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Eine Feldpost aus den Monaten August und September 1914

"Bis jetzt ist der Krieg ganz lustig"

Von Walter Klier

Mein Großvater Josef Prochaska, genannt Pepi, war Jahrgang 1888. Nach der Generalmobilmachung Anfang August 1914 rückte er als Einjährig-Freiwilliger im Rang eines Kadetten zu seinem Regiment ein. Dieses war in Kronstadt, ungarisch Brassó, rumänisch Brasov, stationiert. Während der gesamten viereinhalb Jahre, die der Krieg dauerte, schrieb er manchmal täglich, aber mindestens einmal die Woche an seinen Vater, den Oberforstrat Heinrich Prochaska, daheim in Innsbruck eine Karte oder einen Brief. Nach dem Tod meines Großvaters 1974 fanden wir dieses Konvolut unter seinen Papieren, säuberlich nach Datum geordnet und in fünf Jahres-Päckchen verschnürt. Erst viele Jahre später machte ich mich daran, Pepis gesamte Feldpost zu entziffern und abzuschreiben. Hier folgen einige Ausschnitte vom Anfang der Korrespondenz, aus dem August und September 1914.

2. 8. 1914

Lieber Papa! Nach 1 St Verspätung in Innsbruck überall in Tirol mit Begeisterung aufgenommen. In Kitzbühel das Frl. Traunsteiner getroffen. Im übrigen eine kolossale Gaudi. Ich fahre mit Hittmair. Unsere Armee hat guten Geist. Heute ein Prachttag. So etwas wie die Sauferei heute Nacht habe ich nicht leicht mitgemacht. Bis Wien werden wir mit 2 St. Verspätung ankommen. Mir geht es ausgezeichnet. Bis jetzt ist der Krieg ganz lustig. Dein Sohn Pepi.

Kronstadt 8. 8. 7 h früh

Lieber Papa! Es tat mir sehr leid, daß wir nicht auf den Gedanken kamen eine Fahrkarte nach Hall zu nehmen, wie es die andern Leute machten. Dann hättest Du gut auf den Perron kommen können. Ich habe die (Haushälterin, W.K.) Kathi nach Dir ausgeschickt. Meinen schönen Alpenrosenstrauß habe ich fest aus dem Fenster herausgewinkt.

Die Fahrt nach Bischofshofen gehört zu meinen schönsten Erinnerungen. Ich war in den hinteren

3 Waggons der einzige Offizier. Die Soldaten waren so patriotisch u. begeistert, daß sie über mich herfielen und die Hände küßten.

Ich zahlte ihnen dann ein Faßl

Bier. Dasselbe mußten wir während des kurzen Aufenthalts in Saalfelden aus einem Gasthaus aus dem Keller holen. Als wir es zur Station geschleppt hatten, fuhr der Zug ab. Wir warfen es bei den ersten Wagen den Passagieren auf die Haxen, daß sie grad so gejuzt haben. Nun hieß es das Faßl durch alle 20 Waggons hindurchbringen. Der Jubel der Mannschaft bei unserem Erscheinen war ein grenzenloser. Ich wurde neuerdings abgeküßt. Wir haben dann brav gesoffen.

In Wien alles leer. Im Speisesaal am Bahnhof 3 Leute. Die alten Leute auf der Straße und eine Schar Gassenbuben haben sich angeboten uns das Gepäck zu tragen. Alles verweinte Augen. Die ganze Stadt einen desperaten Eindruck. Den Anschluß nach Pest versäumt. 9 St. in gräßlicher Hitze im Personenzug nach Pest gefahren. In Komorn wurden die Pontons verladen u. die Automobile fuhren die 15 cm Haubitzen zum Bahnhof. Budapest noch unter dem Eindruck des Thronfolger-Empfangs. Wir sind gleich in eine Conditorey hinein. Da war die nationale Begeisterung ganz wahnsinnig. Beim Abendschnellzug nun ein Wettrennen um die Plätze. Lauter rumänisches Zivilistengesindel ist gefahren. Essen widerstand mir u. ich habe es an die Soldaten verschenkt. Die Nacht verbrachte ich gut. Der Zug hatte nur 2 St. Verspätung. Die sächsischen Mädchen waren scharenweise in Siebenbürgen auf den Bahnhöfen und haben Wasser gereicht. Montag nachmittag 4 h bei großer Hitze angekommen. Sofort zu Dr. Philippi Schloßbergzeile 6 gegangen und bin zur Stunde wie ein Sohn aufgenommen. Sei so gut

und schreibe dieser Familie

noch in Deinem Namen einen Dankbrief!

