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Bertha von Suttner wird immer noch falsch eingeschätzt

Eine Frau für den Frieden

Von Evelyne Polt-Heinzl

Mit der Währungsumstellung auf Euro ist den Österreichern auch das Gesicht einer Persönlichkeit verloren gegangen, die einer Neubewertung dringend bedarf: die 1.000-Schilling-Note trug das Konterfei der Bertha von Suttner.

Verquer und brüchig wie das Image, mit dem sie sich in das historische Gedächtnis, zumindest in dessen Randbereiche, eingeschrieben hat, war ihre gesamte Lebensgeschichte, die einiger Skurrilitäten nicht entbehrt. Vieles davon ist zwischen den Zeilen ihrer 1909 erschienenen "Memoiren" herauszulesen, die zur Zeit leider nur antiquarisch zu haben sind. Beeindruckend daran ist nicht nur die große Dezenz, mit der sie weite Strecken ihres durchaus dubiosen Werdegangs darstellt, sondern vor allem die enorme Energie, mit der diese Frau aus mehr als vertrackten Anfängen ein beeindruckendes Leben entwickelte. Wovor man sich jedoch hüten sollte, ist jenes milde Verständnis, mit dem Suttners Eifer und auch ihr Stolz über das im hohen Alter schließlich doch Erreichte so gerne belächelt wurde.

Problematische Kindheit

Bertha von Suttner kam am 9. Juni 1843 in Prag als Gräfin Kinsky zur Welt. Schon über ihrer Geburt lastet ein Schatten. Der Vater ist von ehrwürdigem Adel, ein ehemaliger k. k. Feldmarschallleutnant und "Wirklicher Kämmerer"; die Mutter ist 46 Jahre jünger als Berthas Vater, eine "von Körner" und damit fern jeder Hoffähigkeit. Der Vater stirbt noch vor Berthas Geburt, und die von den Verwandten nicht akzeptierte Mutter bleibt mit der Tochter und dem sechs Jahre älteren Sohn allein zurück.

Bertha wächst in Wien und Klosterneuburg mit ihrer Mutter, deren Schwester und ihrer Cousine in einem reichlich skurrilen Haushalt auf. Mutter und Tante tüfteln über Jahre hinweg mit Hilfe des "zweiten Gesichts" an einem finalen System für das Roulette-Spiel.

Die wiederholten Sommeraufenthalte in Wiesbaden, Bad Homburg und Baden-Baden enden regelmäßig im finanziellen Desaster, das nur durch das Mieten billiger Landquartiere abzufedern ist. Trotzdem versucht die Mutter mit rührender Naivität die herangewachsene Bertha "bei Hofe" einzuführen, was radikal scheitert. Für Bertha bleibt diese narzisstische Kränkung und die verweigerte Lebenschance eine nie verheilende Wunde.

Es folgen eine Reihe missglückter Heiratsprojekte - ein veritabler Heiratsschwindler ist darunter, aber leider nicht die große Liebe -, die allesamt wohl an den sozial wie ökonomisch dubiosen Familienver-hältnissen scheitern. Auch die Karriere als Sängerin, eine Lieblings-idee der Mutter, muss Bertha schließlich als unrealistisch aufgeben. Alles in allem eine Jugend aus hochfliegenden Träumen und enttäuschten Hoffnungen.

1873, Bertha ist dreißig und alle Chancen auf eine angemessene Verehelichung sind damit so gut wie verflogen, steht der endgültige Ruin der Familie vor der Tür - schweren Herzens ergreift sie die einzig mögliche Berufsoption und wird Gouvernante im Hause des Freiherrn Karl von Suttner.

Dort bleibt sie drei Jahre, bis ihre Amour mit dem ein wenig verbummelten Sohn des Hauses Artur Gundaccar - er ist sieben Jahre jünger als Bertha - auffliegt. Auf eine Annonce hin flieht Bertha nach Paris, ihr neuer Dienstgeber ist Alfred Nobel. Doch es wird nur ein kurzer Aufenthalt, Artur ruft und sie kehrt nach Wien zurück.

Heimlich wird geheiratet, dann beginnt die zweite Flucht vor der Familie, diesmal gemeinsam nach Asien. In ihren Wanderjahren am Rande der großen Gesellschaft hat sich Bertha mit der Fürstin von Migrelien (heute zu Georgien gehörig) angefreundet, und dorthin geht die Reise, aus der schließlich eine zehnjährige Verbannung wird.

