgesprengt haben.

Noch größere Aufregung ruft ein Artikel im US-Magazin " Science " vom 6. Juni hervor. Luis und Walter Alvarez, Frank Asaro und Helen Michel aus Berkeley, Kalifornien, beschreiben darin ebenfalls Iridium-Funde. Ihre Gesteinsproben stammen aus Stevns Klint, Dänemark, aus Woodside Creek, Neuseeland, vor allem aber aus Gubbio, Italien.

Dort trennt eine zentimeterdicke rote Schicht aus Tonmineralen die Kalksteine aus der Kreidezeit (K) und dem Tertiär (T). Der Iridiumgehalt ist hier 30-mal, in den dänischen Proben sogar 160-mal höher als normal.

Für die Alvarez-Gruppe besteht die K-T-Grenzschicht aus irdischem Gestein, das beim Impakt eines Himmelsgeschosses zu Staub pulverisiert und dann weltweit abgelagert wurde. Material der Tatwaffe ist in Spuren beigemengt. Aus der Iridium-Menge schließen die Forscher auf das Kaliber des Projektils: 6 bis 14 km. Bei einer plausiblen Einschlagsgeschwindigkeit um 90.000 km/h hätte es die Energie von 100 Millionen Megatonnen TNT freigesetzt – und deshalb 1.000-mal mehr Staub in die Stratosphäre gewirbelt als die Rekordexplosion des indonesischen Vulkans Krakatau anno 1883.

Von der Hochatmosphäre global verteilt, blockte der Auswurf des K-T-Impakts das Sonnenlicht jahrelang effizient ab. Die Tage blieben dunkler als heutige Mondnächte, berechnet die Alvarez-Gruppe. Die pflanzliche Photosynthese erlosch, die Nahrungskette brach an Land und im Ozean zusammen. Als die Sonne wieder richtig zum Scheinen kam, traf ihr Licht auf eine grundlegend veränderte Welt.

Neu ist diese Idee nicht. Schon Wilhelm Meyer schrieb um 1903, dass ein bloß 10 km kleiner herabstürzender Körper alle Ordnung auf Erden innerhalb weniger Stunden zerstören könnte – und zwar für Jahrhunderttausende.

Doch erst im Frühjahr 1980 liegt eine detaillierte Rekonstruktion eines solchen Desasters vor. Ein wichtiges Element fehlt aber: der eigentliche Tatort. Man kennt zwar drei im Format passende Riesenkrater mit 100 km Durchmesser und mehr. Doch der Sudbury-Krater in Kanada ist ebenso wie der südafrikanische Vredefort viel zu alt – und Sibiriens Popigai zu jung.

Die K-T-Hypothese

In den nächsten Jahren widmen sich zahlreiche Astronomen, Physiker, Geologen, Chemiker und Paläontologen der K-T-Hypothese. Sie gerät zum Motor der jungen, von Anfang an interdisziplinär ausgerichteten Impaktforschung. Man findet weitere Krater und untersucht die Veränderungen im Gestein, die deren brutale Entstehung hervorgerufen hat. Eine Flut von Publikationen erscheint. Die Iridium-Anomalie wird an mehr als hundert Plätzen nachgewiesen – unter anderem im Salzburger Elendgraben.

Von der Kraft des Rekordeinschlags zeugen ferne Spuren von natürlichem Glas, die man schon Anfang der achtziger Jahre in der K-T-Grenzschicht aufgestöbert hat. Meist sind die Millimeter kleinen Kügelchen stark verwittert. Sie entstanden aus irdischem Gestein, das beim Impakt aufschmolz oder verdampfte. Die heiße Materie stieg bis zum Weltraum hoch. Dabei formten sich so genannte Sphärulen , die noch Tausende Kilometer vom Einschlagsort entfernt als gigantischer Glasregen herabfielen.

Die Medien greifen die Impakttheorie rasch auf. Vor allem das gewaltsame Ende der Saurier fasziniert viele. Paläontologen bleiben skeptisch. Die komplexe Geschichte des Lebens mit plötzlichen Manipulationen aus dem All erklären zu wollen, mutet vielen allzu simpel, ja willkürlich an. Stattdessen gehen sie lieber von Überspezialisierung und Degeneration der Arten aus, machen langsame Wechsel der Umweltbedingungen, Variationen des Meeresspiegels und der Meeresströme verantwortlich – oder Klimaänderungen, ausgelöst durch gigantische Vulkane.

