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Zur Neuausgabe von Ernst Friedrichs "Krieg dem Kriege"

"Verdeckt diese Horrormaske!"

Von Oliver Bentz

Die Fotografien der Schlachtfelder, diese Abdeckereien des Krieges, die Fotografien der Kriegsverstümmelten gehören zu den fürchterlichsten Dokumenten, die mir jemals unter die Augen gekommen sind. Es gibt kein kriminalistisches Werk, keine Publikation, die etwas ähnliches an Grausamkeit, an letzter Wahrhaftigkeit, an Belehrung böte, schrieb Kurt Tucholsky in der "Weltbühne" über Ernst Friedrichs 1924 erschienenes Buch "Krieg dem Kriege". Tucholsky wollte das Buch unter all jenen verteilt sehen, die noch keine Pazifisten sind, in "Schulen, in Vereinen, an Stammtischen - dieses Grauen kennt ja keiner von denen".

In der Tat: Eine stärkere Anklage gegen den Krieg, wie sie Ernst Friedrichs "Krieg dem Kriege" erhebt, hatte es bis dahin wohl nicht gegeben. Denn es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, die hässliche Fratze des Krieges, die der Autor in dieser kommentierten Dokumentation zeigt. Das Buch, eine Montage von Kriegsfotos aus dem Felde sowie von Menschen mit entstellenden, fürchterlichen Kriegsverletzungen, die Friedrich jeweils mit satirischen Untertiteln in vier Sprachen (Englisch, Französisch, Niederländisch und Deutsch) versah, erreichte bis 1930 zehn Auflagen und kann als Vorläufer von Brechts 1955 herausgegebener "Kriegsfibel" gelten.

"Menschliche Überbleibsel"

Friedrich versammelt darin Fotografien von dem, was die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges von den Menschen übrig gelassen haben: Verstümmelte Körper und Antlitze, die einmal Gesichter waren. Beinahe unerträglich ist dieser Anblick auch noch heute für uns, die wir aus den modernen Massenmedien schon Schreckliches gewohnt sind. Damals in der Weimarer Republik, als das Buch erschien, war es ein Skandal. Denn wie kein anderer wagte es Ernst Friedrich, die Menschen verachtende Dimension des staatlich angeordneten Mordens öffentlich zu machen. Und dies mit realen Fotos von realen Menschen - d. h. von dem, was von ihnen übrig geblieben ist. Friedrich zerrte Verdrängtes brutal und ungeschönt vor die Augen des Betrachters.

Diese Kriegsverletzten, denen es Augen, Nase, Mund oder alles zusammen weggerissen hatte, passten nicht in das Bild vom Heldentum, wie es Staatenlenker und Heerführer damals (und bis heute) gerne malen. Folgerichtig hielt man diese "menschlichen Überbleibsel" der Schlachtfelder von der zivilen Öffentlichkeit fern und versteckte sie in Sanatorien und Spezialkrankenhäusern, in denen sich die Experten der sich neu entwickelnden Gesichtschirurgie an den zerschundenen Visagen ausprobieren durften und in Dutzenden von Operationen irgendwie wieder zusammenflickten. "Nein, verdeckt dieses unerträgliche Gesicht", heißt es im Bericht eines Krankenträgers, "verdeckt es! Ich wende mich ab, aber ich habe es gesehen und werde es nie vergessen, selbst wenn ich hundert Jahre alt würde. Ich habe einen Menschen gesehen, der an Stelle des Gesichts ein blutiges Loch hatte. Keine Nase mehr, keine Wangen. All das ist verschwunden, es gibt nur noch eine große Höhle, an deren Ende sich die Organe des hinteren Rachenraumes bewegen. Keine Augen mehr, nur noch Lidfetzen, die ins Leere hängen. Verdeckt diese Horrormaske!"

Einer der wenigen, der über diese verunstalteten Menschen, die man aus dem Alltagsleben verbannt hatte, berichtete, war der Journalist Joseph Roth. Im Artikel "Lebende Kriegsdenkmäler" beschrieb er 1920 in der "Neuen Berliner Zeitung - 12-Uhr-Blatt" einen Lazarettbesuch bei den Kieferverletzten: "Menschen, die Gott nach seinem Ebenbilde schuf und die dann der Krieg nach seinem Ebenbild umarbeitete. Hier siehst du die Fratze der Großen Zeit", schreibt Roth und weiß, dass es den Versehrten im Lazarett "sogar verboten ist, Fotografien ihrer eigenen Entstelltheit zu besitzen".

