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In der argentinischen Provinz Mendoza wird Qualitätswein angebaut

Fruchtig, aber trocken

In diesen Fässern lagert der Malbec, Argentiniens berühmtester Wein.  Foto: Karen Naundorf

In diesen Fässern lagert der Malbec, Argentiniens berühmtester Wein. Foto: Karen Naundorf

Von Lennart Laberenz

Das Land der Sonne und des guten Weines nennen die Mendocinos , die Einwohner der Provinz Mendoza, jene Region, die flach und trocken auf die Zentralanden zuläuft. Die Hauptstadt Mendoza liegt auf der Achse zwischen Buenos Aires und Santiago de Chile. Etwa fünf Autostunden ist die chilenische Hauptstadt entfernt, aus der Stadt am Silberfluss sind komfortable Übernachtbusse 14 Stunden lang unterwegs. Am schnellsten kommt man mit den Aerolineas Argentinas ans Ziel: täglich mehrmals fliegt die ehemals staatliche Airline vom bonarensischen Stadtflughafen Aeroparque Jorge Newberry in zweieinhalb Stunden in die Provinzhauptstadt.

Mendoza gehört zu den Zentralprovinzen Argentiniens, nach Norden und nach Süden erstreckt sich die Grenze zu Chile einige Tausend Kilometer durch die Anden. Zwei Drittel der argentinischen Weinproduktion kommen aus dieser Region: Flach wie ein Brett liegen die Felder in der Morgensonne, es dauert noch eine Weile, bis am Horizont die Anden zu dämmern beginnen.

Die Provinz Mendoza ist erheblich größer als die Schweiz, hat erheblich höhere Berge und mehr Sonnentage. Im Regenschatten der beeindruckenden Zentralanden liegt die Provinz als Mischung aus Wüste und Zivilisation. Schon im 19. Jahrhundert kamen vorrangig italienische und spanische Einwanderer und fanden die Gegend, ihr trockenes Klima und die vorgebirgigen Höhenlage überaus geeignet für die Weinproduktion. Seitdem hat sich Mendoza zum Herzstück einer Industrie entwickelt, der Argentinien immerhin den fünften Rang auf der Liste der internationalen Weinproduzenten verdankt. Die Einwanderer, der Wein und die Eisenbahn sind in ihrem Zusammenspiel die wesentlichen Entwicklungsmotoren der Region auf ihrem Weg in die Moderne gewesen. Der Bus fährt die gut ausgebaute Autobahn entlang. Der Himmel ist überall gleich hoch, so heißt es, aber an manchen Orten scheint er höher. In Mendoza muss er sich zumindest über den höchsten Berg des amerikanischen Kontinents spannen. Nur im Himalaja kann man noch höher steigen als auf die 6.960 Meter hohe Eisspitze des Aconcagua.

Besuch in der Hauptstadt

Am Fuß der Anden liegt die Hauptstadt der Provinz. Der Großraum Mendoza ist der ökonomische, politische und kulturelle Nabel der Region: eine Oase in der mendocinischen Wüste, von Flüssen und Stauseen gespeist, mit beinahe einer Millionen Einwohner. Das Stadtzentrum ist nach kräftigen Renovierungsarbeiten zu Beginn der 1990er Jahre grün, fußgängerfreundlich und leise. Zu den mittäglichen Siestastunden schließen beinahe alle Geschäfte und Cafés. Der Straßenverkehr erscheint demjenigen, der aus der argentinischen Hauptstadt anreist, geradezu erschreckend zivil: Fußgänger werden nicht von präpotenten Busfahrern von der Straße gescheucht, abbiegende Autos lassen gemütliche Schlenderer passieren. Die Stadt ist aufgeräumt, zwischen kolonialer Architektur stehen vereinzelt Gebäude in der strengen Architektur der 1970er Jahre. Im Zentrum säumen Ahornbäume Straßen und die vielen Plätze. Diese haben Stadtverwalter Mendozas Ende der 1980er Jahre wiederentdeckt, damals entwickelte sich "ein neues Interesse der Stadtverwaltung an öffentlichen Grünflächen, insbesondere den Plätzen. Genau wie im Jahrhundert zuvor gab es neues Erwachen des öffentlichen Bewusstseins," schreibt der Geschichtsprofessor Pablo Lacoste in einem Sammelband über die Kultur und Wirtschaft Mendozas. Das neue Bewusstsein hat sich gehalten: Auf dem weiträumigen Platz der Unabhängigkeit hängen Lautsprecher in hohen Baumkronen, berieseln den kleinen Markt voller Kunsthandwerker und die gleichmäßigen Bewegungen des Springbrunnens mit leichtverdaulicher Musik. Menschen jeden Alters sitzen im Gras, lesen und lassen den Nachmittag ausklingen.