Famos gegessen u. geschlafen. Am selben Tage noch gemeldet und den Säbel zum Schleifen gegeben. Am Dienstag um 8 h bei der Kompanie eingerückt 278 Mann. Ein Teil ist noch in Hermannstadt und kommt am 7. d. M. Am 9. kommen 2000 Mann Rekruten sodaß jede Ersatzkompanie 700!!! Mann haben wird. Wir fangen schon an die Leute wegzuschicken, weil wir kaum Monturen haben. Die Reservisten sind tadellos. Pferde ebenfalls. Geist der Truppe vorzüglich. Sie singen den ganzen Tag serbische Spottlieder. Eine Frau, eine Rumänin ist ihrem Manne gefolgt und bei uns, sie ist 17 Jahre alt und schon 2 Jahre verheiratet. Wir haben sie schon einigemale fortgeschickt und sie kommt immer wieder. Die rumänischen Weiber tun überhaupt am allerärgsten. Sie sitzen in großen Scharen um die Kaserne herum und warten tagelang, auf das, was kommen wird.

Kronstadt 9. 8. 5 h abend

Lieber Papa! Habe bis jetzt eine Karte in Raab (Györ) aufgegeben zwei Karten aus Kronstadt und einen 6 Seiten langen Brief - schon am 6. hier aufgegeben. Hoffentlich hast Du es erhalten.

Heute war Vereidigung des Regiments. 4400 Mann samt dem ganzen Train. Feldmesse zelebriert durch den Feldbischof. Schöne Ansprache desselben. Er empfahl uns laut dem Hlgst Herzen Jesu. Viele Leute haben geweint. Dann Vereidigung der Offiziere, die mich sehr ergriff, dann der Mannschaft, in

3 Sprachen. Ein endloses Menschenheer. Bei uns ist ein Leutnant, der 2 Balkankriege mitmachte; und der freiwillig kam. Von den ca 100 Reserveoffizieren wurden 16 in

die Feldkomp - darunter auch

ich - ausgewählt. Es ist dies ein Zeichen höchster Ehre. Hauptsächlich Deutsche sind unter uns. Wir müssen von allen als erste an die Front. Die sog. Marsch- und Ersatzkompanien kommen erst in einem Monat dran oder überhaupt nicht. In meiner Scheune war alles mit weinenden Weibern angefüllt. Manche lassen sich gar nicht trennen.

Morgen ist feldmäßige Schießübung und am Dienstag - so

heißt es, fahren wir ab - wohin, weiß kein Mensch. Von den

Kriegsschauplätzen erfahren wir so gut wie nichts. Von Heintschi bekam ich eine einzige Karte aus Preßburg. Er fährt im Viehwagen nach Budapest von da weiß er nicht, es geht ihm gut. Er weiß nicht, ob er als Mediziner verwendet wird.

13. 8. 1914

Lieber Papa! Heute wie gestern im Coupé 2. Klasse fortwährend gesoffen und gegessen. Auf der Bahn schon von den braven Ungarn kostenlos bewirtet. Großer Jubel bei unserem Erscheinen. Bin bester Gesundheit und Appetit wie noch nie. 3 Offiziere sind befördert worden. Leset im Verordnungsblatt nach, ob ich nicht auch befördert wurde. Darf euch leider nichts mehr schreiben.

Feldpost 43 / Erhalten 2. 9. 1914

2 h NM

14. 8. 1914

Viele Grüße von unserer Bahnfahrt. Die Fahrt durch die Waldkarpaten war einfach großartig. Dies ist meine 8. Korrespondenz. Meine Feldpostnummer ist 43. Beachtet genau die Vorschriften der Feldpost, sonst bekomme ich nichts. Briefe nicht schließen. Geld habe ich genug. Vor 5 Tagen habe ich die Mehlspeise der Kathi gegessen.

Tysmienica/Tischmieniza

19. 8. 1914

Recht viele Grüße von einer ruthenischen Station in der Nähe von Stanislaw. 4 Tage im Eisenbahnwaggon. Großer Schmutz aber doch sehr komfortabel. Ich habe jetzt 60 Mann unter mir. Heute vor 1 Jahr war ich am Mittaghorn in der Schweiz. Hittmair Toni ist auch hier eingerückt. Traf ihn aber nicht. 3 km von uns ist . . . Mein Bagage geht ganz anstandslos mit.

