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Missglückte Weihnachtsfeste in Literatur und Film

Schöne Bescherung!

Von Elke Papp

Es ist nicht zu überhören und -sehen: Weihnachten, nein, kindergerecht ausgedrückt: das Christkind kommt. Oder zeitgemäß: Santa Claus zieht sich die Stiefel an. Manch einem Kind verging vielleicht in der Dunkelheit das Zählen der letzten Nächte, weil es auf der Leinwand "Bad Santa" (Regie: Terry Zwigoff, 2003) sah, den Hollywood-Weihnachtsmann, dem der Sinn nach Saufen, Sex und Stehlen steht, und nicht danach, einsamen Kindern Freude zu schenken. Na und? Ab zwölf Jahren sollten Kinder wissen, dass der Weihnachtssegen kein himmlischer ist!

Dass der Segen zuhause schief hängt, weiß auch schon die kleine Brigitte, und so sieht ihr Wunschzettel ans Christkind aus: "Meine Eltern sind seit Wochen zerstritten, also möchte ich dich bitten, heuer die Geschenke sein zu lassen. Mach lieber, dass die zwei sich nimmer hassen und sich am Heiligen Abend zur Versöhnung küssen und die Nachbarn nicht wieder die Polizei rufen müssen. Deine kleine Brigitte. Wohnhaft: Wien-Mitte" (Christine Nöstlinger: Fröhliche Weihnachten, liebes Christkind! Dachsverlag 1997). Weihnachten wie im Bilderbuch? Nöstlingers Weihnachtsgeschichten spielen im Kriegs- und Nachkriegs-Wien ihrer Kindheit, als sich die vom Krieg entzauberten Menschen keine Bombenstimmung mehr leisten können. Bis es dann wieder kracht, wie in Vladimir Vertlibs "Weihnachtsmetamorphosen" (Weihnachten für Fortgeschrittene. Ein Überlebenspaket, Deuticke 1999). Das ansonsten ach so friedliche Kleinfamilienoberhaupt explodiert vor seiner Frau und dem erwachsenen Sohn: "Sitzt nicht herum wie Schaufensterpuppen und macht nicht solche Gesichter!" Was der Vater mit einer "Beerdigung" vergleicht, ist die ganz normale Pathologie der Familie, die das "Fest der Liebe und des Friedens" zu einer explosiven Feier macht. Da heißt es Luft anhalten und die Kerzen am Baum zählen.

Der Heilige Abend einer so unheiligen Katastrophenfamilie wie den Sackbauers in "Ein echter Wiener geht nicht unter" (Regie: Reinhard Schwabenitzky) beschert den Betrachtern hingegen eine befreiende Freude: Mundl explodiert am Weihnachtsabend wie immer und zuletzt liebt man sich doch - echt wienerisch. Aber alleine, sozusagen im eigenen Film, wie ließe sich da Weihnachten schadlos überstehen? Ohne die "heilige Familie", die so viel Unheil stiftet? Statt "Jingle Bells" "Single Bell", wie in Gerhard Polts Sketch - mit der Videokamera als Festgefährtin? (In "Weihnachten für Fortgschrittene").

Alle Jahre wieder . . .

"Der Club der Weihnachtshasser" (Michael Curtin, dtv 2000), die "Weiberweihnacht" (Michaela Rohn Hrsg., Aufbauverlag 2002) - inflationär sind die Titel der jedes Jahr die Buchläden füllenden Weihnachtsgeschichten, die allesamt den Anspruch erheben, dem Alljährlichen mit dem Außergewöhnlichen zu begegnen. Ob ketzerisch wie Robert Gernhardts "Die Falle" von 1966 (Haffmanns 1993) oder heilig wie Alfred Komareks und Manfred Horvaths Text-Bildband "Stille Nacht" (Brandstätter 2002), der Weihnachten als prämodernen Gegenzauber zur entzauberten Moderne beschwört. Die Familien, allen voran die erwachsenen Kinder, fürchten die Familienfestfalle alle Jahre wieder. So auch die drei erwachsenen Kinder in Jonathan Franzens "Korrekturen" (Rowohlt 2002, übersetzt von Bettina Abarbanell): Sie sind moderne Individualisten zwischen Selbst- und Fremdkorrektur und werden beinahe 800 Seiten lang vom Weihnachtswahnsinn der Mutter verfolgt.

Ein nicht enden wollendes Leiden wird das Fest in Heinrich Bölls Erzählung "Nicht nur zur Weihnachtszeit" (dtv 1966). Wie es der Titel verheißt, muss sich die Familie dem "Tannenbaumtrauma" der Mutter nicht nur am 24. Dezember beugen, sondern allabendlich bis hin zur eigenen Traumatisierung Weihnachtszauber inszenieren.

Explosive Weihnachten sind ein der Literatur angemesseneres Sujet als Bilderbuchweihnachten. Bodo Kirchhoff warnt vor Sentimentalität: "Wer von Weihnachten anfängt, muss auf der Hut sein; eine Stimme in ihm will immer von früher erzählen" (Die Weihnachtsfrau, Fischer Verlag, 2002). Natürlich spielt in allen Weihnachtserzählungen ein Kind eine Rolle, doch wird in der Literatur den Eltern unter dem Tannenbaum mitunter die Kehrseite ihrer Scheinmoral beschert. Ein Kind pazifistischer Eltern zielt mit der Pistole auf den Weihnachtsmann (Grit Poppe, "Blick einer Maus" in: Die Leiche hing am Tannenbaum, Ullstein, 1999), und im strengen Bürgerhaushalt erscheint ein kommunistischer Weihnachtsmann, der die bösen Kinder freispricht (Gernhardts "Die Falle").

O Tannenbaum . . .

Familienfeste tendieren dazu, Individualität zu untergraben. Nicht so bei den Sackbauers, bei denen der Baum zersägt wird, weil er nicht in die Wohnung passt.

In Günter Reischs sozialkritischer Filmkomödie "Ach, du fröhliche!" aus der DDR-"Tauwetter"-Zeit 1962 passt es der Großmutter Lörke nicht, dass der Enkel den Weihnachtsbaum wie ein sozialistisches "Elektrizitätswerk" geschmückt hat. In Franzens "Korrekturen" müht sich der parkinsonkranke Vater Albert lieber mit der alten Lichterkette ab, als sie wegzuwerfen: "weil er ein Individuum eines Individuenzeitalters war, und eine Lichterkette war genauso individuell wie er."

Helmut Qualtingers "Familie unterm Lichterbaum" ("Weihnachten für Fortgeschrittene") ist längst auf das Geschwisterpaar Pitsch geschrumpft, und ihr Weihnachtsfest ist trotz fetter Gans alles andere als erbaulich - nicht nur weil ein alter Freund die jungferliche Schwester haben will, sondern weil, laut Herrn Pitsch, "die Juden es erfunden haben".

Katastrophen im DDR-Hause Lörke: am Weihnachtsabend - an sich schon ein ideologischer Verrat - lädt die Tochter die westtreuen Nachbarn ein und bringt ihren systemkritischen Zukünftigen mit. Da kann Vater Lörke, Arbeitsdirektor eines volkseigenen Betriebs, nur noch "Ach du fröhliche" aufstöhnen. Aber es ist Weihnachten und nach einer langen nächtlichen Recherche über die Vergangenheit des Schwiegersohns findet dieser doch noch ein Heim in Vater Lörkes Herz, das ein wenig ideologiegereinigt zu sein scheint.

Gnade bringt Weihnachten auch all jenen Frauen, die Rache an Männern nehmen wollen. Der Vater einer einsamen Ärztin ist nach jahrzehntelanger Abwesenheit auf Heimsuche bei der Tochter, die ihm einen Tod durch Tabletten beschert (Birgit Bauer, "Drei Tote zuviel", in: Die Leiche hing am Tannenbaum). Auch ein verliebter Weihnachts-Hacker geht ins Netz seiner Angehimmelten, die ihm heimlich die Bremsbeläge ausbaut (Alexandra Schneller "Ins Netz gegangen", ebenda.) Weihnachten bietet nicht nur Anlass zum Kuschelrock, sondern auch zu Krimis. Auch der Weihnachtsfan Komarek schreibt bekanntlich Krimis.

Charles Dickens unterzieht 1843 den Kapitalisten Scrooge einer Katharsis. Der alte Geizhals, der seinem Neffen die Abfuhr beschert: "Zum Teufel mit den fröhlichen Weihnachten! Was ist schon Weihnachten für dich anderes als eine Zeit, (. . .) in der du Bilanz machst und dabei feststellen musst, dass

du für ein rundes Dutzend von

Monaten ein Defizit entdeckst?", wird von drei Gespenstern heimgesucht, die ihm sein Defizit an weihnachtlicher Gemeinschaftlichkeit vor Augen führen. ("Weihnachtslied in Prosa", Kremayr & Scheriau 1954).

Auch der rettungslos verschuldete George Bailey (James Stewart) wird in "Ist das Leben nicht schön?" (Regie: Frank Capra, 1947) am Weihnachtsabend von seinem Schutz-engel Clarence, der sich seine

Flügel auf Erden erst verdienen muss, zu der Erkenntnis gebracht, dass Selbstmord keine Lösung ist, sondern dass George überall in seinem Städtchen HelferInnen hat - genau wie einst der Waldbauernbub Rossegger, der in der Nacht vom Weg abkam und von der "Dorfverrückten" gerettet wurde.

Ihr Kinderlein kommet . . .

Dem Kaderleiter Lörke wird es allzu menschlich in seinem Stall. Und die Tochter trägt auch noch ein Kind unter ihrem Herzen! Da ist ihm außer Haus wohler. Genau wie Katrin in "Der Weihnachtshund" (Daniel Glattauer, Deuticke, 2000), die sich einen Hund ausborgt, um endlich einmal - an ihrem 30. Geburtstag! - am Heiligabend nicht bei ihren Eltern sein zu müssen.

"Man verlangt ja nichts Unmenschliches", sagt die Mutter in Gustav Ernsts Erzählung "Fest" ("Weihnachten für Fortgeschrittene"), als die Tochter und ihr Freund frühzeitig das Fest verlassen wollen. Anderswo kommt es zu einem Fest der anderen Art, obwohl plötzlich die ganze zerstrittene Familie bei der alten Mutter im Wohnzimmer steht: "Warum schaut ihr so seltsam, dieses Glitzern in euren Augen, was verbergt ihr hinter eurem Rücken? Ist jetzt Bescherung?" (Karin Kusterer, Bescherung, in: Die Leiche hing am Tannenbaum . . .)

Stille Nacht, heilge Nacht . . .

Da ist eine Stimme in mir, die mich von früher erzählen lässt. Der Baum ist geschmückt, die Eltern sind zerstritten und werden sich unter dem Weihnachtsbaum wohl auch dieses Jahr nicht küssen. Der Großvater schimpft, dass der Rauch von Kerzen giftig ist. Die Angst vor dem Krach. Der Blick auf die Geschenke. Ein Trost. Warum nicht. Aber vorher wird gesungen. Der Bruder hat Stimmbruch, die Mutter schweigt. Ich spiele Gitarre und der Vater erhebt seine Stimme.

Das Weihnachts- wie das Liebesglück bedürfen des "Blindseinkönnens" des Erwachsenen, wenn ihm zum Beispiel in Bodo Kirchhoffs "Die Weihnachtsfrau" die Liebe seiner Jugend unvermutet im Kostüm eines Weihnachtsmannes wieder begegnet, den er für seine kleine Tochter bestellt hat.

Da erinnert er sich plötzlich doch an seine Kindheit und an das "Augenzudrücken" beim gemeinsamen - oder einsamen? - Singen.

Freitag, 24. Dezember 2004

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