Im wilden Kaukasien

Bertha von Suttner wird es nie aussprechen und mit der Idealisierung ihrer Beziehung zu Artur Suttner jeden Verdacht in diese Richtung weit von sich weisen, doch es ist offensichtlich: es war eine strategisch falsche Entscheidung. Was hätte aus ihrem Leben und ihrem Engagement an der Seite Alfred Nobels werden können?! Wie hart musste sie sich ihre soziale Stellung als Frau des schwachen und ihr intellektuell unterlegenen Artur erkämpfen!? Und als die beiden dann trotz ihrer Mesalliance die Anerkennung der Familie erreichen, kann diese den ursprünglich wohl ersehnten sicheren Hafen nicht mehr bieten.

Fehlspekulationen und -entscheidungen haben den Familienbesitz der Suttners inklusive dem Schloss Harmannsdorf in Niederösterreich in größte Bedrängnis gebracht. Geldsorgen werden dem Paar bis zuletzt treu bleiben. Vieles von der tatsächlich billigen Unterhaltungsware, die Suttner zwischendurch fließbandartig für diverse Romanzeitschriften und Familienblätter verfasst, war simple Brotarbeit, um das Leben für sich, ihren Mann und dessen Familie sichern zu helfen.

Doch noch ist es nicht soweit. Im wilden Kaukasien ergeht es dem Paar nicht gerade gut. Auch wenn Suttner die Jahre im Rückblick romantisiert: Es herrschen dort fürchterliche Zustände, kaum Verdienstmöglichkeiten, kaum Ansprechpartner, die Fürstin, deren Einladung wohl immer eher als Höflichkeitsfloskel gedacht war, vertröstet sie. Dann kommt noch der Russisch-Türkische Krieg (1877/78), der als Erfahrung für Berthas politische Orientierung eine wichtige Rolle spielen wird.

In diese Zeit fällt auch der Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere. Artur hatte Reiseberichte an deutsche Zeitungen geschickt. "War es Neid, war es Nachahmungstrieb?", fragt sie selbst, jedenfalls beginnt auch sie journalistisch zu arbeiten - und ist bald die Erfolgreichere. Natürlich schreibt sie unter Pseudonym: "B. Oulot" - nach dem Spitznamen "Boulotte", Dickerchen, "der mir im Suttnerschen Hause beigelegt worden war" - so vornehm geht sie mit Kränkungen um.

Auch nach ihrer Rückkehr aus dem Kaukasus 1885, ja noch nach Erscheinen ihres großen Romans "Die Waffen nieder!" (1889), als ihr Name schon lange einen guten Klang in den Redaktionen und Verlagen hatte, wird sie bei Texten, die sich zu philosophischen Themen äußern, Zuflucht zum Pseudonym nehmen, "denn in wissenschaftlichen Kreisen herrscht so viel Vorurteil gegen die Denkfähigkeit der Frauen".

Der Essayband "Das Maschinenzeitalter" (1891) zum Beispiel erschien unter einem Pseudonym. Auch wenn Suttner scheinbar amüsiert berichtet, wie ihr in Debatten zugestanden wurde, als Frau könne sie die hier formulierten Thesen ja wohl nicht verstehen, zeigt das doch, dass sie ein Leben lang gegen die Mauern der Vorurteile ankämpfen musste.

Bertha von Suttner ist 45 Jahre

alt, als ihr Roman "Die Waffen

nieder!" nach langer und schwieriger Verlagssuche erscheint, vor dem Thema Antimilitarismus schrecken viele zurück. Das Buch wird zum Manifest der sich allerorten konstituierenden Friedensbewegung, an der Bertha von Suttner von nun an aktiv gestaltend teilnimmt. 1891 erfolgt die Gründung der Österreichischen Friedensgesellschaft.

Im selben Jahr hat sie ihren ersten internationalen Auftritt auf dem

3. Friedenskongress in Rom. Ab 1892 erscheint die Monatsschrift "Die Waffen nieder!", für die

Bertha von Suttner regelmäßig Glossen, Aufsätze und Kommentare zum politischen Zeitgeschehen liefert. Unermüdlich reist sie in den folgenden Jahren durch die Welt - inklusive zweier Amerika-Tourneen - als Rednerin und Impulsgeberin für neue Initiativen.

Nobelpreis im Jahre 1905

Erstaunlich ist auch die Energie, die sie im privaten Leben entwickelt. Sie trägt großteils die ökonomische Absicherung des auch menschlich brüchig gewordenen Familienhaushaltes. 1899, rechtzeitig zur Aufbruchsstimmung ins neue Jahrtausend, beschließt sie mit 56 Jahren, ihrer Korpulenz systematisch gegenzusteuern: Sie lernt Rad fahren. Mit viel Selbstironie beschreibt

sie den offensichtlich ziemlich langwierigen Lernprozess - "immer seltener fiel das Rad um, immer

seltener wurden die Bäume, gegen die ich direkt anstieß" - und

fortan radelt sie regelmäßig und mit zunehmendem Wohlgefühl durch die Gegend rund um Harmannsdorf. Wenn man die "Kleidungspanzerung" auf den Fotos betrachtet, die Suttner in diesem Alter bei ihren zahlreichen öffentlichen Auftritten zeigen, kann man die befreiende Wirkung neu gewonnenen Beweglichkeit gut verstehen.

