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Über die verloren gegangene Idylle des Einer-Sessellifts

40 Stützen Einsamkeit

Von Gerhard Strejcek

Ein bitterkalter Wintermorgen, Stütze um vereiste Stütze gleitet vorbei, leere Sessel begegnen dem bergwärts strebenden, schon jeden Sessel zählenden Passagier wie stumme Passanten in einem endlos langen Fußgängertunnel. Die Decke aus grobem Drillich

lastet schwer auf dem Skigewand des Städters, die Hüften schmerzen noch vom kräftigen Griff des

bäuerlichen Liftwarts, der die Fahrgäste in der Talstation blitzschnell auf die Sessel hievte und ebenso rasch wie schwungvoll den

patentierten Dreh-Sicherheitsbügel schloss.

Des stillen Applauses der Wartenden war jedesmal gewiss, wer beim Aufsteigen keinen Lift-Stopp provozierte, denn die Motoren liefen einst viel stampfender, unrunder und schwerfälliger an als heute. Vom Einkuppeln der Sessel, wie bei den heutigen Dreier- bis Achter-Sesselbahnen, war einst natürlich keine Rede, kein Wunder, dass die Zubehörindustrie für die damals en vogue befindlichen Ellesse-Jethosen Kniekehlenschoner zur Abwehr oder zumindest zur sanften Abbremsung der oftmals rasant den unteren Extremitäten zustrebenden Holz- oder Metallsessel erfand. Noch mehr gingen einem in den Anfängen der Liftkarriere allerdings Ballastskihosen ab, die vor dem Abheben am Schlepplift mit seinen unbarmherzigen Einrollmechanismen bewahrt hätten.

Fahrt aufs Plateau

Die schwankende Fahrt in die Einsamkeit führte über die verschneiten Talhänge der steirischen Tauplitzalm. Ehe die Kälte vollends durch Mark und Bein drang, war die Mittelstation nach rund 15 Minuten flach-beschaulicher Fahrt erreicht. Das war aber nur die erste Etappe. Auf alten Schienen, die für kleine Lastenwagen in den gestampften Boden gelegt wurden, ging es schweren Schrittes mit den klobigen Skischuhen an den Füßen zur zweiten Sektion; die Ski übernahm der schweigsame, schwarzbärtige Helfer - und dann begann die weitaus ausgesetztere und steilere Fahrt hinauf aufs Hochalmplateau, die stets mehr als 20 Minuten in Anspruch nahm.

Selbst wenn man die Höhe schon erreicht hatte, war man noch lange nicht angekommen, konnte im besten Fall bei Sonnenschein den Langläufern und dem eindrucksvollen Panorama des Sturzhahnes und des Traweng huldigen, im schlimmsten Fall indes beten, dass die Böen nachlassen und der Lift wieder anfahren mögen. Denn Abspringen war verboten, unrealistisch, gefährlich. So half nur der mentale Selbstbetrug, etwa der imaginäre Besuch des Kaufhauses Lexer, das - mitten auf der Alm

gelegen - über eine plastikverkleidete, ächzende Holzstiege erreichbar war und allerlei Brauch-

bares an Lebensmitteln, Spezereien und sonstigem Tourenbedarf bot. Eine Alm mit einem Kaufhaus, auch das ein Unikum der siebziger Jahre!

Die eingangs geschilderten Erlebnisse sind unwiderruflich vorbei und heute nicht mehr nacherlebbar. Seit einigen Jahren führt nämlich auch auf das berühmte Plateau am Rande des Toten Gebirges eine dieser vom Arlberg bis zum Hirschenkogel am Semmering metastasierenden Gondelbahnen, in deren Kabinen je nach Bauart zwischen vier und acht lärmende Snowboarder samt ihrem sperrigen, niemals trocknenden Gerät Platz finden. Sogar die alte Kandahar-Standseilbahn in St. Anton musste mittlerweile weichen. Schlimmer sind nur noch die unter "Express" oder "Amadeus" firmierenden Pferchgondeln in den Salzburger Groß-Skigebieten, in denen einem der Nachbar in den Kragen hustet und die Carving-Ski das Rückgrat kratzen.

Kultureller Rückschritt

Es ist ein unbezweifelbarer technischer Fortschritt, eine Kapazitätssteigerung um ein Vielfaches, wohl auch ein Sicherheitsgewinn, aber ein gewaltiger kultureller Rückschritt, wie so oft. Vorbei ist es mit einem der längsten, laut Vaters Wort dem längsten Sessellift der Welt, und jedes Jahr wird ein weiterer Vertreter dieser wunderbaren technischen Spezies demontiert. So gehen dem Rest-Idyllsucher die guten alten Einer-Sessellifte verloren und selbst die einst revolutionären Doppel-Sesselbahnen, z. B. auf den alten Steinbergkogel oder von Losenheim auf den Schneeberg, sind auf dem Rückzug. Auch um die Schlepplifte muss man sich allmählich Sorgen machen, vor allem um solche Exemplare wie den endlosen Kohlmaislift in Saalbach oder die bereits demontierte Bergauf-Todesstrecke Gamsleiten II in Obertauern.