Bereits 1980 vermutet die Alvarez-Gruppe, dass noch vier weitere große Massensterben durch Einschläge von Kometen oder Kleinplanetentrümmern verursacht wurden; dazwischen gab es etliche kleinere Faunenschnitte. 1984 greifen mehrere Forscher diese Idee auf. David Raup und J. John Sepkoski von der Universität Chicago meinen, eine zyklische Wiederkehr des Artensterbens entdeckt zu haben: Der Tod käme demnach alle 26 Millionen Jahre wieder.

Walter Alvarez und Richard Muller wollen aus dem Alter von Kratern einen Einschlagsrhythmus von 28,4 Millionen Jahren ableiten können. Muller formuliert eine gruselige Hypothese: Ein lichtschwacher, bisher unentdeckt gebliebener Zwergstern soll die Sonne auf einer extrem langgezogenen Bahnellipse umkreisen. Dabei kreuze "Nemesis", benannt nach der altgriechischen Göttin der Vergeltung, regelmäßig die Oort’sche Kometenwolke. Diese Störung im fernen Kometenreservoir würde bewirken, dass ganze Schauer von Himmelsvagabunden ins innere Sonnensystem geschleudert werden.

Allerdings kommen andere Forscher sowohl bei den Faunenschnitten als auch bei der Kraterdatierung zu abweichenden Ergebnissen - und sehen schließlich gar keine Periodizität mehr. "Nemesis" wird nie entdeckt. Dennoch spannt der britische Astrophysiker Fred Hoyle 1993 den Bogen weiter: Er macht Kollisionen mit den Trümmern eines zerfallenen Riesenkometen sogar für die Wendepunkte in der Menschheitsgeschichte verantwortlich. Feuersbrünste oder Flutwellen hätten Großreiche hinweggefegt und Religionen geprägt. Zornige Götter wären in einschlagsreichen Zeiten erdacht worden, gütige in ruhigen.

Die Chemie stimmt

Im karibischen Raum überrascht die K-T-Grenzschicht durch besondere Mächtigkeit. Der Tatort scheint in unmittelbarer Nähe. Tatsächlich identifiziert man 1990 eine Riesennarbe an der Nordküste der mexikanischen Halbinsel Yucatan. Jüngere Sedimente decken den mindestens 180 km weiten Chicxulub-Krater völlig zu. Bohrproben verraten dennoch sein Alter: 65 Millionen Jahre. Auch die Chemie des Kratergesteins stimmt. Sie passt zu jener der Glassphärulen.

Nun lässt sich die Rekonstruktion vervollständigen. Das vielleicht 15 km große Himmelsgeschoss stürzte offenbar in ein flaches Meer. Als es an dessen Boden abrupt zum Stillstand kam, wurde eine unfassbare Menge Energie frei: die tausendfache Vernichtungskraft sämtlicher irdischer Kernwaffen. Knapp die Hälfte der Energie ging in Wärme auf. Der Hitzeblitz verbrannte alles Leben – sogar in 1.000 km Entfernung.

Während der Kraterentstehung verdampften und schmolzen mehrere tausend Kubikkilometer Gestein. Durch den Tunnel verdrängter Luft, der sich hinter dem Geschoss aufgetan hatte, jagten Gas, Schmelze und Gesteinstrümmer gen Himmel. Der Auswurf fiel praktisch überall auf den Globus hernieder, erhitzte die Atmosphäre und mancherorts den Boden auf weit über 300 Grad Celsius. Riesige Wälder brannten, tolle Wirbelstürme tobten. Nach 17 Stunden erreichte auch die Schallwelle der Explosion den letzten Punkt der Erde – als ein langanhaltender Donner.

Heftigste Erd- und Seebeben gingen vom Einschlagsort aus. Ein Tsunami von der Höhe des Wiener Donauturms überrannte die angrenzenden Küsten, drang tief ins Landesinnere vor. Das Projektil hatte zudem karbonat- und sulfatreiches Gestein getroffen: Nach einem Temperatursturz sorgte das freigesetzte Kohlendioxid Jahrtausende lang für eine drastische globale Erwärmung. Stickoxide griffen die Ozonschicht an. Die Überlebenden wurden mit harter UV-Strahlung beschossen.