Der Besucher kann in der Provinz Mendoza sehr unterschiedliche Gegenden bereisen. Im flachen Osten und in den riesigen Weiten des Südens kämpfen die Bezirke gegen die Trockenheit mit Staudämmen, die Flüsse zu Seen verwandeln, und mit künstlicher Bewässerung, die für Landwirtschaft und Weinanbau essenziell sind. Früh waren sie hier an die Eisenbahn und somit an den Verkehr und Handel mit Buenos Aires angeschlossen. Kleine Straßen sind oftmals Alleen, Weinfelder umfassen kleine Siedlungen. Die wirtschaftliche Entwicklung hat koloniale Architektur und handelswichtige Infrastrukturen hinterlassen, die im Norden fehlen. Nördlich der Hauptstadt ist es trocken, staubig und leer: der urbane Großraum Mendoza absorbiert Wasser, das dort fehlt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung war erheblich langsamer. Die Landschaft zieht sich weit und etwas trostlos zum Horizont. Pablo Lacoste analysiert: "Das Fehlen einer staatlichen Politik, die Tendenzen der Zentralisierung der nationalen Finanzmittel auf Buenos Aires provozierten ein ungeordnetes und ungleiches Wachstum der Regionen. Wenige Gelder flossen ins Landesinnere, etwa in den Süden der Provinz Mendoza, es fehlt an Infrastruktur."

Ein dia peronista nennen vor allem ältere Argentinier einen Tag, an dem der Himmel blau und von Wolken blankgefegt ist. Die Sonne scheint, allen geht es gut. Mendoza hat über 300 Sonnentage im Jahr, davon viele dieser peronistische Tage. Im Herbst scheint die Sonne milde aus einem tiefblauen Himmel, die letzten Weintrauben sammeln ihre Fruchtsüße an den Reben, vielerorts sind die Fässer bereits randvoll. Die lange Reihe peronistischer Herbsttage, die hier mit mildem Klima im März beginnen und sich bis über den April hinaus erstrecken, unterbrechen nur kurze Regenphasen.

Dieses Jahr war sonnig, trocken und es hat nur an wenigen Tagen gehagelt – eine klimatische Spezialität der Region. "Ein phantastisches Jahr" , schwärmt Sergio Case, der zusammen mit seinem Önologenkollegen Sergio Gimenez bei der Bodega Trapiche für die Spitzenweine zuständig ist. Sergio und Sergio stehen neben Batterien von Traubensaft, der die ersten drei Tage der Fermentierung hinter sich hat. Er schmeckt süß und voll. Ihr Spucknapf ist ein altes Weinfass mit einem trichterförmigen Deckel. "Wir erwarten ein Spitzenjahrgang" , sagt Gimenez.

Wein als Exportartikel

Die Bodega Trapiche gehört zu einer der gewichtigsten argentinischen Winzergruppen überhaupt, Peñaflor. Trapiche stellt in alten Gewölben ein Markenzeichen argentinischer Kultur her. Das Kulturministerium befand vor kurzem, dass neben dem allgegenwärtigem Grillfleisch, dem dulce de leche, einer aus Kondensmilch gewonnen süßen Masse, die sich in beinahe jedem Gebäck wiederfindet, dem Mate-Tee und den auch in Europa langsam populär werdenden Teigtaschen, der rote Malbec das offizielle Siegel des kulturellen Erbguts in der Sparte Ernährung und Gastronomie tragen dürfe. Der Malbec, eine ursprünglich aus Frankreich eingeführte Traube, hat sich auf dem mendocinischen Boden zum Marken- und Exportartikel weiterentwickelt. "Der argentinische Malbec hat an Tannin verloren, schmeckt fruchtiger und dennoch trocken. Dafür ist der Wüstenboden und unsere Bewässerung verantwortlich", umreißt Gimenez die Entwicklung.

"Unser Malbec ist der meistgekaufte in ganz Argentinien", freut sich Daniel Pi, der Chefönologe von Trapiche. Der großgewachsene Pi trägt zu Halbglatze und Vollbart eine leichte Allzweckregenjacke, die gegen Sonne, Wind und Sprühregen gleichermaßen schützt. Pi sieht gemütlich aus, ein unkomplizierter, zurückhaltender Mensch: Er ist nur schnell vorbeigekommen um die besten Weine des Hauses vorzustellen, warum also die Wanderstiefel ausziehen? Bald siegt seine Passion für das Weinmachen über seine Wortkargkeit. Gleichzeitig sprechen die Weine aber für sich selbst. Daniel Pis Kreation, drei Sorten einer Single Vinyard-Reihe, markieren den Höhepunkt dessen, was an Malbec zu bekommen ist. "90 Prozent der Qualität des Weines entscheidet sich am Rebstock", ist Pi überzeugt. Deshalb verkauft Trapiche die neue Reihe mit einem Porträt der Weinbauern. "Don Felipe ist mittlerweile 104 Jahre alt, er baut die Traube seit 1938 an. Das schmeckt man doch, oder?" Auch das passt zu Mendoza, hier dürfen Dinge Zeit brauchen, um zu reifen.