23. /24. 8. 1914

Lieber Papa!

Ich kommandiere 59 Mann und habe gute Ordnung und Zucht bei mir. Die Sprache macht mir gar keine Schwierigkeiten. Außerdem habe ich jetzt fleißig ungarisch gelernt. Viele Grüße an alle Bekannten, die ich nicht alle nennen will. Ich bekomme im Tag 5 K.

6. 9. 1914

Ich führe ein genaues Tagebuch. Ich hoffe es sicher einmal in eure Hände zu bekommen.

Deine lieben Zeilen vom 6. August am 23. August durch Herrn Philippi erhalten. Am 26. VIII. habe ich die Feuertaufe bekommen u. zwar gleich in ausgiebigem Maaße. Habe mit meinem Zug die fdl. Linie durchbrochen und bin bis zur Artillerie vorgedrungen, daselbst diese gezwungen eine andere Stellung einzunehmen. Von 30 fdl. Geschützen 48 St. ohne Unterbrechung beschossen worden. Von meinen 56 habe ich heute 6. Sept. dem Oberst 5 noch zurückgebracht. Das sagt alles. Mein Leben verdanke ich nur Gott. Bin unverletzt und leide nur an etwas Durchfall.

13. 9. 1914

Bin gesund u. glücklich aus der letzten Schlacht bei L (?, W.K.) W (?, W.K.) entkommen. Schicke mir fleißig Nachrichten u. auch Zeitungen, auch Eßwaren bes. Chokolade u. Cognac, überhaupt Dauerhaftes. Habe keine Postkarten zum Schreiben, teile unseren Bekannten alles mit.

16. 9. 1914

Habe keine Karten gehabt und

keine Zeit, konnte Dir nicht schreiben. Seit 7. - 13. im Gefecht. Schwere Stunden mitgemacht. Meinen 4. Zug in Ehre angeführt. Wohl 12 russ. Kartätschenlagen sind auf uns niedergegangen. Eine große Ekrasitgranate bei meinem Fuß vorbei u. unzählige Schrapnells über mir. Alle hielten mich für verloren. Ich bin schon 3mal totgesagt worden. Die Leute waren alle unverletzt und sichern mir unbedingte Ergebenheit zu. Von den späteren Gefechten sage ich nur das eine, daß mich die Mutter Gottes immer bewacht hat. Ich habe sehr exponierte Aufgaben u. bin jetzt der einzige Offizier bei der Kompanie u. kommandiere viele Leute.

Deine Karte vom 13. u. 17. mit ungeheurer Freude in der Schlachtlinie erhalten. Schreibe doch öfter und schicke Zeitungen aber geschlossen im Kuvert. Geld habe ich genug. Schicke so schnell u. so viel als möglich Chokolade u. haltbare Süßigkeiten. Ich habe keine Zeit auch Karten an alle Verwandten u. Bekannten zu schreiben. Besorge Du die weitere Verständigung. Mit meiner Wäsche u. Socken stehe ich sehr schlecht. Habe soviel Arbeit.

26. 9. 1914

Habe Dir einmal eine Karte geschrieben mit nur wenigen Zeilen ohne Unterschrift. Die Post ging eben ab. Nun lasse ich mit dieser Karte einen Brief zugleich abgehen, der eine Schilderung der gesamten bisherigen Erlebnisse umfaßt. Heute traf ich Regtskmdt Hinrich, der mich ansprach: "Gratuliere Dir zu Deiner Waffentat, habe soeben den Belobigungsantrag bekommen u. werde ihn heute weitergeben!" Ich empfand darüber riesige Freude. Also wird noch die "Medalli" daherkommen. Auch zur Beförderung wurde ich eingegeben. Wir waren bis jetzt so abgehetzt, daß für derlei Dinge keine Zeit war. Als einzelner unter vielen erfreue ich mich der allerbesten Gesundheit. Heute seit 12. VIII. das erstemal wieder unter Dach in einem Bett. Die Juden haben Neujahr und haben uns mit prachtvoller Gans bewirtet, dazu feiner Tee, Butter etc. Wir sind überglücklich. Von Heintschi bis jetzt noch nichts bekommen. Bin sehr besorgt deswegen.

Sein Bruder Heinrich, genannt Heintschi, war bereits am 4. September in einem Lazarett in Esseg, dem heutigen Osijek, an der Ruhr gestorben. (W. K.)

Freitag, 30. Juli 2004

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