Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Die Ursprünge des kommunalen Bauens im "Neuen Wien"

Wohnpaläste und Gartenstädte

Von Werner Garstenauer

Wer sich mit dem Wohnen in Wien beschäftigt, kommt nicht an dem vorbei, was der "Gemeindebau" einmal war und was von ihm geblieben ist. So ist es nicht nur für die politischen Machtverhältnissse in Wien entscheidend, ob der rote Gemeindebau ein blaues Auge abbekommen hat, auch Serien wie "Kaisermühlenblues" oder Filme wie "Muttertag" wären ohne die typisch wienerischen Pflanzen und ihre zur Bühne gewordenen Wohnkistln undenkbar. So manche echte Wiener Seele hängt noch Jahrzehnte später an den Kindheitserinnerungen, die ihr das Aufwachsen inmitten der Höfe und Stiegen bescherte. Es darf einen unkundigen Zugereisten nicht verwundern, wenn dabei über vielerlei Mankos baulicher, ausstattungs- und vergabetechnischer Art hinweggesehen wird. Man muss erst lernen, welch eine schillernde, ideologisch aufgeladene Aura dem kommunalen Wohnbau in dieser Stadt anhaftet und was alles sich in diesen Mythos eingeschrieben hat.

Stiftungshäuser und Siedlungen

Bis 1914 kannte man keine Wohnungspolitik, eine fehlende Bauordnung führte zu einer irrwitzigen Bebauungsdichte, und eine extrem hohe Mietzinssteuer tat ein Übriges. Lediglich um eine kümmerliche Obdachlosenversorgung kümmerte sich die christlich-soziale Stadtregierung. Die Mieten der Notstandswohnungen, die höher als in den Zinskasernen waren, heizten die Zinssteigerung noch stärker an. Wohnungspolitische Fürsorgearbeit wurde nur von privaten, gewerblichen oder kaiserlichen Stiftungen geleistet. Am bedeutsamsten war die 1898 zum 50. Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph I. ins Leben gerufene "Jubiläums-Stiftung". Zwei hofartige Musteranlagen wurden in Ottakring realisiert und dienten dem späteren kommunalen Wohnbau als Vorbild. Die Mietzinse lagen zwar im Vergleich zu denen der Zinskasernen etwas höher, doch das Besondere der Stiftungsanlagen war neben dem neuen Hygienestandard (integriertes WC) die kostenlose Benutzung der mitgebauten Sozialeinrichtungen wie Wäscherei, Bad und Bib-liothek. Die Stiftungshäuser blieben eine singuläre Erscheinung (lediglich qualifizierte Arbeiter und Angestellte vermochten sich deren Zins zu leisten), und waren somit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Erst das urbane Nachkriegschaos und die sozialistische Machtübernahme 1919 brachten den kommunal-sozialen Wohnbau ins Rollen.

Noch bevor 1923 der Gemeinderat ein ambitioniertes Wohnbauprogramm verabschiedete, nahmen viele ihr Schicksal selbst in die Hand. Aus den Reihen der wilden Siedler, die nach dem Kriegsende im Wienerwald oder sonstwo im Niemandsland hausten, formierten sich Anfang der 20er Jahre zahlreiche, einander unterstützende Selbsthilfeorganisationen, die später auch von der Gemeinde gefördert wurden. Eckpunkte dieses "dritten Weges" jenseits von Markt und Staat waren: Erbbaurecht, gemeinnütziges Genossenschaftseigentum am Haus, eigener Arbeitseinsatz, der bis zu einem Anteil von 30 Prozent ging, gemeinschaftliche Infrastruktur, Selbstverwaltung. Als Bindeglied zwischen Genossenschaftsbewegung und Kommunalverwaltung agierten die "Gemeinwirtschaftliche Siedlungs- und Baustoffanstalt" (GESIBA), die die Baustoffversorgung sicherstellte und bald selbst als gemeindeeigene Gesellschaft Österreichs größter Bauträger werden sollte, sowie das von Adolf Loos geleitete "Siedlungsamt" der Gemeinde Wien.

Der Agent provocateur in Sachen Architektur gab als Parole "Große Architekten für kleine Häuser" aus und stand in einer von ihm organisierten "Bauschule" den Siedlern mit Rat und Tat zur Verfügung. Loos' streng sachliche, zweckmäßige Linie fand nicht so viel Anklang wie erhofft - die Beamtenschaft sabotierte seine oft hochfliegenden Gartenstadt-Pläne und so mancher Siedler wollte nicht auf Vorgarten oder Dachgiebel verzichten. Loos verabschiedete sich 1924 aus dem Siedlungsamt. 1926 stellte schließlich die Gemeinde die finanzielle Förderung genossenschaftlicher Siedlungsprojekte zur Gänze ein. Obwohl viele sozialistische Spitzenpolitiker wie Otto Bauer oder Karl Renner der Idee von Gartenstädten nachhingen, erschien sie nicht durchführbar, da die wirtschaftliche Misere eine Stadterweiterung unmöglich machte. Geblieben sind aus dieser Pionierzeit die Heuberg-Siedlung und Teile der Siedlung Friedensstadt beim Lainzer Tiergarten, an denen neben Loos auch andere namhafte Architekten wie Schütte-Lihotzky oder Josef Frank beteiligt waren.