Die argentinische Weinindustrie hat in den vergangenen Jahrzehnten zwei fundamentale Krisen überlebt, die beide als Phänomene der Globalisierung zu verstehen sind. Um das Jahr 1970 trank jeder Argentinier im Schnitt 72 Liter Wein im Jahr, heute sind es noch etwas mehr als die Hälfte davon. Hatten die Argentinier plötzlich keine Lust mehr auf Wein? "Damals gingen die Arbeiter zum Mittagessen nach Hause, tranken auch eine Flasche Wein dazu und hielten zwei Stunden Mittagspause. Das gibt es heute nicht mehr, die Siesta ist so gut wie abgeschafft" , erklärt Daniel Pi. Internationale Arbeitsstandards hatten direkte Auswirkungen auf den hergebrachten Konsum. "Zudem wurde Bier und Cola enorm beworben, der Lebensstil sprach plötzlich gegen den Wein", ergänzt Pi. In Mendoza mussten Bodegas schließen, Arbeiter wurden entlassen und Anbaugebiete verwilderten.

Die zweite Krise entstand durch die Regierung Carlos Menems und deren bizarrer Mischung aus populistischen Versprechungen, Neoliberalismus und Korruption. Das Ergebnis war der völlige Wirtschaftszusammenbruch 2001. "Danach mussten wir uns radikal umstellen" , erinnert sich Brigitte Roué de Barreiro, die für Marketing und Export bei Trapiche zuständig ist. Sie redet sich in Rage, erzählt, wie schnell die Depression verdaut und die Probleme angepackt wurden. Roué de Barreiro ist vor sechs Jahren aus Frankreich nach Argentinien gekommen, "einen solchen Aufbruchswillen hätte es in Deutschland oder Frankreich nicht gegeben."

Ralf Bender von der "Deutschen Lebensmittelzeitung" attestiert dem argentinischen Wein allerdings ein Problem: "Obwohl Argentinien einer der größten Weinproduzenten weltweit ist, hat das Land beim Export immer noch erhebliche Probleme. Nahezu alle für den Einzelhandel wichtigen Weine werden als Fassware bei uns abgefüllt – und zu entsprechend niedrigen Preisen verkauft." Tatsächlich ist Trapiche eine der wenigen Winzereien, die den Sprung über den Atlantik geschafft haben. "Wir müssen eben zuerst das Land Argentinien als Weinproduzent bekannt machen, danach kommen die einzelnen Winzer" – erklärt Roué die Strategie.

"Chile hat etwa fünfzehn Jahre Vorsprung", nickt José Alberto Zuccardi. Er ist der Chef der gleichnamigen Familienwinzerei, die sich auf hochklassige Weine und ökologischen Anbau spezialisiert hat. Zuccardi arbeitet mit anderen Mitteln daran, seinen Wein und die Region Mendoza zu vermarkten: Er setzt auf den wachsenden Tourismus, der sich auch für seine Bodega interessiert. Tatsächlich hat die Entwicklung des Tourismus eine neue Epoche in Mendoza eingeleitet. Im Juli des Jahres 2001, Monate vor dem Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft, meldeten lokale Gazetten die Rekordarbeitslosigkeit von 10,7 Prozent. Seit dem Wirtschaftseinbruch und Preisverfall stiegen die Besucherzahlen in Argentinien im Durchschnitt um 18 Prozent und es entstanden neue Arbeitsplätze.

Fortschritte in Mendoza

In Mendoza liegt die Steigerung der Besucherzahlen über dem Schnitt. Die Arbeitslosenquote fiel – ein Strukturwandel zeichnet sich ab: In den ersten drei Monaten des Jahres haben argentinische und fernreisende Besucher bereits mehr Geld in die Region gebracht, als die Hälfte der gesamten Weinproduktion ausmacht.

Da liegt es nahe, Führungen für Touristen durch die Weingüter zu entwerfen. Zuccardi ist darauf eingerichtet, Touristen den Herstellungsablauf der Weine zu erklären.

Auf die Runde durch die Produktionsstätten folgt, in edlem und sorgfältig beleuchteten Ambiente der mittlerweile zu klein gewordenen alten Lagerhalle, eine kurze Degustation. Es riecht nach Schwefel und Eichenfässern. Nebenan kann der Besucher gleich ein paar der in Holzregalen kunstvoll präsentierten Flaschen einkaufen. "Wir hatten im letzten Jahr 25.000 Besucher, in diesem Jahr werden es wohl 40.000", sagt José Alberto Zuccardi und streicht sich durch seinen grauen Dreitagebart. Er wirkt keineswegs, als belaste ihn der Besucherstrom. Im Gegenteil, ihn freut es, dass "die Menschen wieder Interesse an Wein und an Qualität haben."

Lennart Laberenz, geboren 1976, lebt als freier Journalist in Berlin.

Freitag, 19. August 2005

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