Astronomen interessieren sich in den 1990er Jahren wieder stärker für die Winzlinge des Sonnensystems. Sie beschleunigen die Fahndung nach Kometen und erdbahnkreuzenden Kleinplaneten. Auch der berühmte US-Kraterforscher Eugene Shoemaker wendet sich der Himmelskunde zu.

Im Jahre 1993 geht ihm, seiner Gattin Carolyn und David Levy ein Schweifstern ins Netz, der von Jupiters Gravitation eingefangen und zerstückelt wurde. 21 Fragmente tauchen ein Jahr später spektakulär in die Gashülle des Riesenplaneten ein. Selbst Amateurfernrohre zeigen die dunklen Einschlagsflecken – und führen die Unerbittlichkeit derartiger Katastrophen vor Augen.

Man überlegt, ob und wie sich ein auf Erdkurs befindlicher Himmelskörper abwehren ließe. Eine Nuklearwaffe oder ein Sonnenreflektor soll das Gestein seiner Oberfläche zum Verdampfen bringen, der daraus resultierende Rückstoß eine kleine Bahnänderung erzwingen. Immer vorausgesetzt, das Manöver findet mehrere Jahre vor dem Kollisionstermin statt. Das US-Verteidigungsministerium lädt zu Workshops ein. 1998 widmen sich gleich zwei US-Spielfilme einschlägigen Szenarien. Im Gegensatz zu "Armageddon" ist "Deep Impact" um Realismus bemüht.

Im Sommer 2000 versammeln sich Forscher aus aller Welt in Wien, um die Belege für kosmische Interventionen zu sichten. Dabei wird klar: Der so intensiv studierte K-T-Impakt lässt sich nicht einfach als "Ur-Meter" zur Untersuchung der anderen Massensterben einsetzen. Nirgendwo gibt es ähnlich klare Indizien. Die einzelnen Faunenschnitte könnten zudem verschiedene Auslöser haben. Zu den "extraterrestrischen" zählen möglicherweise Explosionen naher Neutronensterne oder Supernovae, aber auch Passagen dichter interstellarer Wolken. Deren Materie würde den Taghimmel wohl sehr lange verdunkeln und die Ozonschicht angreifen.

Auch irdische Ursachen sind nicht auszuschließen – etwa für jenes Massensterben, das die Erde vor rund 250 Millionen Jahren heimsuchte. Dafür gilt heute vulkanische Großaktivität in Sibirien als die wahrscheinlichere Erklärung.

Der renommierte Impaktforscher Christian Köberl von der Universität Wien fand jüngst in alten Gesteinsproben aus den Karnischen Alpen nämlich nur wenig Iridium. Kosmisches Osmium war dort gar nicht nachzuweisen.

Nur ein Nadelstich

Selbst beim K-T-Ereignis muss das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Denn sämtliche Altersbestimmungen weisen Unschärfen auf. Augenfällig wird dies etwa bei den dicken Sedimenten, die sich an wenigen Lokalitäten zwischen die Glassphärulen und die iridiumhaltige Tonschicht geschoben haben.

Folgt man Jan Smit, wurden sie vom Tsunami angespült und innerhalb von zwei Tagen abgelagert. Für Gerta Keller, New Jersey, dauerte die Sedimentation hingegen fast eine Drittel Million von Jahren. Kügelchen und Iridium-Anomalie wären somit gar nicht gleichzeitig entstanden.

Tatsächlich, so Keller, hätte der Chicxulub-Impakt nur das Glas produziert. Das Iridium selbst stamme jedoch von einem weiteren, noch heftigeren Einschlag 300.000 Jahre danach. Für Keller löst erst dieser spätere Impakt, wohl in Komplizenschaft mit dem indischen Dekkan-Vulkanismus, das Artensterben aus. Eine zweite Einschlagsnarbe fehlt allerdings.

Der Boltysh-Krater in der Ukraine ist laut neuester Datierung zwar ebenfalls rund 65 Millionen Jahre alt. Doch im Vergleich zum viel mächtigeren Chicxulub wirkt diese 24 km kleine Struktur bloß wie ein "Nadelstich" in der Erdkruste.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Dieser Text ist sein 175. Artikel über astronomische Themen im "extra" (seit 1991).

Freitag, 03. Juni 2005

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