Viele, allzu viele haben uns leider verlassen. Was ist mit den schon bei meinem ersten Besuch still stehenden Hintertuxer Gestängen, wo verblieb die lautlose, mit großen rot gefärbten Rädern versehene, alte Hirschenkogelbahn? Was wurde aus den unbeschreiblich steilen Schleppern im Urgebiet des Skifahrens, am Zdarsky'schen Muckenkogel in Lilienfeld, und selbst am Sonnwendstein im Semmeringgebiet werden die beschaulich-alten Verkehrsmittel bald der Vergangenheit angehören, von den Massen-skigebieten im Westen ganz zu schweigen, wo derartige Lifte bestenfalls als Baudenkmäler, als Not-Trabanten für leistungsfähigere Mehrsessel- oder Gondelbahnen - oder eben aus Kostengründen stehen bleiben.

Die feinen Unterschiede

Dem Kenner eröffneten sich dutzende Unterscheidungsmerkmale, von der fuß- und skistützenlosen Billigversion mit ordinärer Sicherungskette auf der Kitzbüheler Ehernbachhöhe bis hin zum eiskalten Plastikschalensitz der siebziger Jahre mit lautlos einrastendem Leichtmetall-Sperrhebel, den das Hochkar schon bald anbot. Das prominenteste, in zwei Sektionen geteilte, endlos anmutende Exemplar auf die Tauplitzalm verhalf schon frühzeitig zu den eingangs geschilderten guten Erinnerungen, aber auch zu Angst und solitären Gefühlen.

Das Gute vorweg: 40 Stützen Einsamkeit, Zeit, um mit sich ins Reine zu kommen, Tannen- und Fichtennadelduft aus der großen Sprühdose Natur einzuatmen. Das Schlechte, mitunter: 40 Minuten Kälte, die auf dem manchmal windigen Plateau den Höhepunkt erreichte, Raum gab für tollkühne Countdown-Zählexperimente, Sessel zählen, Stützen zählen, Bäume zählen. Jeder Stopp ein Nervenkitzel, je länger, desto größer. Und dann, endlich angekommen in der Bergstation, konnte der tollkühne Passagier das Schicksal schon nach einigen Schleppliftfahrten auf dem für Wintersportler wenig vertrauenserweckenden, nichts Gutes verheißenden Lawinenstein-Einer-Sessellift (mit bunten Sesseln!) herausfordern. Der war aber bedeutend kürzer als der Berglift, aber immer noch lang genug für Besinnung, Ausblick, Angstgefühl und Frösteln.

In Erinnerung bleibt auch der skurrile Zubringer-Schlepplift zum Lawinenstein und zum Theodor-KarlHoll-Haus, bei dem wegen der zu kurzen Abwurfzone ein Angestellter jeden Bügel mit beiden Händen entgegen nehmen, oft auch und diesfalls hörbar Steirisch fluchend auffangen musste.

Was alles nicht ratsam ist

Es gibt Weniges, das weniger anzuraten ist, als der nur theoretisch reizvolle Versuch, mit einem Sessel den Wendepunkt einer Sessellift-Bergstation zu passieren. Gescheitert ist unter anderem ein vergesslicher Skifahrer auf der Hutterer Höss jenseits des Toten Gebirges in Oberösterreich, den die hurtigen Zentrifugalkräfte vor den entsetzten Augen der Nachkommenden aus dem Sessel bugsierten.

Unrühmlich war auch meines Vaters Sesselliftstart auf eine andere steirische Alm - war's die Planeralm oder die Planei -, als er, die vom Tauplitzer Lift gewohnte Skistütze in Erinnerung, sein Sportgerät zum Gaudium der Wartenden dreimal hintereinander neben sich ins Leere legte. Auf dem rückschrittlichen Sessellift mussten nämlich die Ski quer über den Schenkeln liegend aufwärts transportiert werden, angeschnallt fahren war vom Tal weg noch nicht üblich. Also . . . ein gewisser, kleiner technischer Fortschritt mag schon zulässig sein. Sicherlich aber nicht so viel wie bei den unsäglichen Dreier-Sesselliften, auf denen sich stets eine unliebsame Person aus einer Nachbarspur im letzten Moment hinzugesellt, die auch noch das synchrone Anheben der Ski beim Schließen der nunmehr stets von oben herabschnalzenden Sicherheitsbügel blockiert. Bahnen wie z. B. die legendäre Schindlergratbahn auf der Valluga kuppeln dann in einem Tempo ein, dass einem wiederum Angst und Bange wird.

Aber auch der Einer-Sessellift hatte seine Tücken. Mein oftmaliger Skigefährte, heute Chef vom Dienst in einer Tageszeitung, staunte nicht schlecht, als er auf dem Sonnwendsteinlift schon nach wenigen Stützen von eben einer solchen seines angeschnallten linken Skis beraubt wurde. Denn wenig ratsam ist es, sich auf einem der eng die Stützen passierenden Einer-Sessellifte allzu gesprächig umzudrehen und die zumindet noch vor ein paar Jahren recht langen Latten dem harten Stahl der rasch auftauchenden Sesselliftstütze preiszugeben. Sieger ist diesfalls immer die Stütze, und mit einem Ski den steilen Sonnwendstein hinabzufahren, gelingt nicht einmal einem sportlichen Journalisten.

Freitag, 23. Jänner 2004

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