Mit Alfred Nobel war Bertha von Suttner bis zu seinem Tod 1896 in Kontakt geblieben, auf ihre langen Gespräche über die Friedensbewegung geht Alfred Nobels Testamentsbestimmung des Friedensnobelpreises zurück. Dass dieser Bertha von Suttner als Mutter der Stiftungsidee nicht schon im ersten Jahr der Vergabe (1901) zuerkannt wurde, sondern erst 1905, ist eine der Kränkungen, die symptomatisch sind für die Geringschätzung ihrer Person und ihres Engagements. Bertha von Suttner stirbt am 21. Juni 1914 in Wien, gerade noch rechtzeitig. Das Attentat in Sarajevo eine Woche später und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs am

1. August 1914 musste sie also nicht mehr erleben.

1925, elf Jahre nach ihrem Tod, schrieb Carl von Ossietzky über die zahnlose deutsche Friedensbewegung: "Es ist wahrscheinlich das Schicksal der Bewegung gewesen, dass ihr Ausgangspunkt der larmoyante Roman einer sehr feinfühligen und sehr weltfremden Frau war (. . .) sie fand für die Idee keine stärkere Ausdrucksform als die Wehleidigkeit (. . .) Wie so viele Frauen, die aus reiner Weiberseele für die Verwirklichung eines Gedankens kämpfen, der männliche Spannkraft und ungetrübten Tatsachenblick erfordert, (. . .) blieb sie im Äußerlichen haften, anstatt bis zum Sinn vorzustoßen, und streifte sie in der Art, sich zu geben, da

ihr die prägnante Form mangelte, schließlich den Kitsch. So war

um die Friedensbertha allmählich ein sanftes Aroma der Lächerlichkeit."

Zweifellos genau so ist das Bild Suttners über die verschriftlichten Blicke ihrer Zeitgenossen auf uns gekommen: Ein bisschen schrullig, ein bisschen sekkant, ein bisschen naiv, aber harmlos und voll des guten Willens. Selbst wer sie zu loben unternahm - wie Stefan Zweig in einer Gedenkrede 1917 -, bedient sich doppeldeutiger Untertöne. Da wird das "Mildgeistige ihres Wesens" gerühmt, ihre "werbende" Art und die Begeisterung, mit der sie "wirkend glühte in der Leidenschaft ihrer prophetischen Angst". Also geistig eher minderbemittelt, zudringlich und überdreht.

Friedensbewegung

Was die "stärkeren" und "prägnanten Formen" für die Friedensarbeit betrifft, die Ossietzky einmahnt, musste Suttner tatsächlich passen, allerdings nicht wegen ihrer "Weiberseele", sondern wegen der Gesetzeslage: Frauen war damals die Mitgliedschaft in politischen Vereinen generell verboten. Als Bertha von Suttner im Winter 1890/91 in Venedig die Gründung der österreichischen Friedensbewegung vorbereitete, tagte hier gerade die 1888 ins Leben gerufene "Interparlamentarische Union". Suttner traf sich privat mit dem italienischen Abgeordneten und ließ sich berichten - teilnehmen oder gar mitarbeiten konnte sie an der IPU nie. Sie verfügte weder über das passive Wahlrecht, noch erlebte sie die Einführung des aktiven Wahlrechts für Frauen im Jahre 1918.

Die einzig mögliche Organisationsform, die ihr als Frau damals zugänglich war, war die einer überparteilichen, humanitären Organisation. Aus ökonomischen Gründen war Suttner auch zeitlebens die Option eines eigenen Salons verwehrt, jenes semiöffentlichen Forums, das Frauen zumindest eine beschränkte Teilnahme an der Öffentlichkeit ermöglichte.

Werner Michler stellt noch in seiner 1999 erschienenen Studie "Darwinismus und Literatur" etwas ratlos fest: "Suttner hat sich von

der Organisationsform des Vereins (. . .) für die 'Entwicklung' der Menschheit viel erwartet". Das ist durchaus richtig, jedoch nicht deshalb, weil ihr oder der sich parallel dazu formierenden bürgerlichen Frauenbewegung der Verein als "ideale" Organisationsform erschienen wäre, sondern weil es eben die einzig mögliche war, in der Frauen sich damals sozusagen öffentlich, wiewohl ohne Portefeuille, in politische Prozesse einschalten konnten.

Bis heute haftet diesen von Frauen genutzten Nischenmöglichkeiten der Makel des "Unernsten" an, und es wäre an der Zeit, das Image Bertha von Suttners endlich davon zu befreien.

Freitag, 30. Juli 2004

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