Menge statt Moderne

Nachdem Wien 1921 endgültig zum selbstständigen Bundesland geworden war und finanztechnisch mehr Gestaltungsspielraum errungen hatte, wurde eine grundlegende Reform der Wiener Steuer- und Bodenpolitik vorangetrieben. Am bekanntesten ist die 1923 eingeführte zweckgebundene und sozial ausgewogene Wohnbausteuer. Sie deckte rund ein Drittel der Baukosten der von 1923 bis 1934 errichteten 64.000 "Volkswohnungen" ab - auch wenn auf den Gemeindebauten dieser Zeit anderes vermerkt ist. Besaß die Gemeinde anfangs keinerlei erschlossene Baugründe, so konnte der Ankauf auch Dank der inflationären Entwicklung auf bis zu 400 ha pro Jahr gesteigert werden. Pragmatismus war Programm, technische und organisatorische Probleme standen im Vordergrund.

Obwohl man zuerst angetreten war, den Standard der Stiftungshäuser zu überbieten, orientierte man sich ausstattungsmäßig weitgehend an diesen. Im baulichen Bereich wiesen die Volkswohnpaläste zudem eine weit geringere Bebauungsdichte auf, diese war generell auf 60 Prozent beschränkt, wodurch eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Wohneinheiten gewährleistet war. Eine weitere bedeutende Verbesserung stellte die Anordnung der Wohnungen dar, da nun höchstens vier Wohnungen in einem Stockwerk an einer Treppe lagen, was die größere Zahl an Stiegenhäusern erklärt. Beim häufigsten Wohnungstyp gab es auf knapp 40 m² einen kleinen Vorraum, Wohnküche mit Gasherd, Wohnschlafzimmer und WC. Dies alles zu einem Kategoriemietzins, den sich jedermann leisten konnte. So sehr diese Lösung der wohnungsökonomischen Frage eine große Errungenschaft für die unteren Bevölkerungsschichten darstellte, relativiert sie sich im Hinblick auf zeitgenössische Modelle zum kommunalen Wohnbau. In Deutschland hatte man stets ein stadtplanerisches Konzept zur Hand und das Gebaute folgte einem höheren Bau- und Ausstattungsstandard. Dafür konnte sich diesen Wohnbau, im Gegensatz zu Wien, auch nur die Mittelschicht leisten. Selbst der Proponent der Wiener Gartenstadtbewegung, Otto Neurath, gestand ein, dass die "entstandenen Neubauten als Ganzes genommen eine neuartige soziale Leistung" bedeuteten.

Wie sich sozialistisches Wohnen nach außenhin zu präsentieren hatte, wurde lange Zeit nicht diskutiert. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, dass sich erst im Linzer Programm von 1926 - 20.000 Wohnungen waren bereits gebaut - allgemeine Ansätze zu wohnungspolitischen Fragen finden. Man kann von einer Ideologisierung a posteriori sprechen. Es entwickelte sich ein breites Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten, das die aus der Gründerzeit stammenden Traditionslinien weiterentwickelte. Eine eigenständige Wohnhausform entstand - der so genannte "Wohnpalast" oder "Hof", der durch die bauliche Zusammenfassung mehrerer Baublöcke gründerzeitlicher Art mit innenliegenden geschlossenen Grünbereichen bestimmt ist.

Das "Hof-Prinzip"

Am Beginn dieser Entwicklung steht der erste Bauabschnitt des Metzleinstalerhofes (Margaretengürtel 90-98), der noch während des Ersten Weltkrieges von Robert Kalea entworfen wurde. Neu an diesem Gebäude ist die parzellenübergreifende Bauart, der Tradition sind die noch außenliegenden Stiegenhauseingänge verpflichtet. Erst die 1922-23 gebaute Erweiterung des mit dem Bau von Arbeiterwohnheimen vertrauten Otto-Wagner-Schülers Hubert Gessner realisiert eine innenliegende Gartenhoffläche, die einen neuartigen, halböffentlichen Raum kreiert und den ausgebauten "Superblock" tiefer in den Bezirk hineingreifen lässt. Das "Hof-Prinzip" vereinigt Elemente des urbanen Gefüges, die in der Gründerzeit getrennt waren: Gebäude, Straße, Garten und Platz. Innen und außen scheinen aufgehoben, die Raumstrukturen von Gebäude und Stadt definieren sich stets aufs Neue, Sphären von Individuum und Kollektiv unterminieren einander wechselseitig. Die Ausstattung mit Zentralwäscherei, Badeanlagen, Bücherei und Kindergarten wurde zum Standard für alle weiteren Volkswohnpalast-Bauten und das gesamte Projekt zum Zugpferd des sozialistischen Kommunalwahlkampfes 1923.