Ernst Friedrich demaskiert mit seinen Bild-Text-Montagen - wenn er etwa Hindenburgs Ausspruch "Der Krieg kommt mir vor wie eine Badekur" die "Badekur des Proleten" gegenüberstellt, dessen Gesicht fast zur Gänze weggeschossen wurde - die Phrasen vom "Heldentod", vom "Vaterland" und der "Tapferkeit" derart, dass auch dem dümmsten Leser und Betrachter des Buches klar werden musste, wem Kriege nützen, wer sie anzettelt - und wer sie schließlich auszubaden und die Zeche zu zahlen hat. Den Kriegstreibern widmet Friedrich daher auch seine Schrift: "Dieses Buch sei allen Kriegsgewinnlern, Schiebern und Kriegshetzern freundlichst zugeeignet, nicht zuletzt gewidmet auch den Königen, Generälen, den Präsidenten und Ministern aller Länder. Den Priestern aber, die die Waffen segneten im Namen Gottes, denen sei dieses Buch als Kriegs-Bibel gewidmet."

Wer war dieser Ernst Friedrich, der es wie kein anderer vor ihm wagte, die Verbrechen des Krieges anzuprangern? Geboren 1894 in Breslau, zog er nach einer Schauspielausbildung mehrere Jahre durch Europa. Als die Völker im August 1914 zu den Waffen griffen, enthielt er sich der allgemein herrschenden Kriegsbegeisterung, verweigerte als pazifistischer Anarchist den Waffendienst und wurde deshalb für einige Zeit ins Irrenhaus gesteckt. Als er sich 1917 der Einberufung erneut widersetzte, sperrte man ihn - nicht zum letzten Mal - ins Gefängnis.

Nachdem Friedrich 1918 an den Spartakusaufständen in Berlin teilgenommen hatte, gründete er 1919 die "Freie Jugend", eine libertäre Jugendorganisation, deren gleichnamige Zeitschrift er bis 1926 herausgab. Wie er es in "Krieg dem Kriege" tat, wollte Friedrich die Verheerungen, die der Weltkrieg an so vielen Soldaten und Zivilisten innerlich und äußerlich angerichtet hatte, auch in seinem "Internationalen Anti-Kriegs-Museum" anprangern, das er 1925 in Berlin eröffnete. Neben Bildern "aus dem Feld" und Porträts von grässlich verletzten Soldaten, wie er sie auch im Buch zeigte, waren in dem Museum in der Parochialstraße nahe dem Alexanderplatz historische Gegenstände aus den Kriegen zu sehen, mit denen das Töten bewerkstelligt wurde - von kleinen Fliegerpfeilen über Feuerwaffen bis hin zu großen Granaten.

Zudem stellte Friedrich den Kriegskitsch aus, mit dem die "geistige Mobilmachung" der Menschen zu Hause betrieben wurde: Bilder und Flugzettel, kriegsbemalte Taschentücher oder das schwarz-weiß-rote Toilettenpapier Marke "Siegreich". Den Lebensmittelkarten, mittels derer die Menschen in der Heimat ihr kärgliches Dasein fristen mussten, stellte er die "Menuekarten" des Kriegshauptquartiers gegenüber und zeigte damit, wie es im Krieg wirklich zugeht.

Neben der Anti-Kriegs-Ausstellung fanden in dem einfach eingerichteten Haus auch Ausstellungen der "Arbeiter-Kunst" - etwa von Käthe Kollwitz, Otto Nagel, Hans Baluschek oder Heinrich Zille - und pazifistische Vorträge statt. Ernst Friedrich propagierte zudem ein Abzeichen gegen Gewalt und Krieg. Als Motiv wählte er zwei Hände, die ein Gewehr zerbrechen. Sie sollten das internationale Symbol der Antikriegsbewegung werden.

Der spätere Zukunftsforscher und Schriftsteller Robert Jungk schilderte in Artikeln eindrücklich, wie der Besuch des "Anti-Kriegs-Museums" für ihn in seiner Jugend "zum großen Warnzeichen an der Schwelle des eigenen Lebens" wurde und wie ihm die schrecklichen Bilder, die dort gezeigt wurden, die Augen öffneten "für die fürchterlichste aller Seuchen, für den großen Verkrüppler, den sinnlosen Vernichter Krieg".

Seinem Ideal der Gewaltlosigkeit folgend, hatte Friedrich unter dem Titel "Proletarischer Kindergarten" schon 1920 ein Kinderbuch mit gewaltlosen Märchen von klassischen und modernen Autoren veröffentlicht. Käthe Kollwitz illustrierte das Werk, das Friedrich in den Dienst seiner Idee der Erziehung zum Frieden schon der kleinsten Kinder gestellt sehen wollte. Diese Erziehung sollte, wie Friedrich später in "Krieg dem Kriege" schrieb, "endlich allen Glorienschein und allen Hokuspokus mitsamt dem glänzend-bunten Flitterkram der Soldateska niederreißen, und das aussprechen, was dann noch übrig bleibt: ein vom Staat bezahlter Berufsmörder, der in staatlich konzessionierten Mörderschulen (genannt Kasernen) ausgebildet wird, in Ausübung des schrecklichsten Verbrechens: des Menschen-Mordes!!! Bringt das den Kindern bei!"

Den reaktionären Gesellschaftskreisen der Weimarer Republik ständig ein Ärgernis, wurde Ernst Friedrich wegen seiner antimilitaristischen Aktivitäten und Veröffentlichungen 13-mal vor Gericht gezerrt und zu insgesamt mehr als drei Jahren Gefängnis verurteilt, hauptsächlich wegen "Beleidigung der Reichswehr". 1929 schlugen schwedische Pazifisten den Mann, der keiner Partei und keiner politischen Organisation angehörte, sondern einzig die Idee des Friedens vertrat, für den Friedensnobelpreis vor.

Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, konnte sich ihr Hass gegen Ernst Friedrich, der neben Gustav Landauer und Erich Mühsam zu Deutschlands konsequentesten Libertären gehörte, ungestört entladen: Nach dem Reichstagsbrand wurde Friedrich verhaftet. Die Exponate seines Anti-Kriegs-Museums wurden von SA-Leuten, die sein Haus schon in der Weimarer Zeit mehrmals angegriffen hatten, mit großem Trara auf die Straße geworfen. "Bald wird", triumphierte Goebbels Zeitung "Der Angriff", "nichts mehr erinnern an das Wirken des Herrn Friedrich". Das Gebäude, das bis dahin ein Hort des Pazifismus war, wurde in ein "SA-Sturmlokal" umgewandelt, in dem Nazi-Gegner gefoltert wurden.

Nachdem die Nazis Friedrich aufgrund des Protestes amerikanischer Quäker aus der "Schutzhaft" entlassen mussten, gelang ihm über Prag die Flucht in die Schweiz. Er berichtete über die Geschichte seines "Anti-Kriegs-Museums" und seine Haft bei den Nazis 1935 in dem Buch "Vom Friedens-Museum zur Hitler-Kaserne. Ein Tatsachenbericht über das Wirken von Ernst Friedrich und Adolf Hitler".

Sein Versuch, das "Anti-Kriegs-Museum" in der Schweiz neu aufzubauen, scheiterte nicht zuletzt am Widerstand der dortigen Behörden, die den kämpferischen Pazifisten bald des Landes verwiesen. Friedrich ging nach Belgien, wo er 1936 mit Unterstützung der internationalen Gewerkschaftsbewegung und dem Archiv-Material, das er noch vor 1933 aus Deutschland herausbringen konnte, die zweite Gründung seines Anti-Kriegs-Museums in Angriff nahm. Auch dieses Haus wurde 1940 durch die deutsche Wehrmacht total zerstört. Friedrich hatte sich rechtzeitig vor der Besetzung Belgiens nach Frankreich retten können, wo er 1941, nach dem deutschen Einmarsch, interniert wurde. Nachdem ihm wiederum die Flucht gelungen war, schloss er sich der Résistance an.

Als Pazifist in Paris

Nach dem Weltkrieg lebte Friedrich als französischer Staatsbürger in Paris. Sein Plan, im Nachkriegs-Berlin in der zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Antikriegsmuseum einzurichten und Berlin zur "größten Stadt des Friedens" zu machen, wurde vom Berliner Senat abgelehnt. Denn wieder bereitete man sich, kurz nach dem zweiten großen Völkermorden, auf einen Kampf vor, bei dem beinahe wieder die Waffen gesprochen hätten: diesmal gegen den Kommunismus.

Das letzte große Projekt des Mannes, der zeitlebens den Kampf gegen den Krieg führte, war die Errichtung eines pazifistischen Jugendzentrums auf einer Marne-Insel östlich von Paris, das er mit der Wiedergutmachungsrente einrichtete, die er aus Deutschland erhalten hatte. "Ile de la paix" nannte Friedrich die Begegnungsstätte für deutsche und französische Jugendliche. Am 2. Mai 1967 starb dieser unermüdliche Mahner, der sein ganzes Leben der Idee des Friedens gewidmet hatte, in Le Perreux sur Marne. Friedrichs Enkel Tommy Spree griff die Idee seines Großvaters in den siebziger Jahren wieder auf und eröffnete am 2. Mai 1982 - dem 15. Todestag Ernst Friedrichs - mit Unterstützung der Sozialdemokraten und kirchlicher Kreise neuerlich ein Anti-Kriegs-Museum in Berlin, das - mittlerweile mehrfach in der Stadt umgezogen - bis heute im Sinne Ernst Friedrichs gegen Krieg und Gewalt aufklärt und an den großen Pazifisten erinnert.

Ernst Friedrich: Krieg dem Kriege. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004, 257 Seiten.

Das Anti-Kriegs-Museum befindet sich in Berlin-Mitte, in der Brüsseler Straße 21. Geöffnet (bei freiem Eintritt): täglich von 16 bis 20 Uhr.

Freitag, 30. Juli 2004

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