Der ebenfalls von Gessner entworfene und an den ersten Wiener Gemeindebau angrenzende Reumannhof sollte die Perle des als "Ringstraße des Proletariats" bezeichneten Gürtels werden, der sich damals diese Bezeichnung noch verdiente. Gessner schwebte ein von zwei herkömmlichen Blöcken umrahmtes Hochhaus vor - ein Komplex, der hofburggleich auf den damals noch bestehenden großen Haydnpark blickte. Obwohl sozialistische Politiker der aus den USA kommenden Hochhausmode wohlwollend gegenüberstanden, wurde lediglich eine Sparvariante realisiert. Dennoch sind die Komposition der Anlage sowie die Arkadenbögen und der vervielfältigte Dreieckserker Musterbeispiele der monumental-pompösen Spielart des Gemeindebaus, wie sie auch am Karl-Marx- oder Karl-Seitz-Hof deutlich wird. Große Tore und weite Plätze betonen den flutenden Charakter der Menschenmassen, inszenieren deren Macht und erinnerin an die Bauten des imperialen Wien. Weniger pathetisch gibt man sich bei der posthistoristischen Variante: betonte Steildächer behüten putzige Fenster, Schmuck mit volksnahem Sujet vermittelt Heimatgefühl wie z. B. bei dem in der Pionierzeit gebauten Wachauer-Hof (Jungstraße 15). Die dritte Untergruppe ist dem sachlich-modernen Stil zuzuordnen. Hier findet man geradlinige Attiken, Dächer mit Minimalneigung, keine oder nur spärliche Fensterumrahmungen, Balkonfluchten und Glasveranden. Dass dies durchaus ins Monumentale transponierbar war, beweist der von Rudolf Perco gestaltete Friedrich-Engels-Platz oder das Gemeinschaftsprojekt Winarsky- und Otto-Haas-Hof (Stromstraße 55).

Synthese im Kleinen

Der Winarsky-Hof war der letzte Versuch des von Loos inspirierten "Österreichischen Verbands für Siedlugs- und Kleingartenwesen", der Gestaltung von Gemeindebauten eine extensive Raumnutzung zu gestatten und die Idee einer Gartenstadt zu verwirklichen. Loos selbst hatte schon 1912 in Hietzing eine Terrassenvilla gebaut, Le Corbusier präsentierte in Paris gerade mit seinen "Immeubles-villas" Modelle für großflächig angelegte Wohnquartiere, da sollten 1923 in Wien dreistufige Terrassenhäuser entstehen. Der Plan wurde abgelehnt und als Entschädigung dafür das größte jemals an private Architekten vergebene Projekt in die Hände des ÖVSK gelegt: jeder der beteiligten Architekten (u. a. Schütte-Lihotsky und Franz Schuster) bekam ein Blocksegment zugeteilt. Loos allerdings zog sich zurück. Seine Mitstreiter integrierten, so gut es ging, das Zeilenbauprinzip der Gartenstadt in die vorherrschende Superblockstruktur.

Die Hofanlagen wurden durch "Siedlungszitate" wie Balkone, Loggien, Terrassen, Lauben, Pergola usw. dem Bild eines "sozialistischen Dorfes" angenähert. Acht Architekten gestalteten abwechslungsreiche Fassadenfronten an nur einem Objekt, das zur Visitenkarte avanciert fortschrittlicher Baugestaltung wurde. Am pointiertesten erfährt man diesen Unterschied bei der Betrachtung zweier gegenüberliegender Einfahrten: während Josef Hoffmann an einem Tor Loos'sche Sachlichkeit mit Biedermeier-Details garnierte, gestaltete Oskar Strnad am anderen mit expressiven Linien den für sämtliche Wohnblocks paradigmatisch werdenden ambivalenten Charakter von Durchgang und Schutzwall.

Von allen Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit nähert sich der Winarsky-Hof am deutlichsten den avantgardistischen Techniken an. Das Pendant zum posthistoristischen Modernisierungsverfahren der Wagner-Schüler wie z. B. Gessners hatte endgültig seinen Garten gefunden.

Freitag, 02. April 2004

Aktuell

Die Mutter aller Schaffenskraft
Wenn Eros uns den Kopf verdreht – Über Wesen und Philosophie der Leidenschaft
Schokolade für die Toten
In Mexiko ist Allerseelen ein Familienfest – auch auf dem Friedhof
Gefangen im Netz der Liebe
Das Internet als Kupplerin für Wünsche aller Art – Ein Streifzug durch Online-Angebote

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum